Transkript
COPD
Revision des GOLD-Reports 2023
SUMMER SCHOOL
Wie schon in den Jahren 2006, 2011 und 2017 hat die Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) kürzlich erneut eine komplett überarbeitete Version ihrer erstmals 2001 herausgegebenen Guideline für Diagnose, Management und Prävention der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) veröffentlicht. Wesentliche Änderungen umfassen unter anderem eine neue Definition der COPD, Vorschläge für eine neue Terminologie und Taxonomie verschiedener COPD-Formen, Informationen zu Screening und Case-Finding-Massnahmen sowie eine Weiterentwicklung des Bewertungsinstruments im Hinblick auf die klinische Bedeutung von Exazerbationen, für die ebenfalls eine neue Definition sowie Empfehlungen für die Einschätzung ihrer Schwere und ihre adäquate Behandlung formuliert wurden. Ausserdem berücksichtigt die neue Fassung der Leitlinie die gewachsene Rolle der Computertomografie als diagnostisches Instrument, liefert überarbeitete Informationen zur medikamentösen initialen und Follow-Therapie und gibt einen Überblick über die aktuellen Impfempfehlungen für COPD-Patienten und über die jüngste wissenschaftliche Evidenz bezüglich therapeutischer Interventionen zur Reduktion der COPD-bedingten Mortalität.
Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease
Entsprechend den GOLD-Guidelines handelt es sich bei COPD (chronic obstructive pulmonary disease) um eine heterogene Lungenerkrankung, die durch chronische Atemwegssymptome und eine durch Anomalien der Atemwege (Bronchitis, Bronchiolitis) oder der Alveolen (Emphysem)
Steckbrief
Wer hat die Guideline erstellt? Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) (1)
Wann wurde sie aktualisiert? 2023
Für welche Patienten? Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD)
Zu welchen Punkten gab es Neuerungen? ▲ Definition der COPD und ihrer Unterformen ▲ Terminologie und Taxonomie ▲ diagnostischer Stellenwert der Computertomografie ▲ Empfehlungen zu Screening und Case-Finding ▲ Weiterentwicklung des Evaluierungsschemas (neu ABE- statt
ABCD-Beurteilungsinstrument) ▲ medikamentöse Initial- und Follow-up-Therapie ▲ Definition, Stellenwert, Beurteilung und Behandlung von Exazerba-
tionen ▲ Impfempfehlungen für COPD-Patienten ▲ Evidenz zur Wirksamkeit medikamentöser und nicht medikamentö-
ser Massnahmen zur Verringerung der COPD-bedingten Mortalität ▲ Fragen im Zusammenhang mit der inhalativen Verabreichung von
COPD-Medikamenten und zur Therapieadhärenz ▲ Möglichkeiten der Telerehabilitation
bedingte persistierende, häufig progrediente Atemflusslimitation gekennzeichnet ist. Sie muss bei allen Patienten in Betracht gezogen werden, welche unter Kurzatmigkeit (Dyspnoe), chronischem Husten, Sputumproduktion und/oder Exazerbationen leiden. Weitere hinweisende Symptome sind Giemen und Engegefühl in der Brust sowie Fatigue. COPD ist das Ergebnis von während der Lebenszeit eines Individuums stattfindenden Gen-Umwelt-Interaktionen, welche die Lungen schädigen oder deren normalen Entwicklungsoder Alterungsprozess verändern können. Hauptrisikofaktor ist das Tabakrauchen, aber auch rezidivierende Infektionen der unteren Atemwege und die Exposition gegenüber Schadstoffpartikeln oder -gasen in der Vorgeschichte spielen eine Rolle bei der Krankheitsentstehung. Daneben können bestimmte Wirtsfaktoren wie genetische Abnormalitäten, eine gestörte Lungenentwicklung oder ein beschleunigter Lungenalterungsprozess für eine COPD prädisponieren. Traditionell wurde die COPD als eine einheitliche Erkrankung angesehen, welche durch das Tabakrauchen hervorgerufen wird, und die meisten Studien zu pathogenetischen Mechanismen widmeten sich entsprechend nur dieser einen Ursache. Inzwischen ist bekannt, dass eine Vielzahl an Prozessen zur klinischen Präsentation der Erkrankung beitragen kann, welche bis anhin allerdings kaum untersucht worden sind. Um den Forschungsbedarf hinsichtlich aktueller und künftiger Therapien für diese nicht mit dem Tabakrauchen assoziierten COPD-Formen zu unterstreichen, wird in der aktualisierten Leitlinie explizit eine moderne COPD-Taxonomie vorgeschlagen, die folgende sogenannte Etiotypen umfasst: s genetisch determinierte COPD (COPD-G) s durch abnormale Lungenentwicklung verursachte COPD
