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BERICHT
Moderne Therapie mit Antidiabetika
«DPP-4-Hemmer sollten langsam ersetzt werden»
Foto: z.V.g.
Zwei Drittel aller Patienten mit Typ-2-Diabetes sterben an einer kardiovaskulären Ursache. Grund genug, heutzutage Antidiabetika einzusetzen, die zusätzlich zur Blutzuckersenkung auch kardioprotektive Eigenschaften haben, findet Prof. Roger Lehmann, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und klinische Ernährung im Universitätsspital Zürich. In den neuen Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED) wurde dieser Umstand nun berücksichtigt.
Prof. Roger Lehmann
Gemäss einer britischen Untersuchung von 1,75 Millionen Patienten haben unter 65-jährige Typ-2-Diabetiker durchschnittlich 2,9 Komorbiditäten und über 65-Jährige etwa 6,5 Komorbiditäten. Unter den häufigsten Komorbiditäten von Patienten mit Typ-2-Diabetes finden sich Erkrankungen wie koronare Herzkrankheit (KHK) und Hypertonie (1). Wie Lehmann berichtet, leiden in der Schweiz 6,4 Prozent der Bevölkerung unter Typ-2-Diabetes, davon haben 25 bis 50 Prozent eine KHK und 25 Prozent eine chronische Nierenerkrankung.
Worauf es ankommt
Bei der Therapie des Typ-2-Diabetes ist ein gutes HbA1c-Ziel sehr wichtig, um mikro- und makrovaskuläre Komplikationen zu vermeiden. Der HbA1c-Zielwert soll je nach Alter und Komorbiditäten individuell festgelegt werden, aber je näher er am Normalwert (< 6%) ist, desto besser: < 7 Prozent bei Patienten ohne Sulfonylharnstoffe und ohne Insulin, < 8 Prozent bei Patienten mit Herzinsuffizienz, Nieren- und kardiovaskulären Erkrankungen, Alter > 80 Jahre und Insulinbedürftigkeit. Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Therapie ist die Präferenz der Patienten. Diese möchten in der Regel weder Hypoglykämien, Gewichtszunahme noch viele Pillen, und sie bevorzugen Tabletten anstelle von Injektionen und eine wöchentliche Therapie. Zusätzliche Kriterien des Arztes sind die Reduktion von mikro- und makrovaskulären Erkrankungen sowie Mortalität, mögliche Kontraindikationen wie Nierenfunktion und Herzinsuffizienz, Sicherheit und Nebenwirkungen, Alter und Diabetesdauer und eine wirksame HbA1c-Senkung. Ein ebenso wichtiger Faktor ist der Vergütungsstatus durch die Krankenkassen.
Kardiovaskuläres Risiko bei Typ-2-Diabetikern
«Es gibt praktisch keine Patienten mit Typ-2-Diabetes, die nur ein mässiges kardiovaskuläres Risiko haben», konstatiert Lehmann. Das betreffe höchstens junge Patienten unter 50 Jahren mit einer Diabetesdauer von weniger als 10 Jahren
und ohne Risikofaktoren. Die meisten Typ-2-Diabetiker haben jedoch ein sehr hohes kardiovaskuläres Risiko mit etablierter kardiovaskulärer Erkrankung oder anderen Organschäden wie Mikroalbuminurie, Niereninsuffizienz mit einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) ≤ 30 ml/min/1,73 m2, Retino- oder Neuropathie oder linksventrikulärer Hypertrophie. Ein hohes Risiko haben jene Patienten mit einer Diabetesdauer von mehr als 10 Jahren ohne Organschäden, aber Risikofaktoren oder mässiger Niereninsuffizienz (eGFR 30–59 ml/min/1,73 m2) (2).
