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FORTBILDUNG
Sport als Prävention und Therapie psychischer Erkrankungen
Sein Stellenwert bei Angst, Depression, Demenz, Schizophrenie, Sucht ...
Körperliche Aktivität wirkt sich in vielfacher Hinsicht günstig aus. Auch in der Prävention und Therapie psychischer Erkrankungen spielt regelmässige Bewegung eine wichtige Rolle. Was sich damit bei den häufigsten psychischen Erkrankungen erreichen lässt, ist eines der Themen der Schweizer Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (SGSPP).
Theofanis Ngamsri, Malte Christian Claussen, Christian Imboden, Ulrich Hemmeter
Psychische Erkrankungen gehören zu den häufigsten Leiden überhaupt. Weltweit kommt es innerhalb eines Jahres bei 10 bis zirka 20 Prozent der Menschen zum Auftreten einer psychischen Erkrankung, die Lebenszeitprävalenz liegt zwischen 18 und 36 Prozent (1). Viele dieser Erkrankungen beginnen bereits in der Kindheit, und sie haben erhebliche negative Auswirkungen auf das Befinden, die kognitive und psychosoziale Leistungsfähigkeit sowie die Lebensqualität insgesamt (1). Die gesundheitlich relevante Dosis an Bewegung und Sport ist in unserer von Bewegungsmangel geprägten Gesellschaft unter präventiven und therapeutischen Gesichtspunkten bei sowohl körperlichen als auch psychischen Erkrankungen von grosser Bedeutung. Zu den häufigsten psychischen Erkrankungen zählen affektive Störungen (z. B. Depression, bipolare Erkrankung), Angsterkrankungen, Psychosen und Suchterkrankungen (s. Tabelle 1) (2). Mit zunehmendem Alter spielen zudem Demenzen eine grosse Rolle (3).
MERKSÄTZE
� Körperliche Aktivität hat positive Effekte bei Angsterkrankungen, Depression, Schizophrenie und Sucht.
� Sie hat darüber hinaus eine präventive Wirkung und kann vor dem Auftreten verschiedener psychischer Störungen schützen.
� Körperliche Aktivität sollte deshalb, wenn immer möglich, als zusätzlicher Therapiebaustein bei der Behandlung psychischer Erkrankungen empfohlen werden.
� Sportliche Aktivität hat ebenfalls günstige Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit, die Entwicklung und den Verlauf von Alzheimer-Demenz und von Demenzen im Allgemeinen.
Sport und Angsterkrankungen
Angsterkrankungen gehören mit einer 12-Monats-Prävalenz von 15,3 Prozent zu den häufigsten psychischen Erkrankungen (2). Sie werden nach den aktuellen Behandlungsempfehlungen mit Psychotherapie und/oder Pharmakotherapie, zum Beispiel mit anxiolytisch wirkenden Antidepressiva, behandelt. Ergänzend können weitere adjuvante Therapien eingesetzt werden. Bei vielen Patienten kann körperliche Aktivität einen – nebenwirkungsfreien – zusätzlichen Nutzen bringen (4). Sport allein reicht nicht aus, um eine Angsterkrankung zu behandeln, ist jedoch mit einer besseren Lebensqualität, einer Verbesserung des Aktivitätslevels und der Ausdauerleistungsfähigkeit (maximale Sauerstoffaufnahme, VO2max) verbunden (5). Bei Patienten mit einer sozialen Phobie hat sich eine sportliche Gruppenaktivität (unabhängig von der Intensität), kombiniert mit kognitiver Verhaltenstherapie (KVT), als wirksam erwiesen (4). Eine neuere Studie zeigt hingegen eine Verbesserung der Angstsymptome bei Steigerung der Intensität (Joggen als intensiverem Sport) im Vergleich mit einer leichteren sportlichen Aktivität (Wandern) (4). Auch bei Agoraphobie und posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) wurden positive Effekte durch sportliche Aktivität gezeigt (6). In einer grossen Kohorte US-Militärangehöriger (n = 38 883) hatten beispielsweise diejenigen mit intensivem Training (mindestens 20 Minuten 2×Woche) ein niedrigeres Risiko für das Auftreten von PTBS-Symptomen (7). Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass Sport als zusätzliches Behandlungselement bei Patienten mit Angsterkrankungen zu einer Verbesserung der Angstsym ptome beiträgt sowie einen protektiven Effekt bezüglich einer PTBS zu haben scheint. Ob sportliche Aktivität sich bei verschiedenen Angsterkrankungen unterschiedlich auswirkt, ist derzeit noch Gegenstand weiterer Untersuchungen (4).
