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PNEUMOLOGIE
Frühzeitig behandeln ist der Schlüssel
Asthmaremission: was die Pneumologie von der Rheumatologie lernen kann
Auf Remission abzielende Treat-to-Target-Strategien bewähren sich seit vielen Jahren in der Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen. Kann dieses Konzept auch auf die entzündliche Atemwegserkrankung Asthma bronchiale angewandt werden? Vieles spricht dafür, die Definition der Therapieziele steckt allerdings noch in den Anfängen.
Das Management des Asthma bronchiale hat sich über die Jahrzehnte entwickelt von einem breiten systemischen Ansatz mit Kortikosteroiden und Adrenergika über gezielt an der Lunge angreifende inhalative Therapien und immunmodulierende Therapien mit Biologika hin zu einer individualisierten, am Phänotyp orientierten Behandlung. Im Verlauf dieser Entwicklung wurden Präzision, Wirksamkeit und Sicherheit besser. Remission werde damit erreichbar, so Prof. Dr. Celeste Michala Porsbjerg vom Bispebjerg Universitätsspital in Kopenhagen (DK), die auch darauf hinweist, dass die Terminologie noch keineswegs einheitlich sei. Im Zusammenhang mit Asthma bronchiale wird von kompletter Kontrolle, von Super-Respondern und neuerdings eben auch von Remission gesprochen. Damit stelle sich die Frage, ob das nicht alles Begriffe für Ansprechen seien. Porsbjerg: «Der Grund, warum wir heute von Remission sprechen, ist das gute Ansprechen, das wir heute bei vielen Patienten unter Biologikatherapie sehen. Manche Patienten, bei denen wir vor zehn Jahren hohe Dosen systemischer Steroide gebraucht hätten, sind heute oft innerhalb weniger Wochen symptomfrei und haben auch keine Exazerbationen mehr.»
Ist von Remission die Rede, so sollte zunächst geklärt werden, was genau darunter zu verstehen ist. Porsbjerg weist hier auf eine Verschiebung der Begriffe seit den 1990er-Jahren hin. Vor 30 Jahren war von Remission die Rede, wenn leichtes Asthma wieder vergeht. Die Betroffenen sind dann frei von Zeichen und Symptomen der Erkrankung und benötigen auch keine Therapie mehr. Heute spricht man von Remission, wenn Patienten unter Therapie frei von Zeichen und Symptomen der Krankheit sind. Diese Definition wird in der Regel auf Patienten angewandt, die unter schwerem Asthma leiden, mit Biologika behandelt werden und vor Beginn der Biologikatherapie als therapieresistent eingestuft wurden. Das bedeutet, dass durch die Therapie eine vollständige Krankheitskontrolle erreicht wird. Es handelt sich also im Prinzip um eine Treat-to-TargetStrategie – auch wenn diese Terminologie in der Pneumologie derzeit kaum verwendet wird. «Treat to target» bedeutet, dass die Therapie so lange adaptiert wird, bis die Erkrankung (idealerweise) vollständig kontrolliert ist. Dass sich damit die langfristige Prognose verbessere, sei naheliegend, aber für Asthma bronchiale noch nicht durch Studien belegt, so Porsbjerg.
Gängige Definitionen von Asthmaremission – und ihre Nachteile Mittlerweile wurden mehrere Definitionen von klinischer Remission bei Asthma vorgeschlagen. Laut einem ExpertenKonsensus aus dem Jahr 2020 wird klinische Remission definiert durch anhaltende Abwesenheit von Symptomen, Optimierung und Stabilisierung der Lungenfunktion sowie übereinstimmende Einschätzung der Erkrankung durch Patienten und Behandelnde als «in Remission». Diese Punkte müssen ohne Einnahme systemischer Steroide über mindestens ein Jahr erfüllt sein. Remission im Zusammenhang mit schwerem Asthma bedeutet in aller Regel Remission unter Therapie (1).
Porsbjerg: «Gemeinsam sind allen Definitionen von Remission vier Komponenten, nämlich das Ausbleiben von Exazerbationen, die Symptomkontrolle, die normale Lungenfunktion und der fehlende Bedarf an oralen Steroiden. Zwei der Komponenten sind problematisch. Nach langer Krankheit werden die Betroffenen Symptome haben, die von allem Möglichen kommen können und auch bei optimaler Asthmakontrolle nicht verschwinden. Ebenso geht bei schwerem Asthma Lungenfunktion irreversibel verloren. Bedeutet das, dass die Betroffenen niemals in Remission kommen können? Ich denke nicht.»
