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BERICHT
Mein Patient ist asymptomatisch, aber …
Was tun bei positivem Stresstest, Vorhofflimmern oder linksventrikulärer Dysfunktion?
Die häufigsten Patienten sind jene mit tiefem kardiovaskulären Risiko. Patienten mit Risikofaktoren, aber ohne Symptome sind entweder gut kontrolliert oder nur vermeintlich asymptomatisch. Wo es sich lohnt, skeptisch zu werden, erklärte Prof. Udo Sechtem, Robert-Bosch-Krankenhaus, Stuttgart, am ESC-Kongress.
Bei Patienten mit positiven kardiovaskulären Risikofaktoren oder positiver familiärer Anamnese ist gemäss ESC-Guidelines (1) eine systematische Risikobewertung empfohlen. Diese Risikobewertung soll alle 5 Jahre wiederholt werden, bei Patienten, die Werte nahe der Therapieschwelle aufweisen, eher häufiger (Empfehlungsklasse 1C). Bei der Bildgebung ist gemäss Guidelines Zurückhaltung angesagt, doch Koronarkalkscore und Karotissonografie findet Sechtem trotz allem hilfreich.
Wer braucht einen Stresstest?
Die US Preventive Sevices Task Force (USPSTF) beurteilt die Durchführung eines Stresstests bei Patienten mit tiefem kardiovaskulären Risiko als nutzlos, und bei Patienten mit höherem Risiko sei die Evidenz dafür ungenügend (2). Die Guidelines der American College of Cardiology Foundation und der American Heart Association sind dazu etwas differenzierter (3). Demnach kann ein Stress-EKG bei Patienten mit mittlerem Risiko, wie beispielweise bei Patienten mit sitzender Tätigkeit, die ein Fitnessprogramm beginnen wollen, nützliche Informationen geben. Insbesondere dann, wenn das Augenmerk auf Nicht-EKG-Marker wie die Belastungskapazität gelegt werde, so Sechtem. Auf zusätzliche Herzschläge nach der Belastung, die Art, wie die Herzfrequenz ansteige und wieder absinke, solle ebenfalls geachtet werden. Anstelle eines Stress-EKG empfiehlt der Referent jedoch, die Koronarkalkscore-Messung durchzuführen. Es habe sich ge-
MERKSÄTZE
Bei vermeintlich asymptomatischen Patienten den Aktivitätsgrad im Zeitverlauf überprüfen.
Patienten mit asymptomatischem Vorhofflimmern präventiv behandeln.
Bei asymptomatischen Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren auch das BNP messen.
zeigt, dass es auch bei Patienten ohne klassische Risikofaktoren, aber mit hohem Koronarkalkscore 6-mal häufiger zu kardiovaskulären Ereignissen komme als bei jenen mit tiefem Score, wie eine multiethnische Studie mit 6698 Teilnehmern nach 7 Jahren Nachbeobachtung belegen konnte. Umgekehrt hätten Patienten mit tiefem Kalziumscore trotz dreier vorhandener Risikofaktoren eine tiefe Ereignisrate (4). Fällt ein Stress-EKG pathologisch aus, kann das auf eine stumme Ischämie hinweisen. Doch die falschpositive Rate bei asymptomatischen Patienten sei mit einer Sensitivität von 50 Prozent und einer Spezifität von 90 Prozent beachtlich, erinnerte der Kardiologe. Eine Risikostratifizierung müsse nun folgen sowie eine weitere Behandlung auf Verdacht auf koronare Herzkrankheit. Bei tiefem Ereignisrisiko folgt eine medikamentöse Behandlung bis zur Erholung der pathologischen Messwerte, bei höherem Risiko muss eine perkutane Intervention erwogen werden.
Was tun bei asymptomatischem Vorhofflimmern?
