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BERICHT
Lebererkrankungen
Suchet, so werdet ihr finden
Im Rahmen seines Vortrags am WebUp-Expertenforum «Update Gastroenterologie» kam Dr. Beat Helbling, Gastroenterologie Bethanien, Zürich, auf 4 wichtige Erkrankungen der Leber zu sprechen, nämlich auf die Zirrhose, die Endstadium vieler Erkrankungen sein kann, die Virushepatitis, die Fettleber als die häufigste Lebererkrankung sowie auf die biliären Erkrankungen mit Lebermanifestation. Den Fokus legte der Referent dabei neben den Behandlungsoptionen vor allem darauf, wie sich diese Erkrankungen auch in der Hausarztpraxis rechtzeitig erkennen lassen.
Auf welche diagnostischen Hinweise und Signale dabei besonders zu achten ist, veranschaulichte Helbling anhand von Fallbeispielen aus seiner Praxis, bei denen das in der Vorgeschichte mehr oder weniger gut gelungen war.
Leberzirrhose
Beim ersten Fall handelte es sich um einen 56-jährigen übergewichtigen Mann, der nach wiederholten Oberbauchschmerzepisoden auf der Notfallstation zunächst mit Protonenpumpeninhibitoren auf eine Gastritis hin behandelt worden war und bei dem nach erneuten Koliken schliesslich wieder im Notfall sonografisch eine symptomatische Cholezystolithiasis und eine Fettleber diagnostiziert wurden. Bei der sogleich durchgeführten Cholezystektomie zeigte sich intraoperativ dann jedoch eine Leberzirrhose. «Das sollte man natürlich früher erkennen und nicht erst bei einer Laparoskopie», so der Referent, denn es gebe sonografisch durchaus einige, wenn auch nicht immer offensichtliche Hinweiszeichen, wie zum Beispiel ein kleiner linker oder deformierte Lappen, ein vergrösserter Lobus caudatus, eine höckerige Oberfläche oder kaum darstellbare Lebervenen. Auch eine Splenomegalie, also eine vergrösserte Milz (bei diesem Pati-
KURZ & BÜNDIG
� Wegen des erhöhten Zirrhoserisikos immer nach einer Fettlebererkrankung bei Diabetespatienten suchen (Elastografie)!
� Immer nach Hepatitis B und C fahnden (Sonografie, Laborwerte, Serologie)!
� Alkohol ist zwar ein häufiger Auslöser von Lebererkrankungen, dies aber oft in Kombination mit anderen Ursachen.
� Jede Lebererkrankung kann in eine Zirrhose münden.
� Auch Medikamente sowie biliäre Ursachen können die Leberwerte erhöhen.
enten 13,6 cm bei 1,75 m Körpergrösse), kann ein Anzeichen sein. Hyperecheogenizität könne laut Helbling auf eine Fettleber hinweisen, sage aber nichts aus über die Fibrose. Eine nur von interkostal schallbare Leber kann bereits verkleinert sein, und Leberzirrhosepatienten haben gehäuft Gallensteine. Weitere Anhaltspunkte liefert das Labor; so sollten etwa niedrige Thrombozytenwerte (unterer Normwert: 150/nl; beim Patienten im Fallbeispiel waren anamnestisch wiederholt Werte um 110/nl vom Hausarzt dokumentiert worden) oder ein Wert grösser als 1 im APRI-Score (APRI: aspartate aminotransferase to platelet ratio index; berechnet anhand des Aspartataminotransferasewerts und der Thrombozytenzahl) Anlass zu weiterer Abklärung geben. Diese kann dann per transienter (FibroScan®) oder Share-wave-Elastografie erfolgen. Während beim herkömmlichen FibroScan® die Geschwindigkeit einer tief frequenten 50-Hz-Welle durch die Leber bestimmt wird, wird bei der Share-wave-Elastografie die Scherwellenausbreitung an einem Punkt gemessen. Goldstandard zur Beurteilung einer Zirrhose ist nach wie vor der Metavir-Score der Leberbiopsie (Stadien 1 bis 4). Der FibroScan® sei in der Lage, eine Zirrhose von einer Nichtzirrhose zu differenzieren, sagte Helbling, für die Entdeckung von Zwischenstadien eigne er sich nicht so gut. Die Resultate der Share-wave-Elastografie korrelieren wiederum recht gut mit denen des FibroScan®. So lässt sich mit beiden Verfahren relativ einfach messen, ob die Leber hart oder weich ist, bevor es zu den dann unübersehbaren Spätfolgen der Zirrhose wie Ikterus, Aszites, Enzephalopathie oder Varizenblutung kommt.
