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KARDIOLOGIE
Typ-2-Diabetes hat kardiovaskuläre Folgen
Antidiabetika auch gut bei Herzinsuffizienz
Foto: zVg
Mit der Behandlung des Typ-2-Diabetes lässt sich nun auch eine kardiovaskuläre Prävention integrieren. Die Wirkungsweisen der SGLT2-Hemmer und der GLP-1-Rezeptor-Agonisten machen es möglich. Mit welchen Mechanismen die modernen Antidiabetikaklassen diesen zusätzlichen Nutzen erbringen und wie gross dieser jeweils ist, erklärte Prof. Roger Lehmann, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und klinische Ernährung im Universitätsspital Zürich, am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK) in Interlaken.
Trotz grosser Verbesserungen der kardiovaskulären Therapien in den letzten Jahren ist die Lebenserwartung von Patienten mit Typ-2-Diabetes nach dem 60. Altersjahr im Vergleich zu Nichtdiabetikern nach wie vor um sechs Jahre verkürzt. Patienten mit Typ-2-Diabetes und Herzinfarkt oder Hirnschlag haben eine um 12 Jahre, Diabetiker mit Herzinfarkt und Hirnschlag gar eine um 15 Jahre geringere LebensProf. Roger Lehmann erwartung (1). Laut einer Schätzung der American Heart Association sterben etwa zwei Drittel der über 65-jährigen Patienten mit Typ-2-Diabetes an einer kardiovaskulären Erkrankung, 16 Prozent versterben infolge Hirnschlags (2). Das legt nach Einschätzung von Lehmann die Vermutung nahe, dass Typ-2-Diabetes auch eine kardiovaskuläre Erkrankung ist. Spielen doch Risikofaktoren wie Bewegungsarmut, schlechte Ernährungsgewohnheiten, Rauchen und Übergewicht für die Entstehung beider Erkrankungen eine grosse Rolle. Von Folgekomplikationen der Zuckerkrankheit sind auch das Herz und die Niere betroffen. Heute weiss man, dass Typ-2-Diabetes direkt zu Herzinsuffizienz führen kann. Während die Todesraten wegen kardiovaskulärer Ursachen seit Jahren rückläufig sind, steigen die Mortalitätsraten wegen Herzinsuffizienz ungebremst an (3).
Kardiovaskulärer Nutzen von Antidiabetika
In den letzten Jahren zeigten kardiovaskuläre OutcomeStudien mit den modernen Antidiabetika vereinzelt auch kardiovaskulär protektive Eigenschaften. Das gilt für SGLT2-Hemmer und lang wirksame GLP-1-Rezeptor-Agonisten, sagte Lehmann. Der SGLT2-Hemmer Empagliflozin reduzierte in der EMPA-REG-Outcome-Studie die kardiovaskuläre Mortalitätsrate im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant um 38 Prozent, die Gesamtmortalitätsrate um 32 Prozent und herzinsuffizienzbedingte Hospitalisationen um 35 Prozent (4). Auch Canagliflozin reduzierte in der CREDENCE-Studie signifikant das Risiko für 3P-MACE (3-point major adverse cardiovascular events), definiert als kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt und Hirnschlag, um
20 Prozent sowie Hospitalisationen infolge Verschlechterung der Herzinsuffizienz um 39 Prozent (5). Dapagliflozin habe in der DECLARE-TIMI-58-Studie zwar die als erster primärer Endpunkt definierte MACE-Rate nicht signifikant gesenkt (6), vermutlich weil auch viele Patienten ohne kardiovaskuläre Erkrankungen mit eingeschlossen gewesen seien, sagte Lehmann. Den zweiten primären Endpunkt – kardiovaskulärer Tod oder herzinsuffizienzbedingte Hospitalisation – vermochte der SGLT2-Hemmer jedoch signifikant zu reduzieren (6). DPP-4-Hemmer seien bezüglich des kardiovaskulären Risikos neutral, so Lehmann. Bei Saxagliptin sei allerdings ein erhöhtes Risiko für herzinsuffizienzbedingte Hospitalisationen aufgetreten (7). Lang wirksame GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Liraglutide, Semaglutide und Dulaglutide haben ebenfalls kardioprotektive Eigenschaften. Liraglutid zeigte in der LEADER-Studie eine signifikante Reduktion von MACE (–13%), kardiovaskulärem Tod (–22%) und der Gesamtmortalität (–15%) (8). Semaglutid erreichte in der SUSTAIN-6-Studie eine Reduktion von MACE (–26%) sowie eine Senkung der Hirnschlagrate (–39%) (9). Auch Dulaglutid vermochte in der REWIND-Studie die MACE-Rate signifikant (–12%) zu senken (10).
Mögliche Erklärung des kardioprotektiven Effekts
Beide Substanzklassen – SGLT2-Hemmer wie auch GLP-1-Rezeptor-Agonisten – senken über unterschiedliche Mechanismen den Blutzucker, den Blutdruck und das Körpergewicht. Damit verringern sie 3 von 5 Risikofaktoren (Dyslipidämie, Hypertonie, Diabetes, Rauchen, Adipositas) für die Entstehung einer Atherosklerose, die der Entwicklung einer koronaren Herzerkrankung Vorschub leisten kann, was in der Folge zu einer Herzinsuffizienz führt. Zwischen Typ-2-Diabetes und einer Herzinsuffizienz gibt es aber auch einen direkten Zusammenhang. Infolge eines systemischen entzündlichen Zustands komme es gemäss Lehmann zu einer Entzündung und einer Fibrosierung der kleinen Gefässe des Myokards. Das Myokard werde trotz gesunder Koronarien steif.