Wenn im Rahmen einer Vorabklärung beispielsweise für eine Knieoperation bei einem 62-jährigen Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren (mit Metformin behandelter Typ-2Diabetes, BMI 36) im EKG eine erste Episode von Vorhofflimmern sichtbar wird, stellt sich die Frage nach dem weiteren Vorgehen. Ignorieren oder behandeln? Der Patient ist asymptomatisch, hat aber einen trotz Ramipriltherapie erhöhten Blutdruck (153/80 mmHg). Die Herztöne sind normal, die weitere Klinik ist unauffällig. Ist asymptomatisches Vorhofflimmern ein relevanter Befund? Ja, meinte Dr. Syed Sohaib, Bart’s Hear Centre, St. Bartholomew’s Hospital, London (GB). Das Hirnschlagrisiko betrage gemäss AFFIRM-Studie für asymptomatisches Vorhofflimmern 17 Prozent, für symptomatisches 13 Prozent (5). Eine andere Studie (ASSERT) beziffert das Hirnschlagrisiko von subklinischem Vorhofflimmern mit einem Faktor von 2,5 (6). Es ist sinnvoll zu überprüfen, ob der Patient wirklich asymptomatisch ist, denn danach richtet sich die ganze folgende Therapie. Der Aktivitätsgrad des Patienten liefere dafür bereits gute Indizien, sagte Sohaib. Haben die Aktivitäten über die Zeit abgenommen, beispielsweise sichtbar auf Fitnesstra-
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BERICHT
Akute und chronische Behandlung von AF-Patienten, angestrebte Ergebnisse und Nutzen für den Patienten
Therapie 1. Akute Frequenz- und Rhythmuskontrolle 2. Behandlung auslösender Faktoren
3. Hirnschlagrisiko abschätzen
4. Herzfrequenz erfassen
Chronische Behandlung
Lebensstilkorrekturen, Behandlung zugrunde liegender kardiovaskulärer Grunderkrankungen orale Antikoagulation bei hirnschlaggefährdeten Patienten frequenzregulierende Therapie
5. Symptome bewerten
Antiarrhythmika, Kardioversion, Katheterablation, AF-Chirurgie
Angestrebtes Ergebnis hämodynamische Stabilität
Senkung des kardiovaskulären Risikos
Hirnschlagprävention
Besserung der Symptomatik, Erhaltung der LV-Funktion Besserung der Symptomatik
Verbesserte Lebenserwartung, Lebensqualität und Selbstständigkeit (soziale Funktion)
Patientennutzen
(Quelle: mod. nach [7])
ESC-Guidelines kardiovaskuläre Prävention, deutsche Fassung
https://www.rosenfluh.ch/qr/kardiovaskulare-pravention-guideline
ESC-Guidelines Vorhofflimmern, deutsche Fassung
https://www.rosenfluh.ch/qr/vorhofflimmer-guideline
ckern der Patienten oder dem im Mobiltelefon integrierten Schrittzähler, lohnt es sich, weiter abzuklären und in jedem Fall auch nach Komorbiditäten zu suchen, die im Zusammenhang mit Vorhofflimmern stehen können. Beispiele dafür sind Alter, Hypertonie, Adipositas, Herzinsuffizienz, Myokardinfarkt sowie Klappenerkrankungen (7).
Vorgehen bei Vorhofflimmern
Gemäss ESC-Guidelines (7) ist das erste Ziel bei Vorliegen von Symptomen die hämodynamische Stabilität mittels Frequenz- und Rhythmuskontrolle. Fehlen Symptome, ist das nächste Ziel, die kardiovaskulären Risikofaktoren durch Lebensstilkorrekturen oder Therapie der zugrunde liegenden kardiovaskulären Erkrankung anzugehen. Ein weiteres Ziel sollte die Hirnschlagprävention sein (Tabelle). Diese erfordert bei Risikopatienten eine Therapie mit oralen Antikoagulanzien wie beispielsweise Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban oder Vitamin-K-Antagonisten, von einer Plättchenhemmung zur Hirnschlagprävention wird dagegen abgeraten. Risikopatienten sind jene, die mittels CHA2DS2VASc-Risikorechner einen Score von ≥ 2 bei Männern und ≥ 3 bei Frauen aufweisen, je nachdem profitieren die Patienten bereits bei 1 beziehungsweise 2 Scorepunkten.
