Transkript
BERICHT
Typ-2-Diabetes
Neue SGED-Empfehlungen zur Diabetestherapie
Die Schweizerische Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED) hat ihre Empfehlungen zur Behandlung des Typ-2-Diabetes den neuesten Erkenntnissen angepasst und aktualisiert. Zur Wahl der Therapie sind nur noch drei Fragen wesentlich, nachdem das Therapieziel festgelegt ist.
Die Behandlung der progredienten Typ-2-Diabetes-mellitus-Erkrankung orientiert sich nach aktuellem Konzept nicht nur am HbA1c-Wert, sondern auch an den Komorbiditäten. Die Reduktion der kardiovaskulären Last ist von vorrangiger Bedeutung. Um das zu erreichen, empfiehlt die SGED die frühzeitige Kombination von SGLT2-Hemmern beziehungsweise GLP-1-Rezeptor-Agonisten (RA) mit Metformin. Aufgrund der unterschiedlichen Wirkmechanismen ist die Kombination von SGLT2-Hemmern mit GLP-1-RA ebenfalls empfohlen, weil beide Substanzklassen die Zahl kardiovaskulärer Ereignisse, die Mortalität sowie die Progression der Nephropathie reduzieren (Abbildung). Auch die Präferenzen des Patienten wie Hypoglykämiefreiheit, Gewichtsabnahme, Applikationsform und -häufigkeit sind einzubeziehen. Weitere Aspekte wie die unmittelbare und präventive Wirksamkeit, Nutzen und Nebenwirkungen der zur Verfügung stehenden Antidiabetika sollen mit dem Patienten erörtert werden, um eine gemeinsame Entscheidung zu treffen. Die Therapie ist multifaktoriell: Kontrolle des Blutzuckers, des Lipidprofils und des Blutdrucks sowie die Motivation zum Rauchstopp gehören zum Konzept. Ziel einer Diabetesbehandlung ist es ausserdem, bei jedem Patienten atherosklero-
Steckbrief
Wer hat die Guidelines erstellt? Schweizerische Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED) Wann wurden sie erstellt? 2020 Für welche Patienten? Patienten mit Typ-2-Diabetes Was ist neu? s Drei Schlüsselfragen zur Therapiewahl: Insulinmangel?
Nierenfunktion? Herzinsuffizienz? s Frühzeitige Kombination von Metformin mit SGLT2-Hemmer oder
GLP-1-RA. s Zur Therapie oder Prävention von atherosklerotischen kardio
vaskulären Erkrankungen und mikrovaskulären Komplikationen ist neu auch die Kombination von GLP-1-RA und SGLT2-Hemmern empfohlen.
tische kardiovaskuläre Erkrankungen (ASCVD) und mikrovaskuläre Erkrankungen zu verhindern oder diese optimal zu behandeln.
Lebenstil
Vor einem Einsatz von Antidiabetika ist es jedoch sinnvoll, den HbA1c-Wert durch Lebensstilmassnahmen zu senken. Empfohlen sind eine regelmässige körperliche Aktivität von 150 Minuten pro Woche und eine individuell abgestimmte Ernährungstherapie. Diese soll bei Adipösen und Übergewichtigen zu einem Kaloriendefizit von 500 bis 750 kcal/Tag und letztlich zu einem Gewichtsverlust von 5 Prozent führen. Bei den Ernährungsempfehlungen stehen faserreiche Kohlehydratquellen und Lebensmittel mit einfach und mehrfach gesättigten Fettsäuren im Vordergrund. Hochgradig ver arbeitete Lebensmittel und zuckerhaltige Süssgetränke sollten vermieden werden. Eine Empfehlung für eine bestimmte Diät gibt es nicht, ein Gewichtsverlust kann allerdings nur mit einer hohen Adhärenz zur gewählten Diät erreicht werden. Sind die Lebensstilmassnahmen ungenügend, bedarf es zusätzlich einer medikamentösen Therapie. Die HbA1c-Reduktion kann jedoch unabhängig von der Diabetesdauer durch Lebensstilmodifikationen weiter unterstützt werden. Das sollte ausgenutzt und die Patienten sollten entsprechend motiviert werden.
Welcher HbA1c-Wert soll angestrebt werden?
Die Definition des HbA1c-Zielwerts variiert je nach Erkrankungsdauer, Komorbidität und Hypoglykämierisiko. s HbA1c < 7 Prozent: kürzlich diagnostizierte junge Patienten
ohne kardiovaskuläre Erkrankung (< 6,5% ohne Hypoglykämierisiko). Werden keine Wirkstoffe eingesetzt, die eine Hypoglykämie hervorrufen können (Insulin/Sulfonylharnstoffe), gibt es für den HbA1c-Wert keine Untergrenze. In diesem Fall soll ein dem Normalwert so nahe wie möglicher Wert (6–7%) angestrebt werden. s HbA1c < 8,0 Prozent: ältere Patienten mit langer Diabetesdauer, Patienten mit schwerer Hypoglykämie in der Anamnese, mit begrenzter Lebenserwartung, fortgeschrittenen mikro- oder makrovaskulären Komplikationen und beträchtlichen Komorbiditäten. Ebenso für Patienten, die unter einer Sulfonylharnstoff- oder Insulintherapie stehen.