(COPD-D; D = development)
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SUMMER SCHOOL
Spirometrisch bestätigte Diagnose FEV1/FVC postbronchodilatatorisch < 0,7 Beurteilung der Atemflusslimitation GOLD 1 GOLD 2 GOLD 3 GOLD 4 FEV1 (% prädiktiv) 80 50–79 30–49 < 30 Exazerbationshistorie (pro Jahr) ≥ 2 oder ≥ 1 mit Spitaleinweisung 0 oder 1 (oohhnnee Spitaleinweisung ) Beurteilung von Symptomen/ Exazerbationsrisiko E AB B FEV1: forcierte exspiratorische Einsekundenkapazität, FVC: forcierte Vitalkapazität, GOLD: Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease, mMRC: modified Medical Research Council, CAT: COPD Asssessment Test Abbildung 1: ABE-Beurteilungsinstrument (modifiziert nach GOLD-Report 2023) mMRC 0–1 CAT < 10 mMRC 2 CAT 10 Symptome s umweltbedingte COPD (tabakrauchassoziierte COPD [COPD-C; C = cigarette], COPD durch Exposition gegenüber Schadstoffen [COPD-P; P= pollution]) s infektionsbedingte COPD (COPD-I) s COPD und Asthma (COPD-A) s COPD unbekannter Ursache (COPD-U). Es konnte gezeigt werden, dass eine COPD aus einer verminderten pulmonalen Spitzenfunktion im frühen Erwachsenenalter und/oder einer beschleunigten Verschlechterung der Lungenfunktion resultieren kann. Aus diesen Erkenntnissen haben sich potenzielle neue Optionen für die Prävention sowie für eine frühzeitigere Diagnostik und Behandlung ergeben. Gleichzeitig sind in diesem Zusammenhang allerdings auch mehrere nosologische Begriffe wie «early COPD», «mild COPD», «young COPD», «pre-COPD» und «PRISm» geprägt worden. Die Leitlinie legt Wert auf deren klare Definition und Abgrenzung, um Verwirrung zu vermeiden und künftige Forschung zu erleichtern. Demnach sollte die Bezeichnung «early» im Gegensatz zum Begriff «mild» einer biologisch frühen COPD vorbehalten bleiben, als «young» sollten in dem Zusammenhang Patienten im Alter von 20 bis 50 Jahren betrachtet und unter pre-COPD Patienten (jeden Alters) mit Atemwegssymptomen ohne erkennbare strukturelle und/oder funktionelle Lungenanomalie subsumiert werden. Der Begriff «PRISm» beschreibt Individuen mit zwar erhaltener FEV1/FVC-Ratio (≥ 0,7 nach Bronchodilatation; FEV1: forcierte exspiratorische Einsekundenkapazität, FVC: forcierte Vitalkapazität), jedoch mit beeinträchtigten Spirometriewerten (FEV1 < 80% des Referenzwerts nach Bronchodilatation). Die Prävalenz von PRISm (≤ 20,3%) ist besonders hoch bei aktuellen oder früheren Rauchern, und die Sterblichkeit jedweder Ursache dieser Patienten ist erhöht. Differenzialdiagnostisch ist die Abgrenzung der COPD gegenüber Asthma und anderen Lungenerkrankungen (Bronchiektasen, Tuberkulose, Bronchiolitis obliterans), aber auch nicht pulmonalen Erkrankungen wie der systolischen Herzinsuffizienz wichtig. Diagnostik Die Diagnose erfolgt anhand von Anamnese, körperlicher Untersuchung und Evaluierung der Atemwegsobstruktion. Zur Absicherung der Diagnose ist eine spirometrische Untersuchung erforderlich. Dabei bestätigt eine postbronchodilatatorische FEV1/FVC-Ratio von weniger als 70 Prozent das Vorliegen einer persistierenden Atemflusslimitation. Deren Ausprägung wird gemäss GOLD-Klassifikation in 4 Schweregrade (GOLD 1 [FEV1 ≥ 80% vom Sollvolumen] bis GOLD 4 [FEV1 < 30% vom Sollvolumen]) unterteilt. Zur weiteren Einteilung diente bis anhin das etablierte kombinierte Evaluierungsverfahren (ABCD-Beurteilungsinstrument) zur