Transkript
STUDIE REFERIERT
Apple-Heart-Studie
Vorhofflimmern auf der Uhr
Vorhofflimmern ist die am häufigsten diagnostizierte kardiale Arrhythmie mit einem Lebenszeitrisiko von einem Drittel. Es verfünffacht das Hirnschlagrisiko. Aufgrund der paroxysmalen Natur der Störung wird sie häufig verzögert diagnostiziert, da das Elektrokardiogramm (EKG) zwischen zwei Episoden normal sein kann. Ob die Überwachung durch «smart watches» hier Verbesserung bringt, untersuchte die Stanford-Universität mit der Apple-Heart-Studie.
NEJM
Referenzen: 1. Perez MV et al.:
Large-scale assessment of a smartwatch to identify atrial fibrillation. N Engl J Med 2019; 381: 1009–1917. 2. Campion EW et al.: Watched by apple. New Engl J Med 2019; 381: 1964–1965.
Interessenlage: Die Studie wurde von Apple finanziert. Die Daten sind in Besitz von Apple.
Pulsuhren mit optischen Sensoren, die die Pulsrate messen, sind als Lifestylegeräte weitverbreitet. Mit dem optischen Pulssensor in der Apple Watch und mit der Apple-Heart-Studien-App können mittels eines Algorithmus unter den gemessenen Pulsraten jedoch auch Unregelmässigkeiten entdeckt werden. Wie zuverlässig ein irregulärer Puls damit auch wirklich ein klinisch relevantes Vorhofflimmern anzeigt, war Fragestellung der bevölkerungsbasierten Apple-Heart-Studie, an der 419 297 Personen während median 117 Tagen teilnahmen. Bei wiederholten, als irregulär klassifizierten Pulsintervallen erhielten die Studienteilnehmer durch die App eine Benachrichtigung mit einer Aufforderung zur telemedizinischen Konsultation und erhielten in der Folge per Post ein EKG-Pflaster (ePatch), das sie während 7 Tagen tragen und dann zurückschicken sollten. Dabei interessierten die Bestätigungsrate des Vorhofflimmerns im EKG bei Patienten mit einer Benachrichtigung über irreguläre Pulsintervalle durch die App sowie der positive Vorhersagewert von solchen Meldungen.
Wenig entdeckt, aber hoher Vorhersagewert
Von allen Teilnehmern erhielten während der Beobachtungszeit 2161 Personen (0,52%) eine Benachrichtigung infolge unregelmässigen Pulses. Von 450 Personen (20,8% aller Benachrichtigten) liess sich der in der Folge zugesandte EKG-ePatch auswerten, der bei 34 Prozent für Vorhofflimmern positiv war, in der Altersgruppe der über 65-Jährigen bei 35 Prozent. Bei jenen
Patienten, die eine Benachrichtigung während der EKG-Messung erhielten, zeigte die App einen positiv prädiktiven Wert von 0,84 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,76–0,92). Insgesamt war bei dieser Studie die Wahrscheinlichkeit, eine Benachrichtigung wegen irregulären Pulses zu erhalten, relativ klein. Von jenen, die aber eine Benachrichtigung erhielten, zeigte jeder Dritte (34%) Vorhofflimmern im darauffolgenden EKG, und in 84 Prozent der Fälle bestätigte sich ein Vorhofflimmern im EKG, wenn durch die App eine Benachrichtigung erfolgt war. Ein Fehlen eines im EKG sichtbaren Vorhofflimmerns heisse aber nicht, dass die ePatch-Messung falsch positiv gewesen sei, so die Autoren. Vielmehr könne dies Ausdruck von paroxysmalen und im Frühstadium noch nicht so häufigen Vorhofflimmerepisoden sein (1).
Für wen detektieren?
In dieser Studie waren die Einschlusskriterien zur Teilnahme denkbar einfach: Das Tragen einer Apple Watch und der Besitz eines iPhones genügten. Die Teilnehmer seien demnach auch verhältnismässig jung gewesen – über die Hälfte unter 40 Jahre und nur 6 Prozent über 65-jährig, schreibt Edward D. Campion in einem Editorial zu dieser Studie. Dass so viele gesunde Personen an einer Herzstudie mitmachten, lag vermutlich an der Neugier und am minimalen Aufwand, den sie dafür betreiben mussten. Eine App herunterzuladen, war alles. Entsprechend hoch war auch die Drop-out-Rate. Nur gerade 21 Prozent der Teilnehmer mit einer Benachrichtigung über einen un-
regelmässigen Puls haben einen aus-
wertbaren EKG-Patch zurückgeschickt,
sodass es schwierig ist, eine Aussage
über die Häufigkeit von Vorhofflim-
mern zu treffen.
Die auf altmodische Art diagnostizier-
ten Patienten mit Vorhofflimmern ha-
ben ein klar erhöhtes Hirnschlagrisiko.
Ob jedoch kurze Episoden von Vorhof-
flimmern, die mit einer Langzeitüber-
wachung entdeckt werden können, tat-
sächlich ein ähnliches Risiko darstellen,
ist nicht klar. Bisherige Untersuchungen
deuten jedenfalls nicht darauf hin. Das
Risiko einer Antikoagulation sollte
demzufolge nicht eingegangen werden,
wenn kein Nutzen besteht.
Neue, einfach anwendbare Technolo-
gien werden vieles detektierbar ma-
chen. Trotzdem bleibt die Compliance
auch damit eine Herausforderung, wie
diese Studie illustriert hat. Die anfäng-
liche Euphorie für neue Technologien
könnte in Misstrauen betreffend Daten-
verwertung umschlagen, denn persön-
liche Daten sind ein hohes Gut. Bei einer
Studienteilnahme mit physischen Be-
gegnungen mit dem Studienpersonal
können die Teilnehmer dagegen Ver-
trauen aufbauen. Mit virtuell genutzter
Technologie und milliardenschweren
Unternehmen dahinter ist das weit
schwieriger, vor allem wenn man be-
denkt, dass Gesundheitsdaten viel Geld
wert sind. Bei der Implementierung
neuer Technologien zur Gesundheits-
förderung sollten Ärzte demzufolge Pa-
tienten helfen, deren Interessen gegen
Technologien zu verteidigen, die dieses
Gut ignorieren (2).
s
Valérie Herzog
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ARS MEDICI 6 | 2020