Transkript
DIABETES
Therapie des Typ-2-Diabetes
Tipps für die hausärztliche Behandlung
Heute gibt es in der Therapie des Typ-2-Diabetes mehr Evidenz als je zuvor, und gemäss den Guidelines der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED) kann eigentlich fast alles in verschiedenen Kombinationen eingesetzt werden. Welche Therapie jedoch in welchem Fall zu bevorzugen ist, erklärte Dr. Barbara Felix vom Bruderholzspital anlässlich des Klinischen Fortbildungstags.
Für den Therapiestart bei einer Neudiagnose
von Typ-2-Diabetes mellitus gilt es allerdings
einige Punkte zu beachten. Je nach HbA1c-Wert
muss der Schwerpunkt unterschiedlich gesetzt
werden. Hat der Patient beispielsweise einen
HbA1c-Wert von 7 Prozent, kann mit Bewe-
gung, Gewichtsreduktion beziehungsweise
Diät und eventuell Metformin 2 × 500 mg/Tag
eine Korrektur bewirkt werden. «Geben Sie
dem Patienten ein Blutzuckermessgerät mit
Dr. Barbara Felix
nach Hause. So kann er selber sehen, welche
Auswirkung die einzelnen Massnahmen auf
seinen Blutzucker haben. Werden die Werte besser, kann
Metfomin auch wieder abgesetzt werden», sagte Felix. Bei
rasch gut eingestellten Patienten hält gemäss Felix die Beta-
zellreserve länger an. Bei übergewichtigen Patienten besteht
auch die Option von Metformin plus ein SGLT2-Hemmer
wie Empagliflozin, Dapagliflozin und Canagliflozin. Dazu
sollten im Erstgespräch neben einer Anmeldung zur Ernäh-
rungsberatung auch unmittelbare Ernährungstipps abgege-
ben werden, wie beispielsweise der Verzicht auf gezuckerte
Getränke und Obst. Das Glas Wein kann man dem Patienten
getrost lassen, Alkohol ist per se kein Problem. Bier dagegen
ist wegen des Malzgehalts problematisch, ebenso Cocktails
und Alcopops aufgrund der Beimischung von zuckerhaltigen
Limonaden oder gesüssten Energydrinks.
Blutzuckermessungen wie oft und womit?
Wie oft soll der Blutzucker gemessen werden? Von sogenann-
ten Schachbrettmessungen, also Messungen zu verschie-
KURZ & BÜNDIG
Bei Neudiagnose dem Patienten ein Blutzuckermessgerät mit nach Hause geben.
Tagesprofile sind besser als Schachbrettmessungen. Antidiabetika mit Blick auf Potenz, Hypoglykämiefreiheit
und kardiovaskuläre Protektion einsetzen.
denen Tageszeiten, jeweils vor den Mahlzeiten, soll Abstand genommen werden, so der Rat von Felix. Tagesprofile sind dagegen sinnvoll, allerdings reicht einmal pro Woche bei gut eingestellten Patienten. Bei Neudiagnostizierten empfiehlt Felix, anfangs tägliche Tagesprofile zu erstellen, damit der Patient ein Gefühl für den Blutzucker je nach eingenommener Mahlzeit bekommt. Mit der Besprechung der so gewonnenen Daten entwickelt der Patient ein Verständnis für das Zusammenspiel von Ernährung, Medikation und Blutzucker. Wichtig dabei ist das Begutachten von Originaldaten aus den Blutzuckermessgeräten, denn bei durch Patienten erstellten Datensammlungen ist das Risiko für nachträgliche «Vervollständigungen» erhöht. Eine gute Beratung bei Neudiagnosen erachtet Felix als eine wertvolle Investition, denn zu diesem Zeitpunkt verfüge der Patient noch über 50 Prozent seiner Betazellmasse. Die therapeutischen Möglichkeiten mit Medikation, Ernährung und Sport sind zu diesem Zeitpunkt vielfältiger, und die Motivation des Patienten ist entsprechend grösser als Jahre später, wenn die Insulintherapie bevorsteht. Weil Blutzuckermessungen ein permanentes In-den-FingerStechen bedingen, ist es sinnvoll, die Messungen auf das notwendige Minimum zu beschränken. Eine andere Möglichkeit bietet die Flash-Glukose-Messung mit dem permanenten Tragen eines Glukosesensors (z.B. FreeStyle Libre®), der alle 2 Wochen ausgetauscht werden muss. Mit einem Lesegerät würden die gesammelten Daten jederzeit und so oft wie gewünscht abgerufen, berichtete Felix. Die SGED empfielt Flash-Glukose-Messungen bei Typ-1Diabetikern und Patienten mit Typ-2-Diabetes mit intensivierter Insulintherapie wie auch diagnostisch kurzfristig bei Patienten, die schlecht kontrolliert sind (1).
Massnahmen bei hohen HbA1c-Werten
Hat ein Patient mit BMI 28 kg/m2 unter Metformin 2 × 1000 mg und Sulfonylharnstoffen beispielsweise einen HbA1c-Wert von 10,5 Prozent, so ist ein Therapiewechsel angezeigt. Das anzuvisierende Therapieziel liegt bei ungefähr 7,5 Prozent, dies möglichst ohne Hypoglykämien, so Felix. Bei einer HbA1c-Abnahme ist gemäss Felix eine Gewichtszunahme von 6 kg zu erwarten, das heisst 2 kg pro Prozent.
