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Gewichtsreduktion bei Diabetes
Nicht nur Übergewichtige profitieren
BERICHT
Die Entstehung des Typ-2-Diabetes ist heute besser erforscht. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Fett in der Leber, was eine ganze Reihe von Veränderungen im Stoffwechsel auslöst. Prof. Roy Taylor, Department of Medicine and Metabolism, University of Newcastle (UK), präsentierte neue Erkenntnisse zur Entstehung der Krankheit und zeigte auf, wann eine Gewichtsreduktion die Stoffwechsellage verbessert und wieso nicht nur übergewichtige Patienten davon profitieren können.
Bei Gesunden werden nach einer Mahlzeit die Kohlenhydrate einerseits direkt für den Energiegewinn oxidiert; etwa bis zu 30 Prozent können als Glykogen im Muskel gespeichert werden, der Rest gelangt in die Leber und wird dort grösstenteils als Glykogen gespeichert und ein kleiner Teil in Fett umgewandelt. Während der Nacht wird dann das Glykogen wieder in Glukose verwandelt und dem Körper zurückgegeben (1). Wenn nun im Muskel eine Insulinresistenz auftritt, kann die Glukose aus der Nahrung dort nicht mehr als Glykogen gespeichert werden. Die Stoffwechselwege verändern sich. Die Oxidation und die Glykogenspeicherung in der Leber sind begrenzt und können nicht wesentlich erhöht werden. Es bleibt die Lipogenese in der Leber, die Umwandlung von Glukose in Fett. Produziert werden vor allem gesättigte Fettsäuren, vor allem das Palmitat. Bei einem erhöhten Fettgehalt in der Leber kommt es zur hepatischen Insulinresistenz, das heisst, die insulinvermittelte Hemmung der Glukosebildung kann weniger unterdrückt werden (2). So wurde die Hypothese formuliert, dass es nach jahrelanger, auch geringer positiver Kalorienbilanz zu einer erhöhten Synthese von Fett in der Leber kommt. Der Anteil von Fett in der Leber steigt an, und mehr synthetisierte Fette gelangen ins Blut. Man weiss, dass die gesättigten Fettsäuren, speziell das Palmitat, die Funktion der Betazellen im Pankreas vermindern können. Die schlechtere postprandiale Blutzuckerkontrolle lässt die Blutglukose weiter steigen, sodass die Leber noch mehr mit Glukose belastet wird und ein Teufelskreis in Gang kommt (3). Man versuchte diese Hypothese zu bestätigen, indem man prüfte, ob der Vorgang auch reversibel ist. In einer Studie hat man bei Patienten, bei denen vor maximal 4 Jahren ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert wurde, eine Diät mit starker Kalorienreduktion durchgeführt, die zu einem raschen Gewichtsverlust führte. Schon zu Beginn der Reduktionsdiät konnten die oralen Antidiabetika abgesetzt werden. Die Plasmaglukose sank innert 7 Tagen auf normale Werte. In der Magnetresonanzbildgebung konnte man feststellen, dass nicht nur die Fettpolster subkutan schmolzen, sondern dass der Fettgehalt der Leber von 36 auf 2 Prozent sank. In der 8 Wochen dauernden Studie zeigte sich, dass sich die Leberin-
sulinsensitivität normalisierte und die Plasmatriglyzeride rasch sanken. Auch die Funktion der Betazellen erholte sich während der 8-wöchigen Diät langsam. Die Patienten waren in Remission. Die Insulinsensitivität des Muskels veränderte sich allerdings nicht (4). Eine spätere Studie zeigte, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Remission davon abhing, wie lange der Typ-2-Diabetes bereits bestand. Patienten, die durch den Gewichtsverlust eine Remission erreichten, konnten die verbesserte Stoffwechselkontrolle beibehalten, wenn sie wieder isokalorisch assen, also ihr Körpergewicht beibehielten (5). Das legt nahe, dass zu Beginn der Diabeteserkrankung die Betazellen nicht absterben, sondern in ihrer Funktion gestört sind, was in der ersten Zeit reversibel ist. In der DIRECT(Diabetes Remission Clinical Trial)-Studie setzte man die 8-wöchige Gewichtsreduktion und anschliessende Gleichgewichtsphase in der medizinischen Praxis um, indem die Patienten eine Ernährungsberatung erhielten. Während die Personen in der Interventions- und der Kontrollgruppe zu Beginn eine ähnliche Stoffwechselsituation aufwiesen, konnten vor allem diejenigen Patienten eine Remission erreichen, deren Diabetesdauer von kürzerer Dauer war (6). Da ja die in der Leber synthetisierten Fette die Funktion der Betazellen beeinträchtigen, untersuchte die DIRECT-Studie auch, wie sich nach der Reduktionsdiät die Triglyzeride und der VLDL-Gehalt verändern. Bei Patienten, die eine Remission erreichten, normalisierten sich die Werte praktisch vollständig (6, 7). Nach einer 2-jährigen Beobachtung der Studienteilnehmer konnte man zeigen, dass Patienten, die eine Remission erreichten, auch nach 2 Jahren noch eine normale Betazellfunktion hatten (8). Bei Patienten, die nach dem initialen Gewichtsverlust in Remission gelangt waren, aber dann wieder an Gewicht zugenommen hatten, verschlechterten sich die Lipidparameter wieder, und auch der Fettgehalt im Pankreas stieg wieder an (9).
