Transkript
Fotos: vh
DIABETOLOGIE/ENDOKRINOLOGIE
Multipotente SGLT2-Hemmer
Hoffnung für Typ-2-DiabetesPatienten mit Nierenerkrankung
Prof. Hiddo Lambers Heerspink
Die Typ-2-Diabetes-Erkrankung hat zerstörerische Folgen. Sie erhöht erstens das Risiko für atherosklerotisch bedingte Herzerkrankungen wie Myokardinfarkt und Hirnschlag oder für kardiovaskulären Tod, sie führt zweitens häufig zu einer Herzinsuffizienz und ist drittens die häufigste Ursache für eine fortschreitende Nephropathie. Bei den ersten beiden Konsequenzen haben SGLT2-Hemmer bereits eindrückliche Risikoreduktionen zeigen können. Den dritten Punkt scheint diese Substanzklasse gemäss der Präsentation der Ergebnisse der CREDENCE-Studie am EASD-Kongress nun auch abmildern zu können.
Prof. Vlado Perkovic Prof. Christoph Wanner
Das Fortschreiten der chronischen Nierenerkrankung zu bremsen, war bislang ein unerreichtes Ziel in der Diabetesbehandlung, dessen Gelingen nun erstmals in der Phase-3-Studie CREDENCE belegt werden konnte. In dieser am EASD-Kongress präsentierten doppelblind randomisierten Multizenterstudie wurde die renale Wirkung des SGLT2-Hemmers Canagliflozin untersucht. Dazu wurden 4401 Patienten mit Typ-2-Diabetes und chronischer Nierenerkrankung in den Stadien 2 und 3 mit ge-
schätzter glomerulärer Filtrationsrate (eGFR) zwischen 30 und 90 ml/min/1,73 m2 und Makroalbuminurie (Albumin-Kreatinin-Ratio [ACR] > 300 bis ≤ 5000 mg/g) rekrutiert, die eine Standardtherapie inklusive maximal dosierte ACE-Hemmer oder Angiotensin-2-Rezeptor-Antagonisten erhielten. Zusätzlich zu dieser Standardtherapie bekamen die Teilnehmer randomisiert Canagliflozin 100 mg/Tag oder Plazebo. Als primärer Endpunkt war eine Kombination aus terminaler Nierenerkrankung (Dialyse, Transplantation, eGFR < 15 ml/min/1,73 m2), Verdoppelung des Serumkreatinins oder nieren- beziehungsweise herzbedingtem Tod definiert. 12 ARS MEDICI DOSSIER IV | 2020 DIABETOLOGIE/ENDOKRINOLOGIE Studie wegen Vorteils vorzeitig gestoppt Nach einer geplanten Zwischenanalyse sei die Studie infolge überlegener Ergebnisse nach einem medianen Follow-up von 2,6 Jahren vorzeitig gestoppt worden, berichtete Prof. Hiddo Lambers Heerspink, Department of Clinical Pharmacy and Pharmacology, University Medical Center Groningen (NL), am EASD-Kongress. Die Resultate zeigten folgendes Bild: In der Canagliflozingruppe war das Risiko für den primären Endpunkt um 30 Prozent tiefer, mit Ereignisraten von 43,2 beziehungsweise 61,2 pro 1000 Patientenjahre unter Plazebo (Hazard Ratio [HR]: 0,70; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,59–0,82; p = 0,00001). Der nierenspezifische Endpunkt terminale Nierenerkrankung, Verdoppelung des Serumkreatinins und nierenbedingter Tod sank unter Canagliflozin im Vergleich zu Plazebo um 34 Prozent (HR: 0,66; 95%-KI: 0,53–0,81; p = 0,001) und das Risiko für terminale Nierenerkrankung um 32 Prozent. Ausserdem war der Abfall der eGFR unter Canagliflozin weniger steil (–1,85/Jahr) als unter Plazebo (–4,59), was einer 60-prozentigen Verlangsamung des jährlichen Abfalls entspricht. Unter dem SGLT2-Hemmer zeigte sich auch ein signifikant tieferes Risiko für kardiovaskulären Tod, Myokardinfarkt oder Hirnschlag sowie für herzinsuffizienzbedingte Hospitalisierung. Es gab keine Anzeichen für erhöhte Amputationsoder Frakturraten unter Canagliflozin. Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und Nierenerkrankung war das Risiko für eine Niereninsuffizienz und für kardiovaskuläre Ereignisse auch nach einer verkürzten Beobachtungszeit von zweieinhalb Jahren signifikant tiefer. Das heisst, dass Canagliflozin gemäss Lambers Heerspink eine gute Behandlungsoption zur Nieren- und Kardioprotektion bei Typ-2-DiabetesPatienten mit chronischer Nierenerkrankung darstellt. Die signifikanten Reduktionen von kardiovaskulären Ereignissen gehen konform mit den Studien mit anderen SGLT2Hemmern wie Empagliflozin (EMPA-REG-OUTCOME), Dapagliflozin (DECLARE-TIMI-58) und Canagliflozin (CANVAS), die alle eine kardiovaskuläre Überlegenheit gegenüber Plazebo bewiesen haben. Daher ist eine Überbewertung des Effekts von Canagliflozin wegen des vorzeitigen Studienabbruchs eher unwahrscheinlich (1). Anhand dieser Ergebnisse werde die American Diabetes Association (ADA) ihre Guidelines um die Empfehlung (Grad A) ergänzen, bei Typ-2-Diabetikern mit diabetischer Nephropathie mit eGFR ≥ 30 ml/min/1,73 m2 und ACR > 300 mg/g einen SGLT2-Hemmer zu verwenden, um das Risiko einer Progression der Nierenerkrankung, von kardiovaskulären Ereignissen oder beidem zu reduzieren, ergänzte Studienautor Prof. Vlado Perkovic, Leiter des George Institute for Global Health, University of New South Wales, Sydney (AUS).