Ausgezeichnetes Ansprechen auf die Asthmatherapie ist heute nicht mehr selten. Laut dänischen Registerdaten erreichen 19% der Patienten mit schwerem Asthma unter Biologikatherapie eine so gute Krankheitskontrolle, dass diese als klinische Remission bezeichnet werden kann. Porsbjerg unterstreicht aber auch, dass im dänischen Asthma-Register 80% der Patienten mit schwerem Asthma zumindest zufriedenstellend auf eine Biologikatherapie angesprochen hätten. Dies sei fantastisch, zumal es sich hier um ein Kollektiv handle, dem man noch vor wenigen Jahren ausser systemischen Steroiden nichts mehr hätte anbieten können (2).
Remission mit Blick auf langfristige Therapieziele definieren Um die Definitionen von Remission zu verbessern, muss auch die Frage beantwortet werden, was mit Remission erreicht werden soll. Die Antwort laute: ein aktives Leben ohne Einschränkungen durch die Krankheit, keine Medikamentenne-
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benwirkungen und keine Verschlechterung des Asthmas, erläutert Pjorsberg. Dies dürfe nicht auf die Gegenwart beschränkt bleiben, sondern müsse auch in Zukunft gelten, wobei vorausblickend noch eine gute Lungenfunktion und das Ausbleiben von Komorbiditäten hinzukommen sollten. Weiter unterstreicht Porsbjerg, dass die Pneumologie im Hinblick auf die Definition von Remission viel von der Rheumatologie lernen könne. Die Rheumatologie hatte Biologika schon zehn Jahre früher im Einsatz, und der Zugang zur Erkrankung hat sich von reaktiv zu proaktiv entwickelt. Man warte nicht mehr, bis Gelenke geschädigt seien, sondern behandle die Entzündung so früh wie möglich. In der Rheumatologie habe sich ein Treat-to-Target-Konzept durchgesetzt, das sich an Krankheitsaktivität, messbar in klinischen Parametern und Entzündungsmarkern, orientiere. Das Problem bei den inflammatorischen Lungenerkrankungen sei jedoch, dass man derzeit keine anerkannten Targets habe, deren gezielte Behandlung mit langfristig besseren Outcomes assoziiert sei. Hier ist gemeinsames Nachdenken gefragt, um nach dem Vorbild der Rheumatologie Krankheitsaktivität sinnvoll zu definieren (3).
Als geeignetes Target, das signifikant mit ungünstigen Outcomes assoziiert ist, bietet sich die Exazerbationsrate an. Porsbjerg: «Wer Asthmaexazerbationen durchmacht, verliert Lungenfunktion.» Und das in erheblichem Ausmass. Eine grosse Kohortenstudie auf Basis der Optimum Patient Care Research Database zeigt pro zusätzliche Exazerbation pro Jahr einen Verlust von 1,34 l/min an exspiratorischem Spitzenfluss (95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,23 bis –1,50) (4).
Ein weiterer ungünstiger Prognosemarker ist die T2-Inflammation. Longitudinalstudien zeigen, dass erhöhte T2-Biomarker – also erhöhtes fraktioniertes exhaliertes Stickstoffmonoxid (FeNO) oder erhöhte Bluteosinophile – mit einer verstärkten Abnahme der Lungenfunktion über die Zeit assoziiert sind. Ist sowohl die Eosinophilenzahl als auch das FeNO erhöht, so deutet dies auf einen zusätzlich beschleunigten Verlust an Lungenfunktion hin. Diese Biomarkerkombination kennzeichne die «hothot inflammation», so Porsbjerg (5).
Ein unterschätzter Faktor, der Krankheitsaktivität signalisiert, ist die Hyperreagibilität der Atemwege. Diese treibt einerseits die Symptomatik, also Bronchospasmen als Antwort auf Asthmatrigger, und führt damit zu Dyspnoe, Giemen und Husten (6), wie Porsbjerg ausführt. Ferner beeinflusst die Hyperreagibilität der Atemwege auch die Prognose, da die Kontraktion der glatten Atemwegsmuskulatur das Remodelling der Atemwege fördert und mit einem beschleunigten Verlust an Lungenfunktion vergesellschaftet ist (7,8). Folglich bestehen bei leichtem Asthma gute Chancen auf Remission, wenn keine Hyperreagibilität der Atemwege vorliegt (9).
Nicht zuletzt gebe es noch eine nicht zu unterschätzende, aber häufig übersehene Gefahr, so Porsbjerg: Asthma erhöhe die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität. Es gehe also nicht nur darum, die Mortalität durch Asthma zu verhindern, sondern auch die Mortalität mit Asthma.