Virushepatitis
Hinsichtlich der durch Viren verursachten Leberentzündung gilt es vor allem, die Ursache einer meist stummen, chronischen Hepatitis zu erkennen. «Diese Patienten kommen nicht zu Ihnen, Sie müssen sie finden», mahnte Helbling, denn diese Erkrankung werde häufig übersehen. Klassische Beispiele, wo es zu Zufallsdiagnosen kommen kann, sind nach seiner praktischen Erfahrung bei der Hepatitis C etwa Patien-
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Tabelle:
Medikamentöse Behandlung der Hepatitis-C-Virus-Infektion (HCV)
Indikation HCV ohne Zirrhose, Erstbehandlung, alle Genotypen HCV + Zirrhose Child A HCV + Zirrhose Child B HCV + Niereninsuffizienz (Dialyse) HCV + HIV-Präexpositionsprophylaxe bei MSM Therapieversager
Medikament Maviret® (Glecaprevir + Pibrentasvir) 1-mal täglich 3 Tabl. Epclusa® (Sofosbuvir + Velpatasvir) 1-mal täglich 1 Tabl. Maviret® Epclusa® nur Epclusa® möglich nur Maviret® möglich nur Maviret® möglich
Therapiedauer und Verschreibung 8 Wochen (durch Hausarzt möglich1)
12 Wochen (durch Hausarzt möglich1)
8 bis 12 Wochen (durch Hausarzt möglich1) 12 Wochen (durch Hausarzt möglich1) 12 Wochen (nur durch Spezialisten) 8 bis 12 Wochen (durch Hausarzt möglich1) 8 Wochen (durch Hausarzt möglich1)
Vosevi®
12 Wochen (nur durch Spezialisten)
(Sofosbuvir + Velpatasvir + Voxilaprevir)
1 Alle Hausärzte dürfen seit dem 1.1.22 direkt Epclusa® oder Maviret® verschreiben (allenfalls auch in Zusammenarbeit mit Spezialisten, Infos: www.SASL.ch, ww.hepcare.ch) HIV: humanes Immundefizienzvirus, MSM: Männer, die Sex mit Männern haben
ten mit Blutspenden in den 80er- oder 90er-Jahren, mit Alkoholproblemen oder mit sonografisch auffälligen Leberbefunden sowie bei Hepatitis B das Schwangerschaftsscreening bei Frauen. Oft würden sich, so der Experte, aber auch nach einem Hausarztwechsel Hinweise ergeben, indem der neue Arzt in alten Akten auf eine dokumentierte Hepatitis stosse, die über die Zeit in Vergessenheit geraten sei. «In den Akten wühlen ist deshalb immer gut», ergänzte der Referent. Laut Statistik des Bundesamts für Gesundheit (Stand Januar 2021) waren von 1001 gemeldeten Hepatitis-B-Fällen nur 24, von 947 Hepatitis-C-Fällen nur 12 akut. Die Fälle von Hepatitis E (167) und A (49) waren dagegen alle akut. «Wir wollen ja die chronischen Hepatitiden, also die ohne Symptome, suchen», meinte Helbling, und da liege der Fokus auf B und C, Hepatitis E sei grundsätzlich eine harmlose Erkrankung.
Plan B: Impfen und Testen Die Hepatitis B sei heute mittels Impfung (Twinrix®, gegen B und A) komplett verhinderbar, so der Referent weiter, diese werde allerdings erst seit wenigen Jahren bereits im Kleinkindalter durchgeführt, sodass es derzeit viele ungeimpfte junge Menschen im sexuell aktiven Alter gebe, die das Virus akquirieren könnten. In der Schweiz haben etwa 80 Prozent der Patienten mit Hepatitis B einen Migrationshintergrund. Das Virus ist in Süd- und Osteuropa und stärker noch in Asien oder Afrika weiter verbreitet als hierzulande, und die Übertragung erfolgt typischerweise bei der Geburt oder in den ersten Lebensjahren. Der Gotthard bilde hier gewissermassen eine Grenze, so Helbling: Bei Menschen, die südlich und östlich davon geboren seien, sei mit zunehmender Entfernung die Hepatitis B häufiger. Bei der Hepatitis-B-Serologie sei zu beachten, dass man mit dem Test auf Anti-HBs-Antikörper lediglich Geimpfte, jedoch nicht die chronische Hepatitis B entdecke, erklärte der Gastroenterologe, deshalb müsse man das HBs-Antigen zusammen mit Anti-HBc- und Anti-Hbs-Antikörpern bestim-