Sport und Depression
Neben Angsterkrankungen zählen auch affektive Störungen, insbesondere die Depression, zu den häufigsten psychiatri-
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Tabelle 1:
12-Monats-Prävalenzen psychischer Störungen in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung
Störung bzw. Störungsgruppe (ICD-10-Code) Störung durch Substanzgebrauch (F1) Störung durch Substanzgebrauch, ohne Nikotinabhängigkeit (F1)
s Alkoholmissbrauch s Alkoholabhängigkeit s Medikamentenmissbrauch s Medikamentenabhängigkeit s Nikotinabhängigkeit Mögliche psychotische Störung (F2) Affektive Störungen (F3) s unipolare Depression s Major Depression s dysthyme Depression s bipolare Depression Angststörung (F40, F41) s Panikstörung s Agoraphobie s soziale Phobie s generalisierte Phobie s spezifische Phobien Posttraumatische Belastungsstörung
Zahlen aus Deutschland, in Anlehnung an (2)
Frauen (%) 13,9 3,5
0,4 1,6 1,7 0,7 11,7 3,1 12,4 10,6 8,4 2,5 1,7 21,3 2,8 5,6 3,6 2,9 15,4 3,6
Männer (%) 19,4 7,9
3,1 4,4 1,5 0,3 14,6 2,1 6,1 4,8 3,4 1,4 1,3 9,3 1,2 2,3 1,9 1,5 5,1 0,9
Gesamt (%) 16,6 5,7
1,8 3,0 1,6 0,5 13,1 2,6 9,3 7,7 6,0 2,0 1,5 15,3 2,0 4,0 2,7 2,2 10,3 2,3
schen Erkrankungen (12-Monats-Prävalenz: 9,3%) (2). Bei der Depression ist der positive Effekt von körperlicher Aktivität und Sport bereits gut belegt (8, 9). In einer grossen Metaanalyse mit 49 Studien (n = 266 939) von Schuch und Mitarbeitern zeigte sich ein deutlich protektiver Einfluss der körperlichen Aktivität auf die spätere Entstehung einer Depression (präventive Wirksamkeit) (9). Dieser Zusammenhang wurde in unterschiedlichen Regionen der Welt gefunden, sowohl in Nordamerika und Asien als auch in Europa (Deutschland, Österreich, England, Niederlande, Dänemark, Spanien und Island) und über alle Altersklassen hinweg (9). In einer anderen Metaanalyse zeigte sich, dass Bewegungsmangel und sitzender Lebensstil mit einem erhöhten Depressionsrisiko assoziiert sind. Indikatoren für Bewegungsmangel waren in dieser Metaanalyse Langzeitfernsehen und längere Computer- und Internetnutzung (10). Sportliche Aktivität kann bei Patienten mit einer Depression sowohl in der Prävention als auch in der Therapie eingesetzt werden (s. Tabelle 2). Bei leichten bis mittelgradigen Depressionen hat sich in mehreren Metaanalysen ein Ausdauer training im Umfang von zirka 3-mal wöchentlich für 40 bis 60 Minuten über mindestens 10 Wochen als ähnlich wirksam erwiesen wie eine Pharmako- oder Psychotherapie (11, 12). Empfohlen wird ein wöchentlicher Kalorienverbrauch von 16 kcal pro Kilogramm Körpergewicht (13). Auch bei stationär behandelten Patienten mit Depression ist ein Ausdauertraining mehrmals wöchentlich als Add-on-Therapie durch-
führbar, und es weist einen signifikant positiven Effekt auf die depressive Symptomatik auf (14, 15).
Sport und Suchterkrankungen
Suchterkrankungen sind für die Gesellschaft kostspielig, führen zu einer verminderten Lebensqualität und zu höherer Mortalität (16). Auch bei den Suchterkrankungen gibt es Hinweise darauf, dass sportliche Aktivität eine positive Wirkung hat, wenngleich dieser Bereich bis jetzt nur wenig untersucht ist und standardisierte Testprotokolle fehlen (16). Ein grosses Hindernis für den Einsatz standardisierter Programme mit sportlicher Bewegung stellt bei diesen Patienten die – häufig krankheitsbedingt – fehlende Motivation zur langfristigen Durchführung der körperlichen Aktivität dar. Diese Problematik wurde in einer Studie mit Patienten mit Depression bereits mit einem individualisierten Sportangebot angegangen, die gleiche Strategie wurde auch bei Patienten mit Suchterkrankungen eingesetzt (13, 17). Am häufigsten genutzte Aktivitäten waren bei den Suchtpatienten Gehen, Krafttraining und Radfahren, allein oder in kleinen Gruppen. Deshalb empfehlen die Autoren, bei der Behandlung von Suchterkrankungen auf solche Aktivitäten zurückzugreifen (13).
