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BERICHT
Aktive Ältere impfen
«Planen Sie Impftermine für Ihre Senioren»
Senioren heutzutage sind aktive Menschen. Dennoch haben sie infolge von Grunderkrankungen und altersbedingtem Nachlassen des Immunsystems ein erhöhtes Risiko für Infekte. Einige davon lassen sich durch Impfungen verhindern beziehungsweise deren Risiken vermindern. Dazu gehören beispielsweise Impfungen gegen Tetanus, Pneumokokken, Herpes zoster, Grippe und COVID-19. Welche zusätzlichen Vorteile das ausserdem habe, erklärte Dr. Daniel Desgrandchamps, Leiter Spezialimpfsprechstunde Kantonsspital Zug, Baar.
Im Schweizerischen Impfplan sind für ≥ 65-jährige diverse Impfungen beziehungsweise Kontrollen empfohlen (1): s Basisimpfung: Diphterie-Tetanus-Pertussis (DTpa) alle 10
Jahre s Impfstatuskontrolle: Poliomyelitis und Hepatitis B s ergänzende Impfungen: Pneumokokken-Konjugatvak-
zine (PCV) 1-malig, Herpes zoster (2 Dosen im Abstand von 2 Monaten) und Grippe (jährlich mit dem Hochdosisimpfstoff) s mögliche weitere Empfehlungen auf Ende 2024: COVID19 und RSV (respiratory syncytial virus).
Grippe erhöht kardiovaskuläre Ereignisse
Bei Personen > 65 Jahre steigt die Rate für influenzabedingte Hospitalisierungen und Todesfälle mit zunehmendem Alter. Im Vergleich zu 65-Jährigen haben > 85-Jährige ein 6-fach höheres Hospitalisierungsrisiko (2). Gemäss klinischen Studien ist Influenza ein Trigger für kardiovaskuläre Ereignisse: Das Myokardinfaktrisiko ist innerhalb von 1 Woche nach Influenza 6- bis 10-fach erhöht (3, 4), das Risiko für Hirnschlag ist 3- bis 8-fach höher während längerer Zeit nach der Grippe (5), und Morbidität und Mortalität bei Herzinsuffizienz steigen um bis zu 20 Prozent (6). Auch Diabetespatienten mit einer Influenza haben ein erhöhtes Risiko für Komplikationen und Mortalität. Mit einer Grippeimpfung verringert sich aber nicht nur das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, sondern auch jenes für Demenz. Das zeigte eine Untersuchung an einer grossen amerikanischen Veteranenkohorte mit 66 822 geimpften und 56 925 ungeimpften ≥ 65-jährigen Teilnehmern. Die Patienten mit > 6 Grippeimpfungen zeigten gegenüber jenen ohne Grippeimpfungen eine Risikoreduktion von 12 Prozent. Bei jenen mit weniger als 6 Impfungen war der Unterschied nicht signifikant (7). Dass die regelmässige Grippeimpfung vor Demenz schützen könnte, wurde in einer weiteren grossen retrospektiven, Propensity-gematchten Studie mit 937 887 geimpften/ungeimpften Match-Paaren ≥ 65 Jahre gestützt. Nach 4 Jahren Follow-up hatten 5,1 Prozent der geimpften und 8,5 Prozent der ungeimpften Teilnehmer eine AlzheimerDemenz entwickelt, was einer relativen Risikoreduktion von
60 Prozent entspricht und eine NNT (number needed to treat) von 29,4 ergibt (8). Die Wirksamkeit der Grippeimpfung lag in den Jahren von 2015 bis 2020 je nach Übereinstimmung mit den kursierenden Virenstämmen zwischen 40 und 50 Prozent (9), was sicher noch verbesserungsfähig sei, so Degrandchamps. Für die kommende Grippesaison stehen neben den standarddosierten quadrivalenten Influenzaimpfstoffen (Fluarix®, Influvac®, Flucelvax®, Vaxigrip®) eine hoch dosierte quadrivalente Grippeimpfung mit 4-fach erhöhter Antigenmenge (Efluelda®) zur Wirkungsverstärkung zur Verfügung. Der hoch dosierte Impfstoff zeigte in einer Studie im Vergleich zum konventionellen Impfstoff eine um 27 Prozent höhere Wirksamkeit (10). Der Hochdosisimpfstoff ist für Senioren ab 65 Jahren zugelassen. Eine Kostenübernahme erfolgt ab einem Alter von ≥ 75 Jahren ohne Risikofaktoren für eine komplizierte Grippe und von ≥ 65 Jahren für Personen mit Risikofaktoren. Gemäss der Eidgenössischen Impfkommission (EFIK) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) gibt es gute Gründe für den Einsatz des hoch dosierten Impfstoffs bei Senioren (11).
