Transkript
FORTBILDUNG
Moderne Therapie des Typ-2-Diabetes
Viele neue Optionen
Heutzutage bietet die Therapie des Typ-2-Diabetes eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Je nach Stoffwechselsituation kann eine diätetische Behandlung ausreichend sein, oder es kommen orale Anti diabetika, Insulin oder auch eine Kombination aus beiden Wirkstoffgruppen zum Einsatz.
Hellmut Mehnert
Die wichtigste Therapie und allen Diabetesformen gemeinsam ist die Ernährungs- und Bewegungstherapie, auch als diätetische Behandlung bezeichnet. Gerade beim Typ-2-Diabetes gelingt es oft, allein mit diesen Massnahmen zum Ziel zu kommen. Für die Ernährung gibt es drei Vorgaben, die im Gegensatz zu vielen anderen Massnahmen unumstritten sind: ▲ kaloriengerechte Kost, für die 85 Prozent übergewichtigen
oder adipösen Diabetes-Typ-2-Patienten heisst das, weniger Kalorien zuzuführen als zu verbrauchen ▲ ballaststoffreiche Ernährung, die bei den Kohlenhydraten ins Gewicht fällt und mit Gemüse, Salat, Vollkornbrot u. a. abgedeckt werden kann ▲ absoluter Rauchverzicht.
So sehr wir heutzutage die Diabetiker bei der Diätberatung nicht mit Verboten überschütten, so konsequent muss man sein mit dem Verbot des Rauchens, das für alle Diabetiker (im
Übrigen eigentlich auch für Nichtdiabetiker) nicht nur wegen der allgemeinen Karzinomgefahr, sondern auch vor allem wegen der kardiovaskulären Schäden zu gelten hat. Viele kleine Mahlzeiten gibt man bei Diabetes-Typ-2-Patienten nicht mehr, da die Einzelmahlzeiten «Spatzenportionen» ähneln und immer nur neuen Appetit bei der Nahrungszufuhr hervorrufen würden. Die Bewegungstherapie wird meist unterschätzt. Hier können ein dosierter Morgensport und ein schneller Spaziergang, der mindestens drei- bis viermal pro Woche stattfinden sollte, von Bedeutung sein. Mit Joggen sollen Diabetiker erst dann anfangen, wenn der Arzt ihnen bestätigt, dass in kardiovaskulärer Hinsicht keine Bedenken bestehen. Die Zuckerzufuhr soll auf 10 Prozent der Gesamtkalorien (also nur 40–60 g täglich) beschränkt und wegen einer raschen Resorption mit der Konsequenz von unerwünschten postprandialen Hyperglykämien in Getränken ganz verboten werden. Die kalorienfreien, unschädlichen Süssstoffe sind hingegen erlaubt.
MERKSÄTZE
� Wichtigste therapeutische Massnahme bei Diabetes ist die diätetische Behandlung (Ernährungs- und Bewegungstherapie).
� Ist die nicht medikamentöse Therapie nicht ausreichend effektiv, steht eine ganze Reihe verschiedener oraler Antidiabetika zur Verfügung, von denen zunächst Metformin, ggf. in Kombination mit Gliptinen, zum Einsatz kommen sollte.
� SGLT2-Hemmer wirken nicht nur blutzuckersenkend, sondern gleichzeitig natriuretisch, führen zu einer anhaltenden Gewichtsabnahme und zeigen zusätzlich günstige kardiovaskuläre Effekte.
� Ebenfalls gewichtsmindernd wirken die zu injizierenden GLP-1-Rezeptor-Agonisten.
� Insulin kommt dann in Betracht, wenn sich mit Antidia betika, auch nicht mit der sogenannten Tripeltherapie (Metformin, Gliptine und Gliflozine), und diätetischer Behandlung keine ausreichende Blutzuckereinstellung erzielen lässt.
