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STUDIE REFERIERT
Antikoagulation mit Rivaroxaban
Achtung bei gleichzeitiger Gabe von Johanniskraut
Bei Antikoagulation mit dem Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban und gleichzeitiger Einnahme von Johanniskraut kann es, abhängig vom Hyperforingehalt des verwendeten Extrakts, zu Wechselwirkungen mit einer relevanten Wirkverminderung kommen, wie Scholz et al. in einer In-vivo-Untersuchung zeigen konnten.
Br J Clin Pharmacol
Johanniskrautextrakte (Hypericum perforatum) kommen in der Behandlung von leichten bis mittelgradigen depressiven Episoden zum Einsatz. Ihre Einnahme kann mit klinisch relevanten pharmakokinetischen Interaktionen einhergehen: Das pharmakokinetische Interaktionspotenzial ist umso geringer, je weniger Hyperforin enthalten ist. Extrakte mit einem hohen Hyperforingehalt induzieren die Aktivität intestinaler und hepatischer CYP3A4 und von P-Glykoprotein (P-gp); die volle Wirkung entfaltet sich 14 Tage nach Beginn der Einnahme. Der Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban ist zur Behandlung venöser Thromboembolien (tiefe Venenthrombose und/ oder pulmonale Embolien) und zur Prophylaxe rezidivierender Ereignisse sowie zur Vorbeugung von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern zugelassen. Er wird rasch resorbiert und erreicht nach 2 bis 4 Stunden seine maximale Plasmakonzentration. Die Ausscheidung erfolgt zu einem Drittel unverändert über die Niere, der Rest wird hepatisch metabolisiert und via Galle oder Urin ausgeschieden. Der hepatische Metabolismus von Rivaroxaban erfolgt hauptsächlich durch Zytochrom P450 CYP3A4, es ist zudem ein P-gp-Substrat. Die gleichzeitige Gabe von starken Inhibitoren kann zu einer signifikanten Erhöhung der Rivaroxaban-Exposition führen. Auch bei gleichzeitiger Gabe von starken Induktoren sind Wechselwirkungen bekannt, beispielsweise bei gleichzeitiger Einnahme von Rivaroxaban und Rifampicin. Bislang fehlten jedoch klinische
Daten zur Auswirkung eines kombinierten, CYP3A4- und P-gp-induzierenden Extrakts aus Hypericum perforatum auf die Pharmakokinetik und die Pharmakodynamik von Rivaroxaban.
In-vivo-Studie zeigt Zusammenhang
Scholz et al. beschäftigten sich in einer nicht randomisierten, sequenziellen Open-Label-Interaktionsstudie mit dieser Fragestellung. 12 gesunde Erwachsene, 10 davon Frauen (mittleres Alter 25, mittlerer BMI 23 kg/m2), erhielten sowohl vor als auch nach einer Induktionsphase je eine Dosis von 20 mg Rivaroxaban, wie zur Prävention und Behandlung thromboembolischer Erkrankungen zugelassen. Die Plasmakonzentration sowie die Hemmung des aktivierten Koagulationsfaktors X wurden sowohl vor als auch bis zu 48 Stunden nach Einnahme von Rivaroxaban ermittelt. In der Zwischenzeit nahmen die Teilnehmer 14 Tage lang zweimal täglich einen Hyperikumextrakt mit mittlerem Hyperforingehalt (0,7 mg/100 mg) ein und verzichteten auf koffeinhaltige Getränke, Grapefruit und Alkoholika. Nach der Einnahme des Hyperikumextrakts (und der damit einhergehenden Induktion von CYP3A4 und P-gp) waren die maximale Plasmakonzentration sowie die Exposition von Rivaroxaban verringert, und die pharmakodynamische Wirkung nahm proportional ab. Der Unterschied in der Faktor-Xa-Inhibition korrelierte eng mit der Rivaroxaban-Konzentration. Limitationen der Studie sind neben der kleinen Teilnehmerzahl die Tatsache, dass die Untersuchung der Wechselwir-
kungen auf der Applikation nur einer einzelnen Dosis Rivaroxaban und nur eines Johanniskrautextrakts beruht – Extrakte mit einem anderen Hyperforingehalt könnten zu einem mehr oder weniger ausgeprägten Effekt führen. Ausserdem kann die Untersuchung gesunder Freiwilliger nicht die Situation von Patienten mit begleitenden Erkrankungen (z. B. einer eingeschränkten Nierenfunktion) abbilden.
Fazit
Es konnte in vivo gezeigt werden, dass die Einnahme eines hyperforinhaltigen Johanniskrautextrakts über 2 Wochen in einer Abnahme der maximalen Konzentration von Rivaroxaban um 14 Prozent und einer um 24 Prozent verringerten Exposition resultierte. Da dadurch die gewünschte antikoagulierende Wirkung des Faktor-Xa-Hemmers reduziert wird, empfehlen die Autoren, diese Kombination, wenn möglich, zu vermeiden und entweder einen hyperforinarmen Johanniskrautextrakt auszuwählen oder auf ein Antikoagulans zu wechseln, das einfach zu monitorisieren (z. B. ein Vitamin-K-Antagonist) respektive durch CYP3A4/P-gp-Induktoren weniger beeinträchtigt ist. Anderenfalls sollen die Faktor-Xa-Aktivität oder die Plasmakonzentration von Rivaroxaban überwacht werden. Mü s
Quelle: Scholz I et al.: Effects of Hypericum perforatum (St. John’s wort) on the pharmacokinetics and pharmacodynamics of rivaroxaban in humans. Br J Clin Pharmacol. 2020. Epub ahead of print. https://doi.org/10.1111/bcp.14553
Interessenlage: Die Studie wurde von Bayer (Schweiz) AG unterstützt.
ARS MEDICI 3+4 | 2021
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