Transkript
FOKUS PÄDIATRIE
Weniger Spätkomplikationen und bessere Lebensqualität
Technologie in der Diabetesbehandlung
Die heutige Diabetesbehandlung will betroffenen Kindern und Jugendlichen ein möglichst normales Leben ermöglichen, mit normalem Schulbesuch inklusive Sport und Schullager. PD Dr. Marie-Anne Burckhardt, Pädiatrische Endokrinologie/Diabetologie, Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB), präsentierte die derzeitigen technischen Möglichkeiten, die den Kindern dabei helfen sollen. Sie betonte aber auch, dass die ärztliche Betreuung nur ein Teil eines umfassenden multidisziplinären Betreuungskonzepts ist.
Eine gute Blutzuckereinstellung ist zentral. Denn schon ältere Studien, wie der Diabetes Control and Complications Trial (DCCT), konnten zeigen, dass bei einer guten Blutzuckereinstellung, gemessen mit dem HbA1c, weniger diabetische Komplikationen wie z.B. Nephropathie und Retinopathie auftreten. Damals ging aber die bessere Blutzuckereinstellung mit häufigeren schweren Hypoglykämien einher (1).
Spätere Studien konnten den Zusammenhang zwischen tiefem HbA1c und geringeren diabetischen Spätkomplikationen bestätigen (2). Jedoch konnte gezeigt werden, dass heutzutage ein tieferes HbA1c nicht mehr mit schweren Hypoglykämien einhergehen muss (3). Die Therapien haben grosse Fortschritte gemacht und so wurden auch die Therapieziele für HbA1c immer tiefer angesetzt. Neuste internationale Guidelines sprechen von 6,5% (48 mmol/mol) als idealer Wert für diejenigen, die Zugang zu fortschrittlichen Diabetes-Technologien wie kontinuierlichem Glukosemonitoring (CGM) und automatisierten Insulinabgabe-Systemen (AID) haben (4).
Fortschritte – Insulin Vor etwas über 100 Jahren wurde das Insulin entdeckt und von Rind und Schwein extrahiert. Die Fortschritte über das Humaninsulin zu Insulinanaloga mit unterschiedlichen Wirkgeschwindigkeiten verbesserten die Therapiemöglichkeiten. Doch auch die am raschesten wirksamen Insulinanaloga erreichen bisher nicht die Schnelligkeit des körpereigenen Insulins (5).
Fortschritt – Kontinuierliche Glukosemessung (CGM) Eine weitere Verbesserung sind Sensor-Systeme zur kontinuierlichen Blutzuckermessung (continous glucose monitoring, CGM). Diese Systeme bestehen aus einem haarfeinen Sensor, der im subkutanen Gewebe liegt, und einem darüberliegenden Transmitter auf der Haut sowie einem Empfängergerät oder Handy, das die Zuckerwerte darstellt. Wird ein Handy als Empfängergerät genutzt, können die Glukosewerte zudem mit anderen Personen, z.B. mit den Eltern, geteilt werden.
Der Zucker wird im Interstitium gemessen, deshalb kann der Sensor beim starken Zuckeranstieg und -abfall im Blut leicht verzögert reagieren und dem realen Blutzucker etwas hinterherhinken (Lag-Time). Daten aus diesen Blutzuckerpro-
filen über die letzten 14 Tage, das so genannte «Ambulatory Glucose Profile», bieten eine gute Grundlage für eine Diskussion mit dem Kind oder Jugendlichen in der Konsultation. Ziel wäre, dass > 70% der Werte im Zielbereich, zwischen 3,9 mmol/l und 10 mmol/l liegen.
Die kontinuierliche Blutzuckermessung kann zu einer besseren Stoffwechselkontrolle führen, was sich auch in einem besseren HbA1c äussert. In der Schweiz ist die Kostenübernahme für Sensoren gut, auch wenn oft eine individuelle Anfrage bei der Krankenkasse gestellt werden muss. Geschätzt verwenden in der Schweiz rund 90–95% der Kinder einen Sensor, doch es gibt auch Kinder, die kein solches Gerät möchten. Eine Übersicht über die in der Schweiz zugelassenen Geräte publiziert Diabetes Schweiz (8), sie unterscheiden sich bezüglich der Alterslimite für die Zulassung und der Tragedauer der Sensoren von entweder 7, 10 oder 14 Tagen.
Fortschritte – Insulinpumpe Die Einführung der Insulinpumpe in der Diabetestherapie war ein wichtiger Meilenstein (7). Bei der Insulinpumpe benutzt man kein langwirksames Basisinsulin mehr, sondern kurzwirksame Insuline, die von einer programmierten Pumpe abgegeben werden. So kann man individuelle Bedürfnisse berücksichtigen. Da die Verteilung des Insulins nun physiologischer ist als mit einem langwirksamen Basisinsulin, sind nur noch etwa 80% des Basisinsulinbedarfs nötig. Dies muss man beim Umstellen von einer funktionellen Insulintherapie auf eine Insulinpumpe berücksichtigen. Das Essensinsulin muss man manuell auslösen und an die geplante Kohlenhydrateinnahme anpassen, aber immerhin entfällt das Spritzen mit dem Pen, und der Bolus kann bei bestimmten Gerichten auch verzögert ausgelöst werden.
