Transkript
BERICHT
SGLT2-Inhibitoren
Nutzen für Herz und Nieren – mit oder ohne Diabetes
SGLT2-Hemmer sind nicht nur wirkungsvolle Medikamente zur Diabetesbehandlung. Sie würden inzwischen mit grossem Nutzen auch bei nicht zuckerkranken Patienten mit Herzinsuffizienz oder eingeschränkter Nierenfunktion eingesetzt, wie PD Dr. med Matthias Hermann, Leitender Arzt, Klinik für Kardiologie und Universitäres Herzzentrum, Unispital Zürich, an den MediDays 2022 erläuterte.
«Ganz ohne Diabetes zu thematisieren, kommen wir da nicht durch», schickte Hermann seinem Referat «Diabetesmedikamente ohne Diabetes: SGLT2-Inhibitoren» voraus. Dies allein schon deshalb, weil die Vertreter der relativ neuen Gruppe der SGLT2-Inhibitoren (SGLT2i; SGLT2: sodium glucoselinked transporter 2) ganz klar als effektive, oral verfügbare Diabetesmedikamente entwickelt worden seien. Die Idee, die dieser Entwicklung zugrunde lag, war, den Mechanismus der nahezu 100-prozentigen Rückresorption von Glukose im Glomerulum zu durchbrechen. Diese Rückresorption führt täglich mehr als 180 g Glukose zurück in den Organismus, und sie wird zu etwa 90 Prozent von SGLT2 getragen. «Wenn wir SGLT2 hemmen, führt das dazu, dass die Glukose im Urin bleibt», erklärte der Referent. SGLT2i reduzieren die Glukoseabsorption im proximalen Nierentubulus, was zur Ausscheidung überschüssiger Glukose über den Urin und zu osmotischer Diurese führt. «Damit erniedrigen wir die Blutglukose und erzielen positive Effekte, zunächst auf den Diabetes.»
Zahlreiche klinische Studien mit ...
Im Zuge der Entwicklung dieser Medikamente ist eine stattliche Anzahl klinischer, randomisierter, kontrollierter Studien (randomized controlled trials, RCT) durchgeführt wor-
KURZ & BÜNDIG
� Mit den SGLT2-Inhibitoren steht eine neue Medikamentenklasse zur Verfügung, die in der kardiovaskulären Medizin, insbesondere bei Herzinsuffizienz, auch ohne Vorliegen eines Diabetes einen Nutzen hinsichtlich der Reduktion der Mortalität und der Hospitalisierungen hat.
� Eindrucksvolle Effekte der SGLT2-Inhibitoren zeigen sich für die Nephroprotektion, indem sie einer Verschlechterung der Nierenfunktionseinschränkung entgegenwirken können.
� Die Sicherheitsaspekte der SGLT2-Inhibitoren sind insgesamt positiv zu bewerten: Als häufigste Nebenwirkung treten Genitalmykosen auf (auf frühe Warnsignale achten!), Harnwegsinfekte sind deutlich seltener.
