Transkript
RHEUMATOLOGIE
«Irgendwann erreichen wir bei den meisten eine Remission»
Interview mit Dr. med. Adrian Forster am EULAR-Kongress
In einem Interview schilderte der Rheumatologe Dr. med. Adrian Forster von der Schulthess Klinik in Zürich seine Sicht der Highlights beim diesjährigen europäischen Rheumatologenkongress (EULAR) in Madrid.
Foto: KD
Mit einer solchen Remission kann man unter Umständen weitere Probleme reduzieren … Ja, in einer sehr eindrücklichen Studie aus Spanien konnte gezeigt werden, dass sich bei einer RA-Remission auch das vaskuläre Risiko um 80 Prozent reduziert. Das ist gewaltig! Die vaskulären Risiken sind ja bisher die Hauptursache für die erhöhte Mortalität bei RA-Patienten. Wenn sich das bestätigt, können wir wirklich viel für unsere Patienten erreichen.
Dr. med. Adrian Forster ist Chefarzt Rheumatologie und muskuloskelettale Rehabilitation an der Schulthess Klinik in Zürich. Neben der rheumatoiden Arthritis und Spondyloarthritiden ist er unter anderem Experte für Kollagenosen, Vaskulitiden, Kristallarthropathien, Osteoporose und interventionelle Schmerztherapie.
Herr Dr. Forster, auf dem EULAR wurden hinsichtlich neuer JAK-Inhibitoren grosse Erwartungen geweckt. Adrian Forster: Das ist eine sehr spannendende Entwicklung. Derzeit sind fast 20 verschiedene Januskinase(JAK-)-Inhibitoren in der Pipeline. Wir erwarten nicht, dass eine dieser kommenden Substanzen hinsichtlich ihrer Wirkung völlig anders ist als die bereits zugelassenen. Aber wir haben die Hoffnung, dass sie vielleicht ein noch etwas besseres Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil besitzen. Schön ist, dass wir im Moment für die Rheumatoide Arthritis (RA) respektive Psoriasis-Arthritis (PsA) ein grosses Spektrum an herkömmlichen Basistherapeutika, Biologika, JAK-Inhibitoren beziehungsweise Phosphodiesterasehemmern haben mit sehr unterschiedlichen Wirkmechanismen. Wenn beim einzelnen Patienten das eine nicht hilft, können wir auf den nächsten Wirkungsmechanismus switchen. Zudem ist bei einem partiellen Ansprechen auch die Zugabe weiterer Sub stanzen möglich. Solche therapeutischen Schritte werden in der Rheumatologie sehr oft gemacht. Irgendwann erreichen wir dann doch bei den meisten Patienten eine Remission.
Wie steht es mit einer möglichen Reduktion des Kortisons? Wenn wir einen Patienten in die Remission gebracht haben, wird – als nächster Schritt – das Steroid ausgeschlichen. Werden schlecht verträgliche Basistherapeutika verwendet, sind diese aber noch zuvor dran. Gerd Burmester aus Berlin hat am EULAR gezeigt, dass es bei einer Behandlung mit Tocilizumab bei einem recht hohen Anteil der Patienten nach Erreichen der Remission möglich ist, die Steroide ganz auszuschleichen, ohne dass daraus Nachteile resultieren. Durch die Biologika und JAK-Inhibitoren bringen wir die Patienten viel häufiger in Remission. Wenn man bedenkt, wie toxisch die Steroide auch in tieferen Dosierungen langfristig sind, ist das ein weiterer Vorteil dieser modernen Substanzen.
