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Rheumapatienten und COVID-19
Keine Gefahr durch JAK-Inhibitoren in Zeiten von Corona
Zur Behandlung von rheumatologischen Erkrankungen werden häufig Medikamente eingesetzt, die Einfluss auf das Immunsystem haben. Deshalb besteht bei diesen Patienten ein erhöhtes Risiko für Infektionen oder schwerere Verläufe von Infektionskrankheiten. Dieser Aspekt erhält zurzeit durch die mit der Coronaviruspandemie einhergehenden Gefahren besondere Relevanz. Im Rahmen der Webinar-Reihe von Rheuma Schweiz griff Prof. Dr. med. Andrea Rubbert-Roth, St. Gallen, diese Thematik unter besonderer Berücksichtigung der relativ neuen Wirkstoffklasse der Januskinase-(JAK-)Inhibitoren auf, die in diesem Zusammenhang eventuell sogar positive Effekte haben könnten.
Zu Beginn ihres Vortrags warf Prof. Rubbert-Roth zunächst einen allgemeineren Blick auf den aktuellen Stand der Forschung zu SARS-CoV-2 (SARS = severe acute respiratory syndrome, CoV-2 = Coronavirus 2). Als Highlights aus der Fülle der derzeit täglich etwa 40 bis 50 neu veröffentlichten Publikationen in diesem Feld griff die Referentin drei Arbeiten heraus. Bei einer davon handelte es sich um virologische und immunologische Untersuchungen an 9 stationär in München behandelten Patienten mit COVID-19 (coronavirus disease 2019) (1), deren Ergebnisse auch direkten Einfluss auf das Verhalten im Umgang mit dem Infektionsgeschehen genommen haben. So konnte bei den untersuchten Patienten, die alle einen moderaten Krankheitsverlauf (nicht beatmet/intubiert) hatten und bei denen jeweils verschiedene Proben (pharyngeale Abstriche, Sputum, Immunglobuline) entnommen worden waren, gezeigt werden, dass Abstriche aus dem Rachen nur wenige Tage, das Sputum dagegen deutlich länger viruspositiv war. Antikörper waren im Mittel nach 7 Tagen nachweisbar, das heisst auch, dass die Patienten schon deutlich vor Beginn der Symptomatik infiziert waren. Geschätzt wird, dass etwa 40 bis 45 Prozent der Patienten asymptomatisch sind, aber das Virus bereits in sich tragen, wobei die maximale Infektiosität am Tag vor dem Ausbruch der Symptome besteht. Mittlerweile sind auch viele neue Erkenntnisse zum Lebenszyklus von SARS-CoV-2 zusammengetragen worden, welche für die weltweit auf Hochtouren laufende Suche nach Ansatzpunkten für medikamentöse Therapien gegen COVID-19 von Bedeutung sind. Eine vor Kurzem erschienene Übersichtsarbeit hat die derzeit verfolgten pharmakologischen Behandlungsstrategien zusammengefasst (2). Die meisten der zahlreichen, derzeit laufenden Studien in diesem Bereich adressieren Teile des viralen Lebenszyklus. Das Virus bindet über ACE2-Rezeptoren (ACE = angiotensin-converting enzyme 2) an die alveolaren Epithelzellen und wird per Endozytose in die Zelle aufgenommen. Es sind verschiedene Verbindungen bekannt, die mit der Endozytose interferieren, wie auch zum Beispiel (Hydoxy-)Chloroquin hier möglicherweise einen Einfluss darauf hat, dass weniger Virus aufgenommen wird.
Ausserdem wisse man, so die Rheumatologin, dass im weiteren Verlauf virusspezifische Proteasen wichtig sind für die Abspaltung von Virusbestandteilen oder dass andere Substanzen wie etwa Remdesivir zu einem späteren Zeitpunkt im «viral life cycle» die RNA-Polymerase blockieren können. Ein anderer wesentlicher Fortschritt und ein weiteres Highlight in der Coronavirusforschung war für Rubbert-Roth die innerhalb von nur 6 Wochen erfolgte kristallografische Aufdeckung der viralen Struktur (3). Dabei wurde auch eine Art Tasche identifiziert, welche man inhibieren und damit das viruseigene Enzym «ausknocken» und funktionsunfähig machen kann. Verglichen mit den Zeiträumen, die für ähnliche Untersuchungen bei anderen Viren (z. B. humanes Immundefizienzvirus [HIV]) ins Land gingen, seien diese Ergebnisse für SARS-CoV-2 geradezu revolutionär schnell erzielt worden, so die Referentin, die deshalb auch optimistisch ist, dass das Tempo der Entwicklungen möglicherweise auch bald den Patienten zugutekommen wird.