Für die Zukunft: ein Algorithmus für die Asthmatherapie «to target» Die Asthmatherapie der Zukunft könnte sich also gezielt und möglichst frühzeitig gegen bestimmte Manifestationen der Erkrankung richten, mit dem Ziel, diese zu kontrollieren. Dies seien beispielsweise Symptome infolge von Bronchospasmus, Exazerbationen beziehungsweise Bedarf nach oralen Steroiden und unkontrollierte Inflammation der Atemwege. Das Ziel dieser Strategie besteht darin, Schaden zu vermeiden, also den Verlust an Lungenfunktion, Komorbiditäten und letztlich Mortalität zu reduzieren. Auf dieser Basis könne ein Algorithmus entwickelt werden, der anhand definierter Ziele eine echte Treat-to-Target-Strategie ermögliche. Um die erforderlichen Cut-off- und Zielwerte zu definieren, sei eine Aufarbeitung des umfassenden Datenmaterials gefragt, das die zahlreichen Studien in der Indikation Asthma bereits jetzt böten. Es gelte herauszuarbeiten, welche Prädiktoren ab welchen Grenzwerten mit ungünstigen Outcomes in der Zukunft assoziiert seien. Es gelte letztlich, nach dem Vorbild der Rheumatologie, zu einem Konzept von Asthma zu gelangen, das auf Krankheitsaktivität und Schaden beruhe. Kontrolle der Krankheitsaktivität bedeute Remission und verhindere langfristig Schaden. Dabei dürfe auch das Potenzial bestimmter Medikamente, Schaden anzurichten, nicht übersehen werden. Der Einsatz systemischer Steroide sollte ebenso vermieden werden wie zu hohe Dosierungen inhalativer Steroide.
Man stehe heute also, konstatiert Porsbjerg, vor einem Paradigmenwechsel in der Asthmatherapie. Häufig werden Patienten erst dann mit Biologika behandelt, wenn sie bereits eine eingeschränkte Lungenfunktion und schwerwiegende Komorbiditäten – nicht selten begünstigt durch hohe kumulative Steroiddosen – aufweisen. Schweres Asthma sei heute häufig «too late asthma», so Porsbjerg. Verzögerte Behandlung führe zu schlechtem Ansprechen. Porsbjerg: «Ein früher Behandlungsbeginn ist der Schlüssel zur Remission.» Die Lösung dieser Probleme liege in der Identifikation von Personen mit «Risiko-Asthma» und deren frühzeitiger Behandlung. Auf diesem Weg sei es möglich, Chronifizierung mit irreversiblem Verlust an Lungenfunktion ebenso wie die Entwicklung von Komorbiditäten zu verhindern. Ziel dieser Bemühungen sei es, Menschen mit Asthma ihre Arbeitsfähigkeit und ihr aktives Leben zu erhalten.
Reno Barth
Quelle: European Respiratory Society (ERS) Congress 2024, Session «Remission and response in asthma and chronic obstructive pulmonary disease», am 9. September in Wien
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Referenzen: 1. J Menzies-Gow A et al.: An expert consensus framework for asthma
remission as a treatment goal. Allergy Clin Immunol. 2020;145(3):757765. doi:10.1016/j.jaci.2019.12.006. 2. Hansen S et al.: Clinical response and remission in patients with severe asthma treated eith biologic therapies. Chest. 2024;165(2):253-266. doi:10.1016/j.chest.2023.10.046. 3. Smolen JS et al.: Treating rheumatoid arthritis to target: 2014 update of the recommendations of an international task force. Ann Rheum Dis. 2016;75(1):3-15. doi:10.1136/annrheumdis-2015-207524. 4. Soremekun S et al.: Asthma exacerbations are associated with a decline in lung function: a longitudinal population-based study. Thorax. 2023;78(7):643-652. doi:10.1136/thorax-2021-217032. 5. Çolak Y et al.: Type-2 inflammation and lung function decline in chronic airway disease in the general population. Thorax. 2024;79(4):349-358. doi:10.1136/thorax-2023-220972. 6. Nair P et al.: Airway hyperresponsiveness in asthma: measurement and clinical relevance. J Allergy Clin Immunol Pract. 2017;5(3):649-659.e2. doi:10.1016/j.jaip.2016.11.030. 7. Camoretti-Mercado B, Lockey RF: Airway smooth muscle pathophysiology in asthma. J Allergy Clin Immunol. 2021;147(6):1983-1995. doi:10.1016/j.jaci.2021.03.035. 8. Rijcken B, Weiss ST: Longitudinal analyses of airway responsiveness and pulmonary function decline. Am J Respir Crit Care Med. 1996;154(6 Pt 2):S246-9. doi:10.1164/ajrccm/154.6_Pt_2.S246. 9. Carpaij OA et al.: A review on the pathophysiology of asthma remission. Pharmacol Ther. 2019;201:8-24. doi:10.1016/j.pharmthera.2019.05.002.
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