Transkript
BERICHT
Viren, Stammzellen, Hautkrebs
Neues aus der Rheumatologie
Ob Rheuma vielleicht doch eine Viruserkrankung ist, welchen Stellenwert eine Stammzellinfiltration bei Arthrose hat und warum ein dermatologisches Screening bei Patienten mit rheumatoider Arthritis sinnvoll ist, erklärte Dr. Barbara Meier, RheumaClinic Bethanien, Zürich, anhand von kürzlich publizierten Studienergebnissen. Sie plädierte auch dafür, dass das Osteoporosemanagement in hausärztliche Hände gehört.
Vor dem Hintergrund, dass rheumatologische Erkrankungen Autoimmunerkrankungen sind, sei es interessant zu sehen, dass Virusinfekte zu höheren Autoantikörpertitern führen können. Dieser Zusammenhang wurde beispielsweise bei wegen COVID-19 hospitalisierten Patienten beobachtet. Bei ihnen stiegen die Titer im Vergleich zum Kontrollkollektiv unter anderem von ANA-, Anti-dsDNA-, Anti-CCP- und Anti-Cardiolipin-IgM-Autoantikörpern signifikant, dies aber ohne klinische Relevanz zu diesem Zeitpunkt (1). Um wie viel häufiger Autoimmunerkrankungen (z. B. rheumatoide Arthritis und Lupus erythematodes) nach einer SARS-CoV-2Infektion auftreten, untersuchte eine weitere Arbeit. Dieser zufolge steigt dieses Risiko um über 40 Prozent (2), was jedoch durch eine Impfung teilweise verhindert bzw. vermindert werden kann (3).
Rheumatoide Arthritis: Auf Vollremission pochen
In der Behandlung der rheumatoiden Arthritis brachte die Einführung der Biologika Anfang der 2000er-Jahre eine entscheidende Wende. Von da an sank die Inzidenz von extraartikulären Manifestationen wie zum Beispiel subkutanen Rheumaknoten markant (4). Das unterstreiche den zusätzlichen Nutzen der Biologika neben der Linderung der rheumabedingten Symptome, so Meier. Es sei auch sehr wichtig, die Patienten optimal zu behandeln, sodass sie eine Vollremission erreichen können. Gäbe man sich zufrieden mit einer zwar tiefen und milden Krankheitsaktivität, seien die radiologische Krankheitsprogression und die Funktionseinbusse der Gelenke über die Jahre stärker, wie eine Studie über zehn Jahre zeigte (5). Eine weitere wichtige Erkenntnis für die Behandlung von Rheumapatienten lieferte eine dänische Fall-Kontrollstudie: Sie hat für Patienten unter Methotrexat ein leicht erhöhtes Hautkrebsrisiko (Odds Ratio: 1,29) gefunden, das mit zunehmender kumulativer Dosis weiter ansteigt (6). Daher empfehle sich bei Patienten, die schon länger unter einer Therapie mit Methotrexat stünden, ein regelmässiges dermatologisches Screening, so Meier.
Arthrose: Gelenkinfiltration mit Stammzellen?