Evidenz für SGLT2-Hemmer
Um alle Kriterien von Patienten und Ärzten unter einen Hut zu bringen, braucht es Medikamente, die diese Anforderungen erfüllen können. Die meisten in den letzten Jahren entwickelten SGLT2-Hemmer und GLP-1-Rezeptor-Agonisten haben in kardiovaskulären Endpunktstudien einen klaren kardiovaskulären Nutzen bezüglich 3-Punkte-MACE (major adverse cardiovascular events) belegt. 3-Punkte-MACE (3-P-MACE) steht für die Kombination aus nicht tödlichem Hirnschlag, nicht tödlichem Herzinfarkt und kardiovaskulärem Tod. Das Risiko für 3-P-MACE wurde durch Empagliflo zin in der EMPA-REG-OUTCOME-Studie (3) um 14 Prozent sowie durch Canagliflozin in der CANVAS/CANVASR-Studie (4) um 14 Prozent und in der CREDENCE-Studie (5) um 20 Prozent gesenkt. Dapagliflozin reduzierte das 3-P-MACE-Risiko in der DECLARE-Studie um 7 Prozent und die Kombination aus kardiovaskulärem Tod oder herzinsuffizienzbedingter Hospitalisation um 17 Prozent (6). Auch die Progression der Nephropathie lässt sich mit SGLT2-Hemmern aufhalten (3–6). Das Risiko für eine herzinsuffizienzbedingte Hospitalisation konnte in den Studien jeweils durch Empagliflozin, Canagliflozin und Dapagliflozin signifikant gesenkt werden (3–6). Vor dem Hintergrund, dass dank einer gut eingestellten Pharmakotherapie kardiovaskuläre Todesfälle in den letzten 30 Jahren um die Hälfte gesenkt werden konnten, die Fälle von Herzinsuffizienz im gleichen Zeitraum aber um das Dreifache angestiegen seien (7), seien Antidiabetika mit einem Nutzen bei Herzinsuffizienz eine wichtige Option, so Lehmann.
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Evidenz für GLP-1-Rezeptor-Agonisten
Auch einige GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA) haben einen klaren kardiovaskulären Nutzen belegen können. Das Risiko für 3-P-MACE wurde durch Liraglutide in der LEADER-Studie (8) signifikant um 13 Prozent, durch Semaglutide s.c. in der SUSTAIN-6-Studie (9) um 26 Prozent, durch das orale Semaglutide in der PIONEER-6-Studie (10) um 21 Prozent und durch Dulaglutide in der REWIND-Studie (11) um 12 Prozent gesenkt. Auch die Progression der Nephropathie kann durch diese GLP-1-RA aufgehalten werden (8–12). Eine aktuelle Metaanalyse über die Studien mit GLP-1-RA kommt überdies zum Schluss, dass diese Substanzklasse auch in der Risikoreduktion eines Hirnschlags einen klaren Nutzen bringt. Dabei konnten Semaglutide s.c. und Dulaglutide dieses Risiko signifikant um 39 beziehungsweise 24 Prozent senken (13).
Kriterien für die Therapiewahl
Für eine Erfüllung der Anforderungen der Patienten an ein Antidiabetikum bezüglich Hypoglykämievermeidung und Gewichtsabnahme fällt die Wahl demnach auf SGLT2-Hemmer und GLP-1-RA. Zur Erfüllung der Kriterien des behandelnden Arztes zur Vermeidung einer Nierenschädigung, eines Herzinfarkts und eines Hirnschlags fällt die Wahl ebenso auf diese beiden Substanzklassen. DPP-4-Hemmer haben keinen kardiovaskulären Nutzen, und von den Sulfonylharnstoffen sollte, wenn überhaupt, wegen der kardiovaskulären Sicherheit nur noch Gliclazid verwendet werden. Die Patienten sollten dahingehend instruiert werden, dass bei Krankheitstagen mit Erbrechen, Durchfall, Spitalaufenthalt oder Operationen Metformin und der SGLT2-Hemmer abgesetzt und, wenn nötig, durch Insulin ersetzt werden müsse, so der Rat von Lehmann. Damit lässt sich die Gefahr von zwar seltenen Ketoazidosen bei SGLT2-Hemmern und von Laktatazidosen bei Metformin in diesen Situationen abwenden.
