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STUDIE REFERIERT
Demenzrisiko
Vorhofflimmern erhöht Demenzrisiko, Antikoagulation vermindert es
Vorhofflimmern ist die häufigste kardiale Arrhythmie bei älteren Menschen, was die Mortalität sowie die Morbidität, resultierend aus Hirnschlag, Herzinsuffizienz und Hospitalisierungen wegen chronischer Komorbiditäten erhöht. Ein zweites Problem des älteren Menschen ist die Demenz, die Prävalenz beträgt weltweit etwa 40 Millionen Personen. Wie diese entsteht, ist immer noch ungeklärt. Dass Vorhofflimmern den kognitiven Abbau möglicherweise fördert, darüber wurde in letzter Zeit gemutmasst. Zwei Studien haben sich dieses Themas angenommen.
European Heart Journal
Haben ältere Patienten mit Vorhofflimmern, aber noch ohne Hirnschlag, ein höheres Demenzrisiko? Diese Frage untersuchte eine koreanische Studie bei 262 611 demenz- und hirnschlagfreien Patienten über 60 Jahre über einen Zeitraum von 7 Jahren (2005 bis 2012). 10 435 Patienten entwickelten ein Vorhofflimmern während einer Beobachtungszeit von 1 629 903 Personenjahren (Inzidenz 0,64%/Jahr). Die Demenzinzidenz war bei den Patienten mit Vorhofflimmern höher als bei der Propensitygematchten Kontrollgruppe ohne Vorhofflimmern (4,1 vs. 2,7/100 Personenjahre). Nach Adjustierung ergab dies eine signifikant erhöhte Hazard Ratio (HR) von 1,52 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,43– 1,63). Vorhofflimmern erhöhte das Risiko sowohl für eine Alzheimer-Demenz (HR: 1,31) als auch für eine vaskuläre Demenz (HR: 2,11) bei Patienten unter oder über 70 Jahre. Bei antikoagulationsnaiven Patienten mit erhöhtem CHA2DS2VASc-Score stieg das Demenzrisiko, was einen möglichen Prädiktor darstellen könnte. Interessanterweise zeigte eine Antikoagulation unter den Patienten mit Vorhofflimmern einen präventiven Effekt (HR: 0,61) (1).
Weniger Demenz und Hirnschlag
Diesen möglicherweise präventiven Effekt von Antikoagulanzien auf das Demenzrisiko untersuchte eine zweite Studie. Deren Ziel war es herauszufinden, ob Patienten mit Vorhofflimmern und tiefem Hirnschlagrisiko unter einer Therapie mit oralen Antikoagulanzien besser vor Hirnschädigungen wie Demenz, ischämischem
Hirnschlag oder intrazerebralen Blutungen geschützt sind als Patienten ohne Antikoagulation. Dazu wurden Daten des nationalen schwedischen Registers von allen Patienten (n = 91 254) mit einem im Spital diagnostizierten Vorhofflimmern ohne vorherige Demenz oder intrakranielle Blutung herangezogen. Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score > 1 (Frauen: > 0) wurden ausgeschlossen. Von den eingeschlossenen Patienten standen 43 Prozent unter einer Therapie mit oralen Antikoagulanzien, sie waren im Durchschnitt älter als die nicht koagulierte Patientengruppe (61 vs. 57 Jahre).
Nutzen für über 65-Jährige
Während der Beobachtungszeit von knapp fünf Jahren lag die Inzidenz der Demenz mit Antikoagulation bei 0,16 Ereignissen/100 Jahre, ohne orale Antikoagulation bei 0,27 Ereignissen/100 Jahre. Damit ergab sich für die antikoagulierte Kohorte ein tieferes Demenzrisiko (Subhazard Ratio [sHR]: 0,62; 95%-KI: 0,48–0,81). Die Inzidenz von ischämischem Hirnschlag lag bei 0,46 beziehungsweise 0,52 Ereignissen/100 Jahre. Das Hirnschlagrisiko sank in dieser Population mit einem CHA2DS2VASc-Score 0–1 auch unter einer Antikoagulation nicht weiter. Die intrazerebrale Blutungsinzidenz war dagegen in beiden Therapiearmen ähnlich. Der kombinierte Endpunkt, bestehend aus ischämischem oder hämorrhagischem Hirnschlag oder Demenz, trat unter einer Antikoagulation seltener ein als ohne (0,72 vs. 0,84 Ereignisse/100 Jahre). Daraus ergibt sich ein um 12 Prozent tieferes Risiko (HR: 0,88; 95%-KI: 0,77–1,00). Die Inzidenz des kombinierten Endpunkts unter den direk-
ten oralen Antikoagulanzien war zwar tiefer als unter Vitamin-K-Antagonisten, doch betreffend HR unterschieden sie sich nicht. Der Nutzen der Antikoagulation war auf die Subgruppe der Personen > 65 Jahre beschränkt. Bei unter 60-Jährigen ohne Risikofaktoren schien die Therapie mehr Schaden anzurichten als Nutzen zu bringen. Dieses Ergebnis legt nahe, dass das Gehirn von über 65-jährigen Patienten mit Vorhofflimmern von einer Antikoagulation mehr profitiert. Männer und Frauen mit tiefem Hirnschlagrisiko scheinen unter einer Antikoagulation ein tieferes Risiko für Demenz wie auch für den kombinierten Endpunkt aus Demenz und Hirnschlag zu haben. Diese Erkenntnis könnte für die Entscheidung für eine orale Antikoagulation relevant sein, so die Schlussfolgerung der Autoren (2). VH s
Referenzen: 1. Kim D et al.: Risk of dementia in stroke-free
patients diagnosed with atrial fibrillation: data from a population-based cohort. Eur Heart J 2019; 40: 2313–2323. 2. Friberg L et al.: Less dementia and stroke in low-risk patients with atrial fibrillation taking oral anticoagulation. Eur Heart J 2019; 40: 2327–2335.
Interessenlage: Kim D et al.: Einige Autoren erhielten Beratungsoder Referentenhonorare beziehungsweise Forschungsgelder von Abbott, Bayer/Janssen, BMS/ Pfizer, Biotronik, Boehringer Ingelheim, Boston scientific, Daiichi Sankyo, Medtronic, Microlife und Roche. Keiner der Autoren deklariert jedoch Interessenkonflikte.
Friberg L et al.: Einige Autoren erhielten Beratungshonorare beziehungsweise Forschungsgelder von Abbott, Bayer, Boehringer Ingelheim, BMS, Pfizer, Sanofi und Zenicor.
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ARS MEDICI 21 | 2019