Strategien gegen COVID-19
Hinsichtlich der verschiedenen möglichen Strategien gegen COVID-19 müsse angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Wochen zum Teil allerdings auch Ernüchterung einkehren, räumte Rubbert-Roth ein. So zum Beispiel beim Thema «natürliche Immunität»: Es ist derzeit davon auszugehen, dass maximal 4,5 Prozent der Bevölkerung Antikörper gegen SARS-CoV-2 gebildet haben. Hier hatte man sich im Hinblick auf den Aufbau einer Herdenimmunität der Bevölkerung (ca. 70% Infizierte) doch einen deutlich höheren Anteil bereits immunisierter Personen erhofft. Auch im deutschen Infektions-Hotspot Heinsberg liegt diese Zahl gemäss neuesten Daten lediglich bei etwa 15 Prozent. Die Entwicklung einer Vakzine, die bei der grossen Zahl zu impfender Personen natürlich sehr hohen Sicherheitsanforderungen genügen muss, hält die Referentin eher für eine mittelbeziehungsweise langfristige (evtl. 2. Quartal 2021) Hoffnung. Andere, relativ elegante Ansätze werden mit der Entwicklung von monoklonalen Antikörpern gegen die Bindungsstellen des Virus, die sogenannten «spikes», verfolgt,
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Tabelle:
Zulassungsstatus von Januskinase-(JAK-) Inhibitoren in der Schweiz
Wirkstoff (Präparat) Tofacitinib (Xeljanz®):
Baricitinib (Olumiant®): Upadacitinib (Rinvoq®):
Indikation RA (Kombi/Mono), PsA (Kombi), Colitis ulcerosa (zum Einsatz bei ankylosierender Spondylitis laufen Phase-III-Studien) RA (Kombi/Mono) RA (Kombi/Mono)
RA: rheumatoide Arthritis, PsA: Psoriasisarthritis, Kombi: Kombinationstherapie, Mono: Monotherapie (nach Rubbert-Roth)
die eine direkte Inhibierung der Infektion und, ähnlich wie es momentan auch mit über Apharese gewonnenem Rekonvaleszentenplasma versucht wird, schwersterkrankten Patienten eine Behandlung ermöglichen könnte. Weitere Strategien umfassen die unspezifische Stimulation des Immunsystems (hierzu sind z. B. in den USA Studien mit dem Tuberkuloseimpfstoff BCG [Bacillus Calmette-Guérin] an besonders exponierten Mitarbeitern des Gesundheitswesens geplant), die Suche nach bereits verfügbaren Medikamenten, mit denen sich eventuell virusspezifische Zielstrukturen beeinflussen lassen (Stichwort «Repurposing»), oder auch immunmodulatorische Therapien, die sich beispielsweise mit Tocilizumab und Sarilumab gegen Interleukin-(IL-)6-Rezeptoren richten. Als bemerkenswert erachtet Rubbert-Roth in diesem Zusammenhang auch, dass sich die Art der Studien geändert hat: An die Stelle der Betrachtung retrospektiver Kohorten tritt mehr und mehr die Durchführung wirklicher Studien. So werden zurzeit zum Beispiel in der grossen, über die World Health Organization (WHO) initiierten mehrarmigen SOLIDARITY-Studie gleichzeitig mehrere Substanzen (Chloroquin, Remdesivir, Lopinavir, Ritonavir und Interferone [INF]) miteinander verglichen. Ergebnisse werden hier innerhalb der nächsten 2 bis 3 Monate erwartet.
