Transkript
STUDIE REFERIERT
Glykämische Kontrolle
Ist Fruktose doch besser als ihr Ruf?
Welche Rolle Zucker für die Entwicklung von kardiometabolischen Erkrankungen spielt, wird derzeit rege diskutiert. Insbesondere Fruktose hat dabei zu ernster Besorgnis um die öffentliche Gesundheit Anlass gegeben. Eine aktuelle Metaanalyse ist der Frage nachgegangen, welchen Einfluss jeweils die Nahrungsquellen, über welche der Fruchtzucker aufgenommen wird, auf die glykämische Kontrolle haben.
British Medical Journal
Seit dem Aufkommen von Maissirup mit hohem Fruchtzuckergehalt (high fructose corn syrup, HFCS) als beliebtem Süssungsmittel in den 1970er-Jahren hat sich die Prävalenz von Stoffwechselerkrankungen wie Adipositas und Diabetes weltweit deutlich erhöht. Im Gegensatz zur damaligen Annahme, dass Fruktose bei Personen mit Diabetes aufgrund ihres beobachteten Potenzials, im Vergleich zu isokalorischen Mengen an Stärke postprandiale Glukoseentgleisungen zu reduzieren, als alternativer Süssstoff geeignet sei, hat es inzwischen für Fruktose sogar mehr als für andere Zucker zunehmend Hinweise auf eher nachteilige Effekte auf die metabolische Gesundheit gegeben. Aktuelle Ernährungs-Guidelines empfehlen, dass weniger als 5 bis 10 Prozent des täglichen Energiebedarfs über freien Zucker, insbesondere aus fruktosehaltigen gezuckerten Getränken (sugarsweetened beaverages, SSB), gedeckt werden sollten. Allerdings konnten die Ergebnisse von systematischen Reviews und Metaanalysen einen Verdacht auf fruktosespezifische ungünstige glykämische Wirkungen bis anhin nicht bestätigen, sondern stattdessen bei Diabetikern sogar eher einen positiven Einfluss von Fruchtzucker auf glykierte Blutproteine nachweisen. Bei allem fortbestehenden Zweifel an der schädlichen Wirkung von Fruktose wird jedoch weit weniger Augenmerk auf die Bedingungen gelegt, unter denen Fruktose normalerweise im Rahmen der Ernährung verzehrt wird – nämlich nur sehr selten in isolierter Form, sondern stattdessen in vielen Lebensmitteln als Fruktose-GlukoseMix in unterschiedlicher Proportion.
Umfangreiche Literaturrecherche
Ein aktueller systematischer Review mit Metaanalyse hatte daher das Ziel, den
Einfluss unterschiedlicher fruktosehaltiger Nahrungsmittel auf die glykämische Kontrolle zu untersuchen. Dazu wurden per Literaturrecherche (Medline, Embase, Cochrane Library) insgesamt 118 entsprechende, bis April 2018 veröffentlichte Interventionsstudien herangezogen, welche sich nach ihrem Design in vier veschiedene Gruppen einteilen lassen: s Substitutionsstudien (fruktosehaltige
Lebensmittel im isokalorischen Vergleich mit fruktosefreien, andere Makronährstoffe enthaltenden Lebensmitteln) s Additionsstudien (überschüssige Energie aus fruktosehaltigen Nahrungsquellen zusätzlich zur Grunddiät im Vergleich zur Grunddiät allein) s Subtraktionsstudien (hypokalorischer Vergleich einer Diät unter Abzug der Energie aus fruktosehaltigen Lebensmitteln mit der ursprünglichen Grunddiät) s Ad-libitum-Studien (freier Vergleich fruktosehaltiger mit andere Makronährstoffe enthaltenden, fruktosefreien Nahrungsquellen ohne strikte Diät- oder Energiekontrolle) Als Endpunkte wurden die jeweils nach Durchführung der Untersuchungen gemessenen Werte der Spiegel von glykiertem Hämoglobin (HbA1c), von Nüchternblutzucker sowie von Nüchterninsulin definiert.
Fruktoseeffekt lebensmittelabhängig
Nach Auswertung der Daten der im Rahmen der eingeschlossenen Studien insgesamt 155 durchgeführten einzelnen Vergleiche (n = 5086) ergaben sich für fruktosehaltige Zucker in Substitutions- und Substraktionsstudien keinerlei schädliche Effekte, bei in Substitutionsstudien sogar niedrigeren HbA1c-Werten (−0,22% bzw. −25,9 mmol/mol;
95%-Konfidenzintervall [KI ]: −0,35 bis −0,08% bzw. −27,3 bis −24,4 mol/ mol). In Additions- (4,68 pmol/l; 95%KI: 1,40–7,96) und Ad-libitum-Studien (7,24 pmol/l; 95%-KI: 0,47–14,00) dagegen zeigten sich ungünstige Wirkungen auf die Nüchterninsulinspiegel. Die Art der Nahrungsquelle hatte dabei einen Einfluss auf die Resultate, indem etwa Obst und Fruchtsäfte positive und gesüsste Milch oder Mischprodukte negative Effekte in Substitutionsstudien sowie SSB und Fruchtsäfte ungünstige Wirkungen in Additionsstudien ausübten.
Vorsicht bei zusätzlicher Energiezufuhr
Zusammengefasst zeigen die Ergebnisse
der Metaanalyse, dass die meisten fruk-
tosehaltigen Nahrungsmittel bei isoka-
lorischer Substitution anderer Makro-
nährstoffe die glykämische Kontrolle
eher nicht beeinträchtigen. Als Träger
zusätzlich zugeführter Energie dagegen
kann sich der Fruktosegehalt einiger
Lebensmittel, darunter vor allem SSB,
ungünstig auf die Blutzucker-Insulin-
Werte auswirken. Allerdings räumen
die Autoren ein, dass die als Basis ihrer
Metaanalyse verfügbaren Daten insge-
samt von eher geringer Qualität waren,
sodass zur eingehenderen Beurteilung
der glykämischen Effekte von Fruktose
künftig umfassendere Studien notwen-
dig wären.
RABE s
Quelle: Choo VL et al.: Food sources of fructosecontaining sugars and glycaemic control: systematic review and meta-analysis of controlled intervention studies. BMJ 2018; 363: k4644.
Interessenlage: Die Autoren der referierten Originalstudie geben zahlreiche, auch finanzielle Beziehungen zu privaten und öffentlichen wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen und Organisationen sowie zur Lebensmittelindustrie an.
126 ARS MEDICI 4 | 2019