Transkript
EDITORIAL
Kiffen: Yes, we CanG!?
In der Nacht auf Ostermontag brandete mal wieder Jubel auf am Brandenburger Tor, und Feuerzeuge wurden angemacht, aber nicht um diese nun in der Berliner Luft zu schwenken, sondern um die ersten legalen Joints damit anzuzünden. Denn am 1. April trat in Deutschland das neue Cannabisgesetz (CanG [1]) in Kraft, mit dem laut Bundesministerium für Gesundheit «der private Eigenanbau durch Erwachsene zum Eigenkonsum sowie der gemeinschaftliche, nicht-gewerbliche Eigenanbau von Cannabis in Anbauvereinigungen legalisiert» wird – ein wahrlich historischer Schritt auf dem Weg hin zu einer zumindest in Bezug auf Tetrahydrocannabinol (THC) deutlich weniger restriktiven Drogenpolitik. Während die medizinische Verwendung von Cannabis seit einiger Zeit vielerorts, auch in der Schweiz, wieder erlaubt ist, haben ausser Deutschland noch andere europäische Staaten, darunter neben den Niederlanden als Vorreiter Spanien, Luxemburg, Malta und Tschechien, sowie Kanada, rund die Hälfte der US-Bundesstaaten, Mexiko, Uruguay und Südafrika inzwischen auch ihre Regelungen zu Cannabis als Rauschmittel gelockert, wenngleich nicht durchweg einhellig, und den Anbau, Erwerb, Besitz und Gebrauch im privaten Rahmen zumindest de facto entkriminalisiert. Darüber, dass die bisweilen scharfe strafrechtliche Sanktionierung unterm Strich mehr Probleme bereitet als gelöst hat, besteht denn auch allgemein am allerwenigsten Dissens. Dennoch lässt sich über das Für und Wider auch der neuen, deutlich liberaleren deutschen Verordnung trefflich streiten. Kritik kam ausser aus (konservativen) Kreisen der Justiz und der Polizei, wo man ob des vielfach kleinteiligen neuen Regelwerks schon eine Prozessflut respektive eine Überlastung der Behörden auf sich zukommen sieht, vor allem vonseiten medizinischer Experten. Letzteren geht es mittlerweile nicht mehr um die Frage, ob Cannabis als sogenannte Einstiegsdroge fungiert oder
nicht, sondern um die inzwischen wissenschaftlich gut be-
legten, insbesondere psychischen Risiken von THC (2) selbst,
vor allem für Heranwachsende und junge Erwachsene.
Ob das CanG nun, wie Karl Lauterbach, deutscher Gesund-
heitsminister und seinerseits Arzt, es beschwor, tatsächlich
eine «historische Chance» bietet, gerade junge Menschen vor
den Gefahren der Droge wie auch des Schwarzmarkts zu be-
wahren (und falls ja, ob sie denn auch ergriffen wird), muss
vor diesem Hintergrund stark bezweifelt werden. Abgesehen
davon, dass sich im Zusammenleben von Jugendlichen mit
ihren fortan legal Cannabis anbauenden und konsumieren-
den Eltern neue, auch juristische Herausforderungen stellen,
die mal besser, mal weniger gut gemeistert werden dürften,
kann künftig in einem «Sicherheitsabstand» von 200 Metern
vis-à-vis der örtlichen Schule der nächste Cannabis Social
Club, die offizielle Anbaugemeinschaft, ihr Domizil beziehen
... Gewiss, auch früher schon war Papas Hausbar nicht abge-
schlossen und die Dorfbeiz in der Freistunde allemal fussläu-
fig erreichbar. Das macht es jetzt aber nicht besser. Und trotz
der oft unverhältnismässigen Diskrepanz in der juristischen
wie moralischen Bewertung des jeweiligen Konsums führt der
Vergleich von Alkohol und Cannabis ohnehin ins Leere. Beide
sind Rauschdrogen, beide im Zweifel eher verharmlost und
beide nördlich des Rheins künftig legal, letztere in einer
Menge von bis zu 25 (!), in den eigenen 4 Wänden sogar bis zu
50 Gramm pro Nase ...
Die Schweiz, wo Cannabis mit einem THC-Gehalt ab 1 Prozent
nach wie vor verboten ist und lediglich der Besitz von bis zu 10
Gramm, nicht aber der Konsum straffrei bleibt, geht (noch)
ihren eigenen Weg und hat einer möglichen Gesetzesände-
rung wissenschaftliche Pilotstudien mit Cannabis zu Genuss-
zwecken vorgeschaltet – der Basler Ableger namens Weed
Care (3) läuft seit 1 Jahr, weitere Kantone wie Zürich, Lau-
sanne, Bern und andere zogen jetzt nach. Es bleibt zu hoffen,
dass diese Untersuchungen nach 3 bis 5 Jahren Laufzeit mehr
Fragen werden beantworten können, als sie das CanG jetzt
offenlässt – insbesondere den Schutz der vulnerablen Gruppe
der 18- bis 25-Jährigen betreffend, für die eventuell gestaffelte
Regelungen wie etwa beimTöff-Führerausweis gelten sollten.
Denn mag es auch nicht Vieles geben, das sich der Torheit des
Alters entzieht – die Erkenntnis, dass der Mensch mit 18 oder
auch 21 Jahren zwar volljährig, aber noch lange nicht erwach-
sen ist, gehört sicher dazu …
s
Ralf Behrens
1. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/detail/cannabisgesetz.html
2. https://www.rosenfluh.ch/media/psychiatrie-neurologie/2023/05/Cannabinoide-Rauschkonsum-und-medizinische-Anwendung.pdf
3. https://www.rosenfluh.ch/media/psychiatrie-neurologie/2023/05/ Das-Basler-Pilotprojekt-WEED-CARE-Regulierte-Cannabisabgabe-zu-Genusszwecken-in-der-Schweiz.pdf
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