Transkript
Typ-2-Diabetes mellitus
Neuere Erkenntnisse bei Therapiewahl berücksichtigen
DIABETOLOGIE
In seinem kurzweiligen Referat beleuchtete Prof. Marc Donath, Endokrinologie, Diabetologie und Metabolismus, Universitätsspital Basel, am KHM-Kongress einige spannende, neuere Erkenntnisse zum Typ-2-Diabetes und erläuterte, wie diesen bei der Wahl der Therapie Rechnung getragen werden kann.
«Ich möchte Sie heute davon überzeugen, dass Diabetes eine einfache Erkrankung ist, die sich einfach behandeln lässt», erklärte Donath, Universitätsspital Basel, zu Beginn seines Referats. In den letzten Jahren habe sich das Verständnis der Erkrankung um einiges verbessert. Ein zentraler Faktor seien dabei die Studien mit den SGLT2-Hemmern Empagliflozin (EMPA-REG) und Canagliflozin (CANVAS) sowie dem GLP-1-Analogon Liraglutid (LEADER) gewesen (1–3). «In diesen Studien hat man plötzlich gesehen, dass die Patienten länger überlebten und es zu weniger kardiovaskulären Ereignissen kam», erläuterte der Referent. «Die Frage war dann, weshalb diese zwei Substanzklassen zu diesem Effekt geführt haben.»
Diabetes als Schutzmechanismus
Wie Donath weiter erläuterte, hätten sich die Diabetologen bisher stets auf den Glukosegehalt des Blutes konzentriert. «Unser Mass war immer der HbA1c», betonte er. Dies sei aber eigentlich sehr schmalspurig gedacht. «Viel entscheidender ist, so wissen wir jetzt, weshalb der HbA1c im Blut erhöht ist und wohin wir die Glukose durch unsere Therapie verschieben.» Mit den bisherigen Antidiabetika, egal ob Insulinsensitizer oder Insulin selbst, sei die Insulinsresistenz durchbrochen und die Glukose regelrecht in die Zellen hineingedrängt worden. «Jede Zelle hat jedoch nur begrenzt Platz für Glukose und kann diese nur in einem bestimmten Mass metabolisieren. Bei einem Zuviel an Glukose wird die Zelle krank oder es kommt – so zum Beispiel bei einem Überangebot an Glukose in den Fettzellen – zu einer Gewichtszunahme.» Diesen Effekt könne man gut bei Patienten beobachten, die mit Sulfonylharnstoff behandelt würden und darunter an Gewicht zunehmen. «Am Herz kann dieses Überangebot an Glukose dazu führen, dass in den Kardiomyozyten die Myofibrillen geschädigt werden und die Zellen ihre normale Funktion verlieren. Etwas Zucker brauchen die Zellen, ein Überangebot ist jedoch toxisch», so Donath. Vom Mechanismus her betrachtet, stelle der Typ-2-Diabetes damit eigentlich einen Schutz vor Überernährung dar. «Die Insulinresistenz, die wir immer
als schlecht angesehen habe, ist ein Schutzmechanismus. Die Zellen signalisieren damit, dass sie voll sind», veranschaulichte der Referent weiter. Die Inselzellen würden in dieser Situation die Produktion von Insulin herunterfahren. Zudem würde über eine Glukosurie versucht, die überschüssige Glukose auszuscheiden. Dieser Mechanismus wird durch den Einsatz von SGLT-2-Hemmern unterstützt, und die Zellen werden dadurch entlastet.
Therapeutische Ziele
Im Anschluss ging Donath auf die Therapieprinzipien bei Typ-2-Diabetes ein. «Auch wenn es hinsichtlich kardiovaskulärem Risiko und Überleben entscheidend ist, das Herz vor einem Zuviel an Zucker zu schützen, bleibt das HbA1c nach wie vor einer unserer Zielwerte. Denn es macht ja wenig Freude, länger zu leben, wenn man aufgrund mikrovaskulärer Komplikationen blind und amputiert ist», brachte er es auf den Punkt. Donath empfahl jedoch, den HbA1c-Wert individualisiert zu betrachten. Nicht jeder Patient brauche den gleichen Wert. Bei jüngeren Patienten ohne Begleiterkrankungen würde er die Grenze enger setzen (6,0–6,5%), während er bei älteren, komorbiden Diabetikern, die zu Hypoglykämien neigen, einen Wert von 7,5 bis 8 Prozent als Ziel wählen würde. Wichtig sei das Vermeiden von Hypoglykämien. Bei über 95 Prozent der Diabetiker ist es heute möglich, Medikamente einzusetzen, die dieses Risiko nicht mehr mit sich bringen. «Damit tun Sie den Patienten wirklich etwas Gutes, indem Sie ihnen die Angst vor einer Hypoglykämie und den damit verbundenen Stress nehmen.»
Essen soll Genuss sein
Bezüglich therapeutischer Optionen griff Donath zuerst das Thema der Lebensstilmodifikation auf. Solche Massnahmen seien zur Prävention und Therapie eines Diabetes unerlässlich. Er fände es aber wichtig, Essen als etwas Positives, Genussvolles zu sehen. Es als schlecht abzustempeln sei wenig zielführend. So würden sie in Basel zum Beispiel Kochkurse für Diabetiker anbieten. Weiter erklärte er: «Sport ist meiner Meinung nach die beste Therapie bei Diabetes. In Analogie
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DIABETOLOGIE
Kasten:
Therapieschema bei Typ-2-Diabetes mellitus
1. Lebensstilmodifikation 2. Metformin 3. Individualisierte Therapie
• Frühe Stadien: DPP-4-Hemmer oder GLP-1-Analogon (bei BMI > 28)
• Etablierte kardiovaskuläre Erkrankung: SGLT-2-Hemmer oder GLP-1-Analogon
• Unkontrollierter Diabetes oder GFR < 30: Basalinsulin (und GLP-1-Analogon)
• BMI > 35: bariatrische Chirurgie in Betracht ziehen.
