Transkript
FORTBILDUNG
Neue Entwicklungen bei Herzschrittmachern und Defibrillatoren
Vor- und Nachteile transvenöser, kabelloser und subkutaner Systeme
Häufige Komplikationen der Schrittmacher- beziehungsweise der Defibrillatortherapie sind Infektion und Elektrodenkomplikation. Diese Risiken können durch den kabellosen Herzschrittmacher oder den subkutanen Defibrillator reduziert werden. Aufgrund anderer Limitationen werden diese neuen Systeme in den nächsten Jahren jedoch nicht die konventionellen transvenösen Systeme komplett ersetzen. Uns werden künftig transvenöse, kabellose und subkutane Systeme im Alltag begegnen. Aus dem Fehlen einer infraklavikulären Aggregattasche darf nicht geschlossen werden, dass dem Patienten kein Herzschrittmacher oder Defibrillator implantiert wurde.
Oliver Przibille
Es war ein grosser Fortschritt, als 1958 der schwedische Arzt Ake Senning zusammen mit Rune Elmquist den ersten Herzschrittmacher implantierte. Wichtige Weiterentwicklungen der nächsten 20 Jahre waren die Einführung der Lithiumionenbatterie, die Programmierbarkeit der Schrittmacher und der Wechsel von der epikardialen zur transvenösen Schrittmacherelektrode (7). Seit über 40 Jahren hat sich an der Schrittmachertechnik jedoch keine weitere wesentliche Veränderung ergeben. Das Aggregat wird rechts oder links infraklavikulär über einen etwa 5 cm grossen Hautschnitt implantiert und über transvenös eingebrachte Elektroden mit den Herzkammern verbunden. Hiermit sind bereits die beiden grossen Schwachstellen des Systems benannt: die Aggregattasche und die Elektrode mit den resultierenden Hauptkomplikationen Infektion, Elektrodendislokation (früh postoperativ) und Elektrodendefekt im Langzeitverlauf. Die Gefahr einer Infektion des Schrittmachersystems steigt abhängig von patientenindividuellen Risikofaktoren wie zum Beispiel Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz oder immunsuppressiver Medikation (6). Klinisch kann sich eine Schrittmacherinfektion lokal durch Schmerz oder Rötung bis hin zur Aggregatperforation äussern (Abbildung 1). Darüber hinaus können Infektionen entlang der Elektroden auftreten, die sich als Fieber im Rahmen einer Bakteriämie äussern oder gar als Endokarditis manifestieren.
MERKSÄTZE
� Typische Komplikationen herkömmlicher Schrittmacher sind Infektion und Elektrodendislokation.
� Kabellose Schrittmacher brauchen keine Aggregattasche und keine Elektroden, haben jedoch andere Schwächen.
� Neuere ICD verzichten auf transvenöse Elektroden.
Ein kabelloser Schrittmacher kann unmittelbar in den rechten Ventrikel implantiert werden und kommt deshalb ohne subkutane Aggregattasche und ohne Schrittmacherelektroden aus. Die Idee hierzu stammt bereits aus dem Jahr 1970, brauchte jedoch 40 Jahre bis zur klinischen Reife (5). Von 3 Firmen wurden kabellose Schrittmacher entwickelt, wobei derzeit nur der Micra® der Firma Medtronic auf dem Markt verfügbar ist. Erforderlich war die Miniaturisierung des Schrittmachers mit Weiterentwicklung der Batterie, um eine ausreichende Aggregatlaufzeit zu ermöglichen. Das Micra®-System hat eine Länge von 25,9 mm und ein Volumen von nur 0,8 cm3 bei einem Gewicht von 1,75 g. Mithilfe von 4 Nitinolhäkchen wird es im Bereich des interventrikulären Septums im rechten Ventrikel verankert. Die Häufigkeit von Perikardergüssen beziehungsweise -tamponaden hat mit dem Wechsel des Implantationsorts vom Apex hin zum Septum und mit der Erfahrung der Implanteure erheblich abgenommen und tritt heute nicht häufiger auf als bei der Implantation herkömmlicher Schrittmacherelektroden. Insgesamt zeigen sich bislang ein hoher und komplikationsloser Implantationserfolg sowie eine im Verlauf sehr stabile Funktion des kabellosen Schrittmachers (3, 4). Der Zugang für den Implantationskatheter ist üblicherweise die rechte Leiste. Nach Punktion der V. femoralis wird der kabellose Schrittmacher über einen 27 Fr grossen Katheter zum Herzen vorgebracht. Seltene Komplikationen sind Blutergüsse oder Thrombosen im Bereich der Leiste. Aufgrund des Zugangs über die Leiste stellt der kabellose Schrittmacher eine sinnvolle Alternative dar, wenn wie im Fallbeispiel (siehe Kasten) der Zugangsweg über die V. subclavia problematisch ist.