Wie gehen Sie dann weiter vor? Haben wir die Steroide ausgeschlichen und ist ein Patient mit einer Kombinationstherapie aus Methotrexat (MTX) und einem Biologikum in tiefer und lange anhaltender Remission, würde ich zunächst versuchen, entweder die Einzeldosis des Biologikums zu verringern oder dessen Intervall zu verlängern. Wenn MTX sehr gut toleriert wird, würde ich es erst in zweiter Linie reduzieren. Was man dazu wissen muss: Es gibt Substanzen, deren Abbau durch MTX gehemmt wird. Beispielsweise wird die Clearance von Adalimumab durch MTX ab einer Dosierung von 10 mg pro Woche in einer Grössenordnung von 40 Prozent reduziert. Das ist nicht nur medizinisch interessant, sondern spart auch Kosten bei diesen teuren Substanzen. In diesem Zusammenhang finde ich es schade, dass der Kostenträger vorgibt, anfangs in allen Fällen allein mit MTX zu arbeiten und erst, wenn das nicht funktioniert, mit einem Biologikum oder JAK-Inhibitor zu beginnen. Da vergibt man bei gewissen Patienten ein Stück
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weit ein «window of opportunity», beispielsweise wenn Steroide überhaupt nicht vertragen werden. Vernünftig wäre es, wenn man in Ausnahmefällen gleich mit der Kombination aus MTX und Biologikum starten könnte und – wenn’s gut geht – zunächst versuchen würde, das Biologikum wieder wegzulassen.
Biologika oder JAK-Inhibitoren – kurzer Vergleich? Mit den Biologika haben wir deutlich längere Erfahrung hinsichtlich der Sicherheit. Im Moment sieht es so aus, dass beide Substanzklassen hinsichtlich ihrer Wirkung ähnlich sind. Die lange Erfahrung mit den Biologika dürfen wir übrigens getrost auf die Biosimilars übertragen, auch wenn diese erst seit Kurzem auf dem Markt sind. Was die subjektiven Nebenwirkungen angeht, sind die JAK-Inhibitoren weniger gut verträglich. Zudem hat man für JAK-Hemmer ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Ereignisse beobachtet, vor allem bei höherer Dosierung. Auch Herpes zoster tritt gehäuft auf. Das sind gute Beispiele dafür, dass eben doch immer wieder Dinge kommen, die wir bei der Einführung eigentlich nicht erwartet haben. Auf der anderen Seite sind JAK-Inhibitoren sehr bequeme Substanzen, gerade wenn die Patienten verreisen. Die ganze Kühlproblematik der Biologika fällt weg. Viele Leute ziehen eine perorale Einnahme dem regelmässigen Spritzen vor. Die JAK-Inhibitoren sind deswegen beliebt. Aber, wie gesagt, es gibt da eben doch noch gewisse spezifische Risiken.
Mit Risankizumab und Tildrakizumab wurden zwei neue IL-23-Antikörper für die PsA-Therapie vorgestellt … Auch diese erweitern das Armamentarium der Medikamente, und das ist bei der PsA eigentlich noch wichtiger als bei der RA. Denn bei PsA bringen herkömmliche Basistherapeutika wie MTX oder Leflunomid nur wenig. Umso mehr sind wir auf Biologika angewiesen. Lange Zeit hatten wir nur die TNF-Hemmer, deshalb sind wir froh, wenn für die PsA weitere Wirkungsmechanismen dazukommen. Wir sind in der Rheumatologie in der bequemen Situation, dass die Dermatologen gewisse dieser Substanzen testen und wir sie dann für die PsA-Patienten einfach übernehmen können. Sehr häufig funktionieren diese dann auch bei den Gelenken bestens.
Waren manche Aspekte zur PsA bislang nicht eher unterrepräsentiert? Ja, beispielsweise war eine mögliche Tumorhäufung bei der Verwendung von Biologika bei PsA-Patienten generell schlecht untersucht. In einer skandinavischen Studie konnte jetzt gezeigt werden, dass das Tumorrisiko nicht zunimmt, wenn man diese Patienten mit Biologika behandelt. Das ist etwas komplett Neues, und wir können nun unsere Patienten beruhigen.
die Response auf die unterschiedlichen Biologika bei PsA wesentlich besser ist, wenn das Körpergewicht geringer ist. Das ist sehr wichtig.
