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NEUROLOGIE/SCHMERZ/GERIATRIE
Antipsychotika
Geringe Unterschiede in der Effektivität, grössere bei Nebenwirkungen
Zur Behandlung von Patienten mit Schizophrenie existieren mit den Antipsychotika grundsätzlich sehr effektive Medikamente. Die Herausforderung besteht jedoch darin, aus einer mittlerweile sehr breiten Palette von mehr oder weniger stark unterschiedlichen Präparaten die individuell am besten geeignete Substanz auszuwählen. Im Rahmen einer aktuellen umfangreichen Literaturstudie wurden nun erstmals verfügbare Daten zum direkten Vergleich der Effektivität und Tolerabilität der einzelnen Substanzen zusammengetragen.
Lancet
Gemäss den meisten internationalen Guidelines ist die Gabe von Antipsychotika die Standardtherapie in der akuten Phase einer Schizophrenie. Allerdings ist der Einsatz dieser Medikamente aufgrund unerwünschter Wirkungen und möglicherweise durch sie hervorgerufener Hirnveränderungen umstritten. Die teilweise substanziellen Variationen in der Effektivität und Sicherheit der verschiedenen Antipsychotika rühren von deren abweichenden Rezeptorbindungsprofilen her. Trotz einer Fülle von Daten aus randomisierten klinischen Studien (RCT) zur Therapie der Schizophrenie bestehen immer noch grosse Lücken hinsichtlich der Eigenschaften der einzelnen Wirkstoffe, da viele der in den jeweiligen Untersuchungen eingesetzten Substanzen bis anhin einander nicht direkt gegenübergestellt wurden.
Grosse Metaanalyse zum Vergleich und Ranking von Antipsychotika
Ziel der hier vorgestellten Studie war es deshalb, über die Quantifizierung von in der Literatur verfügbaren Daten aus RCT an erwachsenen Schizophreniepatienten zu einem Vergleich und einer Rangliste der zahlreichen derzeit am Markt erhältlichen herkömmlichen und neueren Antipsychotika zu gelan gen, wie es auch die World Health Organisation (WHO) angemahnt hat. Im Rahmen des Reviews mit Netzwerkmetaanalyse wurden insgesamt 402 RCT (n=53 463) ausgewertet, in denen 32 verschiedene Antipsychotika zum Einsatz gekommen waren; primärer Endpunkt war eine Veränderung der mittels
standardisierter Beurteilungsinstrumente gemessenen allgemeinen Symptomatik. Zusätzlich wurden weitere wichtige Parameter untersucht, die etwa spezifische Wirksamkeitsaspekte (Verbesserung positiver/negativer Symptome), die Lebensqualität sowie diverse Nebenwirkungen umfassten. Wie die Auswertung der geschätzten Effektstärken ergab, waren 26 (81%) der 32 untersuchten Antipsychotika hinsichtlich der Symptomlinderung im Vergleich zu Plazebo signifikant überlegen (SMD [standardised mean difference]: -0,89, 95%-Konfidenzintervall [KI]: -1,08 bis -0,71 für Clozapin; -0,26, 95%-KI: -0,39 bis -0,12 für Brexpiprazol). Dabei waren Clozapin, Amisulprid, Zotepin (nicht mehr im Handel), Olanzapin und Risperidon signifikant deutlicher als viele andere Wirkstoffe in der Lage, die allgemeine Symptomatik zu verbessern. Die meisten Unterschiede zwischen den übrigen Substanzen waren, wenn überhaupt vorhanden, nur sehr gering ausgeprägt. Die SMD der 17 (81%) von 21 untersuchten Substanzen, welche im Vergleich mit Plazebo positive Symptome signifikant reduzierten, lagen zwischen -0,69 (95%-KI: -0,86 bis -0,52; Amisulprid) und -0,17 (95%-KI: -0,31 bis -0,04; Brexpiprazol). Amisulprid, Risperidon, Olanzapin, Paliperidon und Haloperidol waren dabei signifikant effektiver als viele andere Wirkstoffe. Für 21 Antipsychotika konnten Vergleichsdaten zur Reduzierung negativer Symptome erhoben werden. Die SMD der 18 Substanzen, welche sich dabei als signifikant überlegen im Vergleich