Limitationen kabelloser Herzschrittmacher
Die unmittelbare Implantation des Aggregats in den rechten Ventrikel hat zur Folge, dass es sich um einen Einkammerschrittmacher handelt. Aus rhythmologischer Sicht besteht
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Kasten:
Fallbeispiel: Dialysepatientin mit Vorhofflimmern
Frau M. erleidet während der Dialyse eine Synkope. In der nachfolgenden Monitorüberwachung zeigen sich Pausen bis zu 8 Sekunden bei seit Jahren bekanntem permanenten Vorhofflimmern. Da seit 2 Jahren wiederholt Synkopen aufgetreten sind, fällt die Entscheidung für die Implantation eines Herzschrittmachers. Rechtsseitig liegt bereits der DemersKatheter für die Dialyse. Vor 5 Jahren erfolgte auf der linken Seite eine Mastektomie wegen eines Mammakarzinoms einschliesslich Lymphknotenentfernung. Somit besteht für die Schrittmacherimplantation auf der linken Seite eine relative Kontraindikation, rechtsseitig ist das Infektionsrisiko erhöht. Nach Rücksprache mit den Kardiologen wird ein kabelloser Herzschrittmacher implantiert. Das kleine kapselartige Aggregat wird in einem Kathetereingriff über die Leiste direkt in den rechten Ventrikel vorgebracht und dort verankert.
die Indikation zur Implantation eines solchen VVIR-Schrittmachers (VVIR: ventricle-paced, ventricle-sensed, inhibited, rate-responsive) insbesondere bei symptomatischem, bradykard übergeleitetem Vorhofflimmern. Dies stellte 2019 jedoch mit 13,1 Prozent aller stationären Schrittmacherimplantationen in Deutschland eher eine seltenere Indikation dar. Erfreulicherweise steht seit 2020 ein kabelloser Schrittmacher zur Verfügung, der eine AV-synchrone (AV: antrioventrikular) Kammerstimulation ermöglicht. Hierdurch kann auch Patienten mit AV-Block eine physiologische Schrittmacherversorgung mittels kabellosen Schrittmachers angeboten werden. Technisch wird dies dadurch ermöglicht, dass der implementierte Sensor, der eigentlich für die belastungsabhängige Frequenzsteuerung zuständig ist, die durch die Vorhofkontraktion ausgelöste Erschütterung detektieren kann. Im Anschluss an die so detektierte intrinsische P-Welle stimuliert der Schrittmacher den Ventrikel, die AV-Synchronität bleibt erhalten. Der AV-Micra® (Abbildung 2) ist daher in Form und Grösse identisch mit dem VVIR-Micra®. Für die Indikation des kranken Sinusknotens (2019 ca. ein Drittel aller Indikationen) steht weiterhin jedoch keine physiologische Stimulationsmöglichkeit über einen kabellosen Schrittmacher zur Verfügung (8). Ebenfalls ungelöst ist derzeit die Frage, wie bei Erreichen der Batterieerschöpfung nach 8 bis 12 Jahren verfahren werden soll. Ob routinemässig eine Explantation der vollständig endothelialisierten Schrittmacherkapsel möglich beziehungsweise nötig sein wird oder ob der Einfachheit halber ein zweiter kabelloser Schrittmacher in den rechten Ventrikel implantiert wird, ist derzeit Gegenstand der Diskussion. Kabellose Herzschrittmacher sind eine wichtige Weiterentwicklung zur Vermeidung mechanischer Komplikationen durch Herzschrittmacher. Eine weitere, hiervon völlig unabhängige Weiterentwicklung konventioneller Schrittmachersysteme betrifft den Wunsch nach einer möglichst physiologischen Stimulation. Hierbei geht es um die Optimierung des Stimulationsorts und nicht um Komplikationsvermeidung durch Reduktion von Hardware. Hintergrund ist, dass die rechtsventrikuläre Stimulation, unabhängig davon, ob septal
Abbildung 1: Perforierte Aggregattasche bei chronischer Tascheninfektion (© O. Przibille)
Abbildung 2: Kabelloser Schrittmacher (Micra®): im rechten Ventrikel am Septum fixierte Schrittmacherkapsel (© O. Przibille)
oder apikal, im Vergleich zur Erregungsausbreitung über das His-Purkinje-System immer zu einer unphysiologischen Depolarisation führt. Von besonderer klinischer Relevanz ist hierbei die asynchrone Kontraktion des linken Ventrikels, wodurch eine bestehende Linksherzinsuffizienz verschlechtert oder im schlimmsten Fall erst ausgelöst wird (stimulationsinduzierte Kardiomyopathie) (1). Um dies zu vermeiden, gibt es derzeit viele Untersuchungen, die die Positionierung der rechtsventrikulären Elektrode unmittelbar am His-Bündel prüfen. Alternativ hierzu wird in jüngster Zeit die direkte Stimulation des linken Tawara-Schenkels probiert, indem eine Stimulationselektrode vom rechten Ventrikel tief ins interventrikuläre Septum eingeschraubt wird (2).
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Abbildung 3: Subkutaner ICD (S-ICD) in posterior-anteriorem Strahlengang (© O. Przibille)
lang des Sternums und des linken Rippenbogens zum Aggre-
gat, das unter den M. latissimus dorsi implantiert wird (vgl.