Sport und Schizophrenie
Schizophrenie zählt zu den 10 häufigsten Ursachen für langfristige psychische Behinderungen weltweit. Die Erkrankung betrifft etwa 1 Prozent der Bevölkerung. Sie entwickelt sich
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Tabelle 2:
Effekte von Sport bei unipolarer Depression
Depressive Symptome Somatik
generelle Symptomreduktion Verbesserung von Arbeitsgedächtnis und Aufmerksamkeit Verbesserung der Insomnie Verbesserung metabolischer Parameter (Reduktion von Morbidität und Mortalität im Langzeitverlauf)
(Neurogenese)
Neurobiologische Effekte
Reduktion von oxidativem Stress
(Reduktion von Neuroinflammation)
(Effekte auf HPA-Achse)
Empfehlung für Behandlung Empfehlung für Prävention
60 – 80% HRmax > 45 Minuten pro Einheit, 3- bis 5-mal pro Woche für > 10 Wochen, wöchentlich 16 kcal pro kg KG
wöchentlich 2,5 Stunden moderate oder 1,25 Stunden intensive Bewegung
Coaching zur Umsetzung in Alltag
nach (13); HPA: Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (hypothalamus-pituitary-adrenocortical, HPA); HRmax: maximale Herzfrequenz
in jungen Jahren und bleibt meist über das ganze Leben bestehen (18). In den Empfehlungen der Schweizer Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) zur Behandlung der Schizophrenie wird darauf hingewiesen, dass Patienten mit einer Schizophrenie insgesamt weniger gut medizinisch versorgt sind und zudem eine hohe Komorbidität mit somatischen, insbesondere kardiovaskulären und metabolischen Erkrankungen besteht (19). Die Empfehlung für sportliche Aktivität/körperliches Training ist hier zusätzlich sinnvoll, da eine Vielzahl der für diese Patienten notwendigen antipsychotisch wirksamen Medikamente metabolische Nebenwirkungen aufweist (20). Eine Metaanalyse der Europäischen Gesellschaft für Psychiatrie (EPA) weist auf eine Reduktion der psychopathologischen Schizophreniesymptome bei regelmässiger sportlicher Bewegung von moderater bis hoher Intensität über mindestens 90 Minuten pro Woche hin. Die sportliche Aktivität führt auch hier zusätzlich zu einer Reduktion des Body-Mass-Index (BMI), zu einer Verbesserung der kardiovaskulären und metabolischen Parameter sowie der Lebensqualität und des kognitiven Leistungsvermögens. Auf der Grundlage dieser Daten empfiehlt die EPA für die therapeutische Anwendung sportlicher Aktivität bei Patienten mit Schizophrenie vor allem aerobes Training mit moderater bis hoher Intensität für die Dauer von mindestens 150 Minuten pro Woche. Es wird darauf hingewiesen, dass gerade bei diesen Patienten die Motivation dafür regelmässig gefördert werden muss (21). Auch auf die bei Schizophrenie häufig auftretenden kognitiven Störungen haben sportliche Aktivität und Training eine positive Wirkung, wie eine Metaanalyse gezeigt hat. Insbesondere die Bereiche Arbeitsgedächtnis, soziale Kognition und Aufmerksamkeit waren nach der Durchführung von Ausdauersport verbessert (22). Auch tägliche Yogaübungen über 3 Monate
wirkten sich in mehreren Studien bei Patienten mit Schizophrenie positiv auf die kognitive Leistungsfähigkeit aus (23).
Sport und Schlaf
Ein gesunder Schlaf ist elementarer Bestandteil unserer Gesundheit. Schlafstörungen gehen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung körperlicher und psychischer Erkrankungen einher und können zudem ein Symptom verschiedener Erkrankungen sein (24). Deshalb muss bei Schlafstörungen immer zunächst nach möglichen zugrunde liegenden Erkrankungen gesucht werden. Schlafstörungen nehmen mit steigendem Alter zu und sind mit schlechterer kognitiver Leistungsfähigkeit assoziiert (25). Eine Verbesserung des Schlafs fördert somit die Gesundheit. Kredlow und Kollegen fanden in einer Metaanalyse mit 66 eingeschlossenen Studien eine Verbesserung des Schlafs durch regelmässiges Training (26). Es konnte gezeigt werden, dass sich der Schlaf durch die sportliche Aktivität sowohl subjektiv als auch objektiv in vergleichbarer Weise verbessert wie mit einer Verhaltens- oder Pharmakotherapie mit Hypnotika. Das regelmässige körperliche Training hatte positive Effekte sowohl auf die Gesamtschlafzeit als auch auf die Einschlafzeit, die Schlafeffizienz und die Schlafqualität insgesamt (26).
