Transkript
FORTBILDUNG
Saisonale Grippe: Risikopersonen jetzt noch schützen!
Aktuelle Empfehlungen des Bundesamts für Gesundheit
Die Grippesaison 2022/23 hat begonnen. Experten rechnen mit einer überdurchschnittlich hohen Erkrankungswelle. Im Folgenden werden die aktuellen Empfehlungen der Schweizer Gesundheitsbehörde zur Grippeimpfung einschliesslich der Indikationen und Kontraindikationen der verfügbaren Vakzinen zusammengefasst.
Gemäss Angaben auf der Internetplattform zur Grippe- und COVID-19-Prävention des Bundesamts für Gesundheit (BAG) (1) gehen in der Schweiz jährlich etwa 111 000 bis 331 000 Arztkonsultationen, mehrere Tausend Spitaleinweisungen und mehrere Hundert Todesfälle auf das Konto der Influenzaviren. Ob und inwieweit die Welle der Ansteckungen mit Grippeviren in diesem Winter wieder höher ausfallen wird als in den vergangenen beiden Jahren, in denen die zum Schutz vor SARS-CoV-2 verordneten und praktizierten Hygienemassnahmen auch die Grippeinfektionszahlen zurückgedrängt haben, ist derzeit noch nicht klar. Obwohl Fachpersonen hierzulande und auch das BAG bereits frühzeitig vor einer bevorstehenden deutlichen Zunahme der Fallzahlen gewarnt haben, lässt sich ein solches Szenario bis anhin aus den wöchentlichen Lageberichten des BAG zur saisonalen Grippe, die auf den aus dem freiwilligen Sentinel-Meldesystem «Sentinella» erhobenen Daten basieren, noch nicht herauslesen. Sorge bereitet allerdings für die kommenden Monate das zu erwartende gleichzeitige Zirkulieren von Corona- und Grippeviren. Kurz aufeinanderfolgende Infektionen mit beiden Erregern können insbesondere für Personen gefährlich sein, die ein erhöhtes Risiko für Grippekomplikationen oder einen schweren COVID-19-Verlauf haben, das heisst für solche, die aufgrund einer noch nicht durchgemachten früheren Infektion oder fehlender Impfung keine oder lediglich eine unzureichende Immunität ausgebildet haben. Sollten parallel zur Grippewelle auch die COVID-19-Fallzahlen im kommenden Winter wieder ansteigen, wonach es augenblicklich ebenfalls nicht aussieht, könnte sich dies abermals zu einer ernsten Belastung des Gesundheitssystems auswachsen. Neben den empfohlenen Impfungen sind daher Hygienemassnahmen wie häufiges und gründliches Händewaschen oder das Maskentragen in geschlossenen Räumen durchaus (wieder) effektive Möglichkeiten der Prävention. Der optimale Zeitraum für die Grippeimpfung, die jedes Jahr wiederholt werden muss, liegt jeweils im Herbst zwischen Mitte Oktober und dem Beginn der Grippewelle, aber auch spätere Impfungen können noch einen gewissen Schutz bieten. Eine Impfung gegen Grippe kann laut BAG grundsätzlich
jederzeit vor oder nach und auch gleichzeitig mit einer COVID-19-Impfung erfolgen.
Grippeimpfung – für wen …
Gemäss Statistik waren nur 10 Prozent der in der Schweiz aufgrund einer Grippeerkrankung verstorbenen Personen jünger als 65 Jahre. Vor allem in der Altersgruppe der über 65-Jährigen kommt es also vergleichsweise häufiger zu einem komplikationsbehafteten Verlauf einer Grippeerkrankung, weshalb allen älteren Menschen grundsätzlich eine Impfung empfohlen wird. Auch Patienten mit chronischen Erkrankungen, schwangere Frauen sowie Säuglinge und frühgeborene Kinder bis zum Alter von 2 Jahren tragen ein erhöhtes Risiko, Komplikationen einer Grippeerkrankung zu entwickeln. Impfen lassen sollten sich in jedem Fall deren regelmässige Kontaktpersonen beziehungsweise Angehörige sowie alle Gesundheitsfachpersonen. Bei Säuglingen unter 6 Monaten und bei Personen mit schweren Allergien gegenüber Impfstoffkomponenten ist die Grippeimpfung allerdings kontraindiziert. Bei hohem Fieber sollte die Impfung erst nach dessen Abklingen erfolgen. Personen mit schwerem Asthma, Immundefizienz oder unter Behandlung mit Salicylaten dürfen nicht mit dem Lebendimpfstoff (Nasenspray) geimpft werden. Für welche Personenkreise das BAG die Grippeimpfung ausdrücklich empfiehlt, ist im Kasten zusammengefasst.