JAK-Inhibitoren: selektive Zytokinblockade
JAK-Inhibitoren (JAK-I) sind für die Rheumatologen aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse zur Funktion der Zytokine und zum Mechanismus der Zytokinblockade therapeutisch wichtig geworden. Zytokine binden an Zytokinrezeptoren, welche intrazellulär an in der Regel JAK-Heterodimere gekoppelt sind, die zu einer Aktivierung von STATProteinen (STAT = signal transducer and activator of transcription) führen, welche ihrerseits das Signal in den Zellkern transferieren. Werden JAK-Proteine inhibiert, lässt sich die Wirkung von Zytokinen spezifisch unterbinden – und zwar, anders als bei Biologika, nicht nur die Wirkung eines Zytokins, sondern mehrerer gleichzeitig. Therapeutisch verfügbar und in der Schweiz zugelassen waren bis anhin Tofacitinib (Pan-JAK-I, gegen JAK1/2/3) und Baricitinib (vorwiegend gegen JAK1, aber auch JAK2); beide sind oral mit und ohne Methotrexat (MTX) anwendbar. Neu hinzugekommen ist Anfang 2020 Upadacetinib, das ebenfalls vornehmlich JAK1 inhibiert (Tabelle). Die einzelnen Substanzen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Bindungsmusters.
Bekannt ist, dass bestimmte Zytokine für die Virusinfektion und deren Verlauf sehr wesentlich sind. Hier erwähnte die Referentin als «First-line-Immunantwort gegen Virusinfektionen» zunächst die INF (v. a. INF-α), welche direkt mit JAK1 in Beziehung stehen. Im speziellen Fall von COVID-19 haben Studien ergeben, dass eine gesteigerte Produktion von IL-6 über Makrophagen einen wesentlichen Faktor für die hoch entzündliche Reaktion in der Lunge darstellt, welche bei den betroffenen Patienten die Lungenfunktion so stark beeinträchtigt. IL-6 wird über JAK1/2 und Tyrosinkinase 2 (TYK2) reguliert.
Was ist derzeit bei der Behandlung von Rheumapatienten zu beachten?
Für die Behandlung von Rheumapatienten mit JAK-I stellen sich für die Referentin hinsichtlich des Risikos einer SARSCoV-2-Infektion mehrere wichtige Fragen, die sich derzeit noch nicht alle erschöpfend beantworten lassen. s Ob Patienten mit rheumatischen Erkrankungen ein erhöh-
tes Risiko für eine SARS-CoV-2-Besiedelung beziehungsweise eine COVID-19-Erkrankung tragen, ist noch nicht abschliessend geklärt. Bis jetzt dazu verfügbare Daten weisen nicht darauf hin. s Auch die Frage, ob COVID-19 bei Rheumapatienten einen schwereren Verlauf nimmt, ist noch unklar. Zwar gibt es keinen deutlichen Hinweis darauf, allerdings ist davon auszugehen, dass Patienten, die Kortikosteroide oder Immunsuppressiva einnehmen, einem höheren Risiko ausgesetzt sind. s Aus der Datenbank des SCQM (Swiss Clinical Quality Management in Rheumatic Diseases) werden in Kürze neue Erkenntnisse sowohl zur Rolle spezifischer antirheumatischer Therapien im Zusammenhang mit COVID-19 als auch zur Serokonversion bei Rheumapatienten mit und ohne antirheumatische Therapie erwartet. s Hinsichtlich des direkten therapeutischen Einflusses von JAK-I auf COVID-19 hat eine aktuelle Publikation (4) erhebliche Diskussionen ausgelöst. In dieser Arbeit wurde mithilfe des Machine Learning (ML), einer im Bereich Artificial Intelligence (AI) eingesetzten Methode, virtuell nach Komponenten gesucht, die theoretisch in der Lage wären, mit kritischen viralen Strukturen (Enzyme im «viral life cycle») zu interferieren. Als möglicherweise infrage kommende Substanzen wurden neben Baricitinib, das JAK1/2 (therapeutisch genutzt bei rheumatischen Erkrankungen) sowie die NAK (numb-associated kinases) GAK (cyclin G-associated kinase) und AAK1 (AP2-associated protein kinase 1) – Enzyme, die bei viraler Endozytose eine Rolle spielen – hemmt, auch die JAK-I Fedratinib und Ruxolitinib (inhibieren JAK2, therapeutisch eingesetzt bei Myelofibrose) sowie die TYK-Hemmer Sunitinib und Erlotinib (eingesetzt in der Onkologie zur Inhibierung von VEGF/ EGFR [vascular endothelial growth factor/epidermal growth factor receptor]) identifiziert. Allerdings liegen die Wirkspiegel zum Beispiel von Ruxolitinib, die in vitro für eine tatsächliche Hemmung der Virusendozytose benötigt werden, weit über denjenigen Konzentrationen, die sich therapeutisch mit diesen Medikamenten erreichen liessen und vom Organismus vertragen würden. Anders bei Baricitinib: Hier führt sowohl die 2- als auch die 4-mg-Dosis
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offensichtlich zu ausreichenden Spiegeln. «Es handelt sich hierbei aber weder um echte Experimente noch um an Menschen erhobene Daten», schränkte die Referentin ein.