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KARDIOLOGIE
Drei Viertel der Herzinsuffizienzpatienten leiden an einer Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion (HFpEF), wofür es zurzeit keine zugelassene spezifische Therapie gibt. Wichtig sind die Gabe von Diuretika und die Behandlung der Komorbiditäten. Ein Viertel hat eine Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF), bei der die therapeutischen Optionen zur Symptomkontrolle breiter sind (3). Zur Linderung der Herzinsuffizienzsymptome und für die Prävention einer Herzinsuffizienz haben nur SGLT2-Hemmer (Empagliflozin, Canagliflozin, Dapagliflozin) einen belegten Nutzen. Dieser kommt vermutlich durch verschiedene Effekte zustande, wie beispielsweise durch die Natriurese, die Reduktion von interstitiellen Ödemen, die verringerte Vor- und Nachlast und die Reduktion von linksventrikulärem Wandstress (11).
Vorgehen bei der Therapie
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse ist es bei der Behandlung eines Patienten deshalb wichtig, im Vorfeld drei Fragen abzuklären, die unmittelbar auf die Therapiewahl Einfluss haben. Zuerst muss abgeklärt werden, ob ein Insulinmangel besteht. Die zweite Frage richtet das Augenmerk auf eine mögliche Nierenerkrankung, und die dritte Frage erörtert die Notwendigkeit einer Prävention oder einer Behandlung der Herzinsuffizienz. Einen Insulinmangel weisen etwa 25 Prozent aller Patienten auf. Hier ist eine Therapie mit einem Basalinsulin und einem GLP-1-Rezeptor-Agonisten angezeigt. Das fehlende Insulin kann auch durch eine Basis-Bolus-Insulintherapie ersetzt werden. Liegt eine eingeschränkte Nierenfunktion (eGFR < 60 ml/ min/1,73m2) vor, was auf etwa ein Viertel der Patienten zutrifft, braucht es eine nephroprotektive Therapie mit SGLT2-Hemmern oder GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Die SGLT2-Hemmer Empagliflozin und Canagliflozin sind bis zu einer eGFR > 45 empfohlen, Dapagliflozin bis eGFR > 60. Etwa 20 bis 25 Prozent der Patienten haben eine kardiovaskuläre Erkrankung, bei etwa der Hälfte von ihnen ist diese noch asymptomatisch. Die Diagnose beim Hausarzt ist entsprechend schwierig. In diesem Fall ist eine Therapie mit SGLT2-Hemmern oder GLP-1-Rezeptor-Agonisten angezeigt. Etwa 10 Prozent der Patienten leiden an einer symptomatischen Herzinsuffizienz, bei 25 Prozent der Patienten ist diese noch asymptomatisch. Hier sind SGLT2-Hemmer indiziert.
Therapie bald mit einfacher App
Um die Therapieentscheidung für Hausärzte zu vereinfachen,
werde in Kürze eine einfache webbasiserte App zur Verfügung
stehen, stellte Lehmann in Aussicht. Mit der Eingabe der
definitiven Typ-2-Diagnose, von Body-Mass-Index, eGFR-
Kategorie (> 60; < 60–45; < 45–30; < 30 und der Herzinsuf- fizienz Ja/Nein kann die Therapieempfehlung der Schweize- rischen Gesellschaft für Diabetes und Endokrinologie abge- rufen werden. Die Therapien werden von der Krankenkasse entweder vollständig oder teilweise rückerstattet. Die Emp- fehlungen sollen, so Lehmann, jeweils gemäss neuen Studien- resultaten zügig aktualisiert werden. ▲ Valérie Herzog Quelle: «News on SGLT2 inhibitors», gemeinsamer Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK) und der Schweizerischen Gesellschaft für Herzchirurgie (SSCS), 19. bis 21. Juni 2019 in Interlaken. Referenzen: 1. Di Angelantonio E et al.: Association of cardiometabolic multimorbidity with mortality. JAMA 2015; 314: 52–60 2. American Heart Asociation (AHA): Cardiovascular disease and diabetes. 2015. www.heart.org. Letzter Zugriff: 4. Juli 2019. 3. Boonman-de Winter LJ et al.: High prevalence of previously unknown heart failure and left ventricular dysfunction in patients with type 2 diabetes. Diabetologia 2012; 55: 2154–2162. 4. Zinman B et al.: Empagliflozin, cardiovascular outcomes, and mortality in type 2 diabetes. N Engl J Med 2015; 373: 2117–2128. 5. Perkovic V et al.: Canagliflozin and renal outcomes in type 2 diabetes and nephropathy. N Engl J Med 2019; 380: 2295–2306. 6. Wiviott SD et al.: Dapagliflozin and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2019; 380: 347–357. 7. Son JW et al.: Dipeptidyl peptidase 4 inhibitors and the risk of cardiovascular disease in patients with type 2 diabetes: a tale of three studies. Diabetes Metab J 2015; 39: 373–383. 8. Marso SP et al.: Liraglutide and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2016; 375: 311–322. 9. Marso SP et al.: Semaglutide and cardiovascular outcomes in patients with type 2 diabetes. N Engl J Med 2016; 375: 1834–1844. 10. Gerstein HC et al.: Dulaglutide and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes (REWIND): a double-blind, randomised placebo-controlled trial. Lancet 2019 Jun 7; pii: S0140-6736(19)31149-3. 11. Farkouh ME et al.: Prevention of heart failure with SGLT-2 Inhibition: insights from CVD-REAL. J Am Coll Cardiol 2018; 71: 2507–2510. 22 ARS MEDICI DOSSIER III | 2020