Zurück zur RA: Wie stehen Sie zu der doch aussergewöhnlichen Studie, derzufolge sich mittels einer Vagusstimulation die RA-Symptome bessern? Das hat mich extrem beeindruckt. Was mir an dieser Arbeit gefällt, ist das Verlassen der «klassischen Schiene»: Die Erkrankung wird nicht mit Medikamenten angegangen, sondern mit einer elektrischen Stimulation des Vagusnervs. Das Resultat war wirklich eindrücklich: Zwei Drittel der Patienten haben eine gute oder mässige EULAR-Response hinbekommen, eine Reduktion im Disease Activity Score (DAS) um mehr als 1 ist imposant. Das Spannende daran ist der Nachweis einer Verbindung zwischen dem Nervensystem und der entzündlichen Gelenkerkrankung. Tatsächlich entwickeln Patienten in Stresssituationen nicht selten Krankheitsschübe, und oft bricht auch die Erkrankung in solchen Situationen aus. Meiner Meinung nach hat dieser Ansatz durchaus Potenzial für die Zukunft. Und wer weiss, vielleicht muss man den Vagusnerv gar nicht mit komplizierten Geräten stimulieren, möglicherweise könnte man sogar mit kognitiven stressreduzierenden Therapien etwas erreichen.
Was halten sie von der zunehmenden Digitalisierung der RA-Behandlung? Durch optimale medikamentöse Therapien können wir beispielsweise die artikuläre Entzündungsaktivität gut reduzieren. Aber wenn man noch zusätzliche physiotherapeutische Massnahmen hinzunimmt, ist hinsichtlich der Funktionalität noch sehr viel mehr möglich. Wie in recht vielen Arbeiten gezeigt wurde, können moderne Apps sehr dabei helfen, diese Aktivitäten konstant beizubehalten. Das ist eine gute Sache. Wir Schweizer Rheumatologen haben ja als Instrument zur Sicherung der Qualität, aber auch um die Behandlung wissenschaftlich zu verbessern, das SCQM, das «Swiss Clinical Quality Management». Mit einer App können unsere Patienten nun selbst ihre Daten zur Krankheitsaktivität und Funktionalität eingeben. Damit bekommen sie laufend Auswertungen, wie sich ihre Krankheit verhält.
Gab es etwas Neues zu den Spondyloarthritiden? Ja, frühe Formen der SpA, also solche, die man konventionell-radiologisch noch nicht sieht, verhalten sich hinsichtlich Krankheitsverhalten und Ansprechen auf die Therapie genau gleich wie solche, die radiologisch schon als Sakroiliitis zu erkennen sind. Wenn man also bei einem Patienten eine solche frühe Form diagnostiziert hat, sollte man ihm ab diesem Zeitpunkt das ganze Behandlungsspektrum ermöglichen, auch wenn auf den Röntgenbildern der Sakroiliakalgelenke noch nichts zu sehen ist.
Auch eine neue Studie zur Gewichtsreduktion bei PsA wurde präsentiert … Bekannt war, dass Patienten mit einer Hautpsoriasis bei hohem Körpergewicht häufiger auch eine PsA entwickeln und dass diese eine höhere Aktivität als bei niedrigem Körpergewicht aufweist. Aber bei der PsA hat man sich bislang wenig darum gekümmert. Jetzt wissen wir, dass auch
Neues gibt es auch von der Lungenfibrose … Zum einen haben wir mit dem Tyrosinkinasehemmer Nintedanib nun eine Substanz, die dem Lungenbefall der systemischen Fibrose entgegenwirkt. Etwa die Hälfte der Patienten mit systemischer Sklerose leidet unter einem Lungenbefall. Ein Drittel von ihnen zeigt eine Progression, die wiederum für die schlechte Prognose dieser Menschen verantwortlich
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ist. Da ist natürlich alles gut, was dem entgegenwirkt. Bislang haben wir antientzündlich hauptsächlich mit Cyclophosphamid behandelt, was aber leider sehr toxisch ist. Auch das Immunsuppressivum Mycophenolat wird oft eingesetzt. Wenn jetzt ein wirksamer und gut verträglicher Tyrosinkinasehemmer kommt, der auch noch kombinierbar ist mit anderen antientzündlichen Therapien, ist das eine tolle Erweiterung des Behandlungsspektrums. Trotzdem muss man klar sagen, dass die Daten noch nicht zeigen, dass sich auch das Überleben der Patienten verbessert. Zum anderen hatten wir an diesem EULAR-Kongress zum ersten Mal einen Konsensus, dass jeder Patient mit systemischer Sklerose zumindest zu Beginn der Erkrankung ein Computertomogramm der Lunge haben sollte. Das ist eine wichtige Botschaft.