Auch Normalgewichtige profitieren
Rund 1 von 6 Diabetikern (Kaukasier) ist nicht übergewichtig, hat also einen Body-Mass-Index (BMI) von < 27. Somit ist der Diabetes nicht allein eine Folgekrankheit des Überge-
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wichts. Prof. Taylor betonte, dass wohl jeder Patient einen
persönlichen Fettschwellenwert für die Auslösung der Stoff-
wechselveränderungen habe. Viele nach BMI-Definition
nicht übergewichtige Patienten haben trotzdem im Verlauf
der Jahre an Gewicht zugenommen, ausgehend von einem
tiefen Startgewicht.
Die normalgewichtigen Diabetiker haben wohl eine gerin-
gere Kapazität, das Fett subkutan zu speichern, und die un-
günstige Stoffwechselentwicklung startet früher (10). «Diese
Hypothese konnten wir mit einer kürzlich publizierten Studie
bestätigen», betonte Prof. Taylor. Auch bei diesen normal-
gewichtigen Diabetikern führte ein 5-prozentiger Gewichts-
verlust bei 70 Prozent der Patienten zu einer Remission, mit
einer Senkung des Leberfetts, des VLDL und des HbA1c (11).
70 Prozent der schlanken Diabetiker kamen also dank eines
Gewichtsverlusts in Remission.
s
Barbara Elke
Quelle: 45th ESPEN Congress on Clinical Nutrition & Metabolism, Lyon, Frankreich, 11.–14. 09.2023: Mechanisms of type 2 diabetes reversal, Prof. Roy Taylor, Director of Newcastle Magnetic Resonance Centre, Newcastle University (UK).
Literatur: 1. Taylor et al.: Direct measurement of change in muscle glycogen concen-
tration after a mixed meal in normal subjects. Am J Physiol 1993; 265(2 Pt 1):E224-E229. 2. Carey PE et al.: Direct assessment of muscle glycogen storage after mixed meals in normal and type 2 diabetic subjects. Am J Physiol Endocrinol Metab. 2003;284(4):E688-E694. doi: 10.1152/ajpendo.00471.2002. 3. Taylor R: Pathogenesis of type 2 diabetes: tracing the reverse route from cure to cause. Diabetologia. 2008;51(10):1781-1789. doi: 10.1007/s00125008-1116-7. 4. Lim EL et al.: Reversal of type 2 diabetes: normalisation of beta cell function in association with decreased pancreas and liver triacylglycerol. Diabetologia. 2011;54(10):2506-2514. doi: 10.1007/s00125-011-2204-7. 5. Steven S et al.: Very Low-Calorie Diet and 6 Months of Weight Stability in Type 2 Diabetes: Pathophysiological Changes in Responders and Nonresponders. Diabetes Care. 2016;39(5):808-815. doi: 10.2337/dc15-1942. 6. Taylor R et al.: Remission of Human Type 2 Diabetes Requires Decrease in Liver and Pancreas Fat Content but Is Dependent upon Capacity for β-Cell Recovery. Cell Metab. 2018;28(4):547-556.e3. doi: 10.1016/j. cmet.2018.07.003. 7. Al-Mrabeh A et al.: Hepatic Lipoprotein Export and Remission of Human Type 2 Diabetes after Weight Loss. Cell Metab. 2020;31(2):233-249.e4. doi: 10.1016/j.cmet.2019.11.018. 8. Zhyzhneuskaya SV et al.: Time Course of Normalization of Functional β-Cell Capacity in the Diabetes Remission Clinical Trial After Weight Loss in Type 2 Diabetes. Diabetes Care. 2020;43(4):813-820. doi: 10.2337/dc19-0371. 9. Al-Mrabeh A et al.: Hepatic Lipoprotein Export and Remission of Human Type 2 Diabetes after Weight Loss. Cell Metab. 2020;31(2):233-249.e4. doi: 10.1016/j.cmet.2019.11.018. 10. Taylor R, Holman RR: Normal weight individuals who develop type 2 diabetes: the personal fat threshold. Clin Sci (Lond). 2015;128(7):405-410. doi: 10.1042/CS20140553. 11. Taylor R et al.: Aetiology of Type 2 diabetes in people with a «normal» body mass index: testing the personal fat threshold hypothesis. Clin Sci (Lond). 2023;137(16):1333-1346. doi: https://doi.org/10.1042/CS20230586.
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