den, zu Beginn überwiegend im reinen Diabetes-Setting, aber schon bald, aufgrund erster entsprechender Wirksamkeitssignale, auch bei Herzinsuffizienz (HI) mit erniedrigter Ejektionsfraktion (heart failure with reduced ejection fraction, HFrEF; definiert durch klare Symptome und klinische Zeichen einer HI und echokardiografisch nachgewiesene eingeschränkte EF [< 40%]) sowie bei eingeschränkter Nierenfunktion beziehungsweise Nephropathie. Die klinische Forschung in diesem Bereich ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Unter dem Strich konnten sämtliche RCT zu SGLT2i mit primärem Fokus auf Diabetes einen Nutzen der neuen Wirkstoffe belegen, und zwar zeigte sich «nicht nur, dass der HbA1c-Wert heruntergeht, sondern dass die Patienten länger und gesünder leben, und das sind wirklich eindrucksvolle Ergebnisse», merkte Hermann an. Hierzu präsentierte er exemplarisch die wichtigsten Ergebnisse der EMPA-REG-Outcome-Studie mit Empagliflozin, in der mit dem klaren Effekt auf die kardiovaskuläre (CV) Mortalität erstmals für eine Diabetestherapie gezeigt wurde, dass sie die Sterblichkeit senken kann, und der DECLARE-TIMI-Studie mit Dapagliflozin, welche hinsichtlich des Auftretens von MACE (major adverse cardiac events), vor allem aber bei kombinierter Betrachtung von CV-bedingtem Tod und Hospitalisierung aufgrund einer Verschlechterung der HI klare Vorteile für den SGLTi gegenüber Plazebo zeigte. … und ohne Diabetes Wegen der deutlichen Signale hinsichtlich der Reduktion der Rate an Hospitalisierungen aufgrund einer akuten HI sind SGLT2i in weiteren RCT relativ früh gezielt bei Patienten mit HFrEF eingesetzt worden, nicht nur bei solchen mit Diabetes, sondern auch bei Nichtdiabetikern. Sowohl in der EMPEROR-Reduced- (Empagliflozin) als auch in der DAPAHF-Studie (Dapagliflozin) zeigte sich in einer jeweils älteren Studienpopulation (Durchschnitt: 65 Jahre) mit überwiegend noch gut erhaltener Nierenfunktion die Überlegenheit einer zusätzlichen Gabe von SGLTi gegenüber der leitlinienkonformen Standardtherapie, bestehend aus ACE-Inhibitoren (ACE: angiotensin-converting enzyme), Angiotensinrezeptorblockern, Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI), Betablockern, Mineralokortikoidrezeptoranta- 622 ARS MEDICI 21 | 2022 BERICHT gonisten (MRA) sowie implantierbarem Kardioverter-Defibrillator (ICD) beziehungsweise kardialer Resynchronisationstherapie (CRT). Ähnlich wie in den nur mit Diabetespatienten durchgeführten RCT konnte hier im kombinierten Endpunkt aus Hospitalisierung aufgrund Verschlechterung der HI oder von CV-Tod bereits nach 90 Tagen ein deutlicher SGLT2i-Effekt beobachtet werden. «Gerade bei HI ist die Vermeidung von Hospitalisierung essenziell, denn wiederholte Spitaleinweisungen haben jeweils einen dramatisch negativen Einfluss auf die Überlebenschancen», erklärte Hermann. Die «fantastischen Vier» der HI-Therapie Mit den oben erwähnten Studien hat sich die Behandlung der HFrEF grundlegend geändert. «Wir haben nun 4 gleichberechtigte Gruppen, die sogenannten ‹fantastic 4›, mit denen die Therapie gestartet werden soll», so der Kardiologe, und zwar s (wie bisher) Betablocker in Kombination mit Blockade des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS; präferenziell mit ARNI, alternativ mit ACE-Inhibitor) s zusätzlich MRA (tief dosiert, z. B . Spironolacton 25–50 mg) s neu zusätzlich SGLT2i. Die klinische Herausforderung liege jetzt eher darin, wie man diese 4 Medikamente gegeneinander ausbalanciere, meinte der Experte. Sicherlich könne man nicht auf einen Schlag alle Medikamente in voller Dosierung geben (Prinzip: start low, go slow), aber bei welchen Patienten in welcher Reihenfolge aufdosiert werde, sei noch Gegenstand weiterer Forschung. Auch Patienten mit HI mit erhaltener Pumpfunktion (HF with preserved EF, HFpEF; diastolische HI) profitieren von SGLT2i. Diese Patienten sind im Vergleich zu denjenigen mit HFrEF etwas älter (Durchschnitt: 72 Jahre), und der Frauenanteil ist bei ihnen höher (little old ladies’ heart). Sie zeigen die gleichen klinischen Anzeichen einer HI (Ödeme, gestaute Lunge usw.) und die gleichen Beschwerden, aber die EF liegt bei ihnen definitionsgemäss über 50 Prozent. Bis anhin habe es für diese zunehmend erkannte Gruppe ausser einer Kontrolle des Volumenstatus mit Diuretika und der erhöhten Blutdruckwerte keine Therapie gegeben, geschweige