Klassifizierung der Patienten entsprechend ihrer Atemflusslimitation, der Beeinträchtigung durch die Symptome im Alltag und dem Exazerbationsrisiko. Patienten mit bis zu 1 erfolgten Exazerbation ohne dadurch bedingte Spitaleinweisung bildeten die Gruppen A und B, während solche mit 2 oder mehr Exazerbationen beziehungsweise mindestens 1 exazerbationsbedingten Spitaleinweisung den Hochrisikogruppen C und D zugerechnet wurden. In den überarbeiteten Leitlinien schlägt GOLD nun eine Weiterentwicklung des ABCD-Schemas vor, welche der Bedeutung von Exazerbationen unabhängig von der Symptomschwere Rechnung tragen soll. Während die Gruppen A und B unverändert bleiben, werden die Gruppen C und D nunmehr zu einer Gruppe (E) zusammengefasst (Abbildung 1). Den Ausschlag für die Zuordnung zu den Gruppen A oder B respektive E gibt die jeweilige Symptomlast, welche gemäss GOLD mittels mMRC-Skala (mMRC: 416 ARS MEDICI 14–16 | 2023 SUMMER SCHOOL Tabelle: Häufig eingesetzte Medikamente zur COPD-Erhaltungstherapie mit Zulassung in der Schweiz Darreichungsformen Generischer Substanzname Inhalatortyp Vernebler Oral Injektion Beta-2-Rezeptor-Agonisten Kurz wirksam (SABA) Salbutamol MDI, DPI x Sirup x Terbutalin DPI Lang wirksam (LABA) Salmeterol MDI, DPI Formoterol DPI Indacaterol DPI Olodaterol SMI Muskarinrezeptorantagonisten Kurz wirksam (SAMA) Ipratropiumbromid MDI Lang wirksam (LAMA) Aclidiniumbromid DPI Glycopyrroniumbromid DPI Tiotropiumbromid DPI, SMI Umeclidiniumbromid DPI Kombination SABA + SAMA Fenoterol/Ipratropium MDI Salbutamol/Ipratropium SMI x Kombination LABA + LAMA Indacaterol/Glycopyrronium DPI Vilanterol/Umeclidin DPI Olodaterol/Tiotropium SMI Methylxanthine Theophyllin Tablette (SR), Lösung x Kombination LABA + ICS Formoterol/Beclometason MDI Formoterol/Budesonid MDI, DPI Salmeterol/Fluticason MDI, DPI Vilanterol/Fluticasonfuorat DPI Dreifachkombination LABA/LAMA/ICS Fluticason/Umeclidin/Vilanterol DPI Beclometason/Formoterol/Glycopyrronium MDI Formoterol/Glycopyrronium/Budesonid MDI Phosphodiesterase-4-Hemmer Roflumilast Tablette Mukolytika Erdostein Tablette Wirkungsdauer 4–6 h 4–6 h 12 h 12 h 24 h 24 h 6–8 h 12 h 12–24 h 24 h 24 h 6–8 h 6–8 h 12–24 h 24 h 24 h Variabel, ≤ 24 h 12 h 12 h 12 h 24 h 24 h 12 h 12 h 24 h 12 h MDI: Dosierinhalator (metered dose inhaler), DPI: Trockenpulverinhalator (dry powder inhaler), SMI: Weichnebelinhalator (soft mist inhaler), SR: verlangsamte Wirkstofffreisetzung (sustained release), SABA: kurz wirksames Betamimetikum (short-acting beta-agonist), SAMA: kurz wirksamer Muskarinrezeptorantagonist (short-acting muscarinic antagonist), LABA: lang wirksames Betamimetikum (long-acting beta-agonist), LAMA: lang wirksamer Muskarinrezeptorantagonist (long-acting muscarinic antagonist), ICS: inhalatives Kortikosteroid Quelle: modifiziert nach GOLD-Report 2023 modified Medical Research Council; Dyspnoe als einziges Kriterium, Skalenwerte von 0 [= keine Atemnot] bis 4 [= ausgeprägte Atemnot]) beziehungsweise über den CAT-Fragenkatalog (CAT: COPD Asssessment Test; 8 Fragen zur erweiterten Befindlichkeit [Husten, Sputum, Brustenge, Dyspnoe, Aktivitätseinschränkungen, Schlaf, Energielevel], zu jeder Frage Skala von 0 bis 5, Werte <10 ungewöhnlich bei COPD-Patienten, Werte ≥ 10 sehr selten bei gesunden Personen, Werte ≥ 20 zeigen ausgeprägte Symptomatik an) erfasst wird, beziehungsweise die jeweilige Vorgeschichte hinsichtlich erlittener Exazerbationen. Eine Exazerbation bei COPD ist gemäss Leitlinie definiert als ein Ereignis, das charakterisiert ist durch Dyspnoe und/oder Husten mit Sputumproduktion, welche sich innerhalb von weniger als 14 Tagen verschlechtern. COPD-Exazerbationen sind zum Teil begleitet von Tachypnoe und/oder Tachykardie und gehen häufig einher mit einer erhöhten lokalen oder systemischen