Transkript
Morbus Alzheimer
Auf der Suche nach guten Prädiktoren
GERIATRIE
Die Degeneration von Neuronen beginnt beim Morbus Alzheimer bereits lange vor der klinischen Krankheitsausprägung. Daher wird auch schon lange nach möglichen Prädiktoren gesucht, um die Betroffenen möglichst frühzeitig zu identifizieren und den weiteren kognitiven Abbau zu verlangsamen, ja vielleicht sogar aufzuhalten. Alzheimertypische Ablagerungen von Amyloid-beta und Tau-Protein setzen sich dabei immer mehr als Biomarker durch. Ihr Vorteil: Diese Ablagerungen sind bereits Jahre vor der klinischen Ausprägung der Alzheimer-Demenz nachweisbar.
Wichtig seien solche Biomarker zunächst, um die AlzheimerDiagnose zu sichern, betonte Philip Scheltens aus Amstelveen (NL) am Jahreskongress der European Academy of Neurology (EAN) in Lissabon. Hier habe sich im Laufe der Jahre ein Paradigmenwechsel vollzogen: Während die AlzheimerDiagnose noch bis in die Achtzigerjahre zu Lebzeiten als Verdachtsdiagnose erfolgte, die erst post mortem durch typische morphologische Veränderungen gesichert werden konnte, wurde 1984 mit den NINCDS-ADRDA-Kriterien erstmals eine klar definierte Diagnose zu Lebzeiten etabliert (1). Diese Kriterien umfassten die folgenden Punkte: L eingeschränkte Gedächtnisleistung L zusätzlich eine weitere kognitive Einschränkung L Verschlechterung gegenüber früher L Beeinträchtigung der Alltagsfunktion L progressiver Verlauf L Ausschluss anderer Ursachen (1).
Je nach Ausprägung dieser Kriterien wurde damals in mögliche, wahrscheinliche und gesicherte Alzheimer-Demenz unterschieden. Mithilfe kognitiver Tests wurde eine Objektivierung der Symptomatik versucht. Biomarker zur Diagnosesicherung gab es damals noch nicht.
Klinisch-biologisches Konzept der Alzheimer-Demenz
Im Jahre 2007 wurden die NINCDS-ADRDA-Kriterien revidiert und das klinisch-biologische Konzept des Morbus Alzheimer vorgestellt (2). Darin gilt ein Morbus Alzheimer als wahrscheinlich, wenn das Hauptkriterium A sowie mindestens ein weiteres der unterstützenden Kriterien B bis E vorliegt: A episodische Gedächtnisstörung B mediale Atrophie des Temporallappens im MRI C abnormale Biomarker im Liquor (A-beta ↓,Tau ↑, p-Tau ↑) D abnormaler Glukosemetabolismus (FDG-PET) oder
Nachweis von Amyloid (PIB-PET) E autosomal dominante Mutation alzheimerassoziierter
Gene in der nahen Verwandtschaft.
«Dies war wirklich ein grosser Schritt vorwärts», betonte Scheltens. In den folgenden Jahren wurde dieses Konzept, entsprechend den Fortschritten in der Bildgebung und den Erkenntnissen zur Bedeutung der Biomarker, weiter verfeinert (3) und erzielte so auch globale Akzeptanz (4). Nun
Biomarker erlauben auch die Unterscheidung von Demenzsubtypen mit gleicher zugrunde liegender Pathologie.
wurde anhand der Biomarker entschieden, ob man eine Demenz als Morbus Alzheimer bezeichnete oder nicht. Darüber hinaus ermöglichten die Biomarker auch die Unterscheidung von Demenzsubtypen mit gleicher zugrunde liegender Pathologie. In einer neueren Studie wurden bei 351 Patienten mit klinischer Alzheimer-Diagnose die Auswirkungen der Biomarkerbestimmung auf die Diagnose überprüft (5). Bei 7 Prozent führte die Biomarkerbestimmung zu einer Änderung der Diagnose. Die Zuverlässigkeit der Diagnose erhöhte sich von 84 auf 89 Prozent (p < 0,001), und bei 13 Prozent der Patienten hatte die Bestimmung der Biomarker auch Auswirkungen auf die Behandlung dieser Patienten. In einer anderen Studie war der Anteil der Patienten, bei denen nach Durchführung der Amyloid-PET die ursprüngliche Diagnose revidiert wurde, noch höher (6): So waren bei 23 Prozent der Demenzpatienten, bei denen klinisch eine Alzheimer-Demenz diagnostiziert worden war, die Biomarker negativ, und bei 18 Prozent wurde daraufhin die Diagnose geändert. Dagegen waren bei 33 Prozent derjenigen, bei denen ursprünglich keine Alzheimer-Diagnose gestellt worden war, die Alzheimer-Biomarker positiv, und bei 23 Prozent wurde daraufhin die Diagnose geändert.