denn eine, die einen Mortalitätsnutzen gezeigt hätte, so Hermann. In der EMPEROR-Preserved-Studie konnte bei Patienten mit einer EF im Bereich von 40 bis über 60 Prozent, beginnend nach nur 3 Monaten Therapie mit Empagliflozin, ein deutlicher und anhaltender Effekt hinsichtlich der Reduktion der Sterblichkeit und der Hospitalisierung aufgrund der HI beobachtet werden. Und auch die kürzlich am Kongress der European Society of Cardiology (ESC) in Barcelona präsentierte Konkurrenzstudie DELIVER mit Dapagliflozin konnte einen eindeutigen Nutzen des SGLT2i belegen, ergänzte der Referent. Seit 30. Juni 2022 ist Empagliflozin in der Schweiz nun zur HI-Therapie unabhängig von der EF zugelassen. Warum die SGLT2i bei HI eigentlich wirkten, sei letztlich noch nicht vollkommen klar, sagte Hermann. Von den verschiedenen kursierenden Hypothesen leuchte ihm diejenige ein, nach der diese Medikamente den Metabolismus auf zellulärer Ebene durch Reduktion der Glukose verbesserten. Für Details verwies er auf eine kürzlich im «New England Journal of Medicine» publizierte Übersichtsarbeit des renommierten Kardiologen Eugene Braunwald (1). Zusatznutzen Nephroprotektion und Blutdrucksenkung Weitere positive Aspekte der SGLT2i-Therapie betreffen ihren Nutzen zur Nephroprotektion (indiziert sind Canagliflozin und Dapagliflozin für die diabetische, aber auch die nicht diabetische Nephropathie zur Verhinderung einer weiteren Verschlechterung der Nierenfunktion beziehungsweise von Dialysepflichtigkeit), die Blutdrucksenkung und die kardiovaskuläre Sekundärprävention bei Diabetikern (indiziert sind Empagliflozin und Canagliflozin). Der renale Nutzen der SGLT2i hatte sich zuerst in der DAPA-CKD-Studie gezeigt, in der Patienten mit und ohne Diabetes, mit einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von 25 bis > 60 ml/min und gegebenenfalls mit Albuminurie eingeschlossen worden waren und mit Dapagliflozin behandelt wurden. Renale und CV-Endpunkte umfassten eine Verschlechterung der GFR um mehr als 50 Prozent, Dialysepflichtigkeit, Nierentransplantation oder CV-bedingten Tod. Die Analyse der Daten ergab einen deutlichen Vorteil für Dapagliflozin gegenüber Plazebo. «Das heisst, wir haben einen renalen Effekt der SGLT2i bei Patienten mit mehr oder weniger erhaltener EF», erklärte Hermann, «aber bei Patienten mit eingeschränkter GFR < 60 zeigen diese Medikamente mit und ohne begleitende Albuminurie einen eindeutigen Nutzen, unabhängig davon, ob zu Baseline ein Diabetes bestand oder nicht.» Es stellt sich die Frage, warum die eingeschränkte Nierenfunktion im skizzierten Kontext eine so wichtige Rolle spielt. Hierzu erwähnte der Referent das Modell des kardiorenalen Kontinuums, in dem unter anderem wiederum der Diabetes als Trigger der koronaren Herzkrankheit, aber auch die diabetische Kardiopathie als Frühform der HFpEF essenziell ist. «Wir müssen immer im Hinterkopf behalten, dass der grösste Teil der renal schwerst eingeschränkten Patienten an kardiovaskulären Erkrankungen stirbt», erinnerte Hermann. «Diese Interaktion gilt es besser zu verstehen, und da ist es natürlich günstig, wenn wir ein Medikament haben, das beide Aspekte positiv beeinflussen kann.» Die Mechanismen, warum die SGLT2i renal funktionierten, seien vielschichtig, so der Referent, und man habe noch keinen eindeutigen Trigger gesehen. Postuliert werden unter anderem eine Steigerung von Erythropoetin und mithin eine Verbesserung der Sauerstoffzufuhr sowie eine vermehrte Bildung von Ketonen mit möglichem Nutzeneffekt. Nachgewiesen und pathophysiologisch sinnfällig ist, dass beim Diabetes eine glomeruläre Hyperfiltration vorliegt, die dauerhaft zu einer weiteren Schädigung führt. «Hier greift die SGLT2-Hemmung ein, indem dieser Feedbackloop über den juxtaglomerulären Apparat dazu führt, dass das Vas afferens nicht mehr dilatiert ist, sondern wieder normal kontrahiert und somit der Druck auf die Glomeruli zurückgeht», erklärte der Experte. Verschiedene antiinflammatorische beziehungsweise antioxidative Aspekte spielen hier möglicherweise auch noch eine Rolle. SGLT2i sind allein, aber auch in Kombination mit Metformin und anderen Diabetesmedikamenten in der Lage, den Blutdruck moderat zu senken (um ca. 3–5 mmHg). Gemäss einer 24-h-Blutdruck-Studie ist der Effekt abhängig vom Blutdruckausgangswert, und es profitieren vor allem Patienten mit Werten > 130/80 mm/Hg.