Entzündungsaktivität, welche durch Atem- ARS MEDICI 14–16 | 2023 417 SUMMER SCHOOL Initiale medikamentöse Therapie ≥ 2 moderate Exazerbationen oder ≥ 1 Exazerbation mit nachfolgender Spitalaufnahme Gruppe E LABA + LAMA* LABA + LAMA + ICS* erwägen, falls EOS-Konzentration ≥ 300 Zellen/μl 0 oder 1 moderate Exazerbation (ohne nachfolgende Spitaleinweisung) Gruppe A 1 Bronchodilatator Gruppe B LABA + LAMA* mMRC: 0–1, CAT: < 10 mMRC: ≥ 2, CAT: ≥ 10 LABA: lang wirksames Betamimetikum, LAMA: lang wirksamer Muskarinrezeptorantagonist, ICS: inhalatives Kortikosteroid, CAT: COPD Assessment Test, EOS: eosinophile Granulozyten, mMRC: modified Medical Research Council *einzelne Inhalatortherapie möglicherweise geeigneter als multiple Inhalatoren Angaben zur Anzahl der Exazerbationen beziehen sich auf den Zeitraum von 1 Jahr. Abbildung 2: Behandlungsalgorithmus für die initiale Therapie (modifiziert nach GOLD-Report 2023) wegsinfektionen, Schadstoffe oder anderweitige Lungenschä digungen hervorgerufen wird. Da die Symptome nicht COPD-spezifisch sind, sollten relevante Differenzialdiagnosen, insbesondere Pneumonie, kongestives Herzversagen und Lungenembolie, in Betracht gezogen werden. Als zusätzliche diagnostische Instrumente können bei bestimmten Fragestellungen neben bildgebenden Untersuchungen (Ultraschall, Computertomografie [CT]) unter anderem auch Pulsoximetrie, Lungenvolumen- und Diffusionskapazitäts- sowie körperliche Leistungsmessungen, gemischte Scores oder Biomarker eingesetzt werden. Die neu überarbeitete Leitlinie greift hier speziell die in den letzten Jahren durch ihre zunehmende Verfügbarkeit gewachsene Rolle der CT als diagnostisches Instrument bei COPD auf. Demnach sollte eine Thorax-CT bei Patienten mit anhaltenden Exazerbationen oder Symptomen, die in keinem Verhältnis zur im Lungenfunktionstest ermittelten Schwere der Erkrankung stehen, bei einem FEV1-Wert von weniger als 45 Prozent mit signifikanter Hyperinflation und Gaseinschlüssen oder bei Patienten, die die Kriterien für ein Lungenkrebsscreening erfüllen, in Betracht gezogen werden. Unter den Lungenfunktionsprüfungen wird der Kohlenmonoxiddiffusionskapazität (diffusing capacity of the lungs for carbon monoxide, DLCO) in der Guideline ein relativ grosser Stellenwert beigemessen, nachdem dieses Verfahren durch die Verfügbarkeit zuverlässiger tragbarer Geräte inzwischen breiter anwendbar geworden ist. Die Durchführung einer DLCO-Messung wird für alle COPD-Patienten empfohlen, deren Symptome (Dyspnoe) angesichts des jeweiligen Ausmasses ihrer Atemflussobstruktion unverhältnismässig stark ausgeprägt sind. In der überarbeiteten GOLD-Guideline wurde neu auch ein Abschnitt zum Screening auf COPD beziehungsweise zu Case-Finding-Massnahmen aufgenommen. Darin wird die Durchführung eines aktiven Case-Findings in Form einer spirometrischen Untersuchung bei Patienten mit Symptomen und/oder bei Vorliegen von Risikofaktoren empfohlen, nicht jedoch ein spirometrisches Screening. Weitere, zuletzt vorgestellte Case-Finding-Instrumente, unter anderem in Form von Fragebögen oder einfachen physiologischen Messungen, konnten in der Primärversorgung bereits nachweisen, bisher nicht diagnostizierte COPD-Fälle aufspüren zu können. Inwieweit sich dadurch die Therapiesituation und die Ergebnisse für die Patienten verbessern lassen, müssen künftige Untersuchungen zeigen. Prävention und Erhaltungstherapie Impfungen Neben der von den Centers of Disease Control (CDC) empfohlenen dTpa-Vakzine (dTpa: Diphterie, Tetanus, Pertussis) für alle nicht bereits während der Kindheit entsprechend geimpften COPD-Patienten und der routinemässigen Impfung gegen Herpes zoster für alle COPD-Patienten rät GOLD zur Impfung gegen Influenza, gegen Pneumokokken und aufgrund ihrer hohen Wirksamkeit zur Verhinderung schwerer Verläufe von