Transkript
STUDIE REFERIERT
Antidepressiva bei Major Depression
Effekte von Dosierung und Alter abwägen
Die Autoren einer aktuellen Netzwerkanalyse haben versucht, die im Jahr 2019 erschienenen Dosierungsempfehlungen für Antidepressiva unter Berücksichtigung des Einflusses des Patientenalters neu anzupassen. Es zeigt sich, dass eine optimale Dosierung der Medikamente substanzspezifisch erfolgen sollte, wobei das Alter als begrenzender Faktor wirkt.
EClinical Medicine
Der im Juni 2019 publizierte umfangreiche systematische Review mit Metaanalyse (1) zur optimalen Dosierung von Antidepressiva zur Behandlung der Major Depression (major depressive disorder, MDD) bei Erwachsenen in der akuten Phase der Erkrankung lieferte Hinweise für einen moderaten dosisabhängigen Anstieg der Wirksamkeit bis zu einer Dosierung des jeweiligen Wirkstoffs, die einem Äquivalent von 40 mg Fluoxetin pro Tag (40 mg/Tag FÄ) entsprach. Diese Steigerung der Ansprechrate ging allerdings mit einem exponentiellen Rückgang der Verträglichkeit (Therapieabbrüche aufgrund von Nebenwirkungen) unter Dosierungen von bis zu 80 mg/Tag FÄ einher. Derzeit lautet die Behandlungsempfehlung daher, dass sich im unteren Bereich (20–40 mg/Tag FÄ) der zugelassenen Dosierungen (20–80 mg/Tag FÄ) bei der Mehrheit der MDD-Patienten womöglich die bestmögliche Balance zwischen Effektivität und Tolerabilität erzielen lässt. Allerdings sind in dieser Metaanalyse die Daten zu den Dosierungen nicht hinsichtlich des Patientenalters adjustiert worden, das eine wichtige demografische Kovariate der antidepressiven Therapie darstellt. Denn mit höherem Alter der Patienten (> 60 Jahre) steigt das Risiko für klinisch signifikante kardiovaskuläre, metabolische und neurologische Nebenwirkungen (NW) von Antidepressiva, und deren Einnahme geht zudem oft mit Osteoporose, Stürzen und Knochenbrüchen einher. Ziel der hier referierten Analyse von Lisa Holper von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, die auf demselben Datensatz (Datierungsansatz [2]: Vergleich von 21 Antidepressiva; 522
randomisierte, kontrollierte Studien [RCT]) basierte, den auch der oben zitierte Review genutzt hatte, war es daher zu klären, inwieweit die dort ausgesprochenen Dosisempfehlungen unter Berücksichtigung des Patientenalters entsprechend verändert werden müssten. Zu diesem Zweck wurden im Rahmen einer Netzwerkmetaanalyse die nicht linearen Wechselwirkungen der Kovariaten Alter und Dosierung mithilfe eines entsprechend angepassten Bayes-Modells für Zufallseffekte statistisch ausgewertet. Anschliessend wurde versucht, aus den so erhaltenen Daten ausgewogene Behandlungsempfehlungen hinsichtlich Wirksamkeit (Ansprechen), Akzeptanz (Therapieabbruch jedweder Ursache) und Verträglichkeit (Therapieabbruch aufgrund von NW) der jeweiligen Substanzen abzuleiten.
Agomelatin und Escitalopram bieten beste Balance
Wie die Auswertung ergab, lässt sich unter Berücksichtigung der kombinierten kovariaten Effekte von Dosis und Alter mit Agomelatin und Escitalopram in Dosierungen von bis zu 40 beziehungsweise 60 mg/Tag FÄ die beste Balance hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Patienten im Alter zwischen 30 und 65 Jahren erreichen. Desvenlafaxin (in der Schweiz nicht registriert), Duloxetin, Fluoxetin, Milnacipran (in der Schweiz nicht registriert) und Vortioxetin lassen sich auf Dosierungen von bis zu 20 bis 40 mg/ Tag FÄ eskalieren, während Bupropion, Citalopram, Mirtazapin, Paroxetin und Venlafaxin möglicherweise nicht in Dosierungen von mehr als 20 mg/Tag FÄ
verabreicht werden sollten. Amitriptylin, Clomipramin, Fluvoxamin, Levomilnacipran (in der Schweiz nicht registriert), Reboxetin, Sertralin und Trazodon brachten in diesem Zusammenhang keinerlei Gewinn und können daher möglicherweise nicht für die antidepressive Behandlung empfohlen werden. Auch für Patienten im Alter über 70 Jahre ergaben sich im Rahmen dieser Analyse mit keinem der in den einzelnen RCT eingesetzten Antidepressiva Vorteile, was die Balance zwischen Altersund Dosierungseffekten betrifft, da in dieser Altersgruppe die NW die Wirksamkeit überwiegen. Die Autorin der Netzwerkmetaanalyse folgert aus den Ergebnissen ihrer Untersuchung, dass für Ärzte zur Beantwortung der Frage, welches Antidepressivum im Einzelfall den grösstmöglichen Nutzen verspricht, die Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen Patientenalter und Dosierung die bessere Grundlage bietet, als beide Faktoren jeweils allein zu betrachten. RABE s
Literatur: 1. Furukawa TA et al.: Optimal dose of selective
serotonin reuptake inhibitors, venlafaxine, and mirtazapine in major depression: a systematic review and dose-response meta-analysis. Lancet Psychiatry 2019; 6(7): 601–699. 2. CiprianiAetal.:Comparativeefficacyandacceptability of 21 antidepressant drugs for the acute treatment of adults with major depressive disorder: a systematic review and network meta-analysis. Lancet 2018; 391(10128): 1357–1366.
Quelle: Holper L: Optimal doses of antidepressants in dependence on age: combined covariate actions in Bayesian network meta-analysis. EClinical Medicine 2020; 18: 100219.
Interessenlage: Die Autorin der referierten Studie hat keinerlei Interessenkonflikte deklariert.
506
ARS MEDICI 17 | 2020