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Abbildung
Therapiealgorithmus Typ-2-Diabetes
Lebensstilmassnahmen Multifaktionelle Therapie: Hypertonie, Liquide, Rauchstopp, Diabetes
Metformin + SGLT2-Hemmer
Metformin + GLP-1-RA*
+ GLP-1-RA/DPP-4-Hemmer
+ SGLT2-Hemmer
+ Basalinsulin oder Sulfonylharnstoffe (Gliclazid)
+ Basalinsulin oder Sulfonylharnstoffe (Gliclazid)
Basal-Bolus-Insulin oder Mischinsulin Weiterfahren mit: Metformin, SGLT2-Hemmer, GLP-1-RA
Stopp: Sulfonylharnstoffe und DPP-4-Hemmer
* Bei Patienten mit tiefem bis mässigem kardiovaskulären Risiko oder ohne Risikofaktoren kann man DPP-4-Hemmer oder Sulfonylharnstoffe anwenden.
Quelle: SGED 2020
Kasten
Vorgehen in speziellen Situationen
1. Insulinmangel: • Basalinsulin • Basalinsulin + GLP-1-RA oder Basalinsulin + orale Antidiabetika (keine Sulfonylharnstoffe)
2. eGFR < 30 ml/min/1,73 m2: kein Metformin; DPP-4-Hemmer oder GLP-1-RA (ab BMI > 28); • plus Basalinsulin
3. Herzinsuffizienz oder eGFR > 30 ml/min/1,73 m2: SGLT2-Hemmer
Wahl der Therapie
Um die Therapie adäquat auf den Patienten abstimmen zu können und um kardiorenale Komplikationen zu vermeiden, ist die Abklärung von drei klinischen Situationen wichtig: Insulinmangel, Nierenfunktion, Herzinsuffizienz (Kasten).
1. Benötigt der Patient Insulin? Bei Patienten mit einem HbA1c-Wert > 10 Prozent oder mit einem Blutzuckerspiegel > 16,7 mmol/l ohne Hinweise auf ein metabolisches Syndrom und mit klinischen Symptomen von Insulinmangel (Gewichtsverlust, Polyurie, Nykturie, Durst, Asthenie) ist die Gabe von Insulin angezeigt. Nach Normalisierung der metabolischen Situation liegt die Weiterführung der Insulingabe im Ermessen des behandelnden Arztes. Eine lange Krankengeschichte soll an einen eventuell vorliegenden Typ-1-Diabetes oder eine chronische Pankreatitis denken lassen.
2. Wie ist die Nierenfunktion? Der wichtigste limitierende Faktor für eine antidiabetische Medikation ist die Nierenfunktion. Lang wirksame Sulfonylharnstoffe mit aktiven Metaboliten (wie Glibenclamid, Glimepirid) sollten nicht angewendet werden. Gliclazid ist die bevorzugte Substanz dieser Klasse mit tiefer Inzidenz an Hypoglykämie und kardiovaskulären Ereignissen.
s Geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) < 30 ml/ min/1,73 m2: Die meisten Medikamente können nicht verschrieben w erden. Metformin ist abzusetzen. DPP-4-Hemmer (Saxag liptin, Linagliptin) sind die bevorzugten Antidiabetika, GLP-1-RA sind einsetzbar (ab BMI > 28 kg/m2). Wenn GLP-1-RA toleriert werden, können sie bis zu einer eGFR von 15 ml/min/1,73m2 angewendet werden (evtl. in tieferer Dosierung). Bei Patienten mit Niereninsuffizienz im Stadium 4 und 5 ist Insulin erforderlich (Insulin degludec, Insulin glargin).
s eGFR 30–45 ml/min/1,73 m2: Metformin nicht anwenden oder Dosis auf bis zu 500 mg/Tag reduzieren und eGFR 2- bis 3-mal/Jahr überprüfen. Die SGLT2-Hemmer Empa gliflozin und Canagliflozin können laut Studienresultaten bis zu einer eGFR von 30 ml/min/1,73m2 sicher eingesetzt werden. Zugelassen sind sie jedoch erst ab einer eGFR von 45 ml/min/1,73 m2, Ertugliflozin ab 60 ml/min/1,73 m2.
3. Besteht eine Herzinsuffizienz, oder geht es um deren Prävention? Zur Verringerung der Mortalität und von kardiovaskulärenEreignissensindSGLT2-Hemmerdieb evorzugte Substanzklasse. Sulfonylharnstoffe und DPP-4-Hemmer haben keinen kardioprotektiven Effekt. Glitazone sollten vermieden werden.