SARS-CoV-2-Infekt ionen (SARS-CoV-2: severe acute respiratory syndrome coronavirus 2) auch zur COVID-19-Impfung (COVID-19: coronavirus disease 2019) entsprechend den allgemeinen n ationalen Empfehlungen. Gemäss der aktuellen Datenlage scheinen COPD-Patienten zwar keinem erhöhten Risiko für SARS-CoV-2-Infektionen ausgesetzt zu sein, was sich allerdings auch auf die bei ihnen verstärkt angewendeten und in der Leitlinie explizit empfohlenen Massnahmen zum Infektionsschutz zurückführen lassen könnte. COPD-Patienten tragen in jedem Fall ein höheres Risiko für COVID-19-bedingte Spitaleinweisungen und möglicherweise auch für schwerere Krankheitsverläufe und Tod. Pharmakologisches Management Die medikamentöse Therapie der COPD (Tabelle) erfolgt mit dem Ziel, die Symptome zu lindern, die Häufigkeit und Schwere von Exazerbationen zu vermindern sowie die kör- 418 ARS MEDICI 14–16 | 2023 SUMMER SCHOOL Medikamentöse Follow-up-Therapie 1. Bei adäquatem Ansprechen initiale Therapie fortsetzen 2. Bei mangelndem Ansprechen: • Adhärenz, Inhalertechnik und potenzielle überlagernde Komorbiditäten überprüfen • erwägen, das vorherrschende behandelbare Merkmal (Dyspnoe oder Exazerbationen) anzugehen • falls sowohl Exazerbationen als auch Dyspnoe angegangen werden müssen, Exazerbationspfad wählen • Patienten gemäss aktueller Therapie in das Schema einordnen und den Anweisungen folgen • Ansprechen beurteilen, anpassen und überprüfen Diese Empfehlungen basieren nicht auf der ABE-Bewertung zum Zeitpunkt der Diagnose. Dyspnoe Exazerbationen LABA oder LAMA LABA + LAMA* • Wechsel des Inhalators oder des Wirkstoffs erwägen • nicht pharmakologische Therapie(n) einleiten oder intensivieren • andere Ursachen der Dyspnoe suchen (und behandeln) Erwägen, falls EOS-Konzentration < 300/µl LABA oder LAMA LABA + LAMA* ** Erwägen, falls EOS-Konzentration ≥ 100/µl Erwägen, falls EOS-Konzentration ≥ 300/µl Erwägen, falls EOS-Konzentration < 100/µl LABA + LAMA + ICS* Roflumilast FEV1 < 50% und chronische Bronchitis Azithromycin präferenziell bei Exrauchern EOS: eosinophile Granulozyten, LABA: lang wirksames Betamimetikum, LAMA: lang wirksames Antimuskarinikum, ICS: inhalatives Kortikosteroid, FEV1: forcierte exspiratorische Einsekundenkapazität *einzelne Inhalatortherapie möglicherweise geeigneter als multiple Inhalatoren **Deeskalation des ICS erwägen bei Pneumonie oder anderen erheblichen Nebenwirkungen; bei EOS-Konzentration ≥ 300 Zellen/µl besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass die Deeskalation mit der Entwicklung von Exazerbationen einhergeht Angaben zur Anzahl der Exazerbationen beziehen sich auf den Zeitraum von 1 Jahr. Abbildung 3: Behandlungsalgorithmus für die Follow-up-Therapie (modifiziert nach GOLD-Report 2023) perliche Belastbarkeit und den Allgemeinzustand zu verbessern. Einzelne Studien konnten bis anhin nicht ausreichend schlüssig belegen, dass die Pharmakotherapie auch in der Lage ist, den langfristigen Rückgang der Lungenfunktion (FEV1) als Hauptkennzeichen der COPD zu bremsen. Inzwischen gelang es allerdings im Rahmen einer Metaanalyse von 9 Einzelstudien nachzuweisen, dass eine aktive Therapie im Vergleich zu Plazebo die jährliche Rate des FEV1-Rückgangs um 5 ml senkt (Differenz vs. Plazebo: 4,9 ml/Jahr für lang wirksame Bronchodilatoren, 7,3 ml/Jahr für inhalative Kortikosteroide [ICS]). Nichtsdestotrotz wird diesbezüglich in der überarbeiteten GOLD-Leitlinie erneut auf den Bedarf nach weiterer Forschung hingewiesen, um zu klären, welche Patienten im Einzelnen davon profitieren. Die Einstufung des Patienten in eine der 3 Gruppen (A, B, E) bildet die Basis für die Auswahl der Initialtherapie (Abbildung 2). Deren Grundpfeiler sind bei allen Patientengruppen gemäss GOLD-Richtlinien Bronchodilatatoren. Patienten der Gruppe A können je nach deren Effekt