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BERICHT
Impfen in der Schwangerschaft
Nachholbedarf bei Influenza- und Pertussisimpfungen
Fotos: RBO
Seit einigen Jahren wird empfohlen, Schwangere sowohl gegen Influenza als auch gegen Pertussis zu impfen. Tatsächlich gemacht wird dies in der Praxis aber nur selten. Woran das liegen könnte, zeigt eine Studie, die von dipl. med. Mirjam Erb am X. Schweizer Impfkongress vorgestellt wurde. Was bei diesen Impfungen zu beachten ist, erläuterte Prof. Nicole Ochsenbein-Kölble.
Seit 2013 wird die Pertussisimpfung in der
Schwangerschaft empfohlen, bereits seit
2010 die Influenzaimpfung. In einer 2017
durchgeführten Studie befragte man Eltern
bei der Spitalaufnahme ihres Kindes am Uni-
versitätskinderspital beider Basel (UKBB)
nach ihrem eigenen Impfstatus bezüglich In-
fluenza und Pertussis, falls das Kind nach
dem 1. Januar 2013 in der Schweiz geboren
worden war. 172 Eltern machten mit.
Prof. Nicole Ochsenbein-Kölble Die weitaus meisten Mütter, nämlich 140 von
ihnen (81%), seien während ihrer Schwan-
gerschaft weder gegen Influenza noch gegen
Pertussis geimpft worden, berichtete dipl.
med. Mirjam Erb. Gerade ein-mal 5 von
172 Frauen hatten beide Impfungen erhal-
ten, 15 von ihnen nur die Pertussis- und
12 nur die Influenzaimpfung. Ein Grund für
die niedrigen Impfraten dürfte die Tatsache
sein, dass nur rund ein Drittel der Frauen von
ihrem Frauenarzt auf diese Impfungen hin-
gewiesen worden sind.
dipl. med. Mirjam Erb
Man erhebe für diese Daten aus der Region Basel zwar keinen Anspruch auf Repräsenta-
tivität für die gesamte Schweiz, aber es dürfte
in vielen Regionen kaum anders aussehen, kommentierte
Studienleiter Prof. Ulrich Heininger, UKBB und Mitglied der
Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF), diese
Resultate. Um die Impfraten in der Schwangerschaft zu ver-
bessern, hat die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie
und Geburtshilfe gemeinsam mit Mitgliedern der EKIF einen
Expertenbrief verfasst, in dem die Empfehlungen für beide
Impfungen detailliert erläutert und mit Daten untermauert
werden (s. Linktipp).
Impfen schützt Mutter und Kind
Die Impfungen schützen nicht nur die werdende Mutter, sondern auch das Kind. Mütterliche Antikörper passierten die Plazenta in erheblichem Ausmass und gingen auf das Kind über, erläuterte Prof. Nicole Ochsenbein-Kölble, Universitätsspital Zürich und Mitglied der EKIF. Der hierfür notwen-
dige Fc-Rezeptor wird ab der 13. Schwangerschaftswoche (SSW) im Fetus exprimiert. In der 17. bis 22. SSW verfügt der Fetus über 10 Prozent der mütterlichen Antikörperkonzentration, in der 28. bis 32. SSW sind es bereits 50 Prozent, und in der 40. SSW übertrifft sie mit 120 bis 150 Prozent die Immunoglobulinspiegel der Mutter. Auch postnatal gehen mütterliche Antikörper, meist als IgA, mit der Muttermilch auf das Kind über. So enthält die Muttermilch von Schwangeren, die gegen Pertussis (dTap) geimpft wurden, deutlich mehr Immunglobuline gegen das Bordetella-pertussis-Antigen FHA, meist IgA (90%) sowie IgG (10%). Die Halbwertszeit der mütterlichen Antikörper im Kind beträgt 40 bis 50 Tage für Influenza und 36 bis 40 Tage für Pertussis.