Diabetische Nierenerkrankung
ohne Makroalbuminurie
Die diabetische Nierenerkrankung ist üblicherweise durch
hohe Albuminspiegel (UACR > 300 mg/g) bei einer Makro-
albuminurie charakterisiert. Jüngere Erkenntnisse hätten
aber gezeigt, dass auch ein Phänotyp einer diabetischen
Nierenerkrankung ohne Makroalbuminurie, dafür mit redu-
zierter glomerulärer Filtrationsrate (GFR), existiere, erklärte
Prof. Christoph Wanner, Leiter der Nephrologie am Univer-
sitätsklinikum Würzburg und Co-Autor der EMPA-REG-
Studie. Dieser Phänotyp sei eigentlich der häufigere bei der
diabetischen Nierenerkrankung, doch sei er in den Subgrup-
pen der Studien selten berücksichtigt und in der CREDENCE-
Studie sogar explizit ausgeschlossen worden.
In der am EASD-Kongress präsentierten explorativen Analyse
der EMPA-REG-OUTCOME-Daten hatten von den 7020
Studienteilnehmern 11 Prozent (n = 769) eine Makroalbu-
minurie und 18 Prozent (n = 1290) eine diabetische Nieren-
erkrankung ohne Albuminurie (UACR ≤ 300 mg/g) mit eGFR
< 60 ml/min/1,73 m2 (2). Dabei zeigte sich, dass der positive kardiorenale Effekt von Empagliflozin bei diabetischer Nie- renerkrankung ohne Makroalbuminurie konsistent ist mit allen anderen klinischen Phänotypen der chronischen Nieren- erkrankung. Dieses Resultat legt nahe, dass die Abwesenheit einer Makroalbuminurie die kardiorenale Therapie-Res- ponse von Empagliflozin nicht schmälert. Zurzeit läuft die EMPA-KIDNEY-Studie (3), in welcher der kardiorenale Effekt bei einer breiten Population von rund 5000 Patienten mit Nierenerkrankungen mit und ohne Dia- betes wie auch mit tieferen Proteinuriewerten untersucht wird. Der Hintergrund dafür ist die Überlegung, dass SGLT2- Hemmer in der Niere den intraglomerulären Druck reduzieren können, damit vermutlich die Albuminurie reduzieren und den weiteren Abfall der Nierenfunktion bei Diabetikern aufhalten. Dieser Effekt zeigte sich auch bei bereits verbesserten Blut- zuckerwerten, scheint also unabhängig von der hyper- glykämischen Umgebung zu sein. Von diesem Nutzen könn- ten möglicherweise auch nierenkranke Patienten ohne Diabe- tes profitieren, so Wanner abschliessend. ▲ Valérie Herzog Quelle: «SGLT2 inhibitors: glucose and beyond (OP1)». Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) 2019, 16. bis 20. September in Barcelona. Referenzen: 1. Perkovic V et al.: Canagliflozin and Renal Outcomes in Type 2 Diabetes and Nephropathy. N Engl J Med 2019: 380: 2295–2306. 2. Wanner C et al.: Empagliflozin and cardiorenal outcomes in patients with non-proteinuric kidney disease in the EMPA-REG OUTCOME trial. Abstract 5, präsentiert am Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) 2019, 16. bis 20. September in Barcelona. 3. Herrington WG et al.: The potential for improving cardio-renal outcomes by sodium-glucose co-transporter-2 inhibition in people with chronic kidney disease: a rationale for the EMPA-KIDNEY study. Clin Kidney J 2018; 11: 749–761. 14 ARS MEDICI DOSSIER IV | 2020