Sulfonylharnstoffe sind out
Wenn Ernährungs- und Bewegungstherapie nicht ausreichen, wird man unter Beibehaltung dieser diätetischen Richtlinien zu den oralen Antidiabetika greifen. Hier ist anzumerken, dass die Sulfonylharnstoffe quasi als Auslaufmodelle zu betrachten sind, da sie infolge ihrer ständigen Anregung der Insulinsekretion zu schweren, ja mitunter tödlichen Hypoglykämien führen können (vor allem Glibenclamid). Ausserdem ist die Sturzgefahr bei solcherart behandelten älteren Patienten um 50 Prozent höher als bei anderweitig therapierten Diabetikern. Dabei ist zu bedenken, dass 5,5 Prozent sogar stationär behandelt und eventuell operiert werden müssen. Das erhöht natürlich die Kosten, was bei der Kostendiskussion der angeblich so günstigen Sulfonylharnstoffe oft nicht bedacht wird. Und schliesslich sollte man im Auge behalten, dass die kardiovaskulären Schäden offenbar unter Sulfonylharnstoffen stärker ausgeprägt sind als bei den ohne beziehungsweise mit Metformin behandelten Patienten. Letztere hatten in einer Studie sogar eine geringfügige, aber nicht signifikante Besserung der Überlebensdauer gegenüber Nichtdiabetikern, welche also keine Antidiabetika erhielten, aufzuweisen. Mit Sulfonylharnstoffen behandelte Patienten hingegen hatten eine doppelt so hohe Mortalität im Vergleich zu den Nichtdiabetikern.
ARS MEDICI 7 | 2020
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FORTBILDUNG
Metformin und Gliptine
Als erstes orales Antidiabetikum sollte, falls Kontraindikationen es nicht verbieten (GFR [glomeruläre Filtrationsrate] < 30, Röntgenkontrastmitteluntersuchungen, exsikkotische Zustände [z. B. bei gastrointestinalen Infekten]), Metformin gegeben werden. Metformin wirkt über die Bremsung der hepatischen Glukoneogenese blutzuckersenkend, es vermindert die Triglyzeride, es wirkt appetitmindernd, gewichtsreduzierend und womöglich sogar antikarzinogen und interessanterweise auch anregend auf die körpereigene Inkretin-(GLP-[glucagon-like peptide-]1-)Sekretion. Dadurch wird Metformin auch zum idealen Kombinationspartner mit Gliptinen (DPP-[Dipeptidylpeptidase-]4-Hemmer), da es das gewünschte GLP-1 zur Ausschüttung bringt und dieses Inkretin gleichsam auf dem «Tablett» den Gliptinen zur Verfügung stellt. Diese senken nunmehr den Blutzucker, ohne dass man Hypoglykämien befürchten müsste, wobei dann der GLP-1-Abbau inhibiert und verzögert wird. Denn es ist ja zu bedenken, dass dieses Inkretin ohne die Gliptingabe nur wenige Minuten seinen hervorragenden Effekt auf die Blutzuckersenkung – wie gesagt, ohne Hypoglykämien – haben würde. Gliptine haben keine Nebenwirkungen aufzuweisen, sind allerdings in ihrer Wirkung ebenso wie die Sulfonylharnstoffe auf eine noch funktionierende, körpereigene Insulinsekretion angewiesen.