men. Mit dieser Dreierkombination werden alle Varianten (akute/chronische Infektion, Impfung) erfasst. Wird tatsächlich HBs-Antigen gefunden, ist zusätzlich die Bestimmung von HBV-DNA erforderlich. Die meisten Patienten mit chronischer Hepatitis-B-Infektion, also HBs-Antigen-Träger ohne Fibrose, benötigen primär keine Behandlung, aber sie sollten abgeklärt sein, damit sie das Virus nicht übertragen und der Arzt den Verlauf überwachen kann (Transaminasen, 1- bis 2-mal jährlich, sobald erhöht: HBV-DNA kontrollieren). Gegebenenfalls sollte der Patient dann zum Spezialisten weitergewiesen werden, damit eine aktiv gewordene Erkrankung rechtzeitig behandelt wird. Eine Ausnahme bilden Patienten mit HBs-Antigen-Positivität und normalen Leberwerten, falls sie eine immunmodulierende Behandlung (Immunsuppression; Prednison hoch dosiert über mehrere Wochen, Biologika oder Chemotherapeutika) erhalten sollen. Bei ihnen muss zwingend 1 Woche vor Beginn der Immunsuppression die Hepatitis behandelt werden. Liegt bereits eine Fibrose im Stadium F2 gemäss MetavirScore vor oder sind die Transaminasen auf das Doppelte des Normwerts (ca. 80 U/l) erhöht, ist eine Therapie zu evaluieren, sofern die HBV-DNA relevant erhöht ist (> 2000 IU/ml). Zum Einsatz kommen derzeit das neue Prodrug Tenofoviralafenamid 25 mg täglich oder das herkömmliche Tenofovir disoproxil 245 mg täglich. Die Therapie ist sehr gut wirksam und verträglich, allerdings muss sie für viele Jahre beibehalten werden.
Therapie der Hepatitis C – eine Erfolgsgeschichte In den letzten 20 Jahren hat die Zahl der Hepatitis-C-Fälle in der Schweiz durch verschiedene präventive (Hygiene, Drogenmissbrauch) und therapeutische Massnahmen kontinuierlich abgenommen. Dies spiegelt sich auch in den sinkenden Lebertransplantationszahlen wider. Hepatitis C ist deutlich weniger migrationsassoziert (50%) als Hepatitis B, und es sind tendenziell immer ältere Patienten betroffen, da die jüngeren vermehrt von der Prävention profitieren. Wichtigs-
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tes Instrument in der Diagnostik ist auch hier das Hepatitisscreening (B und C kombiniert) auf spezifische Antikörper beziehungsweise Antigene mittels Bluttest, das stets bei Transaminasenerhöhung, im Rahmen von allgemeinen Check-up-Untersuchungen und bei Personen mit i.v. Drogenkonsum oder Opioidsubstitutionstherapie (1-mal jährlich wiederholt testen) erfolgen sollte. Hinsichtlich der Heilungschancen sei die medikamentöse Behandlung der Hepatitis C laut Helbling eine Erfolgsgeschichte: «Ich kenne keine andere so gute Therapie mit Medikamenten in der Medizin», sagte der Experte. Zum Einsatz kommen orale direkte antivirale Agenzien (DAA), die die Produktion von HC-Virus-Proteinen (Serinprotease, NS5A, NS5B) gezielt blockieren, und zwar zurzeit hauptsächlich die HCV-Proteaseinhibitoren Glecaprevir und Voxilaprevir, die HCV-NS5A-Inhibitoren Pibrentasvir und Velpatasvir sowie der HCV-Polymeraseinhibitor (NS5B; Sofosbuvir), die je nach Indikation in unterschiedlichen Fixkombinationen zur Verfügung stehen (siehe Tabelle). Die Therapie sei simpel und zu mehr als 90 Prozent wirksam, so der Referent, und es gebe kaum Nebenwirkungen. Beachtet werden müssen allerdings Interaktionen mit anderen Medikamenten, und notwendig ist die ärztliche Überprüfung der Adhärenz. Begleitende Laborkontrollen sind optional mit Ausnahme der obligatorischen Messung der HCV-RNA 3 Monate nach Therapieende (Kontrolle der Therapiewirksamkeit). Sei Letztere negativ, dann bleibe sie es auch, anders als der Antikörpertest, so Helbling, weshalb es zur Diagnose einer aktiven Hepatitis C immer des Nachweises von VirusRNA bedürfe. Diesen Test muss man bei der HCV-Risikopopulation (i.v. Drogenkonsum) nach erfolgreicher Therapie zum Ausschluss von Reinfektionen regelmässig durchführen. Patienten mit Zirrhose sollten weiterhin alle 6 Monate sonografisch auf die mögliche Entwicklung eines hepatozellären Karzinoms hin untersucht werden, dessen Risiko auch nach Therapie bestehen bleibt. Nichtzirrhotiker sind geheilt und benötigen keine Kontrollen mehr.
