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BERICHT
Geräusche im Ohr
Bei Tinnitus nach Komorbiditäten suchen
Foto: vh
Bei Tinnituspatienten kann die Behandlung von begleitenden Störungen wie beispielsweise Schlafstörungen, Ängstlichkeit, Depression oder Nervosität eine Linderung bringen. Dazu eignen sich nicht pharmakologische wie auch phytotherapeutische Massnahmen. Einen Überblick dazu gab PD Dr. Andreas Schapowal, niedergelassener HNO-Facharzt, Landquart, an der Jahrestagung für Phytotherapie in Baden.
Die Wahrnehmung von Geräuschen in Ohr oder
Kopf kann verschiedene periphere cochleäre
oder zentrale Ursachen haben. Lärm, Trau-
mata, Intoxikationen können die inneren und
äusseren Haarzellen in der Cochlea schädigen
und zu abnormen neuralen Erregungsmustern
führen. Auch eine Dysfunktion der Kieferge-
lenke oder der Halswirbelsäule kann tinnitus-
verursachende somatosensorische Afferenzen
Dr. Andreas Schapowal
auslösen. Aber auch psychische Komorbiditäten können eine wichtige Rolle spielen.
Während ein objektiver Tinnitus durch eine identifizierbare
Schallquelle im Körper wie beispielsweise Strömungsgeräu-
sche bei einer Aortenstenose definiert ist, kann beim subjek-
tiven Tinnitus keine körpereigene Schallquelle gefunden wer-
den. Die Ursache dafür ist eine abnormale Aktivität im
auditorischen System. Die Prävalenz des subjektiven Tinnitus
beträgt in epidemiologischen Studien 10 bis 19 Prozent (1, 2).
Diese nimmt mit steigendem Alter durch den altersbedingten
Hörverlust zu. Unter älteren Personen über 65 Jahre ist jede
dritte Person davon betroffen. Dennoch fühlen sich 6 bis
20 Prozent aller Betroffenen durch den Tinnitus nicht gestört
(3). Um die Belastung des Patienten durch den Tinnitus zu
messen, eignet sich gemäss Schapowal der Tinnitusfragebo-
gen nach Goebel und Hiller (4). Je höher der dabei erhobene
Belastungsgrad ist, desto wahrscheinlicher ist das Vorhanden-
sein einer psychischen Komorbidität (5). Am häufigsten finde
KURZ & BÜNDIG
� Tinnitus kann eine objektivierbare körpereigene Ursache haben oder subjektiv durch eine abnormale Aktivität im auditorischen System empfunden werden.
� Beim subjektiven Tinnitus ist die Erhebung des Belastungsgrades Grundlage für die weitere Therapie.
� Über die Behandlung von psychischen Komorbiditäten kann eine Linderung des Belastungsgrades erreicht werden.
man Depression, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen und Schlafstörungen, so Schapowal. Psychometrische Tests wie das Beck-Depressions-Inventar (BDI) zur Erfassung des Schweregrades einer Depression oder der Fragebogen Generalized Anxiety Disorder 7 (GAD-7) bei der Angststörung seien hierzu hilfreich. Zur Anamnese gehörten neben der Erfragung der subjektiven Beeinträchtigung auch die Abklärung von verstärkenden inneren und äusseren Umständen, eventuell ototoxische Medikamente, Lärmexposition und die Einschränkung des Hörvermögens. Zum Ausschluss von objektivierbaren Ursachen gehören zur ohrenärztlichen Untersuchung die Beweglichkeit der Kiefergelenke, die Inspektion des Kauapparates, der Zähne, der Kopfgelenke und der Halswirbelsäule sowie die Auskultation der Gehörgänge und der Karotis bei pulssynchronem Tinnitus. Tympanometrie, Impedanzmessung, Reinton- und Sprachaudiometrie, Messung der Tinnitusfrequenz, -lautstärke und -maskierbarkeit wie auch die Unbehaglichkeitsschwelle runden das Bild ab. Zeigt sich eine einseitige Schwerhörigkeit, empfiehlt sich ein MRI zum Ausschluss einer Neoplasie. Ein normaler Bildbefund wirke auf die Patienten sehr erleichternd, so Schapowal. Bei mittelgradiger Tinnitusbelastung sei es aber in jedem Fall sinnvoll, eine psychische Komorbidität abzuklären.