Sport und Kognition
Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Befunden, die einen Zusammenhang zwischen sportlicher Aktivität und kognitiven Leistungen beschreiben. So konnten bei Patienten mit verschiedenen chronischen Hirnerkrankungen, unter anderem mit Alzheimer-Demenz (AD), Huntington-Krankheit (HD) und Parkinson-Erkrankung (PD), in einer aktuellen Metaanalyse Zusammenhänge zwischen körperlicher Aktivität und kognitiven Funktionen gezeigt werden. In einer Analyse
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von 21 Studien (mit 1313 Probanden mit AD, HD oder PD) fanden sich eine signifikant bessere Aufmerksamkeit und ein besseres Arbeitsgedächtnis, wenn die Patienten körperlich aktiv waren. Zudem zeigte sich in mehreren Studien der selben Metaanalyse auch ein signifikant positiver Zusam menhang mit den exekutiven Funktionen sowie den Gedächtnisleistungen, hauptsächlich bei strukturiert und konsequent durchgeführten aeroben Trainingseinheiten. Auch die psychomotorische Geschwindigkeit war bei diesen Patienten signifikant besser, wenn körperliche Aktivität durchgeführt wurde, auch wenn dieser Vorteil geringer ausgeprägt war als bei den oben genannten Funktionen. Zudem wurde ein klarer Trend zur Verbesserung der globalen Kognition durch körperliches Training beobachtet (27).
Sport und Demenzprävention
Stephen und Kollegen fanden in ihrer Metaanalyse mit 24 Studien eine Verminderung des Risikos für das Auftreten einer AD, wenn in der Freizeit körperliche Aktivitäten erfolgten. Unter körperlicher Aktivität im Berufsalltag war diese Risikoreduktion jedoch kaum nachweisbar. Es wird deshalb angenommen, dass Bewegung im beruflichen Alltag allein nicht ausreicht (28). Es zeigt sich somit ein umgekehrt proportionaler Zusammenhang von körperlicher Aktivität in Beruf und Freizeit. Beruflich bedingte sitzende Tätigkeiten sind eher mit sportlicher Aktivität in der Freizeit verbunden, die gerade dann auch einen präventiven Effekt hat (29). Hinzu kommt, dass körperliche Aktivitäten in der Freizeit eher mit sozialer und kognitiver Stimulation, also weiteren protektiven Faktoren für die AD-Entwicklung assoziiert sind (30). Die wenigen Studien der Metaanalyse, in denen dieser Zusammenhang nicht beobachtet werden konnte, weisen methodische Mängel auf, indem sie entweder nicht zwischen körperlicher Aktivität in der Freizeit, im Beruf und im Haushalt differenzieren oder keine klar definierten Interventionen, sondern beispielsweise nur «körperliche Aktivität im Allgemeinen» als Intervention beschreiben (28).
Schweizer Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (SGSPP)
Die Schweizer Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (SGSPP) widmet sich dem Einsatz von Bewegung, Training und Sport als therapeutischem Element bei der Behandlung psychischer Erkrankungen sowie der Förderung der psychischen Gesundheit im Leistungssport. Im Leistungssport sind psychische Belastungen und Erkrankungen häufige Gesundheitsprobleme. Während der aktiven sportlichen Laufbahn wie auch danach kommt der psychischen Gesundheit eine grosse Bedeutung zu und psychisches Wohlbefinden und (sportliche) Leistungsfähigkeit bedingen sich gegenseitig: So haben psychische Belastungen und Erkrankungen im Sport Einfluss auf die Leistung, können das Risiko für körperliche Verletzungen erhöhen und die Rehabilitation verlängern. Verletzungen wiederum haben einen Einfluss auf die Leistung und sind Belastungen und Risiken für die psychische Gesundheit (2).
Mehr darüber unter www.sgspp.ch
Die überwiegende Mehrzahl der Arbeiten in dieser Metaanalyse weist auf einen Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und reduziertem Demenzrisiko sowie besserer kognitiver Leistungsfähigkeit hin (28). Auch eine zunehmende Steigerung körperlicher Aktivität im Lebensverlauf kann mit einem reduzierten Risiko für die Entwicklung einer AD verbunden sein. In einer bevölkerungsbasierten Studie konnten protektive Effekte gegen Demenz bei längerer, freizeitabhängiger körperlicher Aktivität ab dem mittleren Lebensalter sowie bei Steigerung des Aktivitätsniveaus im späteren Lebensabschnitt nachgewiesen werden (31).
