Transkript
BERICHT
Infektiologie
Zecken sind weiter auf dem Vormarsch
Krankheiten, die über Zeckenstiche übertragen werden, nehmen immer mehr zu. Zecken gelten als die ältesten bekannten Parasiten und benötigen für ihre Entwicklung mehrere Blutmahlzeiten. Ihre Bedeutung in der Medizin haben sie vor allem aufgrund verschiedener infektiöser Pathogene, die sie über ihren Speichel übertragen können.
Zecken sind eine Ordnung aus der Klasse der Spinnentiere. Sie können alle Klassen terrestrischer und semiaquatischer Wirbeltiere befallen. Etwa 5 bis 10 Prozent der Zeckenarten sind von human- und/oder veterinärmedizinischer Bedeutung. Wie die Zeckenexpertin Dr. Lidia Chitimia-Dobler vom Fraunhofer-Institut für Immunologie, Infektions- und Pandemieforschung, München, auf einer Ärztefortbildung im Rahmen des 7. Süddeutschen Zeckenkongresses weiter erläuterte, verbringen sie den Grossteil ihres Lebens frei lebend in der Natur und nur kurze Zeitspannen an Wirtstieren, um Blut zu saugen. Diese Blutmahlzeiten sind wichtig, um das jeweils nächste Stadium ihres Lebenszyklus erreichen zu können. Der Zyklus beginnt, wenn das mit Blut vollgesogene Zeckenweibchen eine riesige Menge an Eiern abgelegt hat – beim Gemeinen Holzbock (Ixodes ricinus) sind es 3000 bis 6000 Eier. Aus diesen entwickeln sich die winzigen, 6-beinigen Larven, die erst einmal Blut saugen müssen, um sich zu Nymphen mit den für Spinnentiere typischen 8 Beinen weiterzuentwickeln. Nach einer weiteren Blutmahlzeit entwickelt sich die Nymphe zur adulten Zecke. In allen Stadien gilt: Sobald die Tiere vollgesogen sind, fallen sie von ihrem jeweiligen Wirt ab und suchen sich erst im nächsten Stadium wieder einen neuen Wirt. Nach der Paarung der adulten Tiere benötigen nur noch die Weibchen eine weitere Blutmahlzeit für die Entwicklung der Eier. Der gesamte Lebenszyklus von Ixodes ricinus dauert in Mitteleuropa 3 bis 4 Jahre.
Welche Zecke ist das?
Die für Menschen und Wirbeltiere relevanten Zecken lassen sich weiter unterteilen in die beiden Familien der Schildzecken und der Lederzecken. Die meisten menschenpathogenen Zecken gehören zu den Schildzecken, mit Ixodes ricinus als häufigstem Vertreter. Weitere Schildzecken unserer heimischen Fauna sind die Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus) und die Schafzecke (Dermacentor marginatus, Abbildung 1). Darüber hinaus kommt es immer wieder zu Einzelerkrankungen durch importierte Zecken. Die Suche nach einem passenden Wirt erfolgt bei den meisten Zeckenarten über das «Questing» – darunter versteht man das aktive Warten auf der Vegetation, also auf Gräsern und Blättern von Wildblumen und Büschen, auf vorbeikommende Wirte. Läuft ein potenzieller Wirt vorbei, wird die Zecke abgestreift. Die Vorstellung, dass Zecken von Bäumen auf ihre Opfer fallen würden, gehört hingegen zu den Falschinformationen über Zecken. Eine zweite Strategie ist das «Hunting» – das gezielte Laufen zu einem Wirt. Diese Strategie zeichnet die aus südlichen
Regionen eingewanderte, vergleichsweise grosse HyalommaZecke (Abbildung 2) aus, die auf so einer «Jagd» durchaus mehrere Meter zurücklegen kann.