Tinnitustherapie mit multimodalem Ansatz
Gemäss europäischer Guideline ist die bei akutem Tinnitus häufig verabreichte, hoch dosierte Kortisontherapie, analog dem Hörsturz, nicht mehr empfohlen. Generell besteht keine Evidenz für einzelne pharmakologische Massnahmen. Die Behandlung von psychiatrischen Komorbiditäten ist jedoch empfohlen (6), Schlafstörungen und psychische Probleme infolge Tinnitus sollten angegangen werden. Empfehlungsstatus erhält die kognitive Verhaltenstherapie, während die häufig genutzte Tinnitus-Retraining-Therapie, die repetitive transkranielle Magnetstimulation, die Vagusnervstimulation, die Klangtherapie sowie die Akupunktur keine Empfehlung erhalten. Die Guideline gibt auch keine Empfehlungen für tinnitusspezifische pflanzliche Arzneimittel, doch hält Schapowal
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Tabelle:
Mögliche Phytopharmaka bei Tinnituspatienten (Auswahl)
Pflanze Ginkgo biloba Vielstoffgemisch
Pestwurz, Baldrian, Passionsblume, Melisse Baldrian, Hopfen Johanniskraut
Lavendel
Handelsname Ginkgo Sandoz, Ginkgo-Mepha, Rezirkane®, Symfona®, Tebokan® Padmed Circosan®
Relaxane® Redormin® Rebalance®
Laitea®
Indikation
mentale Leistungseinbussen, Gehtraining bei pAVK, Vertigo, Tinnitus
Durchblutungsstörungen mit Kribbeln, Ameisenlaufen, Schwere- und Spannungsgefühl in den Beinen und Armen, Einschlafen von Händen und Füssen, Wadenkrämpfe
Nervosität, Spannungs- und Unruhezustände, Prüfungsangst
Ein- und Durchschlafstörungen, unruhiger Schlaf
gedrückte Stimmung, Stimmungslabilität, innere Unruhe, Ängstlichkeit, Spannungszustände und damit einhergehende Ein- und Durchschlafstörungen, Symptome einer leichten bis mittel gradigen depressiven Episode
Ängstlichkeit und Unruhe
Quelle: PD Dr. A. Schapowal, Jahrestagung für Phytotherapie 2019, Baden; www.swissmedicinfo.ch
solche bei Tinnituspatienten für nützlich. Standardisierte Ginkgo-biloba-Extrakte könnten sich seiner Meinung nach bei akutem, subakutem und chronischem Tinnitus positiv auswirken und seien einen 30-tägigen Therapieversuch wert. Bei subjektivem Therapieerfolg, wie beispielsweise einer Score-Verbesserung im Tinnitusfragebogen, könne die Behandlung weitergeführt werden. Bringt das keine erhoffte Linderung, kann ein Therapieversuch während 10 Tagen mit dem durchblutungsfördernden tibetischen Arzneimittel Padmed Circosan®, 3 × 2 Kapseln/Tag, gestartet und im Erfolgsfall fortgesetzt werden. Als Entspannungshilfe ist neben autogenem Training und progressiver Muskelrelaxation nach Jacobson auch der Einsatz eines Phytopharmakons möglich. Der Trockenextrakt aus Pestwurz, Baldrian, Passionsblume und Melisse (Ze 185, Relaxane®) hat in Vergleichsstudien mit den Benzodiazepinen Bromazepam und Oxazepam seine sedative und entspannende Wirkung und Sicherheit bewiesen (7, 8). Bei stärkerer Tinnitusbelastung sind Schlafstörungen häufig. Die Kombination aus Baldrian und Hopfen (Ze 91019, Redormin®) zeigte in kontrollierten Doppelblindstudien gegen Diphenhydramin und Plazebo eine schlafverbessernde Wirksamkeit ohne schwere Nebenwirkungen oder Abhängigkeitsproblematik beim Absetzen (9, 10). Baldrian wirkt dabei wie ein endogenes Adenosin und erhöht die Schlafbereitschaft, Hopfen wirkt wie endogenes Melatonin (11). Sind Depression und Angststörungen als Begleiterkrankungen vorhanden, besteht die pflanzliche Therapieoption aus der Gabe von Johanniskraut. Gemäss einem CochraneReview variiert die Wirksamkeit je nach Präparat allerdings erheblich (12). Für den Hypericumextrakt Ze117 (Reba-
lance®) wurden die Wirksamkeit und die Sicherheit in ver-
schiedenen Doppelblindstudien im Vergleich mit Fluoxetin,
Imipramin und Plazebo jedoch nachgewiesen. Der Extrakt
wirkte hochsignifikant besser als Plazebo und gleich gut wie
Fluoxetin und Impramin, war aber in der Verträglichkeit
überlegen (13–15).
Ist Johanniskraut kontraindiziert oder steht die Ängstlichkeit
im Vordergrund, kann Lavendelöl Linderung bringen. Das
durch Dampfdestillation gewonnene Lavendelöl Silexan
(Laitea®) zeigte in 3 randomisierten Doppelblindstudien bei
subsyndromaler Angststörung versus Plazebo, bei generali-
sierter Angststörung versus Lorazepam und bei Unruhe und
Agitiertheit versus Plazebo etwa eine Halbierung des
Gesamtwerts auf der Hamilton-Angstskala (HAMA) nach
10 Wochen. Bei Patienten mit generalisierter Angststörung
war die Reduktion auf der HAMA-Skala unter Silexan und
Lorazepam vergleichbar (16).
s
Valérie Herzog
Quelle: «Tinnitus». Jahrestagung für Phytotherapie 2019, 21. November 2019 in Baden.
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