zu Plazebo gezeigt hatten, bewegten sich zwischen -0,62 (95%-KI: -0,84 bis -0,39; Clozapin) und -0,22 (95%-KI: -0,33 bis -0,11; Iloperidon [in Europa nicht zugelassen]). Von 28 Wirkstoffen, deren Effekt auf depressive Symptome untersucht wurde, zeigten sich 14 (50%) gegenüber Plazebo signifikant überlegen (SMD: -0,90, 95%-KI: -1,36 bis -0,44 für Sulpirid; -0,16, 95%-KI: -0,29 bis -0,03 für Brexpiprazol). Hier waren Sulpirid, Clozapin, Amisulprid und Olanzapin gegenüber vielen anderen Substanzen mit einer signifikant stärkeren Symptomreduktion assoziiert. Des Weiteren ergaben sich, jeweils verglichen mit Plazebo, – Risk-Ratios (RR) zwischen 0,52
(95%-KI: 0,12–0,95; Clopenthixol) und 0,90 (95%-KI: 0,85–0,95; Haloperidol) für die hinsichtlich der Senkung der Abbruchsraten jedweder Ursache signifikant überlegenen Substanzen (20/32, 63%); – RR zwischen 1,33 (95%-KI: 1,00– 1,68; Paliperidon) und 10,20 (95%KI: 4,72–29,41; Zuclopenthixol) für diejenigen Wirkstoffe (18/32, 56%), die zu einer signifikant stärkeren Sedierung führten; – RR zwischen 1,61 (95%-KI: 1,17– 2,10; Paliperidon) und 6,14 (95%-KI: 4,81–6,55; Pimozid) für diejenigen Substanzen (21/32, 66%), welche den Gebrauch von Anti-Parkinson-Medikamenten signifikant erhöhten. Die mittleren Differenzen (MD) derjenigen Substanzen, die im Vergleich mit Plazebo zu einer signifikant stärkeren Gewichtszunahme führten (12/26,
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46%), lagen zwischen 0,54 kg (95%KI: 0,15–0,95; Haloperidol) und 3,21 kg (95%-KI: 2,10–4,31; Zotepin). Unter Zotepin, Olanzapin und Sertindol zeigte sich eine signifikant stärkere Gewichtszunahme als unter den meisten anderen Wirkstoffen. Olanzapin, Asenapin, Lurasidon, Sertindol, Haloperidol, Amisulprid, Risperidon und Paliperidon waren mit signifikant erhöhten Prolaktinspiegeln assoziiert (MD-Intervall: 4,47–48,51 ng/ml). Eine signifikant ausgeprägtere QTc-Verlängerung war unter 7 von 14 Antipsychotika zu beobachten (MD: 3,43 ms [95%-KI: 0,94–6,00; Quetiapin] und 23,90 ms [95%-KI: 20,56– 27,33; Sertindol]).
Risiken und Nutzen individuell abwägen
Sämtliche Antipsychotika, sowohl neuere (Cariprazin, Brexpiprazol) als auch herkömmliche, reduzieren allgemeine Schizophreniesymptome besser als Plazebo, wobei dieser Effekt bei 6 Substanzen nicht signifikant war. Auch die Raten eines Therapieabbruchs jedweder Ursache waren unter dem Verum jeweils niedriger. Die im Einzelnen beobachteten Wirksamkeitsdifferenzen zwischen den verschiedenen Substanzen waren meist lediglich graduell. Hinsichtlich ihrer Nebenwirkungen bestanden zwischen den untersuchten Medikamenten dagegen zum Teil grosse Unterschiede. Aufgrund der für die äl-
teren Antipsychotika spärlicheren Datenlage sind die ermittelten Resultate bei Vergleichen zwischen diesen Substanzen vielfach unsicher und die entsprechenden Indizien von eher minderer Qualität. Die in dieser Metaanalyse gewonnenen Erkenntnisse können nach Ansicht der Autoren Klinikern dabei helfen, Risiken und Nutzen der verfügbaren Antipsychotika für ihre Patienten individuell abzuwägen.
RABE s
Quelle: Huhn M et al.: Comparative efficacy and tolerability of 32 oral antipsychotics for the acute treatment of adults with multi-episode schizophrenia: a systematic review and network meta-analysis. Lancet 2019; 394(10202): 939–951.
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