Auswurffraktion (LVEF) von < 40 Prozent tatsächlich sym- ptomfrei sein kann. Symptome zeigen sich im Normalfall bei physischer Anstrengung. Eine Überprüfung der körperlichen Aktivität sei daher auch hier geraten, so die Empfehlung des Allgemeinmediziners Prof. Frans H. Rutten, University Medical Center Utrecht (NL), denn dekonditionierte Patien- ten könnten tatsächlich symptomfrei sein. Ziel ist es, eine Herzinsuffizienz oder deren Progression zu verhindern. Denn eine solche kann sich auch bei einer LVEF > 50 Prozent, das heisst bei erhaltener LVEF, etablieren
(HFpEF, heart failure with preserved ejection fraction). Eine
Herzinsuffizienz könne vergleichsweise einfach und zuverläs-
sig mit einer BNP-Messung entdeckt werden, so Rutten. Das
zeigte eine irische Praxisstudie mit 39 Allgemeinpraxen.
Dabei wurden 1374 Patienten mit kardiovaskulären Risiko-
faktoren randomisiert entweder auf BNP gescreent oder
normal abgeklärt. Bei BNP-Werten > 50 pg/ml wurden die
Patienten einer Echokardiografie zugeführt. Der primäre
Endpunkt war das Auftreten einer LVD mit oder ohne Herz-
insuffizienz, die nach 4 Jahren Follow-up in der Kontroll-
gruppe wesentlich häufiger auftrat als in der BNP-Gruppe
(8,7 vs. 5,3%). Asymptomatische LVD traten in der Kon-
trollgruppe ebenfalls häufiger auf (6,6 vs. 4,3%), ebenso
Herzinsuffizenz (2,1 vs. 1%).
Die Rate von schweren kardiovaskuläern Ereignissen wie
Hirnschlag, Thrombosen, Herzinfarkt und Hospitalisation
infolge Herzinsuffizienz war in der Kontrollgruppe fast dop-
pelt so hoch wie in der BNP-Gruppe (40,4 vs. 22,3 pro 1000
Patientenjahre), so auch die Hospitalisation infolge Herzin-
suffizienz einzeln betrachtet (15,5 vs. 9,9 pro 1000 Patienten-
jahre). In der BNP-Gruppe erhielten die Patienten mehr
Abklärungen und mehr Renin-Angiotensin-Alosteron-Sys-
tem-Hemmer, was das Auftreten von schweren Ereignissen in
dieser Patientengruppe letztlich verringerte (8). Eine einfache
Massnahme also, die eine grosse Wirkung habe, so Rutten
abschliessend.
L
Linksventrikuläre Dysfunktion ohne Symptome?
Auch Patienten mit linksventrikulärer Dysfunktion (LVD)
können sich als symptomfrei präsentieren. Doch muss auch
hier gut abgeklärt werden, ob wirklich keine Symptome vor-
handen sind und ob beispielsweise eine linksventrikuläre
Valérie Herzog
Quelle: «My patient is asymptomatic, but has …», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) 2018, 25. bis 29. August in München.
Referenzen online unter www.arsmedici.ch
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Referenzen: 1. Piepoli MF et al.: 2016 European Guidelines on cardiovascular
disease prevention in clinical practice: The Sixth Joint Task Force of the European Society of Cardiology and Other Societies on Cardiovascular Disease Prevention in Clinical Practice (constituted by representatives of 10 societies and by invited experts). De-£veloped with the special contribution of the European Association for Cardiovascular Prevention & Rehabilitation (EACPR). Eur Heart J 2016; 37: 2315–2381. 2. Fowler-Brown A et al.: Exercise tolerance testing to screen for coronary heart disease: a systematic review for the technical support for the U.S. Preventive Services Task Force. Ann Intern Med 2004; 140: W9–W24. 3. Greenland P et al.: 2010 ACCF/AHA guideline for assessment of cardiovascular risk in asymptomatic adults: a report of the American College of Cardiology Foundation/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines. J Am Coll Cardiol 2010; 56: e50–103. 4. Silverman MG et al.: Impact of coronary artery calcium on coronary heart disease events in individuals at the extremes of traditional risk factor burden: the Multi-Ethnic Study of Atherosclerosis. Eur Heart J 2014; 35: 2232–2241. 5. Flaker GC et al.: Asymptomatic atrial fibrillation: demographic features and prognostic information from the Atrial Fibrillation Follow-up Investigation of Rhythm Management (AFFIRM) study. Am Heart J 2005; 149:657–663. 6. Healy JS et al.: Subclinical Atrial Fibrillation and the Risk of Stroke. N Engl J Med 2012; 366: 120–129. 7. Kirchhof P et al.: 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with EACTS. Eur Heart J 2016; 38: 2893–2962. 8. