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BERICHT
Impfungen unter Immunsuppression
Was haben wir bisher gelernt?
Anhand der Ereignisse seit Beginn der COVID-19-Pandemie fasste PD Dr. med. Christoph T. Berger, Universitätsspital Basel, im Rahmen des Rheuma Top zusammen, welche Erkenntnisse bisher gewonnen werden konnten. Sein Fokus lag dabei auf immunsupprimierten Personen.
«Dass Immunsupprimierte während der COVID-19-Pandemie zur Gruppe der Hochrisikopersonen gehörten, haben wir schon früh realisiert», erklärte PD Dr. med. Christoph T. Berger, Universitätsspital Basel. Im Laufe der Pandemie stellte sich heraus, dass nicht alle immunsupprimierten Personen ein gleich hohes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf aufweisen. Eine grosse Kohortenstudie mit über 222 000 Teilnehmern, darunter 7 Prozent Immunsupprimierte, ergab lediglich für Patienten unter Behandlung mit Rituximab (aufgrund rheumatologischer oder Tumorerkrankungen) ein erhöhtes Risiko für invasive Beatmung und Tod (1). Bei der Abschätzung des individuellen Risikos sei es jedoch immer auch notwendig, Faktoren wie das Alter und allfällige Komorbiditäten zu berücksichtigen, betonte Berger.
Impfschutz bei Immunsupprimierten
Das Ziel aller bisher zugelassenen Impfstoffe (mRNA-, Vektorsowie Proteinimpfstoffe) ist das Spike-Protein von SARSCoV-2. Ein systematischer Review mit Metaanalyse zur Serokonversion bei verschiedenen immunsupprimierten Patientengruppen (Tumorpatienten, Transplantierte, Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen) ergab, dass das Ausmass der Impfantwort bei Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen durch die Art der Behandlung beeinflusst wurde (2). «Eine ähnliche Untersuchung bei über 500 Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen in der Schweiz zeigte, dass der Antikörpertiter bei Patienten unter konventionellen synthetischen, krankheitsmodifizierenden Substanzen annähernd gleich ausfiel wie bei unbehandelten. Die schlechteste Immunantwort fand sich bei Patienten unter Rituximab», erläuterte Berger. «Man weiss heute aber, dass Patienten aufgrund der B-Zell-Depletion durch Rituximab zwar keine Antikörperantwort auf die Impfung, wohl aber eine T-Zell-Antwort entwickeln. Impfen lohnt sich daher trotzdem», betonte er. Allerdings sollte nach der letzten Rituximabdosis so lang wie möglich mit der Impfung gewartet und die nächste Rituximabdosis nach Möglichkeit erst 4 Wochen später verabreicht werden.
Hohe Seroprävalenz erreicht
«Die Beobachtung, dass der Impfschutz etwa nach 6 Monaten nachlässt, vor allem bei älteren Personen und Immunsupprimierten, hat dazu geführt, dass für diese Risikogruppen bereits früh eine Empfehlung für einen Booster ausgesprochen wurde», berichtete Berger weiter. Aufgrund von Mutationen im Spike-Protein schützen die bis anhin verwendeten Impfstoffe allerdings vor neuen Virusvarianten, wie zum Beispiel Omikron, schlechter. «Diese Mutationen führten dazu, dass das Virus infektiöser wurde, als es die Delta-
variante war. Jedoch befällt Omikron seltener die Lunge und führt dadurch seltener zu schweren Verläufen», so der Redner. Die Impfstrategie sowie die beiden bisherigen Omikronwellen bewirkten, dass die Seroprävalenz in den Kantonen Tessin und Zürich per Ende März 2022 bei 97 bis 98 Prozent lag (3). «Darauf aufbauend, besteht die Hoffnung, dass weitere Wellen zu keinen hohen Hospitalisationsraten mehr führen werden», sagte Berger.
Passive Immunisierung möglich
«Die hohe Seroprävalenz müssen wir auch im Kopf behalten, wenn es in unserer täglichen Praxis um eine Antikörperbestimmung geht. Die beste Indikation dafür ist die Identifikation von Personen, die noch keine oder zu wenig schützende Antikörper aufweisen. Das betrifft insbesondere die schwer immunsupprimierten oder mit Rituximab behandelten Patienten», erklärte er weiter. Solche Personen zu identifizieren, sei wichtig, da mittlerweile Optionen für eine passive Immunisierung zur Verfügung stünden. Dabei biete die Kombination aus den beiden monoklonalen Antikörpern Tixagevimab und Cilgavimab (Evusheld®) den Vorteil, dass auch die Omikronvarianten erkannt würden. «In den Zulassungsstudien zeigte dieses Produkt bei ungeimpften Risikopersonen eine Infektreduktion um 80 Prozent», so der Experte. Zur Verhinderung von schweren Verläufen steht mit Nirmatrelvir (PF-07321332)/Ritonavir (Paxlovid®) eine orale Option zur Verfügung. «Wichtig ist hier, dass das Medikament möglichst früh gegeben wird. Das heisst, man muss abschätzen, wie hoch das Risiko für einen schweren Verlauf ist, um bei einem positiven PCR-Test gleich mit der Behandlung beginnen zu können», sagte Berger. Er wies auf das hohe Interaktionspotenzial von Ritonavir hin. «Jeder, der diese Therapie verordnet, ist wirklich dazu verpflichtet, vorgängig eine bereits bestehende Medikation zu überprüfen», betonte er.
Zweiter Booster
Man müsse sich bewusst sein, dass der Schutz vor einer Infektion lediglich direkt nach dem Booster gut sei und danach rasch abnehme. «Der Schutz vor einer Hospitalisation wird durch einen Booster hingegen wieder verbessert. Das ist nach wie vor wichtig, vor allem bei älteren Personen und bei Risikogruppen wie den Immunsupprimierten», betonte Berger. s
Therese Schwender
Quelle: Rheuma Top, Pfäffikon, 22. August 2022.
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Referenzen: 1. Andersen KM et al.: Long-term use of immunosuppressive medi-
cines and in-hospital COVID-19 outcomes: a retrospective cohort study using data from the National COVID Cohort Collaborative. Lancet Rheumatol 2022;4(1):e33-e41. 2. Lee ARYB et al.: Efficacy of covid-19 vaccines in immunocompromised patients: systematic review and meta-analysis. BMJ 2022;376:e068632 3. https://www.corona-immunitas.ch/aktuell/seropravalenzin-der-schweizer-bevolkerung-nach-der-5-testphase/, zuletzt aufgerufen am 27. September 2022.
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