Abbildungen 3 und 4). Die Stromabgabe zwischen Aggregat
und parasternal liegender Defibrillatorelektrode gewährleis-
tet eine ausreichende Stromdichte am Myokard, um Kam-
merflimmern zu terminieren. Da die subkutane Defibrillator-
elektrode nicht kontinuierlich dem Blutstrom ausgesetzt ist
und nicht den thorakalen und kardialen Bewegungen folgen
muss, ist die Konstruktion wesentlich robuster, sodass mit
Elektrodendefekten deutlich weniger zu rechnen ist als bei
transvenösen Elektroden. Da Elektrode und Aggregat extra-
thorakal zu liegen kommen, ist die erforderliche Defibrilla-
tionsenergie höher als beim transvenösen System (max. 80 J
anstelle von max. 40 J). Hierdurch ist eine grössere Batterie
erforderlich und somit das Aggregat grösser als bei herkömm-
lichen transvenösen Systemen. Auch erscheint die Lage unter-
halb des M. latissimus dorsi ungewöhnlich. Nach kurzer
Eingewöhnung berichten jedoch auch sehr schlanke Patien-
ten über einen sehr guten Tragekomfort.
Aus dem Verzicht auf eine intrakardiale Elektrode resultiert
gleichzeitig der grösste Nachteil des S-ICD, nämlich die feh-
lende Stimulationsmöglichkeit. Somit kann der S-ICD weder
im Falle von Bradykardien eine VVI-Backup-Stimulation er-
möglichen, noch ist eine schmerzlose antitachykarde Über-
stimulation (ATP) im Falle monomorpher ventrikulärer Ta-
chykardien möglich. Der S-ICD ist einzig darauf ausgelegt,
den plötzlichen Herztod durch Abgabe von Elektroschocks
zu verhindern. Künftig wird es wohl die Option geben, den
S-ICD mit einem kabellosen Schrittmacher zu kombinieren,
um die Therapieoptionen zu erweitern. Das Emblem®-System
der Firma Boston Scientific ist seit mehreren Jahren in Er-
probung, steht derzeit aber noch nicht für den Routineeinsatz
zur Verfügung.
s
Abbildung 4: Subkutaner ICD (S-ICD) in lateralem Strahlengang (beachte: kein transvenöser Elektrodenverlauf) (© O. Przibille)
Vom transvenösen zum «subkutanen» Defibrillator
Implantierbare Defibrillatoren können Lebensretter sein. Ähnlich wie bei Schrittmachern sind im Verlauf auch hier die Aggregattasche und die transvenöse Elektrode Ausgang für die häufigsten Komplikationen, nämlich Infektion und Elektrodendefekte. Können Elektrodendefekte bei Schrittmacherpatienten zu einem (intermittierenden) Verlust effektiver Stimulation führen, kommt bei Defibrillationssonden das Risiko für inadäquate Schockabgaben hinzu: Defekte Elektroden führen zu elektrischen Artefaktsignalen, die als ventrikuläre Tachyarrhythmie fehlinterpretiert und so zu nicht erforderlichen Therapieabgaben durch den Defibrillator führen können. Der Wunsch, auf die transvenöse Elektrode verzichten zu können, führte zur Entwicklung des subkutanen implantierbaren Kardioverter-Defibrillators (S-ICD). Der Zusatz «subkutan» bezieht sich auf die Lage der Defibrillationselektrode, die nun nicht mehr transvenös zum Herzen führt. Stattdessen verläuft die Elektrode extrathorakal ent-
Dr. med. Oliver Przibille CCB am Agaplesion Bethanien Krankenhaus Im Prüfling 23 D-60389 Frankfurt am Main
Interessenlage: Der Autor hat keine Interessenkonflikte deklariert.
Dieser Artikel erschien zuerst in «doctors today», 6/2021. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
Literatur: 1. Abdelrahman M et al.: Clinical outcomes of His bundle pacing compared
to right ventricular pacing. J Am Coll Cardiol. 2018;71(20):2319-2330. 2. Arnold AD et al.: His-Purkinje conduction system pacing: state of the art
in 2020. Arrhythm Electrophysiol Rev. 2020;9(3):136-145. 3. Duray GZ et al.: Long-term performance of a transcatheter pacing sys-
tem: 12-month results from the Micra Transcatheter Pacing Study. Heart Rhythm. 2017;14(5):702–709. 4. El-Chami MF et al.: Updated performance of the Micra transcatheter pacemaker in the real-world setting: a comparison to the investigational study and a transvenous historical control. Heart Rhythm. 2018;15(12):1800–1807. 5. Spickler JW et al.: Totally self-contained intracardiac pacemaker. J Electrocardiol. 1970;3(3-4):325–331. 6. Tarakji KG et al.: Cardiac implantable electronic device infection in patients at risk. Arrhythm Electrophysiol Rev. 2016;5(1):65-71. 7. Verma N, Knight BP: Update in cardiac pacing. Arrhythm Electrophysiol Rev. 2019;8(3):228–233. 8. https://iqtig.org/downloads/auswertung/2019/09n1hsmimpl/ QSKH_09n1-HSM-IMPL_2019_BUAW_V02_2020-07-14.pdf
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