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Behandlung der diabetischen Nierenerkrankung
Organprotektive Medikamente wählen
Dank des Zuwachses an Evidenz zur Behandlung von Typ-2-Diabetikern mit Nierenerkrankung ist es heute möglich geworden, mit der Therapie nicht nur den Blutzucker zu senken, sondern gleichzeitig die Niere und das Herz zu schützen. Die Wahl solcher Therapien mit belegtem kardiorenalen Nutzen ist in der Konsensuserklärung der Schweizer Gesellschaften für Diabetes (SGED) und Nephroplogie (SGN) empfohlen.
In der Hausarztpraxis würden über kurz oder lang immer mehr Patienten mit Nierenerkrankungen zu behandeln sein, prognostizierte Dr. Anne Zanchi, Nephrologie und Endokrinologie, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV), Lausanne, am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM). Allein unter den Patienten mit Typ-2-Diabetes entwickeln etwa 40 Prozent eine Nierenerkrankung. Patienten mit diabetischer Nierenerkrankung (DKD) haben wiederum ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, und die meisten von ihnen versterben an kardialen Ursachen, bevor sie das terminale Stadium der chronischen Nierenerkrankung erreichen (1). Ziel einer Behandlung ist es daher, die Lebensqualität zu verbessern, das kardiovaskuläre Risiko zu senken und den Abfall der glomerulären Filtrationsrate (GFR) zu verlangsamen. Diese Ziele können nach einer fast 20-jährigen therapeutischen Durststrecke mit den seit einiger Zeit verfügbaren Therapien mit SGLT2-Hemmern, Finerenon und nun auch GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA) besser erreicht werden. Dieser Zuwachs an Evidenz habe die Grundlage für eine Konsensuserklärung der Schweizer Gesellschaften für Diabetes und für Nephrologie zur Behandlung der DKD (2) geliefert, wie Erstautorin Zanchi berichtete.
Nephropathiescreening bei jedem Diabetespatienten
Bei Patienten mit Diabetes sei die geschätzte GFR (eGFR) allein kein guter Marker zur Identifizierung einer Nierenerkrankung, weil die Nierendysfunktion damit erst sehr spät (Cut-off: < 60 ml/min/1,72 m3) entdeckt werde, so Zanchi. Die Albuminexkretion im Urin beginnt dagegen schon früher anzusteigen, während die eGFR noch hoch ist. Deshalb sollten in der Hausarztpraxis bei allen Patienten mit Typ-2Diabetes 1-mal jährlich die eGFR und der Albumin-Kreatinin-Quotient bestimmt werden. Mit diesen beiden Werten kann anhand der KDIGO-Screening-Tabelle (3) das Stadium der chronischen Nierenerkrankung bestimmt werden, was Implikationen auf die daraus folgende Therapie hat. Doch nicht jede Nephropathie hat diabetische Ursachen, etwa 20 Prozent sind durch nicht diabetische Ursachen ausgelöst. Das Vorliegen einer Retinopathie ist ein starker Indikator für eine diabetische Ursache der Nephropathie, das Fehlen einer Retinopathie könnte allerdings auf eine nicht
diabetische Ursache hinweisen. Zu weiteren Red Flags für eine nicht diabetische Nephropathie zählen: s persistierende Hämaturie, aktives Sediment s rascher und anhaltender eGFR-Abfall (> 5mml/min/1,72 m3
pro Jahr) s inadequate eGFR für das Alter (< 40 Jahre: eGFR < 75;
40–65 Jahre: eGFR < 60; über 65 Jahre: eGFR < 45 ml/min/1,72 m3) s nephrotisches Syndrom s Familienanamnese für hereditäre Nierenerkrankung s resistente Hypertonie: > 140/90 mm/Hg trotz antihypertensiver Dreifachtherapie (Diuretikum, RAS[Renin-Angiotensin-System]-Blocker und Kalziumantagonist) s eGFR-Reduktion von < 30 Prozent bei Beginn einer RAS-Blocker-Therapie.