Neue SGED-Empfehlungen
Die Schweizerische Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED) hat ihre Empfehlungen aufgrund der neuen Evidenzlage aktualisiert (s. Link) (14). Wichtig für die Wahl der Therapiestrategie, nach Motivation zur Lebensstiländerung, ist die Beantwortung von drei klinischen Fragen: 1. Hat der Patient einen Insulinmangel? 2. Besteht eine Niereninsuffizienz? 3. Besteht eine Herzinsuffizienz? Bei Insulinmangel mit typischen Symptomen wie Gewichtsverlust, Polyurie und Polydipsie besteht die Therapie aus Basalinsulin (beste Evidenz für Insulin degludec) plus GLP-1RA oder oralem Antidiabetikum als weiterem Schritt. Bei eingeschränkter Nierenfunktion (eGFR < 30 ml/min/ 1,73 m2) sind DPP-4-Hemmer oder GLP-1-RA empfohlen, plus Basalinsulin als nächste Stufe. Metformin darf nicht gegeben werden. Weil die meisten Typ-2-Diabetiker eine symptomatische oder asymptomatische kardiovaskuläre Erkrankung haben und deren Diagnose in der Hausarztpraxis schwierig ist, ist die Risikoreduktion eines kardiovaskulären Ereignisses neben der Blutzuckersenkung Ziel jeder antidiabetischen Therapie geworden und mit SGLT2-Hemmern und GLP-1-RA zu er-
reichen. Liegt eine Herzinsuffizienz vor, kommen bei einer eGFR > 30 ml/min/1,73 m2 SGLT2-Hemmer zum Einsatz. Ohne Insulinmangel und bei einer eGFR > 30 ml/min/1,73 m2 besteht die Erstlinientherapie aus der Gabe von Metformin. Empfohlen ist eine frühe Kombination mit einem gewichtssenkenden Antidiabetikum, das keine Hypoglykämien verursacht. Dazu eignen sich GLP-1-RA und SGLT2-Hemmer (14). Eine Kombination von GLP-1-RA und SGLT2-Hemmern ist aufgrund der verschiedenen Wirkungsweisen und der sich ergänzenden Wirkungen (Tabelle) ebenfalls sinnvoll. In einer Studie zeigte die Kombination gegenüber den einzelnen Gaben eine signifikant stärkere Senkung des HbA1c-Werts und des Gewichts (15), und in einer weiteren Analyse war unter der Kombination der Effekt auf die totale Mortalität, den kardiovaskulären Tod, 3P-MACE und den eGFR-Abfall signifikant (16).
Welche Kombinationstherapien schützen
Ob sich die Studienresultate im Praxisalltag bestätigen, un-
tersuchte eine dänische Real-World-Studie. Sie verfolgte den
Effekt auf kardiovaskuläre Ereignisse, schwere Hypoglyk-
ämie und Gesamtmortalität verschiedenster Antidiabetika-
kombinationen in einer Kohorte aller dänischen Patienten
mit Typ-2-Diabetes (n = 66 807) während 5 Jahren.
Patienten mit der Kombination Metformin/Sulfonylharn-
stoffe hatten das höchste Risiko für alle Endpunkte, ausser
für schwere Hypoglykämie, das unter der Kombination Met-
formin/Basalinsulin noch höher war.
Zweierkombinationen wie Metformin/SGLT2-Hemmer,
Metformin/GLP-1-RA oder Metformin/GLP-1-RA/Basalin-
sulin hatten eine tiefe 3-P-MACE-Rate, eine tiefe Mortali-
tätsrate sowie eine tiefe Rate für schwere Hypoglykämien
(Kombinationen mit Basalinsulin etwas mehr).
