Transkript
RÜCKBLICK 2021/AUSBLICK 2022
Rheumatologie
PD Dr. med. Dr. rer. nat. Ulrich Gerth Stv. Chefarzt Reha Rheinfelden Rheinfelden
Das persönliche Verhältnis geht für Patienten und Ärzte gleichermassen gestärkt aus dieser Pandemie hervor
Im Lauf der Coronapandemie haben sich viele Dinge verändert. Wie sieht die neue Normalität für Sie persönlich aus?
Ich denke, dass wir diese Frage noch nicht abschliessend behandeln können. Zu Beginn der Pandemie gab es zunächst viel Unsicherheit, was, aus der Ex-post-Sicht betrachtet, zu teilweise abstrusen Hypothesen geführt hat. Mittlerweile haben wir viel über das Virus und dessen medizinische Gefahren gelernt. Unklar ist meines Erachtens jedoch weiterhin eine möglichst genaue Nutzen-Risiko-Abschätzung vieler Massnahmen. Hier wird die Zukunft sicherlich mehr Klarheit bringen, insbesondere wenn man die Interferenzen mit anderen nicht medizinischen Fachgebieten, wie zum Beispiel Jurisdiktion, Ökonomie, Ethik, Psychologie und so weiter, analysiert. Persönlich hilft mir hierbei, gedanklich einen Schritt zurückzutreten und zu versuchen, möglichst unemotional die Fakten – soweit bekannt – aus der Distanz zu betrachten.
Hat die Pandemie aus Ihrer Sicht auch etwas Positives bewirkt?
Ja, ich denke, die Pandemie hat, wie andere «Krisen» auch, sehr viele positive Entwicklungen mit sich gebracht. Die Menschen haben gelernt, nach innen zu schauen und ihre eigenen persönlichen Bedürfnisse zu reflektieren. Ein sicherer eigener Standpunkt hilft zudem bei unsicheren Rahmenbedingungen, zuversichtlich nach vorn zu schauen. Insbesondere die Bedeutung persönlicher Beziehungen und die Grenzen der Wissenschaft sind vielen Menschen vor Augen geführt worden.
Hat sich die Rolle der Hausärztinnen und Hausärzte im Gesundheitswesen während der Pandemie verändert?
Ich glaube, dass die Pandemie dazu geführt hat, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis wieder vermehrt im Mittelpunkt steht. Diese zentrale Beziehung ist etwas sehr Wichtiges und lässt sich nicht durch «Dr. Google» ersetzen. Das persönliche Verhältnis geht für Patienten und Ärzte gleichermassen gestärkt aus dieser Pandemie hervor.
Abgesehen von COVID-19: Welche neuen Erkenntnisse fanden Sie im vergangenen Jahr interessant?
Aus rheumatologischer Sicht wurden folgende Entwicklungen bestätigt beziehungsweise fortgeführt: 1. die zunehmend differenziertere immunologische Therapie verschiedener entzündlich rheumatischer Erkrankungen, 2. die möglicherweise dadurch relativierte Bedeutung der Glukokortikoide unter zunehmender Berücksichtigung steroidsparender beziehungsweise sreroidfreier Therapieregime sowie 3. die wachsende Evidenz nicht medikamentöser Therapieverfahren, insbesondere bei degenerativen Erkrankungen.
In welchen Bereichen ist alles bereits wieder so wie früher oder wird es in absehbarer Zukunft wieder sein? Welche Veränderungen werden vermutlich langfristig bestehen bleiben?
Im medizinischen Bereich wird man zukünftig sicherlich «sen-
sibler» in Bezug auf Infektionserkrankungen jeglicher Art sein.
Hierzu würde ich auch die Influenza und virale Magen-
Darm-Erkrankungen zählen. Ausserdem glaube ich, dass das
veränderte Desinfektionsverhalten im medizinischen Bereich
eine nachhaltige Veränderung herbeigeführt hat. Bezogen auf
die Berufsfelder allgemein, hat sicherlich das Homeoffice be-
stehende Arbeitsprozesse verändert. Bei der direkten Patienten-
versorgung ist dies jedoch nur begrenzt umsetzbar. Ich nutze
hier zum Beispiel öfter Telefontermine als vor der Pandemie.
Welche Entwicklungen erhoffen Sie sich für das
Jahr 2022 in Ihrem Fachgebiet?
Nachdem es in den letzten Jahren deutliche Innovations-
sprünge bei der rheumatoiden Arthritis, den Spondyloarthri-
tiden oder der Osteoporosetherapie gegeben hat, wünsche ich
mir gute Studienergebnisse bei den Kollagenosen. Hier stehen
der systemische Lupus erythematodes, das Sjögren-Syndrom
oder die systemische Sklerose oft aufgrund der geringeren
Patientenzahl gegenüber den erstgenannten Erkrankungen
manchmal etwas hintenan.
s
24 ARS MEDICI 1+2 | 2022