COVID-19 als Teil der Impfstrategie
Vermutlich werde sich das Auftreten dieser Infektion in Zukunft etwa zeitgleich wie die Influenza einpendeln, so Desgranchamps. Im vergangenen Winter sei der COVID-19Gipfel höher gewesen als der Influenzagipfel, was sich auch durch mehr Todesfälle mit COVID-19 als mit Grippe geäussert habe: 2-mal mehr Hospitalisierungen und fast 4-mal mehr Todesfälle mit COVID-19 als mit Grippe (12). Fast 80 Prozent der mit COVID-19 hospitalisierten Patienten waren ≥ 65 Jahre alt (12). Für die kommende Wintersaison werde gemäss Schweizerischem Impfplan 2024 Personen ab 16 Jahren mit erhöhtem Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf voraussichtlich 1 variantenangepasste Impfdosis zwischen Oktober und Dezember empfohlen und als Pflichtleistung über die Krankenkassen vergütet, so Desgrandchamps. Gemäss Impfempfehlung haben Personen ≥ 65 Jahre und Personen mit Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko.
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Impfempfehlungen für gesunde Senioren ≥ 65 Jahre (1)
▲ dTpa-Booster alle 10 Jahre ▲ Hochdosis-Influenzaimpfung jährlich bei ≥ 75-Jährigen ▲ FSME ▲ Herpes zoster ▲ Pneumokokkenkonjugat ▲ evtl. COVID-19 ▲ evtl. RSV
Quelle: D. Desgrandchamps, WebUp 2024
Tetanus als Kombipack wiederholen
Die Tetanusimpfung sollte, abgesehen von der Grundimmunisierung im Kindesalter, mit mindestens 3 Dosen zwischen dem 25. und dem 45. Lebensjahr alle 20 Jahre wiederholt werden, ab dem 65. Lebensjahr und bei Immunkompromittierten alle 10 Jahre. Da in der Schweiz keine bivalenten dT-Impfstoffe verfügbar sind, muss ein geeigneter trivalenter Impfstoff gewählt werden. Als dritte Komponente kommen Polio (dT-Polio [Revaxis®]), beispielsweise bei Reiseplänen, oder Pertussis (dTpa [Adacel®, Boostrix®]) bei Säuglingskontakt bei Grosselternschaft infrage. Wenn beide Risikosituationen zutreffen, eignet sich der quadrivalente Impfstoff mit den Keuchhusten- und Poliokomponenten (dTpa-IPV [Adacel-Polio®, Boostrix-Polio®]) (1). Liegt bei einem nicht grundimmunisierten Patienten (< 3 Dosen) eine stark verschmutzte Wunde oder eine tiefe Stichverletzung vor, müssen gleichzeitig Tetanus-Immunglobuline verabreicht werden.
Pneumokokkenimpfstoff grosszügiger verimpfen
Bei Personen ab 65 Jahren ist die Pneumokokkenimpfung generell als ergänzende Impfung empfohlen, um invasive Pneumokokkenerkrankungen und Pneumokokkenpneumonien vorzubeugen. Die Inzidenz dieser Erkrankungen steigt mit zunehmendem Alter und Komorbiditäten an, vor allem bei Immunsuppression, chronischer Niereninsuffizienz und Krebserkrankungen (13). Bei Risikopatienten mit Komorbiditäten sind im Factsheet «Empfohlene Impfungen für Risikopatienten 2024» je nach Erkrankung Angaben zu Zeitpunkt und Häufigkeit der Impfung zu finden (siehe Linktipp). Die Durchimpfungsrate mit Pneumokokkenimpfstoff beträgt in der Schweiz bei 65- bis 85-Jährigen nur gerade 10
Linktipp
Factsheet «Empfohlene Impfungen für Risikopatienten 2024» https://www.rosenfluh.ch/qr/impfung-risikoperson-2024
Prozent (14). Damit bestehe ein deutlicher Verbesserungsbedarf, wie der Referent diese Tatsache kommentierte. Bei Immunsupprimierten und Personen mit mehreren Risikofaktoren liegt die Durchimpfungsrate etwa bei einem Viertel (14). Als Impfungen stehen 13- und 15-valente Konjugatimpfstoffe (PCV-13 [Prevenar 13®], PCV-15 [Vaxneuvance®]) zur Verfügung, und neu ist auch ein 20-valenter Konjugatimpfstoff (PCV-20, Prevenar 20®]) zugelassen. Die Empfehlung der EKIF für den neuen Impfstoff stehe allerdings noch aus, so Desgrandchamps.
