Transkript
EDITORIAL
Daten schützen
«Du bist, was du isst» – wer kennt sie nicht, diese Binsenweisheit, die auf den Punkt bringt, wie sehr unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden davon abhängen, wie wir uns ernähren? Wer – medizinisch gezwungen oder weitestgehend freiwillig – schon einmal versucht hat, seine Essgewohnheiten umzustellen, weiss allerdings auch, wie schwer das meist fällt. Ist es doch so, dass wir mit der «richtigen» Nahrung nicht nur unserem Körper, sondern auch unserer Seele Gutes tun (wollen) und beides aus unterschiedlichsten Gründen leider nicht immer zur Deckung zu bringen ist. Was «richtig» ist, muss ja erst einmal klar sein, und das Lustprinzip lässt sich nie ganz ausschalten. Da gilt es dann, zusätzliche Anreize zu schaffen, mithilfe deren die Psyche wenn schon nicht zu überzeugen, so doch wenigstens zu überlisten ist. Die zu eng gewordene Lieblingshose oder die angestrebte Bikinifigur taugen da oft weit mehr zur Motivation als eine drohende Arteriosklerose oder koronare Herzkrankheit, welche ja zunächst einmal nur der Arzt sieht (falls man ihn denn sieht) ... Einen interessanten neuen Ansatz, um ernährungsassoziierte Probleme hausärztlicherseits stärker ins Bewusstsein der Patienten zu rücken und diese womöglich zu einer rechtzeitigen Verhaltensänderung zu bewegen, hat eine englische Forschergruppe mit ihrer kürzlich publizierten PC-SHOP-Studie (1) verfolgt. Die Wissenschaftler untersuchten, ob in der Allgemeinpraxis abgegebene kurze mündliche und schriftliche Informationen zu den Effekten gesättigter Fettsäuren (SFA) auf den Cholesterinspiegel und das kardiovaskuläre Risiko sowie Tipps zur Reduktion des SFA-Anteils in der Nahrung bei Patienten mit nachweislich erhöhtem LDL-Cholesterin zu einer deutlicheren Umstellung der Ernährung und zu einer stärkeren Reduktion der LDL-C-Spiegel führen, wenn diese Beratung zusätzlich an ein monatliches personalisiertes Feedback zu ihren jeweiligen Lebensmitteleinkäu-
fen gekoppelt ist. Für diese individuelle Rückmeldung erhielten
die beratenden Gesundheitsfachpersonen jeweils Zugriff auf die
per Kundenkarte erfassten Konsumdaten der Patienten, die sich
zuvor zu diesem Zweck bei einer grossen britischen Supermarkt-
kette registriert hatten.
Die Studie war angelegt, um hinsichtlich des primären End-
punkts, nämlich einer veränderten SFA-Aufnahme zwischen den
Gruppen, eine klinisch signifikante Differenz von 3 Prozent zu
detektieren. Dieses Ziel wurde zwar verfehlt, und die beobachte-
ten Effekte waren auch bezüglich des SFA-Gehalts der eingekauf-
ten Lebensmittel und der im Zuge des dreimonatigen Follow-ups
erzielten LDL-C-Reduktion nur gering und unterschieden sich
statistisch nicht signifikant zwischen denjenigen Patienten, die
ein personalisiertes Feedback erhalten hatten, und denen der
Kontrollgruppe. Dennoch bewerteten erstere die Intervention
durchweg positiv, und angesichts von Modelldaten, laut denen
bereits ein Austausch von 1 Prozent an aufgenommenen SFA
gegen mehrfach ungesättigte Fette eine Verminderung kardio-
vaskulärer Ereignisse um 8 Prozent bewirken kann, halten die
Studienautoren die entsprechende Nutzung von Supermarkt-
daten für ein probates Mittel, um geringfügige Ernährungskor-
rekturen mit gesundheitlichem Nutzen auf Bevölkerungsebene
zu erzielen.
Im grossen Stil ausserhalb von Studien angewandt, dürften sol-
che Massnahmen nun allerdings Datenschützer auf den Plan
rufen – zu Recht, wenn man sieht, wie etwa manch Krankenver-
sicherer jüngst versucht, seine Kunden mit Prämienrabatten für
ein per App registriertes, vermeintlich gesundheitsförderndes
Verhalten zu ködern. Den Kassen sollten sensible Einkaufsdaten
von medizinisch interpretierbarer Relevanz da wohl besser nicht
auch noch in die Hände fallen … Dennoch gilt es auch hier genau
abzuwägen, was (individuell) preiszugeben tatsächlich (kollektiv)
lohnend sein könnte und was eher nicht. Dies ist auch angesichts
der nicht wenigen Zeitgenossen, die sich in Pandemiezeiten im
Restaurant zum Beispiel gern als «Micky Maus» in die Besucher-
liste eintragen, sicher kein einfacher, aber ein notwendiger ge-
sellschaftlicher Diskurs. Denn neben dem oben erwähnten Lust-
gewinn durch das Essen scheint noch etwas ähnlich tief in der
menschlichen Seele verwurzelt zu sein: die Begier, wo es irgend
geht, einen geldwerten Vorteil – und seien es nur ein paar Rappen
– erheischen zu können. Ihr werden Privatsphäre und Solidar-
prinzip nur allzu gern geopfert.
s
Ralf Behrens
1. Piernas C et al.: Evaluation of an intervention to provide brief support and personalized feedback on food shopping to reduce saturated fat intake (PCSHOP): a randomized controlled trial. PLoS Med 2020; 17(11): e1003385.
ARS MEDICI 7 | 2021
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