Transkript
FORTBILDUNG
Knochenaufbau fördern, Knochenabbau vermindern
Optimale Ernährung für die Knochengesundheit
Die Ernährung hat einen wichtigen Stellenwert für den Knochen in verschiedenen Lebensp hasen. Im Folgenden wird aufgezeigt, welche Faktoren notwendig sind, um in der Jugend eine ausreichende Knochenmasse aufzubauen, und welche helfen, im späteren Alter den Knochenabbau zu verlangsamen.
Albrecht Popp
Der Aufbau der Knochenmasse findet während der Kindheit und der Adoleszenz statt, das Maximum der Knochenmasse (peak bone mass) wird um das 20. Lebensjahr erreicht. Wie gross dieses ist, wird zu 60 bis 80 Prozent genetisch bestimmt. Weitere Faktoren sind die Geschlechtshormonwerte, die körperliche Aktivität und natürlich die Ernährung inklusive der optimalen Versorgung mit Kalzium, Phosphat und Vitamin D (1). Schwere Krankheiten oder andere ungünstige Einflüsse in der Kindheit oder der Adoleszenz können dazu führen, dass eine zu geringe Knochenmasse erreicht wird (2).
körperliche Aktivität und eine geeignete Ernährung. All diese Faktoren sind wichtig und können nicht gegeneinander «ausgetauscht» werden. Eine geringe körperliche Aktivität kann nicht mit einer gesunden Ernährung wettgemacht werden. Grundsätzlich sollte die Ernährung genügend Kalzium und Vitamin D sowie ausreichend Eiweiss enthalten. Die Eiweissaufnahme ist nicht nur für den Knochen, sondern auch für die Muskelgesundheit wichtig. Ausreichend Muskelkraft und -aktivierung sind notwendig, um den Knochenstoffwechsel und -aufbau zu aktivieren.
Knochenabbau vermeiden – verschiedene Faktoren
Der Knochenabbau beginnt meist schon im 3. Lebensjahrzehnt und beschleunigt sich bei den Frauen in der Menopause. Verlangsamen kann man den Abbau durch das Meiden von Noxen wie Rauchen und Alkohol sowie durch regelmässige
MERKSÄTZE
� Eine optimale Versorgung mit den wichtigen Nährstoffen ist ideal, um eine hohe «peak bone mass» zu erreichen.
� Präzise Angaben zur individuell optimalen Versorgung sind schwierig. Die Richtwerte sind primär Empfehlungen, um Unterversorgungen zu vermeiden.
� Die Zufuhr von Kalzium, Vitamin D und Eiweiss in erster Linie in bestimmten Altersgruppen oder bei bekannten Erkrankungen (z. B. Knochenerkrankungen, Sarkopenie, Malabsorption, Mangelernährung, chronisch entzündliche Darmerkrankungen usw.) soll optmiert werden. Die Empfehlungen müssen für die verschiedenen Altersgruppen abgestimmt sein und je nach Krankheit angepasst werden (z. B. Vitamin D für Säuglinge).
� Supplemente sind generell nur bei bekannten Erkrankungen oder in Heimen gerechtfertigt, Vitamin D bei institutionalisierten Patienten.
Fakten zu Kalzium
Die tägliche Aufnahme von Kalzium sollte laut der Arbeitsgruppe D-A-CH 1000 mg betragen. Doch ist diese Menge nur zur Vermeidung von Mangelzuständen ausreichend. Der Bedarf kann individuell und je nach Lebensalter schwanken. Ob die Kalziumsupplementation das Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten begünstigt, wird kontrovers beurteilt. Primär sollte der Bedarf durch die erhöhte Aufnahme von Kalzium mit der Ernährung (v. a. mit Milchprodukten und kalziumreichem Mineralwasser) gedeckt werden, bevor Supplemente eingesetzt werden. Der Spiegel des Kalziums wird in einem engen Bereich reguliert und kann bei fehlender Kalziumeinnahme konstant gehalten werden. Deshalb kann der Kalziumgehalt des Körpers nicht anhand des Serumspiegels bestimmt werden. Ist der Kalziumspiegel erniedrigt, wird Parathormon ausgeschüttet. Es aktiviert Vitamin D und fördert so die Kalziumaufnahme im Darm. Das Parathormon fördert die Rückresorption des Kalziums in der Niere und mobilisiert Kalzium aus dem Speicher, dem Knochen. (3). Von 1000 mg Kalzium in der Ernährung wird nur etwa ein Drittel vom Darm aufgenommen. Im Extrazellularraum finden sich insgesamt 1300 mg Kalzium, innerhalb der Zellen 10-mal so viel, doch die 1000-fache Menge ist im Depot, dem Knochen, eingelagert. Der Knochen wird dauernd umgebaut, das heisst, es wird Kalzium ein- und wieder abgebaut. Idealerweise sind die Ablagerung von Kalzium und die Resorption im Gleichgewicht. Doch die Balance ist beispielsweise bei geringer Kalziumaufnahme oder in späteren Lebensjahren gestört (4).