Therapie: Metformin und SGLT2-Hemmer
Die Behandlung bei DKD-Patienten besteht zunächst aus einer konsequenten Blutzuckersenkung, denn Hyperglykämien sind der Haupttreiber für die Entwicklung einer Nephropathie. Ziel ist deshalb die Erhaltung des HbA1c auf Werte < 7 Prozent beziehungsweise < 6,5 Prozent bei jungen Patienten. Ein kontinuierliches Glukosemonitoring (CGM) kann dabei helfen, Abweichungen früh zu erkennen und zu korrigieren. Ablesbar ist mit diesen Systemen auch die Zeit inner- oder ausserhalb der Zielwerte (time in range, TIR). SGLT2-Hemmer bewirken zusätzlich zur Blutzuckersenkung eine signifikante Verbesserung des renalen Outcomes um 38 Prozent, wie eine Metaanalyse von grossen plazebokontrollierten Studien zeigte (4). Dieser Effekt trete unabhängig von der Blutzuckerkontrolle auf und sei bei schwerer Albuminurie noch deutlicher, so Zanchi. Zu bedenken sei, dass es bei Therapiebeginn mit SGLT2-Hemmern zu einer anfänglichen Reduktion der eGFR kommen könne, die sich aber innerhalb von 3 Monaten wieder erhole und anschliessend weniger stark abfalle als ohne diese Therapie. In den grossen Studien hätten diese Therapien schliesslich zu einer Risikoreduktion für akute Nierenschädigung um etwa 20 Prozent geführt, so Zanchi. Deshalb empfehlen die Schweizer Gesellschaften für Diabetologie und Nephrologie in ihrem Konsensusstatement bei Typ-2-Diabetes nebst der Lebensstilanpassung eine Therapie mit Metformin und SGLT2-Hemmern (1). Praktischer Nebeneffekt einer SGLT2-Hemmer-Therapie ist der Gewichtsverlust. Dieser entsteht aufgrund der Hemmung
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BERICHT
der Glukoserückresorption im proximalen Nierentubulus und der daraus folgenden Senkung der Glukoseausscheidung im Urin um etwa 60 bis 100 g/Tag, was zu einer Kalorienreduktion von 240 bis 320 kcal/Tag und zu einem Gewichtsverlust von 2 bis 3 Kilo in 6 Monaten führt. Dieser Mechanismus ermögliche ausserdem auch eine einfache Überprüfung der Compliance: Bei regelmässiger Einnahme eines SGLT2Hemmers sei die Glukose im Urin mit Teststreifen messbar, so der Tipp der Referentin. Als weiterer positiver Nebeneffekt kommt es durch osmotische Diurese zu einer Blutdrucksenkung von 5 mmHg systolisch und 2 mmHg diastolisch. Die diuretische Wirkung führt aber auch zu einer Volumendepletion, die bei gebrechlichen alten Personen rasch problematisch werden kann. Zu den negativen Nebeneffekten gehören aufgrund des hohen Zuckergehalts im Urin häufig auftretende Genitalmykosen (5–10%), die aber mit einem topischen Antimykotikum bei Auftreten einfach behandelt werden können. Als weitere, jedoch seltene Nebenwirkung (< 0,1%) kann es zu einer Ketoazidose kommen, dies meist im Zusammenhang mit Krankheit. Um dem vorzubeugen, soll der SGLT2-Hemmer bei Unwohlsein und Krankheitsgefühl pausiert werden (sick day rule) und vorübergehend durch Insulin ersetzt werden, so auch bei geplanten Operationen. Bei einer sehr geringen Nierenfunktion (eGFR < 45 ml/ min/1,72 m3) sei die blutzuckersenkende Wirkung eines SGLT2-Hemmers eingeschränkt, zur Organprotektion von Herz und Niere könne er aber weiterhin gegeben werden, so Zanchi. Auch der GLP-1-RA Semaglutid verlangsamt den eGFR-Abfall und reduziert das Risiko für schwere renale Ereignisse und kardiovaskulären Tod signifikant bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und chronischer Nierenerkrankung, wie die kürzlich publizierte FLOW-Studie zeigte (5).
Blutdruck und Lipide senken
Bei der grossen Mehrheit der Patienten mit Typ-2-Diabetes treten Hypertonie und Diabetes zusammen auf. Eine antihypertensive Therapie ist sowohl für das kardiovaskuläre als auch für das renale Ergebnis bei Patienten mit Typ-2-Diabetes vorteilhaft und gehört zur Standardbehandlung für diese Patientengruppe (2). Je nach Guideline weichen die Blutdruckzielwerte aber voneinander ab. Ein Zielwert von < 140/90 mmHg hat eine starke Evidenz für den Schutz von Herz und Nieren, während ein Zielwert von <130 mmHg eine starke Evidenz für die Verringerung von Hirnschlägen aufweist. Sowohl ACE-Hemmer als auch Angiotensinrezeptorblocker (ARB) reduzieren das Fortschreiten der Albuminurie bei DKD wirksamer als andere Medikamentenklassen. Die renoprotektiven Wirkungen gehen über die blutdrucksenkende Wirkung hinaus. Sie werden als Erstlinientherapie empfohlen (2). Darüber hinaus deuten Beobachtungsstudien darauf hin, dass eine gezielte Senkung der Albuminurie ebenfalls wichtig ist, auch bei Patienten mit einem systolischen Blutdruck zwischen 130 und 140 mmHg. Ist die maximal verträgliche Dosis der RAS-Blockade erreicht, ist die Zugabe eines SGLT2-Hemmers und/oder von Finerenon eine Option zur weiteren Verringerung der Albu-
minurie (2). Finerenon ist ein potenter und selektiver nicht
steroidaler Mineralokortikoidrezeptorantagonist (MRA),
der im Gegensatz zu den steroidalen MRA Spironolacton
und Eplerenon keine Gynäkomastie induziert. Bei Patienten
mit Typ-2-Diabetes und chronischer Nierenerkrankung re-
duziert Finerenon zusätzlich zur Standardtherapie das Risiko
für klinisch relevante kardiovaskuläre und renale Verschlech-
terungen, wie die FIDELITY-Studie zeigte (6). Finerenon
kann zu einer Hyperkaliämie führen, daher soll der Kalium-
spiegel nach 1, 4 und nach 16 Wochen bestimmt und die
Therapie bei einem Anstieg > 5,5 mmol/l gestoppt werden.