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GERIATRIE
Biomarker erhöhen die Zuverlässigkeit der Diagnose
Ein Vorteil der neuen Biomarker ist die diagnostische Sicherheit. Dies wurde auch in einer aktuellen Publikation des ABIDE-Projekts (Alzheimer’s biomarkers in daily practice) deutlich (7): Das Vorhandensein eines Biomarkers zur Diagnosesicherung erhöhte hier eindeutig das Vertrauen in die klinische Diagnose. Dieser Effekt war bei Patienten mit der Diagnose eines Mild Cognitive Impairment (MCI) am höchsten. Bei etwa einem Viertel der Patienten dieser Studie führte die biomarkergestützte Diagnose auch zu einer Änderung des Krankheitsmanagements. Patienten mit einem positiven Nachweis von Amyloid-beta in der Amyloid-PET wurden eher einer medikamentösen Therapie zugeführt oder in Studien aufgenommen. Bei Amyloid-beta-negativen Patienten wurden weitere Untersuchungen zur Diagnoseklärung veranlasst. Diese Studie habe gezeigt, dass die Amyloid-PET für
Die Amyloid-PET ist für den Einsatz zur Diagnosesicherung bei Patienten mit Demenz und MCI geeignet.
den Einsatz in der klinischen Praxis zur Diagnosesicherung bei Patienten mit Demenz und MCI geeignet ist, betont Dr. Stephen Salloway in einem Editorial zur aktuellen Publikation (8). Er geht davon aus, dass die Methode noch weitere Verbreitung finden wird, sobald Therapeutika zugelassen werden, deren Einsatz eine solche Biomarkertestung voraussetzen.
Biomarker zur Prognoseabschätzung
Ob die Kombination mehrerer Biomarker auch zur Abschätzung der Prognose zu gebrauchen ist, wurde bei insgesamt 552 MCI-Patienten der Amsterdam Dementia Cohort untersucht (9). Als Biomarker wurden in der MRI die gesamte Hirnatrophie und die Hippocampusatrophie sowie im Liquor Amyloid-beta und Gesamt-Tau bestimmt. Als Endpunkte wurden die Fälle von Alzheimer-Demenz sowie jeglicher Demenz bestimmt. Weitere Einflussfaktoren, wie Alter, Geschlecht und Mini-Mental-Status (MMSE: Mini-Mental State Examination), wurden ebenfalls berücksichtigt. Abhängig von diesen Faktoren lag, ohne Berücksichtigung der Biomarker, das 3-Jahres-Progressionsrisiko zur AlzheimerDemenz zwischen 26 Prozent für jüngere Männer mit MMSE-Scores von 29 bis hin zu 76 Prozent für ältere Frauen und MMSE-Scores von 24. Bei abnormalen MRI-Befunden erhöhte sich dieses Risiko auf 86 Prozent und bei abnormalen Liquorbefunden auf 82 Prozent; waren sowohl die Liquorals auch die MRI-Befunde abnormal, lag das 3-Jahres-Risiko für die Alzheimer-Demenz sogar bei 89 Prozent. Um die verschiedenen Faktoren, die hier zur Prognose beitragen, in einem praxistauglichen Setting berücksichtigen zu können, wurden diese Informationen inzwischen auch in einer App zusammengetragen, mit deren Hilfe das Risiko der Demenzprogression kalkuliert werden kann. Derzeit wird ein Prototyp dieser App getestet, berichtete Scheltens: «Ich denke, das wird für den Kliniker sehr nützlich sein.»