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FORTBILDUNG
- Salz, Phosphat, Zusatzstoffe, Koffein
+ Vitamin D, Kalzium, Isoflavone, Omega-3-Fettsäuren, Präbiotika, Spurenelemente
gelegentlich 1 Portion/Woche
+ körperliche Aktivität,
Süssigkeiten (100 g)
aerob und Krafttraining
rotes Fleisch (100 g)
verarbeitetes Fleisch (50 g)
Eier (60 g)
weisses Fleisch (100 g)
2 Portionen/Woche
frische (150 g) oder getrocknete Hülsenfrüchte
frischer Käse (100 g)
magerer Fisch (2/7) und Omega-3-Fettsäuren-reicher Fisch (2/7) 150 g
Portionen/ Tag
1 Olivenöl extra vergine (10 ml) 1 getrocknete Nüsse (30 g)
2 fettarme Milch (150 ml)/leichter Joghurt (125 g)
3 Getreide, vorzugsweise Vollkorn, 80 g und 30 g (Frühstück, Snack)
5 Gemüse (200 g)/Salat (80 g) reich an Vitamin C und Folsäure, oxalreiche Gemüse vermeiden
5 frische Früchte (150 g)
8 kalziumreiches Mineralwasser, 8 Gläser à 150 ml/Tag
Milchprodukte
Milchprodukte haben einen positiven Effekt, der nicht nur auf Kalzium oder Vitamin D und Eiweiss allein zurückzuführen ist. Es gibt Hinweise, dass fermentierte Milchprodukte eine Immunmodulation auslösen und dadurch indirekt die Knochenresorption vermindern können (8).
Vergleich Pflegeheime
Statt bei Patienten die Ernährung individuell zu vergleichen, wurde in einer australischen Studie ein neuer Ansatz gewählt. 60 Pflegeheime wurden als Ganzes untersucht. Die Pflegeheimbewohner waren durchschnittlich 86 Jahre alt. Die eine Hälfte der Heime behielt die normale Kost bei. Bei der anderen Hälfte wurden mehr Milchprodukte gegeben, nicht zusätzlich zum Essen, sondern eingebaut in die Standardmahlzeiten. Die absolute Energiemenge blieb gleich, die Ernährung war vor allem kalziumreicher, der Eiweissgehalt nur leicht erhöht. Schon nach 2 Jahren konnte das Frakturrisiko verringert werden, Frakturen allgemein um 33 Prozent (121 vs. 203), Hüftfrakturen um 46 Prozent (42 vs. 93). Die Mortalität konnte in dieser kurzen Zeit bei den hochbetagten Patienten nicht gesenkt werden (9).
Abbildung: Ideale Ernährungspyramide für Patienten mit Osteopenie oder Osteoporose (adaptiert nach [10])
Vitamine
Für die Mineralisierung des Knochens spielt Vitamin K2 eine Rolle. In einer 3-jährigen randomisierten, kontrollierten Studie mit postmenopausalen Frauen mit Osteopenie hatte die Supplementation von Vita min K2 keinen Effekt auf die Knochendichte und die Mikroarchitektur (5). Grundsätzlich kommt es bei Studien mit Supplementation immer auf die Zusammensetzung der Probanden an. Weisen diese einen Mangel auf, führt die Supplementation eher zu einem positiven Studienergebnis, werden Personen untersucht, die keinen Mangel aufweisen, ist ein negatives Ergebnis wahrscheinlicher (6). Die Vitamin-D-Supplementation ist bei Säuglingen unerlässlich. Bei Osteoporose sind Vitamin D und Kalzium sehr wohl wirksam. Ob auch Gesunde von einer Supplementation profitieren, wurde in einer Studie untersucht. 25 000 Patienten, durchschnittlich 67 Jahre alt, gleich viele Frauen und Männer, erhielten während 5 Jahren eine sehr hohe Dosis von Vitamin D3 (2000 IE Cholecalciferol), das Doppelte der üblichen Tagesdosis. Durch die Supplementation von Vitamin D3 konnte das Risiko für Frakturen nicht reduziert werden. In einer Subanalyse fand sich bei 5 Prozent der Probanden eine Osteoporose, dort sieht man einen knappen positiven Effekt. Das heisst nicht, dass Vitamin D nicht wirksam ist, es hat nur keine messbare Wirkung, wenn gesunde ältere Menschen ohne Mangel supplementiert werden (7).