Sport als Therapieelement bei Demenz
Aus all diesen Befunden ergeben sich Hinweise, dass Bewegung eine sinnvolle therapeutische Intervention zur Behandlung von Patienten mit bereits bestehender sowie bei Patienten mit beginnender AD sein kann (32). Körperliche bis sportliche Bewegungsprogramme, die zur Behandlung der AD eingesetzt werden, bewirken teilweise eine Verbesserung der kognitiven Funktionen, vor allem aber eine Verbesserung der neuropsychiatrischen Symptome (Verhaltensstörungen) und eine Verlangsamung des Rückgangs der Selbstständigkeit (33).
Neurophysiologische Effekte von Sport
Als Mechanismen, die den positiven Effekten zugrunde liegen, werden unter anderem eine Verbesserung der zerebralen Perfusion und die Stimulation von Neurogenese, Synapto genese und Angiogenese diskutiert (34). Dadurch kann der Nervenzellverlust reduziert werden, wodurch das Gehirnvolumen der AD-anfälligen Regionen (z. B. Hippocampus) länger erhalten bleibt (35). Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass körperliche Aktivität auch einen positiven Einfluss auf die AD-typischen neuropathologischen Prozesse wie die Beta-Amyloid-Akkumulation und die Tau-Phosphorylierung ausübt (36). Auch die Sekretion von BDNF (brain-derived neurotrophic factor) wird durch körperliche Aktivität positiv beeinflusst (37). Im Mausmodell führte körperliches Training zu einer höheren BDNF-Expression, die gleichzeitig mit einer verbesserten räumlichen Gedächtnisleistung assoziiert war. Durch Hemmung der BDNF-Übertragung wurden diese Effekte wieder aufgehoben (38). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sportliche Aktivität günstige Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit, die Entwicklung und den Verlauf von AD und Demenz allgemein hat. Die günstigen Effekte auf die kardiovaskulären und metabolischen Parameter, die auch Risikofaktoren für die Entstehung von Demenz sind, könnten hier eine wesentliche Rolle spielen. Der gezielte Einsatz von körperlicher Aktivität kann somit sowohl präventiv als auch therapeutisch bei Demenz genutzt werden (39).
Sport und gesundes Altern
Gesundes Altern kann durch regelmässige körperliche Aktivität unterstützt werden. Neben einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit kann insbesondere das Nachlassen kognitiver Fähigkeiten im Alter gebremst werden (40). Körperliche Aktivität ist auch mit einer besseren Lebensqualität im Alter verbunden. Wie in einer brasilianischen Untersuchung gezeigt
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werden konnte, betrifft das die Funktionsfähigkeit, die Autonomie sowie die Vitalität insgesamt (41). Darüber hinaus lässt sich durch körperliche Aktivität auch das Risiko für Angst und Depression bei älteren Menschen reduzieren (42).
Fazit und Ausblick
Aus den bis jetzt vorliegenden Befunden lässt sich ableiten, dass körperliche Aktivität positive Effekte auf die hier genannten psychiatrischen Erkrankungen aufweist. Sportliche Betätigung hat darüber hinaus eine präventive Wirkung und kann nicht nur vor den bekannten somatischen Folgen des Bewegungsmangels, sondern auch vor dem Auftreten verschiedener psychischer Störungen schützen. Körperliche Aktivität sollte deshalb – wenn immer möglich – als zusätzlicher Therapiebaustein bei der Behandlung psychischer Erkrankungen und zu deren Prävention empfohlen werden. Für Depression und Schizophrenie liegen bereits detaillierte Empfehlungen für die Art, die Dauer und die Intensität der sportlichen Aktivität vor (21). Bewegung ist zudem ein wesentlicher Aspekt in der Prävention und Behandlung von Demenz und sollte deshalb möglichst immer berücksichtigt und gefördert werden, genauso wie körperliche Aktivität ein Grundpfeiler für das gesunde körperliche und psychische Altern ist.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Theofanis Ngamsri Oberarzt, Psychiatrie St. Gallen Nord, Wil E-Mail: theofanis.ngamsri@psgn.ch
Dr. med. Malte Christian Claussen, Leitender Arzt/Leiter Sportpsychiatrie und -psychotherapie Privatklinik Wyss
Dr. med. Christian Imboden, EMBA Ärztlicher Direktor und Vorsitzender der Klinikleitung Privatklinik Wyss
PD Dr. med. Dr. phil. Ulrich Michael Hemmeter, Chefarzt Psychiatrie St. Gallen Nord, Wil
Interessenlage: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Bezug auf diesen Artikel bestehen.
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