… und womit?
Bei den derzeit in der Schweiz zur Grippeimpfung zugelassenen Vakzinen (siehe Tabelle) handelt es sich wie seit einigen Jahren international üblich um sogenannte quadrivalente Impfstoffe. Diese enthalten als Antigene Oberflächenproteine der weltweit zirkulierenden 4 verschiedenen Virusstämme (2 Typ-A- [H1N1, H3N2] und 2 Typ-B-Influenzaviren [Yamagata, Victoria]). Sie werden traditionell in Hühnereikulturen hergestellt und enthalten keine Quecksilber- oder Aluminiumverbindungen. Da sich die jeweils im Umlauf befindlichen Virusvarianten beziehungsweise -subtypen laufend verändern und sich daher in jeder Grippesaison unterscheiden können, müssen die
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Kasten:
Wer sollte sich gegen Grippe impfen lassen?
A) Personen mit einem erhöhten Komplikationsrisiko bei einer Grippeerkrankung. (Für diese Gruppe werden die Kosten der Impfung von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernommen, sofern die Franchise bereits erreicht wurde.) Dies sind: ▲ Personen ab 65 Jahren ▲ schwangere und Frauen, die in den letzten 4 Wochen ent-
bunden haben ▲ Frühgeborene (geboren vor der 33. Schwangerschafts-
woche [SSW; < 32 0/7 SSW] oder mit einem Geburtsgewicht < 1500 g) ab dem Alter von 6 Monaten für die ersten beiden Winter nach der Geburt1 ▲ Personen (ab dem Alter von 6 Monaten) mit einer der folgenden chronischen Erkrankungen: Herzerkrankung; Lungenerkrankung (z. B. Asthma bronchiale); Stoffwechselstörungen mit Auswirkung auf die Funktion von Herz, Lungen oder Nieren (z. B. Diabetes oder morbide Adipositas, Body-Mass-Index [BMI] ≥ 40); neurologische (z. B. M. Parkinson, zerebrovaskuläre Erkrankung) oder muskuloskelettale Erkrankung mit Auswirkung auf die Funktion von Herz, Lungen oder Nieren; Hepatopathie; Niereninsuffizienz; Asplenie oder Funktionsstörung der Milz (inkl. Hämoglobinopathien); Immundefizienz (z. B. Infektion mit HIV, Krebs, immunsuppressive Therapie)1/2 ▲ Patientinnen und Patienten in Pflegeheimen und in Einrichtungen für Personen mit chronischen Erkrankungen.
B) Personen, welche in der Familie oder im Rahmen ihrer privaten oder beruflichen Tätigkeiten3 regelmässigen Kontakt haben mit: ▲ Personen der Kategorie A ▲ Säuglingen unter 6 Monaten (diese haben ein erhöhtes
Komplikationsrisiko und können aufgrund ihres jungen Alters nicht geimpft werden). Die Grippeimpfung ist insbesondere empfohlen für alle Medizinal- und Pflegefachpersonen, alle im paramedizinischen Bereich tätigen Personen, Mitarbeitende von Kinderkrippen, Tagesstätten sowie Alters- und Pflegeheimen (inkl. Studierende sowie Praktikantinnen und Praktikanten). Die saisonale Grippeimpfung kann ausserdem für alle Personen in Betracht gezogen werden, die ihr Risiko für eine Grippeerkrankung aus privaten und/oder beruflichen Gründen vermindern möchten.
