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STUDIE REFERIERT
Alopezie
Mit Supplementen den Haarausfall bekämpfen?
Was können die zahlreichen Nahrungsergänzungsmittel, die Patienten mit Alopezie angeboten werden, leisten, und wie sicher sind sie? Eine aktuelle Metaanalyse versucht, Antworten zu geben.
JAMA Dermatology
In der Hoffnung auf eine eindämmende Wirkung bei kreisrundem Haarausfall (Alopecia areatea, AA) oder androgenetischer Alopezie (AGA) greifen viele Betroffene zu Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitaminen, Nutrazeutika, also medizinisch wirksamen Lebensmitteln, oder pflanzlichen Präparaten. Von den zahlreichen für diese Indikationen angebotenen Supplementen kommen Biotin, Vitamin B12 und Vitamin-B-Komplex am häufigsten zum Einsatz. Doch ist nicht nur der Nutzen solcher Substanzen unklar, sie sind mitunter auch kostspielig und können, in höheren Dosierungen angewandt, sogar toxische Effekte haben. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse hatte das Ziel, bei Patienten, die zu Beginn keinerlei ernährungsphysiologische Mängel aufwiesen, die Wirksamkeit und die Sicherheit von Nahrungsergänzungen und diätetischen Interventionen zu untersuchen. Von den per Literaturrecherche ermittelten insgesamt mehr als 6000 einschlägigen Veröffentlichungen wurden nach Abgleich mit den Einschlusskriterien 30 Arbeiten (17 randomisierte, kontrollierte Studien [RCT], 11 klinische Studien, 2 Fallserien) für die Datenauswertung herangezogen. Die zahlreichen in den verschiedenen Zubereitungen enthaltenen Wirkstoffe lassen sich grob in die folgenden Kategorien einteilen: s 5α-Reduktase-(5αR-)Hemmer: Das
Enzym 5αR wandelt Testosteron zu Dihydroxytestosteron (DHT) um, welches bei AGA und anderen androgenabhängigen Prozessen eine entscheidende Vermittlerrolle einnimmt. Neben dem aktuell von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zur AGATherapie zugelassenen Medikament Finasterid gibt es verschiedene pflanzliche Wirkstoffe, etwa Säge-
palmenextrakt und Kürbiskernöl, und Nahrungssupplemente (z. B. Forti5™), welche ebenfalls 5αR hemmen sollen. s Mikronährstoffe (z. B. Vitamin B, D, E [Tocotrienole], Zink, Antioxidanzien wie u. a. Omega-3- und -6-Fettsäuren [Ω3/6-FS]) sind entscheidend an der normalen Funktion der Haarfollikel beteiligt. s Immunmodulatoren: Da es sich bei manchen Alopezieformen (u. a. bei AA) um Autoimmunerkrankungen handelt, wird angenommen, dass immunmodulierende Substanzen (z. B . TGPC [total glycosides of paeony] und CGT [compound glycyrrhizin tablets]) das Nachwachsen der Haare fördern könnten. s Aminosäuren: Haare werden aus dem strukturellen Faserprotein Keratin gebildet, das überwiegend aus der schwefelhaltigen Aminosäure Cystein besteht. Entsprechende Supplementierungen sind ursprünglich bei Schafen untersucht worden, bei welchen sie die Wollproduktion steigern konnten. s Probiotika (z. B. fermentierte Sojabohnenpaste [Mogut®]) verbessern mutmasslich die Durchblutung der Kopfhaut. s Wachstumshormonmodulatoren: Pflanzliche Ingredienzien wie Capsaicin, Isoflavone oder Miliacin erhöhen offenbar die Spiegel von IGF-1(IGF: insulin growth factor), das eine wichtige Rolle in der Haarfollikelentwicklung und im Haarwachstumszyklus spielt. s Für Meeresprotein enthaltende Nutrazeutika (z. B. Viviscal™, Nourkrin®) hat sich in mehreren klinischen Studien angedeutet, dass sie über die Bereitstellung essenzieller Nährstoffe dem Haarverlust entgegenwirken können.
s Nahrungsergänzungsmittel mit mehreren Zutaten: Jedes Nahrungssupplement dieser Kategorie (z. B. Lambdapil®, Nutrafol®, AppleMets® [AMS; Annurca-Apfel-Nutrazeutikum]) enthält verschiedene Bestandteile, die sich über jeweils unterschiedliche Mechanismen gegen die Alopezie richten.
Heterogenität der Einzelstudien limitiert Aussagekraft
Die Ergebnisse der Metaanalyse bescheinigen den meisten der in den inkludierten Untersuchungen getesteten Nahrungssupplemente eine gewisse Wirksamkeit bei Haarverlust. Für 12 von ihnen (Kürbiskernöl; Ω3/6-FS, kombiniert mit Antioxidanzien; Tocotrienole; Pantogar®; Capsaicin und Isoflavone; Viviscal™; Nourkrin®; Nutrafol®; AMS; Lambdapil®; TGPC und CGT; Zink) stammten die Daten aus Studien hoher Qualität, welche für eine objektiv bewertete Effektivität spricht. Von geringerer Qualität war die Evidenz für die Wirksamkeit von Vitamin D3, Mogut® und Forti5™. Das Sicherheitsprofil der gestesteten Zubereitungen war durchweg gut. Allerdings, so die Autoren einschränkend, müssen diese Ergebnisse jeweils im Kontext der Methoden und Limitationen der einzelnen Studien betrachtet werden. Da Letztere sich hinsichtlich Design und Grösse deutlich unterschieden, ist die Aussagekraft dieser Metaanalyse begrenzt. Weitere RCT zum Thema und bis dahin eine gemeinsame individuelle Therapieentscheidung des Patienten und seines Arztes sind deshalb notwendig. RABE s
Quelle: Drake L et al.: Evaluation of the safety and effectiveness of nutritional supplements for treating hair loss: a systematic review. JAMA Dermatol. 2023;159(1):79-86.
Interessenlage: Ein Teil der Autoren der referierten Metaanalyse deklariert diverse, auch finanzielle Beziehungen zu Pharmaunternehmen.
ARS MEDICI 5 | 2023
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