Die Verwendung einer Insulinpumpentherapie kann zu einer besseren Blutzuckerkontrolle (8) und zu einer besseren Lebensqualität (9) führen als eine Injektionstherapie. Auch bietet eine Pumpe mehr Flexibilität, das Insulin kann beispielsweise auch an sportliche Tätigkeiten angepasst werden.
Die Insulinpumpe ist teurer und es besteht auch ein hoher Schulungsbedarf. Das Kind oder die Familie muss zum Beispiel erkennen, wenn ein Katheter verstopft ist, da sonst eine Ketoazidose droht.
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FOKUS PÄDIATRIE
Die Insulinpumpe ist heute ein gut etabliertes System bei Kindern und Jugendlichen und hilft, eine gute Blutzuckereinstellung zu erreichen. Deshalb wäre es das Ziel, dass noch mehr Kinder eine Pumpe verwenden. Doch es gibt auch Kinder, die auf keinen Fall eine Pumpe möchten.
Seit einigen Jahren sind auch sogenannte Hybrid-ClosedLoop-Systeme oder AID-Systeme (Automatische Insulin-Dosierung) verfügbar: Diese Systeme bestehen aus einer Insulinpumpe, einem CGM-System und einem Algorithmus zur automatisierten Insulinanpassung. Anhand der aktuellen Sensorglukosewerte kann die Insulinzufuhr der Insulinpumpe so gesteuert werden und die Basalinsulinzufuhr wird je nach Zuckerwert automatisch angepasst. Einige der verfügbaren Systeme sind erst ab einem bestimmten Alter einsetzbar. Der Grund ist, dass die Algorithmen erst ab einer gewissen Insulindosierung als sicher beurteilt werden. Bei den heute zugelassenen Systemen muss bei Mahlzeiten die Kohlenhydratmenge in der Pumpe eingegeben und ein Mahlzeitenbolus manuell ausgelöst werden, dies funktioniert noch nicht automatisiert.
Smart Pens Relativ neu sind die Pens mit einer automatischen Aufzeichnung der Insulindosen. Die Pens können mit einem CGM und einer App gekoppelt werden. Sie können so auch Dosierungsempfehlungen abgeben und den Benutzer warnen, wenn eine Bolusabgabe verpasst wurde. Diese Pens eignen sich beispielsweise für Kinder und Jugendliche, die keine Pumpe möchten.
Multidisziplinäre Betreuung Eigentlich stellt die ärztliche Betreuung von Kindern mit Typ1-Diabetes nur einen kleinen Teil dar und ist eingebettet in einer multidisziplinären Betreuung mit Ernährungsberatung,
Diabetesfachberatung und Psychologie und vor allem auch der Familie. Diese leiste 99% der Betreuung, betonte PD Dr. Burckhardt.
Barbara Elke
Quelle: «Typ 1-Diabetes: Therapie und Technologie». Fortbildung Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB), 25. Februar 2025, Basel
Referenzen: 1. Diabetes Control and Complications Trial (DCCT) Research Group,
Nathan DM et al.: The effect of intensive treatment of diabetes on the development and progression of long-term complications in insulindependent diabetes mellitus. N Engl J Med. 1993;329(14):977-986. doi:10.1056/NEJM199309303291401 2. Diabetes Control and Complications Trial (DCCT)/Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications (EDIC) Study Research Group: Intensive Diabetes Treatment and Cardiovascular Outcomes in Type 1 Diabetes: The DCCT/EDIC Study 30-Year Follow-up. Diabetes Care. 2016;39(5):686-693. doi:10.2337/dc15-1990 3. Haynes A et al.: Severe hypoglycemia rates are not associated with HbA1c: a cross-sectional analysis of 3 contemporary pediatric diabetes registry databases. Pediatr Diabetes. 2017;18(7):643-650. doi:10.1111/ pedi.12477 4. de Bock M et al.: International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes Clinical Practice Consensus Guidelines 2024: Glycemic Targets. Horm Res Paediatr. 2024;97(6):546-554. doi:10.1159/000543266 5. Heise T et al.: Ultra rapid lispro lowers postprandial glucose and more closely matches normal physiological glucose response compared to other rapid insulin analogues: A phase 1 randomized, crossover study. Diabetes Obes Metab. 2020;22(10):1789-1798. doi:10.1111/dom.14094 6. https://www.diabetesschweiz.ch/fileadmin/user_upload/01_Betroffene_und_Angehoerige/Services/Technische_Hilfsmittel/Insulinpumpen_DE_2024.pdf 7. Bassi M et al.: Automated Insulin Delivery (AID) Systems: Use and Efficacy in Children and Adults with Type 1 Diabetes and Other Forms of Diabetes in Europe in Early 2023. Life (Basel). 2023;13(3):783. doi:10.3390/life13030783 8. Burckhardt MA et al.: Real-world outcomes of insulin pump compared to injection therapy in a population-based sample of children with type 1 diabetes. Pediatr Diabetes. 2018;19(8):1459-1466. doi:10.1111/ pedi.12754 9. Mueller-Godeffroy E et al.: Psychosocial benefits of insulin pump therapy in children with diabetes type 1 and their families: The pumpkin multicenter randomized controlled trial [published correction appears in Pediatr Diabetes. 2020 Feb;21(1):144-145. doi: 10.1111/ pedi.12919.]. Pediatr Diabetes. 2018;19(8):1471-1480. doi:10.1111/ pedi.12777
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