1 Für bisher noch nie gegen die Grippe geimpfte Kinder im Alter von 6 Monaten bis 8 Jahre wird die Gabe von 2 Dosen (im Abstand von 4 Wochen) empfohlen. Kinder unter 3 Jahren erhalten (je) eine halbe Impfdosis bei Verwendung von Fluarix Tetra® oder (je) eine volle Dosis bei Verwendung von Vaxigrip Tetra®. 2 Je nach Art und Schwere der Immundefizienz können auch 2 Dosen (im Abstand von 4 Wochen) verabreicht werden. 3 Die Gruppe der «regelmässigen Kontaktpersonen» der Kategorie B umfasst Kinder und Erwachsene im Alter zwischen 6 Monaten und 64 Jahren. Bei beruflicher Impfindikation werden die Kosten der Impfung in der Regel vom Arbeitgeber übernommen.
Quelle: Bundesamt für Gesundheit (BAG; Stand: September 2021)
Tabelle:
Übersicht über die für die Saison 2022/23 zugelassenen Grippeimpfstoffe (Stand: November 2022)1
Produkt (Herstellerfirma) Efluelda® (Sanofi Pasteur) Fluarix Tetra® (GlaxoSmithKline) Vaxigrip Tetra® (Sanofi Pasteur) Fluenz Tetra®2 (AstraZeneca)
Impfstofftyp Splitvakzine, quadrivalent, Hochdosisimpfstoff (Viruspartikel in fragmentierter Form, die nebst Hämagglutinin und Neuraminidase noch weitere Virusbestandteile enthalten), zur Wirkungsverstärkung 4-fach erhöhte Antigenmenge; Verabreichung i.m. Splitvakzine, quadrivalent (Viruspartikel in fragmentierter Form, die nebst Hämagglutinin und Neuraminidase noch weitere Virusbestandteile enthalten); Verabreichung i.m. Splitvakzine, quadrivalent (Viruspartikel in fragmentierter Form, die nebst Hämagglutinin und Neuraminidase noch weitere Virusbestand- teile enthalten); Verabreichung i.m. attenuierter Lebendimpfstoff, quadrivalent (vermehrungsfähige, in ihrer Pathogenität stark abgeschwächte Grippeviren, die eine mukosale und systemische Immunantwort bewirken); Verabreichung nasal (links und rechts) via Spray
Zulassung/Alter für ältere Erwachsene ab 65 Jahren
für Erwachsene und für Kinder ab 36 Monaten
für Erwachsene und für Kinder ab 6 Monaten
zugelassen und erhältlich seit Mai 2022, für Kinder und Jugendliche von 2 bis 17 Jahre (vor dem 18. Geburtstag)
1 nach (1) 2 Die Zahl der aktuell verfügbaren Dosen ist begrenzt, und das Unternehmen wird die Lieferung weiterer Impfstoffdosen – aus markttechnischen Gründen – in die Schweiz in naher Zukunft einstellen. Es besteht die Möglichkeit, Fluenz-Tetra®-Impfdosen kostenlos bei der Firma zu bestellen.
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Impfstoffe jährlich entsprechend angepasst werden. Je nach den jeweils zuvor bereits auf der Südhalbkugel am häufigsten aufgetretenen und daher in der Folge auch in Mitteleuropa zu erwartenden Virusvarianten spricht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Vorfeld einer Grippesaison Empfehlungen aus, mit welchen Antigenkomponenten die Impfstoffe im Einzelnen modifiziert werden sollten. Daraus ergibt sich, dass jeweils neue behördliche Zulassungen der erfolgten Impfstoffanpassungen erforderlich werden. Um einen optimalen Schutz vor Erkrankung zu erzielen, wird eine jährlich wiederholte Grippeimpfung auch dann empfohlen, wenn sich die kursierenden Virusvarianten beziehungsweise die Impfstoffe nicht verändert haben. Gemäss Studien schwankt die Wirksamkeit der Grippeimpfung je nach Saison und geimpften Personen zwischen 20 und 80 Prozent. Bei Personen, die einer Risikogruppe angehören (siehe Kasten), vor allem bei älteren Menschen, ist die Grippeimpfung zwar im Durchschnitt weniger wirksam als bei Gesunden oder Jüngeren. Erkranken sie trotz Impfung, sind die Symptome jedoch meist milder, und es kommt seltener zu