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Titel
Rheumatologie – Richtig gewählte Basistherapie ermöglicht vielen Patienten realistische Chance auf Remission
Untertitel
Interview mit PD Dr. med. Dr. rer. nat. Ulrich Gerth Leitender Arzt, Reha Rheinfelden Rheinfelden
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Datum
Autoren
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Rubrik
Rückblick 2020/Ausblick 2021
Artikel-ID
49614
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RÜCKBLICK 2020/AUSBLICK 2021

Rheumatologie
PD Dr. med. Dr. rer. nat. Ulrich Gerth Leitender Arzt, Reha Rheinfelden Rheinfelden
Richtig gewählte Basistherapie ermöglicht vielen Patienten realistische Chance auf Remission
Wie hat die Coronapandemie Ihre Arbeit im vergangenen Jahr beeinflusst?
Die Coronapandemie war zweifelsohne das wichtigste medizinische und gesellschaftliche Problem. Während der ersten Welle habe ich viel Unsicherheit wahrgenommen, und das sowohl bei medizinischen Experten als auch in der Allgemeinbevölkerung. Die Gefühle waren von Angst geprägt, teilweise kursierten aber auch verschiedene potenzielle Therapieoptionen in der Presse, die sich im Nachhinein nicht bewahrheitet haben. In diesem Zusammenhang denke ich zum Beispiel an Hydroxychloroquin, eine Substanz, die wir seit vielen Jahren sehr sicher bei Patienten mit Kollagenosen einsetzen, die aber

zweifelsohne keine antivirale Therapie darstellt! Hier ist nun teilweise wieder Aufklärungsarbeit bei zu Unrecht verunsicherten Patienten angebracht.  
Haben Sie selbst Coronatests durchgeführt? Falls ja: Welche Probleme traten dabei auf? 
Ja, ich habe regelmässig Coronatests bei ambulanten und stationären Patienten durchgeführt. Bei der Interpretation der Ergebnisse wurde mir die immense Bedeutung von falsch negativen oder falsch positiven Befunden quasi täglich vor Augen geführt. Insbesondere die hohe Sensitivität der PCRTests verdeutlicht hierbei, dass ein Test eben nur ein Test ist und Ärzte gefragt sind, um diese Ergebnisse im Kontext der Klinik zu interpretieren.  
Hatten Sie Kontakt mit SARS-CoV-2-positiven Patienten, und wie sind Sie damit umgegangen? 
Ja, ein Kontakt mit positiven Patienten liess sich nicht vermeiden, wobei ich anfangs schon ein mulmiges Gefühl in der Magengegend hatte. Da half leider auch das rein rationale Wissen nicht, dass ich als recht junger und gesunder Mensch ein extrem geringes Risiko habe, an einer Infektion zu versterben ... Ansonsten haben wir in der täglichen Praxis umgehend notwendige Schutzvorkehrungen etabliert, damit wir die Patienten stets mit geringem Ansteckungsrisiko weiter versorgen konnten.

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RÜCKBLICK 2020/AUSBLICK 2021

Meine Top-6-News in der Rheumatologie
Rheumatoide Arthritis ▲ Mit Upadacitinib (Rinvoq®) ist seit Januar 2020 in der Schweiz
ein reversibler, selektiver JAK-1-Inhibitor zugelassen, der im SELECT-Studienprogramm im Vergleich zu Methotrexat (MTX) oder Adalimumab besser abschneidet (1, 2). ▲ Eine geringe Steroiddosis (low dose) verringert die Krankheitsaktivität, verglichen mit einem Ausschleichen, nach 4 Monaten (nach 24 Wochen DAS28-ESR maximal 3,2; 77% vs. 65 %)(3). Im langfristigen Verlauf führen selbst geringe Dosen (durchschnittlich 2,8 mg/Tag) zu deutlich mehr Nebenwirkungen, insbesondere Infektionen (4).
Psoriasisarthritis ▲ Die additive Gabe von MTX zu einem Interleukin-17-Hemmer führte
in der SPIRT-Studie mit Ixekizumab (Taltz®) bei Psoriasisarthritis nicht zu einer Wirkungsverbesserung (5, 6).
Systemischer Lupus erythematodes ▲ Die additive Gabe von Belimumab (Benlysta®) verbessert das re-
nale Outcome bei aktiver Lupusnephritis (primary efficacy renal response [PERR]: 43% vs. 32%; Odds Ratio: 1,6; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,0–2,3; p = 0,03) bei einem günstigen Verträglichkeitsprofil (7).
Vaskulitiden ▲ Ein neuer oraler C5a-Rezeptor-Inhibitor (Avacopan) wurde erfolg-
reich bei der ANCA-assoziierten Vaskulitis getestet und schaffte es, den Steroidbedarf auf 0 zu senken (8).   Osteoporose ▲ Die Osteoporosetherapie bekommt Zuwachs und wird mit Romosozumab (Evenity®), einem Antikörper gegen Sklerostin, der seit Juli 2020 zugelassen ist, immer effektiver und differenzierter.
Mussten Sie Untersuchungen und Behandlungen wegen der Coronapandemie verschieben? Falls ja: Welche Folgen könnte dies für die Patienten haben?
Während der ersten Welle kam es in meiner Praxis von etwa Mitte März bis Anfang Mai zu einem deutlichen Rückgang der ambulanten Konsultationen. Wir haben jedoch versucht, mittels Telemedizin und «Nacharbeiten» mögliche Nachteile für unsere Patienten zu verhindern. Mir persönlich sind deshalb keine schwerwiegenden medizinischen Komplikationen bekannt. Ich habe jedoch von anderen Kollegen gehört, dass es durch verschobene notwendige Routinekontrollen teilweise schwerwiegende medizinische Komplikationen gab, die unter normalen Bedingungen nicht aufgetreten wären.

