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EDITORIAL
Rauchprävention – der lange Weg zur Einsicht
Die vorliegende Ausgabe von ARS MEDICI informiert neben interessanten Forschungsergebnissen aus den Bereichen Allergologie und HNO auch über neue Entwicklungen auf dem Gebiet der Pneumologie. Keine neue Erkenntnis ist, dass Lungenkrankheiten wie zahlreiche weitere gesundheitliche Störungen mit dem Tabakrauchen, auch mit dem passiven, in Beziehung stehen. Asthma, COPD, Bronchitis, Tuberkulose oder Bronchialkarzinome – all diese pneumologischen Krankheitsbilder werden durch das Rauchen wenn auch nicht allein verursacht, aber doch erwiesenermassen in ihrer Entstehung begünstigt und, falls es trotz Bestehens einer solchen Erkrankung nicht aufgegeben wird, auch in ihrer eventuell möglichen Heilung behindert. Was liegt da – wie bei vielen anderen gesicherten UrsacheWirkungs-Zusammenhängen auch – näher, als Risiken zu minimieren, bevor die Folgen manifest werden, welche sich dann dank der Fortschritte der Medizin zwar grösstenteils immer besser bekämpfen, aber eben nicht vollumfänglich beseitigen lassen? Aus rein medizinischer Sicht sicherlich nichts, und so hat das Thema Prävention, nicht nur hinsichtlich der Gefahren durch das Rauchen inzwischen an Bedeutung gewonnen und weit in das gesellschaftliche Bewusstsein hinein verändernd gewirkt. Doch, und das ist das Dilemma, der Mensch dient nicht der Medizin, sondern die Medizin dem Menschen, welcher sein Leben im Spannungsfeld vielfältiger, oft widersprüchlicher Interessen, Neigungen und Anreize möglichst frei und selbstbestimmt gestalten will und soll. Da er dies als soziales Wesen allerdings nie allein und gänzlich unabhängig tun kann und tun darf, kommt als Regulativ wie überall die Politik ins Spiel, die neben einem Interessenausgleich vor allem Sorge dafür zu tragen hat, den Schutz der-
jenigen sicherzustellen, die (noch) nicht eigenverantwortlich
handeln können, allen voran Kinder und Jugendliche.
In punkto Rauchprävention tritt als vorläufiges Ergebnis eines
lange Jahre währenden Prozesses politischer Willensbildung
am 1. Oktober 2024 das neue Tabakproduktegesetz in Kraft,
das, so steht es auf derWebseite des Bundesamts für Gesund-
heit (BAG), «die Menschen vor den schädlichen Auswirkun-
gen des Tabak- und Nikotinkonsums schützen» soll (1). We-
sentliche Eckpunkte beinhalten kantonsübergreifend ein
Verkaufsverbot von Tabakprodukten und E-Zigaretten an
Minderjährige, Werbeeinschränkungen, überarbeitete Warn-
hinweise auf den Produkten, die Erweiterung des Passivrauch-
schutzes in Innenräumen auf E-Zigaretten und Tabakerhitzer
sowie eine zukünftig auch auf Letztere anfallende Besteue-
rung. Daraus wird unschwer klar, dass es hier nicht nur um ein
Austarieren von persönlicher Freiheit und Gesundheitsschutz
geht, sondern dass im Grundsatz nachvollziehbare und
durchaus berücksichtigungswürdige finanzielle Begehren de-
rer erschwerend hinzukommen, welche bis anhin mit ent-
sprechenden Produkten ihr Geld verdient haben.
Der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz auf der
anderen Seite geht das neue Gesetz längst nicht weit genug
(2). Sie beklagt, dass Werbung und Verkaufsförderung für Ta-
bakprodukte sowie Sponsoring zumindest nationaler Veran-
staltungen durch die Tabakindustrie auch zukünftig weitge-
hend erlaubt blieben und mithin, wenn auch indirekt,
Jugendliche erreichten und es kaum Kontrollmöglichkeiten
zur Einhaltung der Bestimmungen gebe. Darüber hinaus
warte die seit Februar 2022 durch die Mehrheit der Bevölke-
rung und 15 Stände angenommene Volksinitiative «Ja zum
Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung (Kin-
der ohne Tabak)» nach wie vor auf ihre verfassungskonforme
Umsetzung.
Nicht nur diejenigen, die am eigenen Leib oder im persönli-
chen Umfeld die Konsequenzen zu tragen haben, mögen an-
ders darüber denken, doch in einer freien Gesellschaft ist
Gesundheit ein notwendiges Gut, aber eben nur eines von
vielen subjektiv ebenso wichtigen Themen. Und ganz gleich,
wie lange es dauert, Gesetze zu erlassen – kollektive Einsich-
ten brauchen stets länger …
s
Ralf Behrens
1. Bundesamt für Gesundheit (BAG): Tabakproduktegesetz, https://www. bag.admin.ch/bag/de/home/strategie-und-politik/politische-auftraege-und-aktionsplaene/politische-auftraege-zur-tabakpraevention/tabakpolitik-schweiz/tabpg.html
2. «Neues Gesetz für Tabak- und Nikotinprodukte mit Defiziten», Medienmitteilung der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz vom 28.8.24, https://www.at-schweiz.ch/de/news-medien/news/neues-gesetz-mit-defiziten/
ARS MEDICI 19 | 2024
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