Zur oft gestellten Frage von Arthrosepatienten zum Stellenwert einer intraartikulären Stammzellinfiltration lässt sich
laut Meier sagen, dass diese im Vergleich zu einer Glukokortikoidinfiltration keine besseren Resultate bringt, jedoch aufwendiger und teurer ist. Das zeigte eine vierarmige Studie, die die intraartikuläre Infiltration von autologen Aspirationen von Stammzellen aus Knochenmark, Fettgewebe oder Nabelschnur mit einer intraartikulären Glukokortikoidinfiltration bei 480 Patienten mit Kniearthrose verglichen hat. Ein Jahr später wurden eine Schmerzbeurteilung und Magnetresonanztomografie durchgeführt. Das Resultat zeigte bezüglich Schmerzen keine Überlegenheit der Stammzellinjektionen gegenüber der Glukokortikoidgruppe. Zu radiografischen Veränderungen kam es in den Stammzellgruppen nach einem Jahr nicht, dies aber auch nicht in der Glukokortikoidgruppe (7). Somit sei bei aktivierter Kniearthose eine einmalige Glukokortikoidinjektion weiterhin vertretbar, so Meier. Eine eventuelle Knorpelregeneration ist zwar noch in weiter Ferne, doch weckte eine kleine Phase-I-Studie diesbezüglich Hoffnung. Nach vielversprechenden tierexperimentellen Versuchen wurde Patienten mit Kniearthrose einige Stunden vor einer geplanten Knieprothesenoperation ein Peptid (Angiopoietin-like 3-derivative LNA043) intraartikulär gespritzt. Während der Operation wurde der Knorpel untersucht und festgestellt, dass das Peptid in den Knorpel penetriert ist, keine Immunreaktion hervorruft und eine Expression von Hyalinknorpelmatrix-Komponenten induziert (8). Eine Phase-IIb-Studie ist bereits im Gang. Man darf gespannt sein. Bis dahin müssen Arthroseschmerzen jedoch noch konventionell gelindert werden. Inwiefern sich orales Cannabidiol (CBD) dazu eignet, wurde als Add-on zu Paracetamol bei schmerzhafter Kniearthrose in einer Studie doppelblind, randomisiert und plazebokontrolliert untersucht. Dazu erhielten 86 Patienten während 8 Wochen täglich entweder Paracetamol 3 g plus CBD 600 mg oder Paracetamol 3 g plus Plazebo. Nach Studienende zeigte die Veränderung in der Schmerzskala (WOMAC, Western Ontario and McMasters Universities Osteoarthritis) keinen Unterschied zwischen den Gruppen, Nebenwirkungen traten dagegen in der CBD-Gruppe häufiger auf. Damit empfiehlt sich die CBD-Gabe als Analgetikum bei Kniearthrose nicht (9).
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ARS MEDICI 21 | 2024
BERICHT
Osteoporosetherapie beim Hausarzt
Gemäss den SCOPE21-Daten der EU 27 + 2 (inkl. Schweiz) litten 2019 in der Schweiz 524 000 Personen an Osteoporose. Davon waren 78,7 Prozent Frauen und 21,3 Prozent Männer. Einer Hochrechnung zufolge erhöht sich die Anzahl der Fragilitätsfrakturen von 82 000 (2019) auf voraussichtlich 113 000 (2034), was einer Zunahme um 37,5 Prozent entspricht (10). Bisher lägen die Abklärung und Therapie der Osteoporose vor allem bei Spezialisten, doch könne dies auch sehr gut in der Grundversorgung durchgeführt werden, so Meier. Hilfreich für die Abklärung und Therapie der Osteoporose sind die Empfehlungen der Schweizerischen Vereinigung gegen die Osteoporose (SVGO) (11) https://www.svgo.ch. Diesen zufolge besteht der erste Schritt aus dem Ausfüllen des FRAX-Scores, von dem länderspezifische Versionen (auch für die Schweiz) zur Berechnung des 10-Jahres-Frakturrisikos aufgerufen werden können (QR-Link). Aufgrund des errechneten Risikos und des Alters kann der Patient in eine Risikoklasse (tief bis mittel, hoch, sehr hoch) eingeteilt werden. Abgestimmt auf die Risikoklasse hat die SVGO in ihren Empfehlungen das therapeutische Vorgehen skizziert (11): Bei Patienten mit sehr hohem Frakturrisiko wird Teriparatid für 18 bis 24 Monate empfohlen, gefolgt von einem Antiresorptivum (Bisphosphonat [Alendronat, Risedronat, Ibandronat] oder Denosumab). Bei Patienten mit sehr hohem Risiko für eine Hüftfraktur wird Zoledronat einmal jährlich empfohlen, wenn die Nierenfunktion nicht beeinträchtigt ist (Kreatinin-Clearance > 35 ml/min). Alternativ kann auch Denosumab in Betracht gezogen werden. Bei allen Patienten mit sehr hohem Risiko für «major fractures» wird Romosozumab auch als Erstlinientherapie für ein Jahr empfohlen, gefolgt von einem Antiresorptivum (Bisphosphonat oder Denosumab). Bei Hochrisikopatienten, einschliesslich derer, die Glukokortikoide, Aromatasehemmer oder Androgensuppressiva ein-
