Transkript
STUDIE REFERIERT
Pharmakotherapie bei Typ-2-Diabetes
Neue und ältere Medikamente: Was sie leisten
Ein systematischer Review und eine Netzwerk-Metaanalyse randomisierter, kontrollierter Studien zeichnen die Vorteile und Risiken in der pharmakologischen Behandlung des Typ-2-Diabetes evidenzbasiert nach.
British Medical Journal
Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes bestimmen die kardiovaskulären und renalen Auswirkungen die Lebensqualität und -dauer. Da auch eine intensive Blutzuckerkontrolle diese Risiken nicht substanziell vermindert, richtet sich heute das Augenmerk vermehrt auf Therapien, welche Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen reduzieren können. Dazu gehören SGLT2-Hemmer (SGLTi; SGLT2: sodium-glucose linked transporter 2) sowie GLP-1-RezeptorAgonisten (GLP-1-RA; GLP: glucagonlike peptide). Zuletzt hinzugekommen sind Finerenon (Kerendia®), ein nicht steroidaler Mineralokortikoidrezeptorantagonist (MRA), sowie Tirzepatid (Mounjaro®), ein dualer GIP(glucosedependent insulinotropic peptide)/ GLP-1-RA. Die vorliegende Metaanalyse hatte das Ziel, Nutzen und Risiken von Finerenon und Tirzepatid als Add-on zu bestehenden Therapien bei Typ-2-Diabetes zu vergleichen.
Behandlungsnutzen und Behandlungsrisiken
Die Analyse stützt sich auf 816 Studien mit 471 038 Patienten und 13 verschiedenen Wirkstoffklassen. Im Vergleich zur Standardbehandlung mit oralen oder injizierbaren Antidiabetika ergaben sich die folgenden Ergebnisse. SGLT2i (Odds Ratio [OR]: 0,88, 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,83– 0,94, hohe Gewissheit) und GLP-1-RA (OR: 0,88; 95%-KI: 0,82–0,93, hohe Gewissheit) reduzieren die Gesamtmortalität. Nicht steroidale MRA (bisher nur mit Finerenon bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung getestet) reduzieren wahrscheinlich die Mortalität (OR: 0,89; 95%-KI: 0,79–1,00, mittlere Gewissheit), andere Wirkstoffe in dieser Konstellation möglicherweise jedoch nicht.
Die Studie bestätigte die Therapienutzen von SGLT2i und GLP-1-RA hinsichtlich der Reduktion von kardiovaskulärem Tod, nicht tödlichem Myokardinfarkt, Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz sowie terminalem Nierenversagen. Finerenon reduziert wahrscheinlich («probably») Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz und Nierenversagen und möglicherweise («possibly») kardiovaskuläre Todesfälle. Nur GLP-1-RA vermindern nicht tödliche Hirnschläge. SGLT2i sind anderen Medikamenten überlegen in der Verminderung terminaler Nierenerkrankungen. GLP-1-RA und wahrscheinlich SGLT2i sowie Tirzepatid verbessern die Lebensqualität. Die Behandlungsrisiken waren weitgehend für die Wirkstoffklassen spezifisch: Genitalinfektionen bei SGLT2i, schwere gastrointestinale Nebenwirkungen bei Tirzepatid und GLP-1-RA, Hyperkaliämien mit Finerenon. Tirzepatid bewirkte wahrscheinlich die grösste Reduktion beim Körpergewicht (mittlere Differenz [MD]: –8,57 kg, mittlere Gewissheit). Basalinsulin (MD: 2,15 kg, mittlere Gewissheit) und Thiazolidindione (MD: 2,81 kg, mittlere Gewissheit) hatten wahrscheinlich die grösste Gewichtszunahme zur Folge.
Bedeutung für die Praxis
SGLT2i, GLP-1-RA und Tirzepatid verbesserten in der Analyse zwar die Lebensqualität, allerdings erreichten sie nicht die Schwellenwerte für minimal wichtige Verbesserungen, was auf triviale Effekte hindeutet. Die absoluten Nutzen dieser Medikamente bei Typ-2Diabetes variieren beträchtlich und hängen vom Basisirisiko für kardiovaskuläre und renale Komplikationen ab. Die Studienlage hinsichtlich für die Patienten wichtiger Messparameter umfasste
für die ältesten und die neuesten Wirk-
stoffklassen nur Evidenz geringer und
sehr geringer Qualität. Dies betrifft bei-
spielsweise Metformin, Suflonylharn-
stoffe, Tirzepatid und Finerenon. Die
Netzwerkmetaanalyse kann die Frage
nach Nutzen und Risiken einer Kombi-
nation der neueren Wirkstoffe SGLT2i,
GLP-1-RA und Finerenon nicht beant-
worten. Allerdings deuten Beobach-
tungsstudien und Post-hoc-Analysen
auf einen kardiovaskulären und renalen
Nutzen solcher Kombinationen hin.
Finerenon ist eine Alternative zu
SGLT2i und GLP-1-RA bei Typ-2-
Diabetikern mit Nierenerkrankung. Fi-
nerenon bewirkt Hyperkaliämien, die
Hospitalisationsrate wegen dieser Ne-
benwirkung war jedoch sehr gering (10
auf 1000 Patienten während 5 Jahren).
Dem stehen die Behandlungsnutzen
gegenüber (16 Todesfälle weniger, 21
Hospitalisierungen wegen Herzinsuffi-
zienz weniger, 14 Fälle von terminalem
Nierenversagen weniger).
Tirzepatid dürfte für Typ-2-Diabetiker
mit dringendem Wunsch nach Ge-
wichtsverlust attraktiv sein, der kardio-
vaskuläre und renale Nutzen ist noch
offen; Studien laufen.
Unter SGLT2i ist auf 1000 Patienten
während 5 Jahren mit 2 zusätzlichen
Ketoazidosen und 3 zusätzlichen Am-
putationen zu rechnen. Dennoch
spricht der nachgewiesene Behand-
lungsnutzen hinsichtlich kardiovasku-
lärer und renaler Erkrankungen für
diese Wirkstoffklasse.
HB s
Quelle: Shi Q et al.: Benefits and harms of drug treatment for type 2 diabetes: systematic review and network meta-analysis of randomised controlled trials. BMJ. 2023;381:e074068.
Interessenlage: Einige der zahlreichen Autoren der referierten Metaanalyse deklarieren Forschungsgelder und Speaker-Honorare verschiedener Pharmafirmen.
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