Bei Patienten mit DKD (eGFR ≥ 25 ml/min/1,72 m3 und
Kalium ≤ 5,5 mmol/l) soll laut Zanchi aufgrund der Evidenz
der nicht steroidale MRA Finerenon bevorzugt werden. Bei
Patienten mit Herzinsuffizienz, resistenter Hypertonie und
Hyperaldosteronismus sei dagegen ein steroidaler MRA (Spi-
ronolacton, Eplerenon) indiziert.
Eine weitere Therapiemassnahme bei DKD-Patienten ist die
Lipidsenkung. Zu hohe LDL(low-density lipoprotein)-Cho-
lesterin-Werte bergen ein hohes bis sehr hohes kardiovasku-
läres Risiko. Dieses kann mit hoch wirksamen Statinen (Ro-
suvastatin, Atorvastatin) und/oder Ezetimibe wie auch mit
PCSK9-Hemmern auf LDL-C-Werte < 1,8 mmol/l bezie- hungsweise < 1,4 mmol/l gesenkt werden. Im Gegensatz zu früher stünden nun Therapien für Patienten mit DKD mit belegtem kardiorenalen Nutzen zur Verfügung. Dazu gehörten RAS-Blocker, Statine (nur Herz), SGLT2-Hem- mer, GLP-1-RA und Finerenon. Daher sei es angezeigt, die Typ-2-Diabetes-Patienten auf DKD mittels eGFR-Wert und ACR-Quotient zu screenen und im positiven Fall zu behan- deln, so die Referentin abschliessend. s Valérie Herzog Quelle: «Diabetic kidney disease in type 2 diabetes: a consensus statement from the Swiss Societies of Diabetes and Nephrology». Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM), 29. bis 31. Mai 2024, Basel. Referenzen: 1. Tuttle KR et al.: Moving from evidence to implementation of breakthrough therapies for diabetic kidney disease. Clin J Am Soc Nephrol. 2022;17(7):10921103. doi:10.2215/CJN.02980322. 2. Zanchi A et al.: Diabetic kidney disease in type 2 diabetes: a consensus statement from the Swiss Societies of Diabetes and Nephrology. Swiss Med Wkly. 2023;153:40004. doi:10.57187/smw.2023.40004. 3. Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) CKD Work Group. KDIGO 2024 Clinical Practice Guideline for the Evaluation and Management of Chronic Kidney Disease. Kidney Int. 2024;105(4S):S117-S314. 4. Nuffield Department of Population Health Renal Studies Group; SGLT2 Inhibitor Meta-Analysis Cardio-Renal Trialists› Consortium: Impact of diabetes on the effects of sodium glucose co-transporter-2 inhibitors on kidney outcomes: collaborative meta-analysis of large placebo-controlled trials. Lancet. 2022;400(10365):1788-1801. doi:10.1016/S0140-6736(22)02074-8. 5. Perkovic V et al.: Effects of Semaglutide on Chronic Kidney Disease in Patients with Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2024;391(2):109-121. doi:10.1056/ NEJMoa2403347. 6. Agarwal R et al.: Cardiovascular and kidney outcomes with finerenone in patients with type 2 diabetes and chronic kidney disease: the FIDELITY pooled analysis. Eur Heart J. 2022;43(6):474-484. doi:10.1093/eurheartj/ ehab777 Kurzfassung des Konsensusstatements der SGED und SGD: Diabetische Nierenkrankheit bei Typ-2-Diabetes https://www.rosenfluh.ch/qr/konsensus-dkd www.sgedssed.ch 480 ARS MEDICI 20 | 2024