JAK-Inhibitoren nur bei Infektion absetzen
Zum Abschluss ihrer Ausführungen fasste Rubbert-Roth die Argumente pro und kontra den Einsatz von JAK-I zur Therapie rheumatischer Erkrankungen in Zeiten von Corona noch einmal zusammen. Zur Untersuchung des potenziellen positiven Einflusses von JAK-I auf den Verlauf von COVID-19 durch ihre antiinflammatorische Wirkung (Blockade des Zytokinsturms) sowie die Inhibierung von AAK1 und GAK rekrutieren derzeit weltweit mehrere Studien (mit Baricitinib und Tofacitinib). Für Patienten mit aktiver rheumatoider Arthritis (RA), bei denen ein Absetzen der in höheren Dosierungen nachteiligen Steroide geboten ist, kann die kurze Halbwertszeit (rasche Elimination nach Absetzen) für den Einsatz von JAK-I sprechen, die darüber hinaus wenig negative Effekte auf die humorale Immunantwort ausüben. Auch ihr rascher Wirkungseintritt ist ein Argument, um JAK-I auch in der jetzigen Situation als mögliche Option bei aktiven rheumatischen Erkrankungen anzusehen. In einer Impfstudie aus dem Jahr 2019 mit der Pneumokokkenvakzine PCV-13 und einem Tetanustoxoidimpfstoff an Patienten mit fortgeschrittener RA und Nichtansprechen auf Biologika (BEYOND-Studie) (5) konnte auch mit Baricitinib in Kombination mit MTX eine gute Impfantwort erzielt werden. Insofern ist anzunehmen, dass die Entwicklung von Antikörpern gegen ein Virus oder gegen Impfsubstanzen durch JAK-I nicht gestört ist. Als Argumente gegen den Einsatz von JAK-I müssen allerdings die als potenzielle Nebenwirkung auftretenden schwe-
ren Infektionen gelten. Auch Herpes-Zoster-Infektionen tre-
ten unter JAK-I häufiger auf als unter bDMARD (biological
disease-modifying drugs) beziehungsweise Plazebo (Klassen-
effekt). Darüber hinaus werden die antiviralen Effekte von
INF über den JAK/STAT-Pathway vermittelt. Und allgemein
existieren bis anhin keine Studien, die den Nutzen einer
JAK-I-Therapie (oder deren Fortführung) bei COVID-19 be-
legen.
Aus den genannten Argumenten ergeben sich für die Referen-
tin folgende praktische Konsequenzen:
s Im Falle einer Infektion sollte eine JAK-I-Therapie gestoppt
werden.
s Ein prophylaktisches Absetzen von JAK-I für den Fall einer
SARS-CoV-2-Infektion ist nicht erforderlich.
s Es besteht dezeit keine Kontraindikation für den Beginn
einer JAK-I-Therapie.
s
Ralf Behrens
Quelle: Rheuma-Schweiz-Webinar «JAK-Inhibitoren bei COVID-19» von Prof. Dr. med. Andrea Rubbert-Roth, St. Gallen, 21. April 2020.
Literatur: 1. Wölfel R et al.: Virological assessment of hospitalized patients with
COVID-2019. Nature 2020; 581(7809): 465–469. 2. Sanders JM et al.: Pharmacologic treatments for coronavirus disease 2019
(COVID-19): a review. JAMA 2020, Apr 13; DOI: 10.1001/jama.2020.6019. 3. Zhenming J et al.: Structure of Mpro from SARS-CoV-2 and discovery of
its inhibitors. Nature 2020, Apr 9; DOI: 10.1038/s41586-020-2223-y. 4. Richardson P et al.: Baricitinib as potential treatment for 2019-nCoV acute
respiratory disease. Lancet 2020; 395(10223): e30–e31. 5. Winthrop KL et al.: Evaluation of pneumococcal and tetanus vaccine re-
sponses in patients with rheumatoid arthritis receiving baricitinib: results from a long-term extension trial substudy. Arthritis Res Ther 2019; 21(1): 102.
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