Herpes zoster: Varizellenreaktivierung verhindern
Die Impfung gegen Gürtelrose ist für ≥ 65-jährige Personen empfohlen (1), für Risikopatienten bereits ab 50 Jahren oder je nach Erkrankung bereits ab 18 Jahren (1). Im Factsheet für Risikopatienten sind die Impfzeitpunkte je nach Erkrankung aufgeführt (QR-Link). Seit 2021 steht ein adjuvantierter Totimpfstoff (Shingrix®) zur Verfügung, der den zuvor erhältlichen Lebendimpfstoff abgelöst hat. Die zelluläre Immunität, die sich nach einer Varizelleninfektion im Kindesalter gebildet hat, nimmt mit steigendem Alter ab, sodass ein erneuter Ausbruch des im Rückenmark verbliebenen Virus als klinisch manifeste Gürtelrose möglich wird. Fast 100 Prozent der > 50-Jährigen sind mit dem Varizellenvirus infiziert, und bei einem Drittel reaktiviert sich das Virus im Verlauf des Lebens. Durch die Herpes-zoster-Impfung lässt sich die abnehmende Immunität boostern, um das Auftreten von klinisch signifikanten Zosterepisoden zu verhindern. Bei Patienten mit Immunsuppression ist das Risiko eines Ausbruchs bis zu 20-fach erhöht, aber auch bei chronischen Grunderkrankungen ohne Immunsuppression kann es bis zu 1,5-fach höher sein (15). Mit der Impfung lässt sich nicht nur die Gürtelrose verhindern, sondern auch die postherpetische Neuralgie, die nach der Abheilung der Gürtelrose persistieren kann. Patienten, die an einem Herpes zoster erkrankt sind, sollten ebenfalls geimpft werden, da ein Rezidivrisiko besteht. Hier sei es wichtig, mit der Impfung bis nach Abheilung der akuten Phase zuzuwarten, so der Rat des Experten. Einen therapeutischen Effekt auf die laufende Erkrankung mit eventueller Entwicklung einer postherpetischen Neuralgie habe die so verabreichte Impfung aber nicht.
Impftermine planen
Für Senioren sollten Impftermine geplant werden, so die
Empfehlung des Experten. Prinzipiell sei es möglich, alle in-
aktivierten Impfstoffe gleichzeitig zu verabreichen, sodass 1
Impftermin (z. B. gegen Herpes zoster) für die Schliessung
von Impflücken genutzt werden könne, so sein abschliessen-
der Tipp.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Impfungen für Senioren, die gesund bleiben möchten», WebUp, 28. Mai 2024.
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Referenzen: 1. Schweizer Impfplan 2024 und Factsheet Risikopatienten 2023. https://
www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag/publikationen/broschueren/publikationen-uebertragbare-krankheiten/risikopatienten.html. Letzter Zugriff: 4.6.24. 2. Thompson WW et al.: Epidemiology of seasonal influenza: use of surveillance data and statistical models to estimate the burden of disease. J Infect Dis. 2006;194 Suppl 2:S82-S91. doi:10.1086/507558. 3. Kwong JC et al.: Acute myocardial infarction after laboratory-confirmed influenza infection. N Engl J Med. 2018;378(4):345-353. doi:10.1056/NEJMoa1702090. 4. Warren-Gash C et al.: Influenza as a trigger for acute myocardial infarction or death from cardiovascular disease: a systematic review. Lancet Infect Dis. 2009;9(10):601-610. doi:10.1016/S1473-3099(09)70233-6. 5. Boehme AK et al.: Influenza-like illness as a trigger for ischemic stroke. Ann Clin Transl Neurol. 2018;5(4):456-463. doi:10.1002/acn3.545. 6. Kytömaa S et al.: Association of influenza-like illness activity with hospitalizations for heart failure: the atherosclerosis risk in communities study. JAMA Cardiol. 2019;4(4):363-369. doi:10.1001/jamacardio.2019.0549. 7. Wiemken TL et al.: Dementia risk following influenza vaccination in a large veteran cohort. Vaccine. 2021;39(39):5524-5531. doi:10.1016/j.vaccine.2021.08.046. 8. Bukhbinder AS et al.: Risk of Alzheimer›s disease following influenza vaccination: a claims-based cohort study using propensity score matching. J Alzheimers Dis. 2022;88(3):1061-1074. doi:10.3233/JAD-220361. 9. Cunningham AL et al.: Vaccines for older adults. BMJ. 2021;372:n188. doi:10.1136/bmj.n188. 10. Doyle JD et al.: Relative and absolute effectiveness of high-dose and standard-dose influenza vaccine against influenza-related hospitalization among older adults-united states, 2015-2017. Clin Infect Dis. 2021;72(6):995-1003. doi:10.1093/cid/ciaa160. 11. InfoVac Bulletin Nr. 4/2023. https://www.infovac.ch/de/?option=com_ gd&view=listing&fid=1951&task=ofile. Letzter Zugriff: 4.6.24. 12. CH-SUR (COVID-19 Hospital Based Surveillance system) Woche 40/2023 bis Woche 16/2024. 13. Kyaw MH et al.: The influence of chronic illnesses on the incidence of invasive pneumococcal disease in adults. J Infect Dis. 2005;192(3):377-386. doi:10.1086/431521. 14. Zens KD et al.: Pneumococcal vaccination coverage and uptake among adults in switzerland: a nationwide cross-sectional study of vaccination records. Front Public Health. 2022;9:759602. doi:10.3389/ fpubh.2021.759602. 15. Neue Empfehlungen zur Impfung gegen Herpes zoster: Impfstoff Shingrix®. Bull BAG 2021;47:8-15.
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