Bis sich ein Screening auf eine Alzheimer-Demenz in frühen
Stadien etablieren kann, ist es allerdings nach Einschätzung
von Scheltens noch ein weiter Weg. Denn immer noch sind ei-
nige Fragen ungeklärt – so zum Beispiel die nach einer sinn-
vollen therapeutischen Intervention. Es sei bekannt, dass die
Amyloidablagerungen im Gehirn der klinischen Alzheimer-
Manifestation um viele Jahre vorausgehen (10). Es wurde
ebenfalls in aktuellen, noch unveröffentlichten Studien nach-
gewiesen, dass ein höheres Ausmass an Amyloidablagerun-
gen mit einem steileren Abfall verschiedener kognitiver
Funktionen (Gedächtnis, Sprache, Aufmerksamkeit, Aufga-
benbewältigung) korreliert, berichtete Scheltens weiter.
Daher erscheint es sinnvoll, die weitere Amyloidablagerung
frühzeitig aufzuhalten – hier scheint das «window of oppor-
tunity» für eine Alzheimer-Prävention zu liegen.
Darüber hinaus sei es zum Beispiel mit Aducanumab, einem
Antikörper gegen aggregiertes Amyloid-beta, auch möglich,
das Gehirn von Amyloidablagerungen zu befreien (11). In
ersten Anwendungen an Alzheimer-Patienten konnte unter
monatlichen Infusionen von Aducanumab eine Verlang-
samung des Abfalls der kognitiven Funktion gezeigt werden.
Mit Spannung werden derzeit die noch fehlenden Erkennt-
nisse aus Phase-III-Studien zu diesem Therapieansatz erwar-
tet (11).
Insgesamt ist Scheltens zuversichtlich, dass in Zukunft die
therapeutische Prävention einer Alzheimer-Demenz möglich
sein wird. Voraussetzung wird allerdings eine Diagnostik der
präklinischen Veränderungen mithilfe von Biomarkern sein,
betonte er: «Die Zukunft der Biomarker sieht also gut aus!»
L
Adela Žatecky
Literatur: 1. McKhann G et al.: Clinical diagnosis of Alzheimer's disease: report of the
NINCDS-ADRDA Work Group under the auspices of Department of Health and Human Services Task Force on Alzheimer's Disease. Neurology 1984; 34(7): 939–944. 2. Dubois B et al.: Research criteria for the diagnosis of Alzheimer's disease: revising the NINCDS-AD RDA criteria. Lancet Neurol 2007; 6(8): 734–746. 3. Dubois B et al.: Advancing research diagnostic criteria for Alzheimer's disease: the IWG-2 criteria. Lancet Neurol 2014; 13(6): 614–629. 4. Jack CR jr et al.: NIA-AA Research Framework: Toward a biological definition of Alzheimer’s disease. Alzheimers Dement 2018; 14(4): 535–562. 5. Duits FH et al.: Diagnostic impact of CSF biomarkers for Alzheimer’s disease in a tertiary memory clinic. Alzheimers Dement 2015; 11: 523–532. 6. Zwan et al.: Diagnostic impact of (18F)flutemetamol PET in early-onset dementia Alz Res & Ther 2017; 9: 2. 7. De Wilde A et al.: Association of amyloid positron emission tomography with changes in diagnosis and patient treatment in an unselected memory clinic cohort: the ABIDE project. JAMA Neurology 2018; doi: 10.1001/jamaneurol.2018.1346. (Epub ahead of print). 8. Salloway S: Improving evaluation of patients with cognitive impairment with amyloid positron emission tomography. JAMA Neurology 2018; doi:10.1001/jamaneurol.2018.1010 (Epub ahead of print). 9. Van Maurik IS et al.: Interpreting biomarker results in individual patients with mild cognitive impairment in the Alzheimer's biomarkers in daily practice (ABIDE) project. JAMA Neurol 2017; 74(12): 1481–1491. 10.Jansen WJ, Ossenkoppele R et al.: Prevalence of cerebral amyloid pathology in persons without dementia: a meta-analysis. JAMA 2015; 313(19): 1924–1938. 11. Sevigny J et al.: The antibody aducanumab reduces Aβ plaques in Alzheimer's disease. Nature 2016; 537(7618): 50–56.
Quelle: Edouard Brown-Séquard Lecture «The evolution of Alzheimer’s disease and dementia» am Jahreskongress der European Academy of Neurology (EAN), 17. Juni 2018 in Lissabon.
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