Komplikationen. Derzeit ist in der Schweiz neben den beiden herkömmlichen Spaltvakzinen Fluarix Tetra® und Vaxigrip Tetra® für Erwachsene und Kinder mit Efluelda® zur Grippesaison 2022/23 neu ein Hochdosisimpfstoff (4-fach erhöhte Antigenmenge) erhältlich, welcher aufgrund seiner verstärkten Wirksamkeit für Personen ab 65 Jahren zugelassen ist. Bei den genannten 3 Vakzinen handelt es sich um inaktivierte, das heisst keine infektiösen Viren enthaltende Impfstoffe, die intramuskulär verabreicht werden. Daneben ist seit Mai 2022 mit Fluenz Tetra® ein attenuierter Lebendimpfstoff für den Einsatz bei Kindern ab 2 Jahren und Jugendlichen (bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs) zugelassen. Diese Vakzine enthält vermehrungsfähige, in ihrer Pathogenität jedoch abgeschwächte Grippeviren und wird nicht injiziert, sondern beidseitig nasal angewendet. Allerdings konnten sich das BAG und die Herstellerfirma AstraZeneca bezüglich des Einatzes und der Vergütung des Impfstoffs nicht einig werden, sodass das Unternehmen den Markteintritt gestoppt hat. Noch verfügbare Dosen können ab sofort von allen Medizinalpersonen unter der Bedingung, dass sie diese gratis an Inserenten abgeben, kostenlos bestellt werden (2).
Unerwünschte Wirkungen
Zu den häufigsten (10–40%) unerwünschten Wirkungen ei-
ner Grippeimpfung zählen bei intramuskulär verabreichten
Vakzinen Rötungen, Schwellungen, Verhärtungen und
Schmerzen an der Einstichstelle. Des Öfteren (10%) kann es
zu allgemeinen Symptomen (z. B. Müdigkeit, Schwäche,
Krankheitsgefühl, Fieber, Muskelschmerzen, Durchfall,
Kopfschmerzen, Schwindel, Schnupfen, Rachenentzündung,
Frösteln, Übelkeit, Unterbauch- und Gelenkschmerzen) kom-
men. Diese Beschwerden klingen meist nach wenigen Tagen
wieder ab. Bei Verwendung der Lebendvakzine wurden zum
Teil Appetitstörungen, eine verstopfte Nase, Unwohlsein,
Kopfschmerzen, Muskelschmerzen und Fieber beschrieben.
Deutlich weniger häufig können vorübergehende Blutbild-
störungen (Thrombozytopenie) auftreten.
Sehr seltene (< 1 von 10 000 geimpften Personen) Komplika-
tionen einer Grippeimpfung stellen neurologische Störungen
(z. B. Guillain-Barré-Syndrom) oder allergische Reaktionen
wie Angioödem, Asthma oder Anaphylaxie dar. Letztere kön-
nen durch Komponenten des Impfstoffs (Virusbestandteile,
Hilfsstoffe) selbst oder durch darin noch enthaltene Spuren
von in den Herstellungsprozess involvierten Stoffen (Hühner-
eiweiss, Antibiotika) hervorgerufen werden. Um auf solche
Überempfindlichkeitsreaktionen adäquat antworten zu kön-
nen, wird empfohlen, alle geimpften Personen für 15 bis
20 Minuten nach der Impfung unter Verfügbarkeit gegebe-
nenfalls erforderlicher medizinischer Gegenmassnahmen
nachzubeobachten, da äusserst schwere Komplikationen
meist in diesem Zeitfenster auftreten.
s
Ralf Behrens
1. Bundesamt für Gesundheit (BAG): Schutz vor der Grippe – Plattform zur Grippe- und Covidprävention, https://impfengegengrippe.ch/de-ch/ gemeinsam-gegen-grippe.html
2. Medienmitteilung AstraZeneca vom 16.11.2022
Weitere Quellen: - BAG: Saisonale Grippe – Lagebericht Schweiz (Woche 45/2022), https://
www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/krankheiten-imueberblick/grippe.html#-1928567657 - INFOVAC – die Informationsplattform für Impffragen: Grippe, https:// www.infovac.ch/de/impfunge/nach-krankheiten-geordnet/grippe - PharmaWiki – Medikamente und Gesundheit: Grippeimpfung, https:// www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Grippeimpfung
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