auf die Kurzatmigkeit mit kurz oder mit lang wirksamen Bronchodilatatoren behandelt werden, wobei lang wirksame grundsätzlich zu bevorzugen sind. Bei Patienten der Gruppe B sollte die Therapie mit einer Kombination aus einem lang wirksamen Betaagonisten (long-acting beta-agonist, LABA) und einem lang wirksamen Muskarinrezeptorantagonisten (long-acting muscarinic antagonist, LAMA) begonnen werden; falls eine solche Kombinationstherapie nicht angemessen erscheint, kann je nach subjektiv empfundener Symptomlinderung entweder mit LABA oder mit LAMA allein behandelt werden. Auch für Patienten der Gruppe E ist die LABA/LAMA-Kombination die Therapie der Wahl. Eine Kombination aus LABA und ICS wird bei COPD nicht empfohlen. Falls eine ICS-Gabe indiziert ist, ist eine Dreifachkombination aus LABA, LAMA und ICS zu bevorzugen. Als Kriterium für die Entscheidung zu einer LABA/LAMA/ICS-Kombination kann die Konzentration eosinophiler Granulozyten (EOS) herangezogen werden. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Anzahl der EOS im Blut mit dem Ausmass des Ansprechens auf ICS korreliert. 420 ARS MEDICI 14–16 | 2023 SUMMER SCHOOL Befinden sich weniger als 100 Zellen in 1 μl Blut, zeigt sich, wie Datenmodellierungen ergaben, wenn überhaupt, nur ein sehr geringer Effekt eines ICS-haltigen Therapieregimes. Somit kann eine Konzentration von 100 EOS/μl als Schwellenwert angesehen werden, um Patienten zu identifizieren, die von einer ICS-Gabe höchstwahrscheinlich nicht profitieren. Darüber hinaus sind geringe Anzahlen von EOS in Blut und Sputum mit der verstärkten Anwesenheit von Proteobakterien sowie mit häufigeren bakteriellen Infektionen und Pneumonien vergesellschaftet. Mit steigender EOS-Konzentration wachsen kontinuierlich auch die Chancen, dass eine ICS-Therapie wirkt. Ab einem Wert von 300 Zellen/µl ist ein ICS-Effekt mit grösster Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Es bestehen Hinweise, dass die EOS-Blutkonzentrationen bei COPD-Patienten im Schnitt höher sind als bei Gesunden und dass dies mit einer ebenfalls erhöhten Zahl von EOS in der Lunge und dem Vorliegen von höheren Spiegeln an Markern der Typ-2-Inflammation in den Atemwegen einhergeht, was wiederum das je nach EOS-Blutkonzentration unterschiedliche Ansprechen auf ICS erklären könnte. Für den weiteren Verlauf der Therapie über das Initialstadium hinaus (Follow-up-Therapie) schlägt GOLD einen Managementzyklus aus Überprüfung (review) der Symptomatik und Bewertung (assess) von Inhalationstechnik/Therapietreue beziehungsweise nicht pharmakologischen Massnahmen wie etwa Rauchentwöhnung sowie, falls erforderlich, Anpassung (adjust) der Therapie in Richtung einer Umstellung oder Eskalation/Deeskalation vor. Die Ausgestaltung der Follow-up-Therapie (Abbildung 3) richtet sich nach dem individuellen Ausmass von Symptomatik und Exazerbationen, ist jedoch unabhängig von der jeweils zum Zeitpunkt der Diagnosestellung vorgenommenen Einstufung in die GOLD-Kategorien A, B oder E. Je nachdem, ob beim jeweiligen Patienten im Verlauf die Symptome (stellvertretend Dyspnoe) oder Exazerbationen dominieren, empfehlen die GOLD-Richtlinien ein entsprechend abgestimmtes Vorgehen: Steht bei Patienten unter Monotherapie mit einem Bronchodilatator nach wie vor Kurzatmigkeit im Vordergrund, sollen fortan 2 lang wirksame Bronchodilatatoren eingesetzt werden. Falls auch dies keine ausreichende Wirkung zeigt, sollte ein Wechsel des Inhalators oder des Wirkstoffs erwogen werden. Dyspnoe aus anderer Ursache als COPD sollte in allen Stadien untersucht und behandelt werden. Kommt es bei Patienten unter der anfänglichen Monotherapie mit einem lang wirksamen Bronchodilatator zu Exazerbationen, wird eine Eskalation auf eine LABA/LAMA-Kombination empfohlen. Zur Identifikation von Patienten, die mit grösserer