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DIABETOLOGIE/ENDOKRINOLOGIE
SGLT2-Hemmer bei chronischer Nierenerkrankung
Die Progression kann gebremst werden
Foto: vh
Als einfache Antidiabetika gestartet, haben die SGLT2-Hemmer eine erstaunliche Entwicklung vollzogen. Mittlerweile sind sie aus der Behandlung des kardiometabolischen Syndroms nicht mehr wegzudenken. Bei chronischer Nierenerkrankung bremsen sie die Progression und bei Patienten ohne Diabetesvorerkrankung die Neuerkrankungsrate an Typ-2-Diabetes, wie neue Daten der DAPA-CKDStudie zeigen.
In den KDIGO-Empfehlungen 2020 (KDIGO:
Kidney Disease: Improving Global Outcomes)
besteht die First-Line-Therapie bei Patienten
mit Typ-2-Diabetes und chronischer Nieren-
erkrankung zur Verbesserung des kardiorena-
len Outcomes nach Lebensstilmassnahmen aus
Metformin plus SGLT2-Hemmer bis zu einer
geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR)
≥ 30 ml/min/1,73 m2 (Dapagliflozin: eGFR
Prof. Hiddo Heerspink
> 25; Canagliflozin eGFR: > 30) (1). Sinkt sie unter 20, müssen die SGLT2-Hemmer aber nicht
abgesetzt werden, erklärte Prof. Hiddo Heerspink, University
Medical Center Groningen (NL) am virtuellen Jahreskongress
der European Association for the Study of Diabetes (EASD).
Die renoprotektive Wirkung der SGLT2-Hemmer beruht
laut Heerspink auf der Prävention der Hyperfiltration durch
Wiederherstellung des tubuloglomerulären Feedbacks und
der Reduktion des erhöhten intraglomerulären Drucks.
Die intraglomeruläre Hypertonie trete aber nicht nur bei
Patienten mit diabetischer Nephropathie auf, sondern auch
bei hypertensiver Nephrosklerose, adipositasinduzierter
chronischer Nierenerkrankung oder fokaler segmentaler
Glomerulosklerose, so Heerspink. Die intraglomeruläre Hy-
pertonie fördert die Progression der chronischen Nierener-
krankung. Eine Druckentlastung durch die natriuretische
und glukosurische Wirkung der SGLT2-Hemmer ist dem-
nach von Vorteil.
Wirkung unabhängig vom Albuminuriegrad
Diese Erkenntnis bildete die Ausgangslage für die DAPACKD-Studie. Sie untersuchte die Wirkung bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung (eGFR: 25–75 ml/min/1,73 m2, Albumin-Kreatinin-Quotient im Urin [UACR]: 200– 5000 mg/g) mit und ohne Typ-2-Diabetes. Es zeigte sich, dass Dapagliflozin den primären Endpunkt (anhaltender eGFRAbfall > 50%, terminale Niereninsuffizienz, renal oder kardiovaskulär bedingter Tod) gegenüber Plazebo um 39 Prozent unabhängig von einer Diabeteserkrankung reduzierte, ohne zu mehr schweren Nebenwirkungen zu führen als unter Plazebo (2). In der am EASD-Kongress von Heerspink präsentierten vordefinierten sekundären Analyse der DAPA-CKD-Studie ging es um die Frage, ob der positive Effekt des SGLT2-Hemmers unabhängig vom Schweregrad der Albuminurie gleich stark ist. Dabei waren die Teilnehmer in 3 UACR-Kategorien un-
terteilt: ≤ 1000 mg/g, 1000–3500 mg/g und > 3500 mg/g. Die Analyse ergab, dass die Ereignisrate zwar mit zunehmender Albuminurieschwere steigt, unter Dapagliflozin jedoch ungeachtet des Schweregrads tiefer war als unter Plazebo. Die absolute Risikoreduktion lag bei 3,5 Prozent. Das gilt für Patienten mit wie auch ohne Typ-2-Diabetes. Diese Ergebnisse legten einen Therapiebeginn bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz im Stadium 2 bis 4 nahe, unabhängig davon, ob eine Albuminurie oder ein Typ-2-Diabetes vorliege, so Heerspink abschliessend.
Weniger Diabetesneuerkrankungen
Die Resultate der DAPA-CKD-Studie zeigten ausserdem,
dass unter Dapagliflozin weniger Typ-2-Diabetes-Neu-
erkrankungen auftraten als in der Plazebogruppe. Das führe
zu der Vermutung, dass Patienten mit einer chronischen Nie-
renerkrankung anfälliger für eine Typ-2-Diabetes-Entwick-
lung und durch eine Behandlung mit Dapagliflozin eher
davor geschützt seien, weil es möglicherweise die Betazell-
funktion verbessere, so Heerspink.
Ebenfalls an diesem Kongress wurden die gepoolten Ergeb-
nisse der bereits 2019 präsentierten Herzinsuffizienzstudie
DAPA-HF, an der auch Patienten mit und ohne Diabetes be-
teiligt waren, und der DAPA-CKD-Studie vorgestellt. Wäh-
rend Dapagliflozin in der DAPA-HF-Studie hauptsächlich die
Mortalität (um 17%) und dieVerschlechterung der Herzin-
suffizienz (um 30%) reduzierte (3), bremste der SGLT2-Hem-
mer in der DAPA-CKD-Studie die Progression der Nierener-
krankung um 39 Prozent (2).
In der Zusammenschau der beiden Studien wurde das Neu-
auftreten einer Typ-2-Diabetes-Erkrankung bei den anfangs
4003 diabetesfreien Patienten im Vergleich zu Plazebo signi-
fikant um 33 Prozent gesenkt. Da beiden Erkrankungen –
Herzinsuffizienz und chronische Nierenerkrankung – ein er-
höhtes Risiko für eine Typ-2-Diabetes-Entwicklung zuge-
schrieben wird, kann ein Einsatz des SGLT2-Hemmers
deshalb von Nutzen sein.
s
Valérie Herzog
Quelle: «SGLT2-Inhibitor Trials». Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 27. September bis 1. Oktober 2021, virtuell.
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Referenzen: 1. de Boer IH et al.: Executive summary of the 2020 KDIGO Diabetes
Management in CKD Guideline: evidence-based advances in monitoring and treatment. Kidney Int. 2020;98(4):839-848. doi:10.1016/j.kint.2020.06.024 2. Heerspink HJL et al.: Dapagliflozin in patients with chronic kidney disease. N Engl J Med. 2020;383(15):1436-1446. doi:10.1056/ NEJMoa2024816 3. McMurray JJV et al.: Dapagliflozin in Patients with Heart Failure and Reduced Ejection Fraction. N Engl J Med. 2019;381(21):19952008. doi:10.1056/NEJMoa1911303
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