Linktipps
SVGO-Empfehlungen: www.rosenfluh.ch/qr/svgo-guidelines
FRAX-Rechner für die Schweiz: www.rosenfluh.ch/qr/frax-ch
nehmen, wird ein starkes Antiresorptivum empfohlen. Alter-
nativ kann auch Teriparatid in Betracht gezogen werden,
wenn eine Wirbelfraktur oder eine Wirbelsäulen-BMD mit
einem T-Score < –3,5 besteht. Bei Frauen mit mittlerem Risiko, die keine Östrogenersatz- therapie erhalten, sollten selektive Östrogenrezeptormodula- toren (SERM) wie Raloxifen, eventuell orale Bisphosphonate erwogen werden, wenn Knochenumsatzmarker wie CTx und P1NP über dem Schwellenwert der Prämenopause liegen. Bei allen Patienten mit mittlerem bis sehr hohem Fraktur- risiko empfiehlt die Guideline eine Wiederholung der Kno- chendichtemessung nach zwei Jahren und eine Neubewer- tung des Frakturrisikos, bevor eine Entscheidung über die Fortsetzung der Behandlung getroffen wird. Bei Personen mit niedrigem Risiko sollten Massnahmen zum Lebensstil, Vitamin-D-Präparate (800–1000 IU/d) ± Kalzium (500–1000 mg/d) und eine Wiederholung der DXA-Untersu- chung nach fünf bis zehn Jahren angeboten werden oder wenn das klinische Risiko steigt (11). s Valérie Herzog Quelle: «Neues aus der Rheumatologie», FOMF Rheumatologie Update Refresher, 25. Juni 2024. Referenzen: 1. Bitzogli K et al.: Incidence of autoantibodies related to systemic autoim- munity in patients with severe COVID-19 admitted to the intensive care unit. Clin Exp Rheumatol. 2023 May;41(5):1024-1033. 2. Tesch F et al.: Incident autoimmune diseases in association with SARSCoV-2 infection: a matched cohort study. Clin Rheumatol. 2023 Oct; 42(10):2905-2914. doi: 10.1007/s10067-023-06670-0. 3. Peng K et al.: Risk of autoimmune diseases following COVID-19 and the potential protective effect from vaccination: a population-based cohort study. EClinicalMedicine. 2023 Aug 16;63:102154. doi: 10.1016/j.eclinm. 2023.102154. 4. Kimbrough BA et al.: Decline in incidence of extra-articular manifestations of rheumatoid arthritis: a population-based cohort study. Arthritis Care Res. 2024 Apr; 76(4):454-462. doi: 10.1002/acr.25231. 5. Ruyssen-Witrand A et al.: Ten-year radiographic and functional outcomes in rheumatoid arthritis patients in remission compared to patients in low disease activity. Arthritis Res Ther. 2023;25(1):207. doi:10.1186/ s13075-023-03176-7. 6. Polesie S et al.: Use of methotrexate and risk of skin cancer: a nationwide case-control study. Br J Cancer. 2023;128(7):1311-1319. doi:10.1038/s41416023-02172-7. 7. Mautner K et al.: Cell-based versus corticosteroid injections for knee pain in osteoarthritis: a randomized phase 3 trial. Nat Med. 2023;29:3120-3126. 8. Gerwin N et al.: Angiopoietin-like 3-derivative LNA043 for cartilage regeneration in osteoarthritis: a randomized phase 1 trial. Nat Med. 2022;28:2633-2645. 9. Pramhas S et al.: Oral cannabidiol (CBD) as add-on to paracetamol for painful chronic osteoarthritis of the knee: a randomized, double-blind, placebo-controlled clinical trial. Lancet Reg Health Eur. 2023;35:100777. 10. SCOPE’21 Scorecard for Osteoporosis in Europe. Zahlen für die Schweiz. https://www.rosenfluh.ch/qr/scope21_ch 11. Ferrari S et al.: 2020 recommendations for osteoporosis treatment according to fracture risk from the Swiss Association against Osteoporosis (SVGO). Swiss Med Wkly. 2020;150:w20352. doi:10.4414/smw.2020.20352. 506 ARS MEDICI 21 | 2024