Influenza als Risikofaktor in der Schwangerschaft
Eine Influenza in der Schwangerschaft ist für die Mutter kaum gefährlicher als für eine nicht schwangere Frau gleichen Alters. Für das ungeborene Kind hingegen ist sie ein Risikofaktor. In einer englischen Kohortenstudie anlässlich der Schweinegrippe 2009 zeigte sich, dass die perinatale Mortalität der Kinder von Schwangeren mit Influenza höher war. Bei den 256 Schwangeren mit Influenza zählte man 10 Todesfälle (meist Totgeburten), was statistisch hochgerechnet einer Rate von 39 auf 1000 Geburten entspricht (95%-Konfidenzintervall: 19 bis 71 Todesfälle auf 1000 Geburten). Bei den Schwangeren ohne Influenza waren es nur 9 Todesfälle auf 1233 Geburten, was hochgerechnet einer Rate von 7 auf 1000 Geburten entspricht (95%-Konfidenzintervall: 3 bis 13 auf 1000 Geburten). Das Risiko für Totgeburten war bei den Schwangeren mit Influenza somit fast sechsfach höher. Darüber hinaus war das Risiko einer Frühgeburt bei den Schwangeren mit Influenza im Vergleich mit nicht infizierten Schwangeren um etwa das Vierfache erhöht (1).
Influenzaimpfung
Die Wirksamkeit der Influenzaimpfung schwankt bekanntermassen von Saison zu Saison, sodass die Reduktion der mütterlichen und der kindlichen Infektionen zwischen 30 und 70 Prozent liegen kann. Als Nebenwirkungen treten bei bis
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ARS MEDICI 9 | 2019
BERICHT
In den Jahren 2012 bis 2015 betrug die Pertussis-
Tabelle:
Influenza- und Pertussisimpfung in der Schwangerschaft
inzidenz bei den bis zu 5-jährigen Kindern in der Schweiz 436 pro 100 000. Die Inzidenz ist bis zum Alter von 5 Jahren am höchsten, danach sinkt sie bis zum Alter von 60 Jahren auf etwa 100 bis
Wer?
Influenza
Pertussis
alle Schwangeren, in jeder Schwangerschaft erneut
150/100 000 und auf > 100/100 000 bei den über 60-Jährigen.
Wann?
Kontaktpersonen jedes Jahr
Kontaktpersonen, wenn seit letzter Impfung oder bestätigter Pertussisinfektion ≥ 10 Jahre vergangen sind
≥ 12 0/7 SSW
12 0/7 bis 25 6/7 SSW (im 2. Trimenon)
ab 1. Trimenon möglich ggf. Nachholimpfung so früh wie möglich
Pertussisimpfung
Werden Schwangere gegen Pertussis geimpft, redu-
ziert dies kindliche Pertussisfälle in den ersten bei-
den Lebensmonaten um 91 Prozent, um 69 Prozent
während des ersten Lebensjahres, und pertussis-
Beachten
–
mindestens 4 Wochen Abstand
bedingte Todesfälle werden um 95 Prozent vermin-
zur letzten Tetanusimpfung
dert, so Ochsenbein-Kölble.
Die Influenza- und die Pertussisimpfung können gleichzeitig gegeben werden (eine in den linken, eine in den rechten Arm).
Die Sicherheit der Pertussisimpfung in der Schwangerschaft ist gut. In diversen Studien fanden sich keine Anhaltspunkte für eine Schädigung des Kin-
des. Die Nebenwirkung für die Schwangere sind
die zu erwartenden lokalen, vorübergehenden
zu 25 Prozent der Geimpften kurzzeitig Schmerzen und Symptome, etwa wie bei einer Tetanus-Diphterie-Impfung
Rötung an der Einstichstelle auf, bei zirka 5 Prozent kommt (Td), wobei der Tetanus-Diphterie-Pertussis-Impfstoff (dTpa)
es vorübergehend zu einer erhöhten Temperatur, Muskel- tendenziell eher noch weniger Nebenwirkungen verursache,
schmerzen oder einem leichten Krankheitsgefühl. Schwere berichtete die Referentin.