Abgesehen von der Coronapandemie: Welche

neuen Erkenntnisse und Erfahrungen des letzten

Jahres fanden Sie für Ihr Fachgebiet besonders

spannend?
Hier fallen mir insbesondere zwei Punkte ein: Erstens: Das

Spektrum der neuen Substanzen zur Therapie entzündlich

rheumatischer Erkrankungen wächst weiter, wobei Ergeb-

nisse neuer Studien eine immer differenziertere Anwendung

ermöglichen (siehe Kasten).

Zweitens: Es gibt einen generellen Trend in der Rheumato-

logie weg von langfristiger und höher dosierter Steroidgabe,

da hier die möglichen Nebenwirkungen gegenüber einem

etwaigen Nutzen oft überwiegen.

 

Was ist Ihre wichtigste Botschaft für die Kolle-

ginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis 2021?
Die Diagnose einer entzündlich rheumatischen Erkrankung ist

nicht mehr synonym mit einem schicksalhaften Verlauf, also

mit einem Leben mit Schmerz, Immobilität und Invalidität.

Jenseits der Steroide gibt es mit einer richtig gewählten Basis-

therapie für viele Patienten eine realistische Chance auf eine

Remission der Erkrankung und somit auf ein quasi normales

Leben.

s

Referenzen: 1. Fleischmann RM et al.: Safety and effectiveness of upadacitinib or adali-
mumab plus methotrexate in patients with rheumatoid arthritis over 48 weeks with switch to alternate therapy in patients with insufficient response. Ann Rheum Dis 2019; 78(11): 1454–1462. 2. Fleischmann RM et al.: Long-term safety and effectiveness of upadacitinib or adalimumab in patients with rheumatoid arthritis: results at 72 weeks from the select-compare study. Abstract THU0201. Präsentiert am EULAR 2020. 3. Burmester GR et al.: Continuing versus tapering glucocorticoids after achievement of low disease activity or remission in rheumatoid arthritis (SEMIRA): a double-blind, multicentre, randomised controlled trial. Lancet 2020; 396(10246): 267–276. 4. Roubille C et al.: Ten-year analysis of the risk of severe outcomes related to very low-dose glucocorticoids in early rheumatoid arthritis. Rheumatology 2020, Dec 15 (online ahead of print); DOI: 10.1093/rheumatology/ keaa850. 5. Mease PJ et al.: A head-to-head comparison of the efficacy and safety of ixekizumab and adalimumab in biological-naïve patients with active psoriatic arthritis: 24-week results of a randomised, open-label, blindedassessor trial. Ann Rheum Dis 2020; 79(1): 123–131. 6. Smolen JS et al.: Efficacy and safety of ixekizumab versus adalimumab (SPIRIT-H2H) with and without concomitant conventional synthetic disease-modifying antirheumatic drugs (DMARD) in biologic dmard-naïve patients with psoriatic arthritis: 52-week results. Abstract OP0228. Präsentiert am EULAR 2020. 7. Furie R et al.: Two-year, randomized, controlled trial of belimumab in lupus nephritis. N Engl J Med 2020; 383: 1117–1128. 8. Merkel PA et al.: Evaluation of the safety and efficacy of avacopan, a C5a receptor inhibitor, in patients with antineutrophil cytoplasmic antibody-associated vasculitis treated concomitantly with rituximab or cyclophosphamide/azathioprine: protocol for a randomized, double-blind, active-controlled, phase 3 trial. JMIR Res Protoc 2020; 9(4): e16664.

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