Wahrscheinlichkeit von einer ICS-Gabe profitieren, kann wiederum die EOS-Konzentration herangezogen werden. Für Patienten, welche unter LABA- oder LAMA-Monotherapie nach wie vor Exazerbationen entwickeln, kann daher bei entsprechender EOS-Zahl (≥ 300 Zellen/μl) auch auf eine Triple-Therapie unter Hinzunahme von ICS eskaliert werden. Für Patienten mit weiteren Exazerbationen nach Umstellung auf eine LABA/LAMA-Kombination werden 2 alternative Behandlungspfade vorgeschlagen: Eine EOS-Zahl von 100 Zellen/μl fungiert hier wiederum als Schwellenwert für die Wahrscheinlichkeit eines Nutzens einer zusätzlichen ICS-Gabe. Ist dieser Wert erreicht oder überschritten, kann auf eine LABA/LAMA/ICS-kombination eskaliert werden. Andernfalls oder bei auch unter Dreifachkombination weiterhin auftretenden Exazerbationen können ein Makrolidantibiotikum wie Azithromycin (insbesondere bei Patienten nach Rauchstopp) oder Phosphodiesterase-(PDE-)4-Inhibitoren (Roflumilast; für COPD-Patienten mit prädiktiver FEV1 < 50% und chronischer Bronchitis, insbesondere wenn sie im vorangegangenen Jahr mindestens 1 Exazerbation erlitten haben, welche zu einer Spitaleinweisung geführt hat) erwogen werden. Bei Pneumonie oder Auftreten von anderen schweren Nebenwirkungen kann ein Absetzen des ICS in Betracht kommen. Letzteres ist allerdings insbesondere bei EOS-Konzentrationen von ≥ 300/μl womöglich mit dem Risiko vermehrt auftretender Exazerbationen verbunden. In diesem Fall sollte die eingesetzte ICS-Dosis überprüft und falls möglich reduziert werden, da die Häufigkeit von Nebenwirkungen dosisabhängig ist. Bezugnehmend auf die inzwischen grosse Zahl an verfügbaren Wirkstoffen, die inhalativ verabreicht werden, wird in der neu überarbeiteten Leitlinie explizit darauf hingewiesen, dass für eine Effektivität solcher Therapien die Patientenedukation zum korrekten Gebrauch der Inhaler und ein entsprechendes Training von äusserster Wichtigkeit sind. Fixkombinierte Wirkstoffe in einem einzigen Inhaler sind, was die korrekte Handhabung und demzufolge den grösstmöglichen Nutzen anbelangt, womöglich grundsätzlich gegenüber einer Behandlung mit multiplen Inhalern im Vorteil, was sich auch günstig auf die Therapieadhärenz auswirkt. Management von Exazerbationen Da Exazerbationen aufgrund von vermehrter Atemwegsentzündung und Sputumproduktion sowie ausgeprägter Lungenüberblähung (gas trapping) den Gesundheitszustand von COPD-Patienten, die Raten von (wiederholten) Spitaleinweisungen und den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen, müssen sie je nach ihrem Schweregrad (mild, moderat, schwer) adäquat behandelt werden. Dessen Bestimmung kann zum einen über die Intensität der Atemnot, ermittelt per visueller Analogskala (VAS), und zum anderen anhand verschiedener Labor- (arterielle Sauerstoffsättigung [SaO2], C-reaktives Protein [CRP], Sauerstoff- [PaO2] und Kohlendioxidpartialdruck [PaCO2]) oder physiologischer Parameter (Atem- und Herzfrequenz) erfolgen; hierzu werden in der Leitlinie jeweils entsprechende Schwellenwerte zur Unterscheidung vorgeschlagen. 80 Prozent aller Exazerbationen werden ambulant medikamentös (Bronchodilatatoren, Kortikosteroide, Antibiotika) behandelt. Wichtig ist es, in der Primärversorgung diejenigen Fälle zu erkennen, bei denen eine Spitaleinweisung erfolgen sollte. Die GOLD-Guideline listet hier folgende mögliche Indikationen auf: s schwere Symptome (plötzliche Verschlechterung der Dys- pnoe in Ruhe, hohe Atemwegsfrequenz, verminderte SaO2, Verwirrtheit, Benommenheit) s akute respiratorische Insuffizienz s Neuauftreten körperlicher Anzeichen (z. B. Cyanose, periphere Ödeme) s Nichtansprechen der Exazerbation auf die initiale medikamentöse Behandlung s Vorliegen schwerer Komorbiditäten (z. B. Herzinsuffizienz, neu auftretende Herzrhythmusstörungen