Nebenwirkungen seien äusserst selten und um ein Vielfaches Die Pertussisimpfung erfolgt im 2. Trimenon (12 0/7 bis 25
seltener als Komplikationen einer Grippeerkrankung, so 6/7 SSW), weil man ab diesem Zeitpunkt höhere Antikörper-
Ochsenbein-Kölble.
titer beim Kind erreicht. Die Referentin wies ausdrücklich
Die Influenzaimpfung wird ab 12 Schwangerschaftswochen darauf hin, dass man die Impfung aber jederzeit in der
(≥ 12 0/7 SSW) empfohlen, und sie sollte spätestens 2 Wo- Schwangerschaft nachholen sollte, mindestens jedoch bis
chen vor dem Geburtstermin erfolgen (siehe Tabelle). Die 2 Wochen vor dem Geburtstermin. Im Übrigen gilt: lieber
Impfung sei aber zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft spät als nie, gegebenenfalls auch nach der Geburt, einerseits
möglich, auch im 1. Trimenon, sagte Ochsenbein-Kölble. wegen des Antikörpertransfers mit der Muttermilch und
Auch die Kontaktpersonen der Schwangeren sollen sich andererseits wegen des Nestschutzes für das Kind. So führe
gegen Influenza impfen lassen.
die Impfung beider Eltern nach der Geburt zu einer Reduk-
Bei den in der Schweiz zugelassenen Influenzaimpfstoffen tion der kindlichen Pertussiserkrankungen um 77 Prozent,
handelt es sich um inaktivierte Vakzinen. Sie werden auf berichtete die Referentin.
Hühnereikulturen hergestellt und enthalten weder Quecksil- Zu beachten ist lediglich, dass der Abstand zu einer allfälli-
ber noch Aluminium. Für Schwangere kommen die Impf- gen Tetanusimpfung mindestens 4 Wochen betragen sollte.
stoffe Influvac®, Mutagrip®, Fluarix Tetra® und Vaxigrip Man kann die Schwangere gleichzeitig gegen Influenza und
Tetra® infrage; sie enthalten kein Adjuvans.
Pertussis impfen.
Kontaktpersonen der Schwangeren sollten sich ebenfalls
Pertussis als Risikofaktor
gegen Pertussis impfen lassen, falls ihre letzte Impfung oder
In der Schweiz sind in den letzten Jahren zwei Säuglinge an eine laborbestätigte Pertussisinfektion 10 Jahre oder länger
Pertussis gestorben: 2012 ein Säugling im Alter von zwei zurückliegt.
Monaten und 2016 ein Säugling im Alter von einem Monat. Der dTpa-Impfstoff Boostrix® enthält als Adjuvans Alu-
miniumphosphat mit 0,39 mg Aluminium pro Dosis. Um
Schwangeren die Angst vor diesem Adjuvans zu nehmen,
gynécologie suisse
Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
könne man darauf hinweisen, dass ein Erwachsener im Durchschnitt 7 bis 9 mg Aluminium pro Tag mit der Nahrung aufnehme, riet Ochsenbein-Kölble: «Ich sage den
Expertenbrief Nr. 55: Influenza- und Pertussisimpfung in der Schwangerschaft
Kommission Qualitätssicherung; Präsident Prof. Dr. Daniel Surbek
Frauen immer: Wenn Sie Ihr Butterbrot in Aluminium
packen, dann nehmen Sie wahrscheinlich mehr Aluminium
auf, als wenn Sie sich impfen lassen.»
s
Renate Bonifer
www.rosenfluh.ch/qr/impfenschwangerschaft
Quelle: Referate von Prof. Nicole Ochsenbein-Kölble und dipl. med. Mirjam Erb am X. Schweizer Impfkongress, Basel, 28. bis 29. November 2018.
Referenz: 1. Pierce M et al.: Perinatal outcomes after maternal 2009/H1N1 infection:
national cohort study. BMJ 2011;342:d3214.
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