14 ARS MEDICI DOSSIER IV | 2019
DIABETES
SGLT2-Hemmer, DPP-4-Hemmer und GLP-1-Rezeptor-Agonisten in der Schweiz
SGLT2-Hemmer
Empagliflozin* Dapagliflozin Canagliflozin*
Jardiance® Forxiga® Invokana®
Kombination mit Metformin
Empagliflozin*/Metformin Dapagliflozin/Metformin Canagliflozin*/Metformin
JardianceMet® Xigduo® Vokanamet®
DPP-4-Hemmer
Alogliptin Linagliptin Saxagliptin Sitagliptin* Vildagliptin
Vipidia® Trajenta® Onglyza® Januvia®, Xelevia® Galvus®
Kombination mit Metformin
Alogliptin/Metformin Linagliptin/Metformin Saxagliptin/Metformin Sitagliptin*/Metformin Vildagliptin/Metformin
Vipdomet® Jentadueto® Kombiglyze® Janumet®, Velmetia® Galvumet®
GLP-1-Rezeptor-Agonisten
Exenatid (2x/Tag) Exenatid SR (1x/Woche) Lixisenatid (1x/Tag) Liraglutid (1x/Tag)* Semaglutid (1x/Woche)* Dulaglutid (1x/Woche)
Byetta® Bydureon® Lyxumia® Victoza® Ozempic® Trulicity®
Kombination mit Basalinsulin
Lixisenatid/Insulin glargin Suliqua® Liraglutid*/Insulin degludec Xultophy®
*Evidenz für Reduktion von Mortalität, mikro- und makrovaskulären Komplikationen erbracht.
Quelle: mod. nach (6–8)
RA (5), möglich, mit SGLT2-Hemmern um 1 Prozent, so Felix. Braucht es noch eine stärkere HbA1c-Senkung, kann dies mit vorübergehend zusätzlichen Antidiabetika wie DPP-4-Hemmern oder Sulfonylharnstoffen erreicht werden. Eine andere Möglichkeit besteht in der Kombination von GLP-1-RA mit Basalinsulinen, wie beispielsweise Insulin degludec plus Liraglutid (Xultophy®) oder Insulin glargin plus Lixisenatid (Suliqua®). Das Resultat ist etwa gleich stark wie eine Basis-Bolus-Therapie, allerdings angenehmer für den Patienten, so Felix.
Diabetiker als Bus-Chauffeur
Früher hätte die Diagnose eines Typ-2-Diabetes mit der
Zeit zu einem Berufsverbot für professionelle Fahrer
von Personentransporten geführt. Dank der neuen
Möglichkeiten bleibt den Betroffenen dieses Schicksal
erspart, denn eine Therapie ohne drohende Hypoglyk-
ämien besteht heute aus SGLT2-Hemmern, GLP-1-Re-
zeptor-Analoga und DPP-4-Hemmern. SGLT2-Hemmer
fördern aufgrund ihres Wirkmechanismus jedoch auch
die Diurese, was bei Chauffeuren zu organisatorischen
Schwierigkeiten führen könnte. Auch Patienten, die ge-
rade knapp kontinent sind, könnten mit dieser Medika-
tion inkontinent werden. GLP-1-RA zum Metformin
wären daher für einen Chauffeur eine gute Option, 1-mal
pro Woche oder täglich, je nach Präferenz des Patienten,
so Felix abschliessend.
L
Valérie Herzog
Quelle: «Diabetes kompakt», Klinischer Fortbildungstag (KLIFO), 6. September in Bruderholz.
Dies aufgrund von Wassereinlagerungen und weil durch die Eindämmung der Glukosurie 500 kcal pro Tag nicht mehr ausgeschwemmt werden. Eine Blutzuckerverbesserung und eine gleichzeitige Gewichtsabnahme glichen bis vor Kurzem einer Quadratur des Kreises, sind heute jedoch mit dem Einsatz von GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA) und SGLT2Hemmern möglich. Zusätzlich zu Metformin wäre demnach ein GLP-1-RA oder der Einsatz eines SGLT2-Hemmers eine Option. Beide Substanzkategorien haben mit Empagliflozin (2), dem täglich zu spritzenden Liraglutid (3) oder dem seit Kurzem neu verfügbaren, 1-mal wöchentlich zu spritzenden Semaglutid (4) kardiovaskulär protektive Vertreter und senken das Gewicht. Je nach Blutzuckerziel muss aber auch die jeweilige Potenz des Antidiabetikums berücksichtigt werden. Mit GLP-1-RA sind HbA1c-Reduktionen bis zu 1,8 Prozent, zum Beispiel mit Semaglutid, dem zurzeit potentesten GLP-1-
Referenzen: 1. Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und
Diabetologie (SGED/SSED) für den Gebrauch neuer digitaler Hilfsmittel, 15.11.2017. http://sgedssed.ch/fileadmin/files/6_empfehlungen_fachper sonen/61_richtlinien_fachaerzte/180115_Richtlinien_Neue_Hilfsmit tel_der_SGED_def.pdf 2. Zinman B et al.: Empagliflozin, cardiovascular outcomes, and mortality in type 2 diabetes. N Engl J Med 2015; 373: 2117–2128. 3. Marso SP et al.: Liraglutide and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2016; 375: 311–322. 4. Marso SP et al.: Semaglutide and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2016; 375: 1834–1844. 5. Pratley RE et al.: Semaglutide versus dulaglutide once weekly in patients with type 2 diabetes (SUSTAIN 7): a randomised, open-label, phase 3b trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2018; 6: 275–286. 6. Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED/SSED) 2016: Massnahmen zur Blutzuckerkontrolle bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2. Update 30.3.2017. 7. Fachinfo Ozempic® auf swissmedic.ch 8. Neal B et al.: Canagliflozin and cardiovascular and renal events in type 2 diabetes. N Engl J Med 2017; 377: 644–657.
SGED-Empfehlung
www.rosenfluh.ch/qr/sgedssed
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