Quelle: Prof. Marc Donath, KHM 2018
zu einer medikamentösen Behandlung ist es aber wichtig, eine konkrete Dosis zu vereinbaren, die auch zum jeweiligen Patienten passt.» Körperliche Aktivität verbessere nicht nur das Wohlbefinden, sondern fördere auch die insulinunabhängige Aufnahme von Glukose in die Muskeln. «Das ist positiv, da die Glukose dort verbrannt wird», führte der Redner dazu aus. Es sei zudem wichtig, die Patienten darauf hinzuweisen, dass es trotz Sport anfangs nur zu einer geringen Gewichtsabnahme kommen kann, da vermehrt Muskulatur aufgebaut wird. Der Patient solle sich weniger an der Anzeige der Waage orientieren, als vielmehr daran, wie seine Kleider sitzen, so sein Ratschlag.
Charakteristika der Inkretine
Als Nächstes stellte Donath die Charakteristika der Inkretine (DPP-4-Inhibitoren und GLP-1-Analoga) vor. DPP-4-Inhibitoren zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine Hypoglykämien verursachen. «Sie bewirken einen leichten Sättigungseffekt und dadurch nehmen die Patienten nicht zu», erklärte der Referent. «Ich verwende DPP-4-Inhibitoren hin und wieder bei Patienten in einem frühen Diabetesstadium sowie bei älteren Patienten in Pflegeheimen, bei denen ich eine möglichst einfach anwendbare, günstige Therapie möchte, die kein Risiko für Hypoglykämien mit sich bringt», so Donath. Unter den Inkretinen bevorzuge er jedoch klar die GLP-1Analoga aufgrund ihres Sättigungseffekts. «Ich bin der Meinung, dass wir noch zu selten GLP-1-Analoga einsetzen», erklärte er. Eine Hemmschwelle sei wohl die Notwendigkeit der parenteralen Applikation. Diese sei jedoch einfach, da es auch GLP-1-Analoga gebe, die nur einmal wöchentlich appliziert werden müssen. «Braucht ein Patient bereits Insulin, so gebe ich ihm in der Regel immer auch ein GLP-1-Analogon dazu.» Einfach und praktisch in der Anwendung sind dabei entsprechende Kombinationsprodukte.
SGLT-2-Hemmer fördern Glukoseausscheidung
Den besten Weg, den Blutzuckerspiegel zu verbessern, ohne das Gewebe zu belasten, stellen nach Ansicht des Experten die SGLT-2-Hemmer dar, da diese die Ausscheidung der Glukose über den Harn fördern. Sie verursachen keine Hypoglykämien und führen zu einer leichten Reduktion des Blutdrucks und des Gewichts. Donath fügte hier noch an: «Ich verwende fast nie einen SGLT-2-Hemmer und ein GLP-1-Analogon gleichzeitig. Zum einen handelt es sich dann schon um eine teure Medikation, zum anderen sind die additiven Effekte auf den Blutzucker und das Körpergewicht nur minimal.» Als relevante Nebenwirkung unter SGLT-2-Hemmern sind Genitalinfektionen beschrieben. «Zudem müssen Sie an das Risiko einer Ketoazidose denken. Diese tritt insbesondere bei Patienten auf, die fast keine endogene Insulinproduktion mehr aufweisen, also beispielweise bei langjährigen Diabetikern», so Donath. Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch, insulinpflichtige Diabetiker unter SGLT-2-Hemmern darauf hinzuweisen, dass sie ihr Insulin nicht weglassen dürfen. Abschliessend fasste Donath seine Empfehlungen zur antidiabetischen Therapie zusammen: «An erster Stelle stehen Lebensstilmodifikationen, gefolgt von Metformin und einer individualisierten Therapie. Das heisst, im Frühstadium der Erkrankung ist das ein DPP-4-Hemmer oder bei Patienten mit einem BMI über 28 ein GLP-1-Analogon. Bei Patienten mit bestehender kardiovaskulärer Erkrankung sollte ein SGLT-2-Hemmer oder ein GLP-1-Analogon eingesetzt werden. Bei unkontrolliertem oder fortgeschrittenem Diabetes oder einer glomerulären Filtrationsrate von unter 30 ml/min/ 1,73 m2 setze ich ein Basalinsulin ein, in der Regel kombiniert mit einem GLP-1-Analogon. Bei Patienten mit einem BMI von über 35 kann es womöglich notwendig werden, einen bariatrischen Eingriff in Betracht zu ziehen» (Kasten). L
Therese Schwender
Quelle: Hauptreferat 2, «SÜSS Diabetes». 20. Fortbildungstagung des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM). 21. und 22. Juni 2018 in Luzern.
Referenzen 1. Zinman B et al.: Empagliflozin, Cardiovascular Outcomes, and
Mortality in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2015; 373: 2117–2128. 2. Neal B et al.: Canagliflozin and Cardiovascular and Renal Events
in Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2017; 377: 644–657. 3. Marso SP et al.: Liraglutide and Cardiovascular Outcomes in
Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2016; 375: 311–322.
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