Cave Hypoglykämierisiko
Kombinationen aus Sulfonylharnstoff und Insulin vermeiden, da sie das Hypoglykämierisiko signifikant um das 9- bis 40-Fache erhöhen. Neuere Basalinsuline (z. B. Insulin degludec und Insulin glargin U300) bergen im Vergleich zu Insulin detemir und Insulin glargin U100 wie auch NPH-Insuline ein geringeres Hypoglykämierisiko, insbesondere bezüglich nächtlicher Hypoglykämie. Eine Kombination aus Basalinsulin plus GLP-1-RA reduziert das Hypoglykämierisiko weiter und eliminiert die Gewichtszunahme als Nebenwirkung. Bei Substanzen mit Hypoglykämierisiko ist der HbA1c-Zielwert höher anzusetzen.
Kardiovaskuläre Prävention
Einzige Substanzklassen mit nachgewiesenem kardiovaskulären Nutzen in der Sekundärprävention sind SGLT2-Hemmer und GLP-1-RA (z. B. Liraglutid, Semaglutid oder Dulaglutid/ Albiglutid); sie zeigen einen ähnlichen Effekt auf 3-PunktMACE. Eine signifikante Reduktion der Mortalität ist für Empagliflozin und Liraglutid belegt. Die lang wirksamen GLP-1-RA (Liraglutid, Semaglutid, Dulaglutid) zeigten in Studien eine Reduktion der Hirnschlaginzidenz. Die Kombination von SGLT2-Hemmer und GLP-1-RA wird vom ADA/EASD-Konsensus und von den ESC-Leitlinien aufgrund der additiven Effekte auf Niere, Herz und Gesamtmortalität empfohlen.
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Antidiabetika (für Medikamente in blau existieren kardiovaskuläre Endpunktstudien)
Wirksubstanz Biguanide Metformin SGLT2-Hemmer Canagliflozin Dapagliflozin
Präparatname
Glucophage® oder Generika
Invokana® Forxiga®
Empagliflozin
Jardiance®
Ertugliflozin DPP-4-Hemmer Alogliptin Linagliptin Saxagliptin Sitagliptin Vildagliptin Sulfonylharnstoffe Gliclazid Glibenclamid Glimepirid GLP-1-Rezeptor-Agonisten Lixisenatid Exenatid Depot Liraglutid Semaglutid Dulaglutid Insulinanaloga, lang wirksam Insulin degludec Insulin detemir Insulin glargin 100 Insulin glargin 300 Insulin glargin Biosimilar Humaninsulin, mittel wirksam NPH Insulinanaloga, kurz wirksam Lispro Aspart Glulisin Mischinsulin Insulin lispro Insulin aspart Insulin degludec/aspart
Steglatro®
Vipidia® (Herzversagen möglich) Trajenta® Onglyza® (Herzversagen möglich) Januvia®, Xelevia® Galvus®
Diamicron® oder Generika Daonil®/Semi-Daonil®/Generika Amaryl® oder Generika
Lyxumia® Bydureon® Pen (1 x wöchentlich) Victoza® Ozempic® (1 x wöchentlich) Trulicity® (1 x wöchentlich)
Tresiba® Levemir® Lantus® Toujeo® SoloStar® Abasaglar®
Huminsulin®, Insulatard®
Humalog® NovoRapid®, Fiasp® Apidra®
Humalog® NovoRapid® NovoRapid®
Quelle: SGED-Empfehlungen 2020, swissmedicinfo.ch
Kombination
Vokanamet® Xigduo® XR, Qtern® (Dapagliflozin/Saxagliptin) Jardiance Met®, Glyxambi® (Empagliflozin/Linagliptin) Segluromet®, Steglujan® (+Sitagliptin) Vipdomet® Jentadueto® Kombiglyze XR® Janumet®, Janumet XR®, Velmetia® Galvumet®
Glucovance®/- mite®
Suliqua® 100/50 (mit Insulin glargin) Xultophy® (mit Insulin degludec)
Xultophy® (mit Liraglutid) Suliqua® 100/50 (mit Lixisenatid)
Humalog Mix® (NPH-Insulin) NovoMix® (NPH-Insulin) Ryzodeg® (degludec)
Besonderes
Der Patient muss in Bezug auf die Krankheitstage gut instru-
iert sein. Um seltene Fälle von diabetischer Ketoazidose zu
vermeiden, müssen bei Erbrechen, Diarrhö oder akuter Krank-
heit oder einem geplanten operativen Eingriff SGLT2-Hem-
mer und Metformin abgesetzt und, so nötig, durch Insulin
ersetzt werden.
s
Valérie Herzog
Referenzen: 1. Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und
Diabetologie 2020: Massnahmen zur Blutzuckerkontrolle bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2. www.sgedssed.ch. Letzter Zugriff 23.3.2020
SGED-Empfehlungen 2020 für die Behandlung von Typ-2-Diabetes
www.rosenfluh/qr/sgedssed
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