usw.) s unzureichende häusliche Unterstützung. ARS MEDICI 14–16 | 2023 421 SUMMER SCHOOL COPD und Mortalität Aufgrund des Stellenwerts der COPD als weltweit dritthäufigste Todesursache kommt dem Verständnis der Mechanismen, welche die Mortalität von betroffenen Patienten erhöhen, grosse Bedeutung zu. Trotz der vielfach aus methodischen Gründen beschränkten Datenlage zum Effekt einzelner therapeutischer Massnahmen auf die Sterblichkeit im Rahmen randomisierter, kontrollierter Studien sind in der neuen Version der Leitlinie verschiedene medikamentöse und nicht medikamentöse Behandlungen zusammengestellt, für die ein Nachweis hinsichtlich einer Reduktion der Mortalität erbracht werden konnte. Zu diesen zählt unter den pharmakologischen Therapieoptionen die inalative Fixkombination von LABA, LAMA und ICS, die sich diesbezüglich gegenüber einer 2-fachen inhalativen Bronchodilatortherapie als vorteilhaft erwiesen hat. Als die Sterblichkeit reduzierende, nicht pharmakologische Massnahmen werden ein Rauchstopp, die pulmonale Rehabilitation, die Langzeitsauerstofftherapie (long-time oxygen therapy, LTOT), die nicht invasive Positivdruckbeatmung (non-invasive positive pressure ventilation, NPPV) und die Lungentransplantation beziehungsweise die chirurgische Lungenvolumenreduktion (lung volume reduction surgery, LVRS) aufgeführt. Rehabilitation Die Evidenz zur Wirksamkeit pulmonaler Rehabilitation nach Spitalaufnahme wegen einer akuten COPD-Exazerbation ist begrenzt, zeigt aber einen Trend zu einer geringeren Mortalität und zu weniger Wiedereinweisungen bei Patienten, bei denen entsprechende Massnahmen noch im Spital oder innerhalb von 4 Wochen nach Entlassung eingeleitet wurden. Verbesserungen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und der Belastungstoleranz waren bei ihnen für mindestens 12 Monate zu verzeichnen. Real-world-Daten aus einer populationsbasierten US-amerikanischen Kohorte mit mehr als 190 000 COPD-Patienten konnten diese Ergebnisse bestätigen. Pulmonale Rehabilitation gilt als eine der kosteneffektivsten Therapiestrategien. Systemische Barrieren in manchen Gesundheitssystemen und Schwierigkeiten mancher Patienten beim Zugang zu Reha-Angeboten, besonders auch in ländlichen Regionen, haben die Telerehabilitation als Alternative zu traditionellen Ansätzen, insbesondere auch während der SARS-CoV-2-Pandemie, vermehrt ins Gespräch gebracht. Entsprechende Strukturen sind allerdings erst im Aufbau, und die diesbezügliche Datenlage ist noch spärlich, auch wenn es bereits Hinweise gibt, dass Telerehabilitation sicher ist und einen ähnlichen Nutzen bringt wie zentrumsassoziierte Reha-Angebote. COPD und Komorbidität Das Vorliegen von Begleiterkrankungen (häufig kardiovasku- lär, Osteoporose, Depression/Angststörungen, gastroösopha- gealer Reflux) sollte gemäss GOLD die COPD-Therapie grundsätzlich nicht ändern. Oft entwickeln sich bei COPD-Pa- tienten auch Lungenkarzinome. Die GOLD-Leitlinie emp- fiehlt einen jährlichen Low-dose-CT-Scan als Lungenkrebs- screening für Patienten mit tabakrauchbedingter COPD, nicht aber für Patienten mit COPD anderer Ursache aufgrund des bis anhin bei ihnen noch unklaren Nutzen-Risiken-Ver- hältnisses dieser Untersuchung. Widersprüchliche Daten exis- tieren zum potenziellen Zusammenhang zwischen ICS und Lungenkrebsinzidenz. Basierend auf den verfügbaren Daten sieht GOLD derzeit weder Hinweise für einen Anstieg noch solche für einen Rückgang des Lungenkrebsrisikos unter ICS-Therapie. s Ralf Behrens Quelle: Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD): Global Strategy for Prevention, Diagnosis and Management of COPD: 2023 Report; https://goldcopd.org/2023-gold-report-2/. GOLD-Report 2023 zu Prävention, Diagnose und Management der COPD https://www.rosenfluh.ch/qr/gold23 422 ARS MEDICI 14–16 | 2023