Fettlebererkrankung
An einem weiteren Fallbeispiel eines schlanken 38-jährigen Patienten mit starkem Alkoholkonsum in der Anamnese und mit undulierend leicht erhöhten Leberwerten, bei dem sich im Ultraschall Anzeichen für eine Fettleber ohne Zirrhose zeigten, erläuterte der Referent zunächst das Vorgehen bei toxischer Fettlebererkrankung. Die Therapie besteht hier vornehmlich aus Alkoholabstinenz. Häufiger, teilweise auch in Kombination, ist die metabolische Fettlebererkrankung (non-alcoholic fatty liver disease [NAFLD]/metabolic associated fatty liver disease [MAFLD]), die das Hauptrisiko für eine Zirrhosebildung darstellt, vor allem wenn sie mit Diabetes einhergeht. Liegt eine Zirrhose vor, sollte zunächst deren Stadium bestimmt und anschliessend der Verlauf überwacht werden. Eine etablierte Therapie gibt es zurzeit noch nicht, weshalb es vor allem darauf ankommt, die Parameter des metabolischen Syndroms gut einzustellen, Gewicht zu reduzieren (10%), 3-mal wöchentlich Sport zu treiben und auf Alkohol zu verzichten. Eine andere Ursache für Leberwerterhöhungen sind medikamenteninduzierte Leberschädigungen (drug-induced liver injury, DILI), die meist dosisunabhängig zum Beispiel durch
nicht steroidale Antirheumatika (NSAR; Diclofenac, Ibuprofen, seltener Metamizol), Antibiotika (z. B. Co-Amoxicillin), Albendazol oder Marcumar hervorgerufen werden können. Auch Paracetamol, so der Experte, wirke, allerdings dosisabhängig, toxisch auf die Leber, sei aber in den gewöhnlichen Dosierungen von bis zu 3 g sogar bei Zirrhotikern, freilich nicht in Kombination mit Alkohol, gut verträglich.
Biliäre Ursachen
Hinter erhöhten Leberwerten könne sich ausserdem eine
biliäre oder pankreatogene Erkrankung verstecken, denn zur
Leber gehöre auch das Gallensystem, das wiederum mit dem
Pankreas in Verbindung stehe, erklärte Helbling. Die für den
Arzt wichtigsten Verdachtsmomente bei Cholostase, also bei
Stauung der Gallenflüssigkeit in der Leber, umfassen Gallen-
gangsteine (akuter Ikterus), Pankreastumoren (chronischer
Ikterus) oder eben eine viral, autoimmun oder medikamentös
bedingte Hepatitis. Den Weg zur Diagnose ebnen neben der
transabdominalen Sonografie die Endosonografie und
die Magnetresonanz-Cholangiopankreatikografie (MRCP).
Mit beiden letzteren Methoden können die Gallenwege gut
dargestellt werden. Die endoskopische retrograde Cholangio-
pankreatikografie (ERCP) ist das Mittel der Wahl zur Thera-
pie von biliären Obstruktionen durch Steine oder Tumor.
Essenziell, so Helbling, sei hier der differenzierte Einsatz der
einzelnen Bildgebungsmodalitäten, die jeweils in Abhängig-
keit von der Fragestellung bestimmte Stärken und Schwä-
chen hätten. So ist die Abdomensonografie gut geeignet zur
Untersuchung von Leber, Gallenblasensteinen und der Gal-
lenwegweite, nicht gut jedoch bei Gallengangsteinen oder
Pankreastumor. Hier eignet sich vor allem die CT, die wiede-
rum Schwächen bei Gallenblasen- und Gallengangsteinen
hat. Mit der magnetresonanztomografischen Untersuchung
des Abdomens lassen sich fokale Leberbefunde, Pankreastu-
moren, Gallen- und Pankreaswege gut abklären, Probleme
bestehen allerdings bei Patienten, die nicht ruhig liegen kön-
nen. In diesem Fall kann die Endosonografie weiterhelfen,
bei der die Patienten sediert werden können; diese Methode
eignet sich gut bei Verdacht auf Pankreastumor (mit Mög-
lichkeit zur Gewebeentnahme) und optimal bei Gallengang-
steinen, ist aber unbefriedigend bei Gefässinfiltration und zur
Lymphknotenübersicht.
s
Ralf Behrens
Quelle: Vortrag «Wie erkennt der Hausarzt Lebererkrankungen?» von Dr. med. Beat Helbling, Gastroenterologie Bethanien, Gemeinschaftspraxis für Magen/Darm/Leber/Galle, am FOMF-WebUp-Experten-Forum «Update Gastroenterologie», 15. Dezember 2022, online.
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