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ARS MEDICI 21 | 2022
BERICHT
Tabelle:
Therapieempfehlungen für SGLT2-Hemmer1
Wirkstoff
Diabetes mellitus
HFrEF
HFpEF
Nephropathie Kardiovaskuläre
Typ 2
(LVEF ≤ 40%, NYHA II–III) Sekundärprävention
+ Diabetes mellitus
Empagliflozin
+
+ + +
Dapagliflozin
(eGFR ≥ 45 ml/min)
+
(eGFR ≥ 20 ml/min) (eGFR ≥ 20 ml/min)
+ +*
Canagliflozin
(eGFR ≥ 45 ml/min)
(eGFR ≥ 25 ml/min)*
+ +#
+
Ertugliflozin
(eGFR ≥ 45 ml/min)
+
(eGFR ≥ 45 ml/min)
SGLT2: sodium glucose-linked transporter 2, HFrEF: heart failure with reduced ejection fraction, LVEF: linksventrikuläre Ejektionsfraktion, NYHA: New York Heart Association, HFpEF: heart failure with preserved ejection fraction, eGFR: geschätzte glomeruläre Filtrationsrate, * Neubeginn bis eGFR ≥ 25 ml/min, Fortsetzung der Therapie bis Dialyse/Transplantation möglich, # Neubeginn bis eGFR ≥ 30 ml/min, Fortsetzung der Therapie bis Dialyse/Transplantation möglich 1 nach M. Hermann, gemäss Arzneimittelkompendium der Schweiz (compendium.ch)
Therapieempfehlungen
Derzeit ergibt sich aus den bis anhin erhobenen Daten das in der Tabelle zusammengefasste Indikationsspektrum der SGLT2i. Wichtig für den klinischen Alltag sei noch, dass der Nutzen und die Effektivität der SGLT2i in der Diabetestherapie mit Abnahme der Nierenfunktion etwas verloren gingen, fügte der Experte an. Das heisst, bis zu einer GFR von 40 bis 45 ml/min können die Medikamente sehr gut eingesetzt werden. Ist die Nierenfunktion noch schlechter (> 20 ml/min), besteht immer noch die Möglichkeit, die SGLTi als HITherapie einzusetzen, weil ihr Nutzen hier nahezu unabhängig von der Nierenfunktion ist. Bezüglich potenzieller Nebenwirkungen der SGLT2i kursierten nach wie vor die Harnwegsinfektionen (HWI), sagte der
Referent, die in Wirklichkeit allerdings zum Glück eher sel-
ten seien. Ein Blick auf die Details zeige, dass es vor allem
Genitalmykosen seien, die hier Probleme bereiten könnten.
Darauf sollte man die Patienten hinweisen und versuchen,
sie entsprechend zu schulen, die Symptome rechtzeitig zu er-
kennen, und eventuell bei Risikopatienten den Sinn eines
SGLT2i-Einsatzes abwägen. Die potenziell gefürchteten
Ketoazidosen oder Hypoglykämien treten bei Diabetespati-
enten mit SGLT2i so gut wie gar nicht auf.
s
Ralf Behrens
Quelle: Vortrag «Diabetesmedikamente ohne Diabetes: SGLT2-Inhibitoren» von PD Dr. med Matthias Hermann, Leitender Arzt, Klinik für Kardiologie und Universitäres Herzzentrum, Unispital Zürich, an den ZAIM (Zurich Academy of Internal Medicine) MediDays, 26. August 2022 in Zürich.
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