Transkript
EDITORIAL
Von Fledermäusen und Menschen
Als SARS-CoV-2, der Ende 2019 erstmals entdeckte neuartige Vertreter der Coronaviren, begann, sich im fernen China relativ rasant auszubreiten, und auch in Mitteleuropa erste Fälle auftraten, überschlugen sich analoge wie digitale, klassische wie «neue» Medien mit immer neuen Schreckensmeldungen und vor allem -bildern zum Ausmass der Pandemie und zu den gesundheitlichen Folgen der Infektion. Darüber wie auch zu Übertragungswegen und -mustern des Erregers wissen zwar selbst Experten immer noch kaum Genaues. Dennoch lässt sich jetzt schon annehmen, dass das zeitgleich grassierende mediale Virus wieder einmal weit kontagiöser war als der in diesem Fall in Wuhan mutmasslich auf einem Fischmarkt – ob nun vom Meeresgetier oder doch über den Verzehr der im Zuge der öffentlichkeitswirksamen Ursachenforschung insbesondere auf dem Boulevard sprichwörtlich in aller Munde befindlichen Fledermaussuppe, deren Hauptzutat auf besagtem Markt ebenfalls feilgeboten wurde – erstmals auf den Menschen übergesprungene infektiöse biologische Keim. Symptomatisch äussert sich die Erkrankung an dem Nachrichtenvirus – das im Übrigen Produzenten wie Konsumenten von News über Ereignisse mit gewisser Tragweite gleichermassen und mindestens so lange befällt, bis beide Gruppen nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind – hauptsächlich darin, dass dort, wo Recherche, Faktenchecks und besonnenes Abwägen vorherrschen sollten, übernommenes Halbwissen bestenfalls unverändert und in schwereren Fällen aufgeblasen bis in den luftleeren Raum eigener Kenntnislücken aufs Neue in den Äther oder in die Druckvorstufe entlassen wird. Ganz zu schweigen
von den im Internetzeitalter stets ganz schnell kursierenden
absurdesten Verschwörungstheorien ... Offenbar besteht ge-
genüber diesem Erreger im Gegensatz zu SARS-CoV-2 sogar
nicht einmal Angst vor Ansteckung: Geradezu wie in einem Teu-
felskreis prädisponieren eigene Unsicherheit und Panik ob vager
Eventualitäten für den subjektiven Eindruck, sich hier gar nicht
schützen zu müssen, mit der Folge, fortan selbst weiter zur
Verunsicherung beizutragen.
Als ein Beispiel für eine solche unsägliche Nachrichtengirlande,
mithilfe deren man anscheinend zu kaschieren trachtet, dass es
einfach nichts Substanzielles zu vermelden gibt, sei etwa das
investigativjournalistische Husarenstück der «Stuttgarter Zei-
tung» erwähnt, welche sich Ende Januar unter dem nicht min-
der geistreichen Titel «Corona-Bier äussert sich zum Corona
virus» ernsthafte Sorgen um die aktuelle Befindlichkeit des
Herstellers des in den sozialen Kanälen schon als «Impfstoff»
gegen SARS-CoV-2 verspotteten mexikanischen Gerstensaftes
machte. Und hierzulande lancierte immerhin das Bundesamt
für Gesundheit in der Person Daniel Kochs, Leiter der Abteilung
Übertragbare Krankheiten, im Rahmen einer Pressekonferenz
die umgehend medial allenthalben schlagzeilenträchtig ver-
wertete Information, wonach just in jenem Moment die in der
Schweiz bevorrateten Atemschutzmasken kurz vor dem Ver-
fallsdatum stünden – ein Gesichtspunkt, zu welchem sich der-
selbe Protagonist übrigens schon einmal vor 13 Jahren, damals
im Zusammenhang mit dem Grippeschutz, öffentlichkeitswirk-
sam Stellung zu beziehen genötigt sah. Wer wollte da noch
zweifeln, dass man auch in Bern die Lage vollends im Griff hat?
Apropos Grippe: Auch an dieser Stelle sollen potenzielle Risiken
und Gefahren des neuen Coronavirus gewiss nicht herunter-
gespielt werden – jedes einzelne der bis dato überwiegend älte-
ren und vorerkrankten Todesopfer ist eines zu viel. Dennoch
kann es nicht falsch sein, sich zu vergegenwärtigen, dass an der
Influenza allein in der Schweiz Jahr für Jahr etwa 1500 Menschen
sterben. Oder sich einmal zu fragen, wie es denn wohl mit der
Impfmüdigkeit aussähe, existierte jetzt, wie schon lange für die
Grippe, auch eine Vakzine gegen SARS-CoV-2. Glücklicherweise
gibt es in der ganzen öffentlichen Hysterie ja immer noch
Medien, die auch solche Einordnungen ins Zentrum ihrer Be-
richterstattung rücken – darunter interessanterweise auch sol-
che, die bisweilen einen etwas anderen «Blick» auf die Dinge
haben ...
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Ralf Behrens
ARS MEDICI 4 | 2020
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