Medizinische Bedeutung der Zecken
Die Folgen eines Zeckenstichs reichen von mechanischen Schäden, lokalen Irritationen und Entzündungen über allergische Reaktionen bis hin zur Übertragung von Pathogenen (Viren, Bakterien, Protozoen). Eine weniger beachtete, weil in Mitteleuropa seltene zeckenassoziierte Erkrankung ist die Zeckenparalyse, die direkt von den Zecken verursacht wird. Insgesamt können 69 Zeckenarten eine solche Paralyse auslösen. Die meisten dieser Erkrankungen treten in Australien auf und werden von der dort häufigen Zeckenart Ixodes holocyclus ausgelöst. Auch in Nordamerika kommt es immer wieder zu Erkrankungsfällen, die dort durch Dermacentor-Arten verursacht werden. Doch auch bei uns können diese Erkrankungen auftreten, in Einzelfällen auch von Ixodes ricinus ausgelöst. Bei der Behandlung ist die rasche Entfernung der Zecke entscheidend; in schweren Fällen kann auch eine antitoxische Therapie erforderlich sein. Besondere Bedeutung haben Zecken auch in Europa als Vektoren für infektiöse Pathogene, wie Borrelien und das FSME-Virus. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Speichel der Zecken, der von der Zecke immer wieder in die Wunde gespritzt wird. Während von den Larven keine Infektionsgefahr ausgeht, können bereits die Zeckennymphen sowohl FSME als auch Borrelien übertragen. Insbesondere bei der Borreliose ist für das Transmissionsrisiko entscheidend, wie lange die Zecke bereits an ihrem Wirt saugt: Wird die Zecke bereits in den ersten Stunden nach dem Stich entfernt, ist das Borrelioserisiko minimal; es steigt erst mit der Verweildauer der Zecke an. Das FSME-Virus dagegen kann bereits kurz nach dem Stich der Zecke übertragen werden. Durch importierte Zecken können beispielsweise Rickettsien, die Erreger verschiedener exotischer Fiebererkrankungen, übertragen werden. Es sei wichtig, bei Reiserückkehrern mit Zecken an solche exotischen Erkrankungen zu denken, betonte Chitimia-Dobler. Um Folgeerkrankungen zu vermeiden, sollte die Zecke grundsätzlich so schnell wie möglich entfernt werden. Welches Greifinstrument man dazu verwendet, bleibt der persönlichen Vorliebe überlassen. Wichtig ist, dass man die Zecke ganz nah an der Haut fixieren und entfernen kann. Falsch ist es dagegen, die Zecke mit Klebstoff oder Öl entfernen zu wollen – viel effektiver ist die mechanische, möglichst hautnahe Entfernung. Sollten Reste von der Zecke in der Haut
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BERICHT
Zecken als Überlebenskünstler
Zecken sind wahre Überlebenskünstler: Sie können 1 bis 2 Jahre ohne eine weitere Blutmahlzeit überleben. Dazu konzentrieren sie das bereits gesaugte Blut und zehren von diesem Vorrat. Auch Überschwemmungen schaden ihnen nicht, denn sie überleben mehr als 3 Wochen unter Wasser, die Eier von Dermacentor reticulatus sogar mehrere Monate. Überschwemmungen können durch das abfliessende Wasser sogar zur Verbreitung der Dermacentor-Eier beitragen. Nach Wanderungen oder Aktivitäten in der Natur sollte man die getragene Kleidung möglichst bei 60 Grad waschen, denn auch niedrigere Temperaturen stellen für die Zecken kein Überlebensproblem dar. Unter Laborbedingungen überleben sie sogar 24 Stunden bei –8 bis –13 °C, da sie über Frostschutzproteine verfügen.
Abbildung 1: Dermacentor marginatus (links) im Vergleich zu Ixodes ricinus (rechts)
bleiben, dann ist das bei richtigem Ansatz des Werkzeugs nur
das Chitin des Stechapparats. Eine weitere Manipulation zur
Entfernung dieses Rests erhöhe nur das Risiko einer Sekun-
därinfektion und sei nicht notwendig, so Chitimia-Dobler
weiter. Ist die Zecke erst einmal draussen, erledigt sich der
Rest meistens von selbst.
s
Adela Žatecky
Quelle: Vortrag «Von Menschen importierte Zecken» von Dr. Lidia Chitimia-Dobler, Fraunhofer Institut für Immunologie, Infektions- und Pandemieforschung, München, Ärztefortbildung im Rahmen des 7. Süddeutschen Zeckenkongresses, 28. Februar 2024 in Stuttgart. Fotos: © Lidia Chitimia-Dobler, ITMP/IIP Penzberg/München
Abbildung 2: Hyalomma marginatum (rechts) im Vergleich zu Ixodes ricinus (links)
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