Konkrete Nahrungsempfehlungen
Diese Ernährungsempfehlungen wurden aus vielen Beobach-
tungsstudien abgeleitet, bei denen in grossen Kohorten eine
Assoziation zwischen Ernährungsmuster und Knochenge-
sundheit gesucht wurde (10).
Die Genfer Gruppe hat die wichtigsten Empfehlungen in ei-
nem Review formuliert (11):
s Eine ausgewogene Diät enthält Eiweiss (mindestens 0,8 g/
kg bis 1,3 g/kg Körpergewicht bei älteren Patienten ≥ 75
Jahre), Kalzium (800–1000 mg/Tag) sowie Früchte und
Gemüse (5 Servings/Tag).
s Ein Teil des Eiweiss- und des Kalziumbedarfs wird gedeckt
mit 2 bis 3 Servings von Milchprodukten/Tag.
s Vitamin D, 800–1000 IE pro Tag.
s Eine limitierte Salzaufnahme (≤ 2,5 g NaCl/Tag) korreliert
mit einem geringeren Frakturrisiko.
s Eine mediterrane Diät bringt Vorteile.
s
PD Dr. med. Albrecht Popp Leitender Arzt, Osteometabolik Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin und Metabolismus Inselspital Freiburgstrasse 15, 3010 Bern E-Mail: Albrecht.Popp@insel.ch
Dieser Beitrag erschien erstmals in «Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin» 1/23.
Quelle: PD Dr. Albrecht Popp: «Ernährung und Knochen – aus osteologischer Sicht», Onlinefortbildung der Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin und Metabolismus (UDEM), Inselspital Bern, 4.8.2022.
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Referenzen: 1. Ringe JD in Rizzoli R (Hrsg): Atlas of postmenopausal osteoporosis, 3rd
edition. 2010: Current Medicine Group. 2. Cooper C, Melton LJ 3rd: Epidemiology of osteoporosis. Trends Endocrinol
Metab. 1992;3(6):224-229. 3. Gaffney-Stomberg E et al.: Parathyroid Hormone (PTH) and the Relation-
ship Between PTH and Bone Health: Structure, Physiology, Actions, and Ethnicity. In: Patel VB, Preedy VR (Hrsg) Biomarkers in Disease: Methods, Discoveries and Applications. 2017: Springer, Dordrecht. 4. Hall JE: Guyton and Hall Textbook of Medical Physiolon, 12. Aufl. 2011: Saunders/Elsevier. 5. Rønn SH et al.: The effect of vitamin MK-7 on bone mineral density and microarchitecture in postmenopausal women with osteopenia, a 3-year randomized, placebo-controlled clinical trial. Osteoporos Int. 2021;32(1):185-191. 6. Heaney RP: Bone health. Am J Clin Nutr. 2007;85(1):300S-303S. 7. LeBoff MS et al.: Supplemental Vitamin D and Incident Fractures in Midlife and Older Adults. N Engl J Med. 2022;387(4):299-309. 8. Rizzoli R et al. Effects of Fermented Milk Products on Bone. Calcif Tissue Int. 2018;102(4):489-500. 9. Iuliano S et al.: Effect of dietary sources of calcium and protein on hip fractures and falls in older adults in residential care: cluster random ised controlled trial. BMJ. 2021;375:n2364. 10. Rondanelli M et al.: Nutrition, Physical Activity, and Dietary Supplementation to Prevent Bone Mineral Density Loss: A Food Pyramid. Nutrients. 2021;14(1):74. 11. Rizzoli R et al.: Nutritional intake and bone health. Lancet Diabetes Endocrinol. 2021;9:606-621.
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