Die niedrigsten Raten aller drei Endpunkte hatten jedoch
Patienten unter der Dreierkombination Metformin/SGLT2-
Hemmer/GLP-1-RA. Die höchste Risikoreduktion für Mor-
talität ergab sich somit unter der Dreierkombination mit
einer Senkung um 82 Prozent, 70 Prozent unter Metformin/
SGLT2-Hemmer, 62 Prozent unter Metformin/GLP-1-RA/
Basalinsulin und 59 Prozent unter Metformin/GLP-1-RA (17).
«Kombinationen mit DPP-4-Hemmern haben zwar wenig
Nebenwirkungen, aber auch keinen kardiovaskulären Nut-
zen. DPP-4-Hemmer sollten deshalb langsam durch SGLT2-
Hemmer oder GLP-1-RA ersetzt werden», resümierte Leh-
mann abschliessend.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Diabetes mellitus Typ 2 im Fokus», FOMF-WebUp, 9. April 2020.
SGED-Empfehlungen 2020 für die Behandlung von Typ-2-Diabetes
www.rosenfluh/qr/sgedssed
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Referenzen: 1. Guthrie B et al.: Adapting clinical guidelines to take account of multi-
morbidity. BMJ 2012; 345: e6341. 2. Cosentino F et al.: 2019 ESC Guidelines on diabetes, pre-diabetes, and
cardiovascular diseases developed in collaboration with the EASD: The Task Force for diabetes, pre-diabetes, and cardiovascular diseases of the European Society of Cardiology (ESC) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Eur Heart J 2019; 41: 255–323. 3. Zinman B et al.: Empagliflozin, cardiovascular outcomes, and mortality in type 2 diabetes. N Engl J Med 2015; 373: 2117–2128. 4. Neal B et al.: Canagliflozin and cardiovascular and renal events in type 2 diabetes. N Engl J Med 2017; 377: 644–657. 5. Perkovic V et al.: Canagliflozin and renal outcomes in type 2 diabetes and nephropathy. N Engl J Med 2019; 380: 2295–2306. 6. Wiviott SD et al.: Dapagliflozin and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2019; 380: 347–357. 7. Boonman-de Winter LJ et al.: High prevalence of previously unknown heart failure and left ventricular dysfunction in patients with type 2 diabetes. Diabetologia 2012; 55: 2154–2162. 8. Marso SP et al.: Liraglutide and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2016; 375: 311–322. 9. Marso SP et al.: Semaglutide and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2016; 375: 1834–1844. 10. Husain M et al.: Oral semaglutide and cardiovascular outcomes in patients with type 2 diabetes. N Engl J Med 2019; 381: 841–851. 11. Gerstein HC et al.: Dulaglutide and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes (REWIND): a double-blind, randomised placebo-controlled trial. Lancet 2019; 394: 121–130. 12. Mann JFE et al.: Liraglutide and renal outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2017; 377: 839–848. 13. Bellastella G et al.: Glucagon-like peptide-1 receptor agonists and prevention of stroke systematic review of cardiovascular outcome trials with meta-analysis. Stroke 2020: 51: 666–669. 14. Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie 2020: Massnahmen zur Blutzuckerkontrolle bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2. www.sgedssed.ch. Letzter Zugriff 23.4.2020. 15. Frias JP et al.: Exenatide once weekly plus dapagliflozin once daily versus exenatide or dapagliflozin alone in patients with type 2 diabetes inadequately controlled with metformin monotherapy (DURATION-8): a 28 week, multicentre, double-blind, phase 3, randomised controlled trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2016; 4: 1004–1016. 16. Clegg L et al.: Effects of exenatide and open-label SGLT2 inhibitor treatment, given in parallel or sequentially, on mortality and cardiovascular and renal outcomes in type 2 diabetes: insights from the EXSCEL trial. Cardiovascular Diabetology 2019; 18: 138. 17. Jensen MH et al.: Risk of major adverse cardiovascular events, severe hypoglycemia, and all-cause mortality for widely used antihyperglycemic dual and triple therapies for type 2 diabetes management: a cohort study of all danish users. Diabetes Care 2020 Apr 1 [Epub ahead of print].
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