SGLT2-Hemmer
Schliesslich gibt es noch die Gliflozine (SGLT2-[sodium glucose linked transporter 2-]Hemmer), die über eine Glukosurie blutzuckersenkend wirken, gleichzeitig eine Natriurese hervorrufen und zu einer anhaltenden Gewichtsabnahme (ohne Jo-Jo-Effekt) führen. Wichtig ist, dass die Gewichtsabnahme auf das Konto des schädlichen viszeralen Fettgewebes und nicht etwa der Muskulatur geht. Am bedeutsamsten sind aber wohl die Befunde, wie sie in der EMPA-REG-OUTCOME- Studie präsentiert wurden und die sehr günstige Effekte auf die kardiovaskuläre Situation zeigten. Im Vergleich zu Patienten, die kein Empagliflozin erhielten, senkte dieses bei Patienten, die damit behandelt wurden, die kardiovaskuläre Mortalität um 38 Prozent, die Gesamtmortalität um 32 Prozent sowie die Hospitalisierungsrate wegen Herzinsuffizienz und die Mikroangiopathiequote um 35 Prozent. Diese Effekte wurden bei kardiovaskulär vorgeschädigten Patienten beschrieben. Nebenwirkungen sind in erster Linie die bei bis zu 10 Prozent der Frauen auftretenden, gut therapierbaren Genitalmykosen sowie die sehr seltenen, merkwürdigerweise gelegentlich auch euglykämischen Ketosen.
Die letzte Gruppe der oralen Antidiabetika sind die Glitazone, wobei Pioglitazon hervorragend gegen die Insulinresistenz und auch gegen die Fettleber wirksam ist.
GLP-1-Rezeptor-Agonisten
Die Aufzählung der Antidiabetika wäre unvollständig, wenn man nicht die ausgezeichneten GLP-1-Rezeptor-Agonisten erwähnen würde, die allerdings injiziert werden müssen und die neben der insulinotropen Blutzuckersenkung (ohne Hypoglykämien) stark appetit- und vor allem gewichtsmindernd sind. Diese Substanzen (Exenatid, Liraglutid, Semaglutid) sind auch mit Insulin gut kombinierbar (incretin-supported insulin therapy bzw. insulin-supported incretin therapy, ISI).
Insulin
Insulin kommt dann in Betracht, wenn mit all diesen Antidiabetika und der diätetischen Behandlung keine ausreichende Einstellung erzielt werden konnte. In der Regel wird man mit einer sogenannten basal unterstützten oralen The rapie (BOT) beginnen, wobei man die noch immer etwas wirksamen oralen Antidiabetika beibehält und nun mit einer niedrigen Dosis eines Basalinsulins (am besten Glargin U 300) beginnt. Reicht nach einer Weile auch diese Medikation nicht aus, kann man – als BOT plus bezeichnet – vor einer Hauptmahlzeit (meistens zusätzlich mittags) ein kurz wirkendes Insulinanalogon (Lispro, Aspart oder das am schnellsten wirksame Glulisin) geben. Wenn auch das alles nicht ausreicht, kommt auch bei Typ-2-Langzeitdiabetikern eine Art intensivierte Therapie in Betracht. Abschliessend sei noch die Frage erörtert, ob die Kombination aus Metformin, Gliptinen und Gliflozinen als Tripeltherapie oder eine frühzeitige Insulintherapie angezeigt ist. Hier muss man von Fall zu Fall entscheiden. Und nur wenn die Einstellung mit der Tripeltherapie nicht ausreicht, muss man auf Insulin (BOT, siehe oben) übergehen. Alles in allem lässt sich also sagen, dass sich für die moderne Behandlung des Typ-2-Diabetes viele neue Optionen eröffnet haben, die es zum Wohle der Patienten zu nutzen gilt. s
Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert Forschergruppe Diabetes e. V. D-82152 Krailling
Dieser Artikel erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 1/2020. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
Acarbose und Glitazone
Von den übrigen Antidiabetika wird im Allgemeinen Abstand genommen: Acarbose wirkt über die Hemmung der Alpha-Glucosidase im Darm blutzuckersenkend und kann insbesondere bei postprandialen Blutzuckererhöhungen erfolgreich eingesetzt werden. Nachteilig sind die gastrointestinalen Nebenwirkungen (Blähungen!), die vor allem bei zu schneller Dosissteigerung mit einer zu hohen Anfangsdosis auftreten können. Ansonsten gibt es für diese oft unterschätzte Substanz keine Kontraindikation.
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