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Titel
Psychiatrie – Die Zukunft des Fachgebiets stimmt mich positiv
Untertitel
Prof. Dr. med. Marc Walter Klinikleiter und Chefarzt Psychiatrische Dienste Aargau AG Windisch
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Rubrik
Rückblick 2024 / Ausblick 2025
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81111
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Psychiatrie
Prof. Dr. med. Marc Walter Klinikleiter und Chefarzt Psychiatrische Dienste Aargau AG Windisch
«Die Zukunft des Fachgebiets stimmt mich positiv»
Welche neuen Erkenntnisse des abgelaufenen Jahres in Ihrem Fachgebiet fanden Sie besonders spannend? Psychedelika wie LSD und vor allem Psilocybin zeigten in verschiedenen klinischen Studien bei ausgewählten Patientinnen und Patienten erstaunliche Resultate. Es ist spannend zu verfolgen, ob und wann Psychedelika als Medikamente zukünftig eingesetzt werden. Depression ist hierfür sicher ein Indikationsbereich, aber auch Alkoholabhängigkeit oder Traumafolgestörungen könnten künftig infrage kommen. 2024 wurden in vielen Schweizer Städten die neuen Cannabis-Pilotversuche begonnen; diese Pilotversuche werden in der nächsten Zeit zeigen, ob der legale Verkauf von Cannabis zu Genusszwecken zu besseren Präventions- und Interventionsmöglichkeiten, zu besseren Produkten und weniger Überdosierungen führt, oder ob die negativen Folgen, wie die Steigerung von problematischem Konsum und psychischen Symptomen, überwiegen. App-basierte Psychotherapien konnten in zahlreichen Studien bereits ihre Wirksamkeit bei Angst und Depression zeigen. Jetzt gibt es erste spannende Einsätze in der Praxis (z.B. mit ylah.ch). In Zukunft wird die Online-Therapie immer wichtiger werden, auch aufgrund von begrenzten Therapieplätzen im ambulanten Bereich. Derzeit ist noch unklar, unter welchen Bedingungen und für welche Patientengruppen sich welche Therapie-Apps am besten eignen. Künftige Studien werden hier mehr Aufschluss geben.
Wurden 2024 in Ihrem Fachbereich Medikamente zugelassen, die die Therapie erheblich verbessern? 2024 ist meines Wissens kein Medikament von Swissmedic für die Psychiatrie neu zugelassen worden. In Europa ist Leqembi® (Lecanemab) kürzlich zur Behandlung der Alzheimer-Demenz zugelassen worden. Für die Schweiz wird eine Zulassung des Medikaments im nächsten Jahr erwartet. 2023 wurde Quviviq® (Daridorexant) zur Behandlung der Insomnie zugelassen. Dieser Orexin-Rezeptorantagonist soll die Schlaflosigkeit verbessern, ohne die Schlafarchitektur zu beeinflussen und ohne zu einer Abhängigkeitsentwicklung zu führen. Nach positiven Studienergebnissen müssen nun die Erfahrungen in der Praxis mit dem Medikament gesammelt werden. In den letzten Jahren ist auch Spravato® (Esketamin) als Nasenspray bei therapierefraktären Depressionen zugelassen worden, mit wichtigen Fortschritten für die Praxis, da es sich um eine wirk-

same Angebotserweiterung bei schwer behandelbaren Depressionen handelt. Diese Therapie wird vor allem in ambulanten psychiatrischen Zentren angeboten, da eine Überwachung nach der nasalen Gabe erforderlich ist.
Die künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde und hat in der Medizin in gewissen Bereichen bereits Einzug gehalten. Nutzen Sie KI bereits für Ihre Arbeit? KI hat bekanntermassen viele Vorteile, aber auch Risiken. Wenn der Datenschutz gewährleistet ist, wird sie insbesondere für die vielen administrativen Aufgaben der Ärzte attraktiv sein. Das Schreiben von Verläufen und Austrittsberichten kann mit Hilfe von KI effizienter gestaltet werden. Dadurch haben die Ärzte wieder mehr Zeit für ihre Arbeit am Patienten.  Chatbots werden jetzt schon in einigen Appbasierten Interventionen eingesetzt, um diese individueller gestalten zu können. Wie beispielsweise zur Frage, wann es eine Entspannung braucht und wann eher eine Aktivierung. Hier ist die weitere Entwicklung abzuwarten. Ob der persönliche Kontakt und die wichtige Arzt-Patient-Beziehung durch KI zukünftig ganz abgelöst werden, bezweifle ich aber.  
Was hat Sie 2024 am meisten gefreut und was am meisten geärgert? Gefreut habe ich mich über das Engagement der Kolleginnen und Kollegen in der Klinik. Zu sehen, mit welchem Einsatz und welcher Kompetenz sie sich jeden Tag um die Probleme anderer Menschen kümmern und mit welcher Neugier und Offenheit die Personen ihre Arbeit leisten, freut mich immer wieder aufs Neue. Dies stimmt mich auch positiv über die Zukunft unseres Fachgebiets. Geärgert habe ich mich über die teilweise tendenziöse Berichterstattung vieler Medien zur Arbeit in der Psychiatrie und über die zunehmende Polarisierung und Vereinfachung der Meinungsbildung im psychiatrischen Bereich.
Ist 2025 in Ihrem Fachbereich etwas Besonderes zu erwarten? Wir sind an einigen klinischen Forschungsprojekten, die wir 2025 umsetzen möchten, beteiligt. Beispielsweise die Evaluation von Home-Treatment-Angeboten, die Erforschung von Online-Therapien in der Praxis und von Plazeboeffekten sowie die Untersuchung von motivierenden Gesprächsverfahren in der Akutpsychiatrie. Es bleibt abzuwarten, welche Medikamente 2025 neu zugelassen werden und welche neuen Präparate in Zukunft auf uns zukommen. Durch den Wissenszuwachs wird auch 2025 die Spezialisierung in der Psychiatrie weiter vorangetrieben werden, sodass das gesamte Fachgebiet kaum mehr abgedeckt werden kann. Umso wichtiger wird künftig das Engagement bei Aus- und Weiterbildung in unserem Fachgebiet sein, um weiter psychiatrische Behandlungen auf einem Niveau entsprechend dem aktuellen Wissensstand anbieten zu können.   

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Was ist Ihre wichtigste «Message» für die Kolleginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis? Psychotherapie hilft und sollte entsprechend den Leitlinien angewandt werden. Akutpsychiatrie ist wichtig und le-

bensnotwendig bei schweren psychischen Störungen. Wir freuen uns auf eine weiterhin erfolgreiche Zusammenarbeit.

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