Derzeit diskutiert man auch darüber, Lupus neu einzuteilen. Was meinen Sie dazu? Ja, in eine interferongetriggerte Variante auf der einen Seite und eine autoantikörpergetriggerte auf der anderen Seite. Die Pathogenesen dieser beiden Formen sind unterschiedlich. Die Frage ist jedoch, ob das wirklich zwei verschiedene Gruppen sind oder nur zwei verschiedene Pole der Erkrankung. Ich finde es aber sehr interessant, weil es zu einer personalisierteren Therapie führen könnte. Wenn es gelingt, einzelne pathogenesespezifische Populationen zu identifizieren, werden wir auch gezielter Substanzen zur Therapie einsetzen können. Das ist sicher etwas Zukunftsweisendes.
Bei der Arthrose wie immer nichts Neues, oder? Doch! Sehr spannend finde ich ein Konzept, nach dem die Arthrose mittels einer chirurgischen Gelenkdistraktion behandelt wird. Zum Beispiel wird dazu bei der Gonarthrose an Femur und Tibia für mehrere Wochen ein Fixateur externe angelegt, der die Knochen graduell auseinanderzieht und damit den Gelenkspalt erweitert. Damit konnte man bei fortgeschrittenen Knorpelschäden einen Wiederaufbau erreichen. Von holländischen Kollegen wurde am Kongress eine Studie vorgestellt, wonach so etwas auch als Alltagsintervention funktioniert. Bislang wird diese Methode nicht durch Medikamente unterstützt, aber ich habe die Hoffnung, dass sich das mit einer chondrozytenstimulierenden Behandlung kombinieren lässt. Das könnte die Zukunft der Arthrosebehandlung sein. Zudem hat es eine britische Arbeit gegeben, in der geschaut wurde, ob es unterschiedliche Resultate zwischen Knieteilprothese und Knietotalprothese gibt. Es gibt nämlich Chirurgen, die einfach so aus Bequemlichkeit immer Totalprothesen implantieren. Tatsächlich litten Patienten mit Knieteilprothese weniger häufig unter postoperativem chronischen Schmerz und waren weniger häufig von Thrombosen betroffen als die mit Knietotalprothese. Ausserdem hatten erstere danach ein besseres funktionelles Ergebnis. Allerdings darf bei einer Teilprothese wirklich nur das zu ersetzende Kompartiment betroffen sein, und der Rest muss okay sein. Ist das nicht der Fall, ist man mit einer Totalprothese besser bedient.
Gibt es neue Biologikatherapien bei den Vaskulitiden? Bei der Riesenzellarteriitis, wo herkömmliche Basistherapeutika wie MTX nur wenig bringen und das benötigte Kortison oft toxisch ist, haben wir jetzt etwas: Die Anti-IL-6-Strategie mit Tocilizumab ist wirklich ein Durchbruch, über den wir sehr froh sind. Ich behandle im Augenblick fünf Patienten mit Riesenzellarteriitis mit dieser Substanz. Die sind praktisch steroidfrei, wirklich eine gute Sache.
Und bei der Osteoporose?
Hier wurde von den Kollegen aus Lausanne eine interessante
Arbeit vorgestellt: Wenn man bei postmenopausalen Frauen
mit Osteoporose längere Zeit vor dem Beginn einer Behand-
lung mit Denosumab mit einem Bisphosphonat behandelt,
kommt es beim Absetzen des Antikörpers zu signifikant we-
niger Knochendichteverlusten. Das ist eine wichtige Erkennt-
nis für die Praxis.
s
Das Interview führte Klaus Duffner.
Fotos: KD
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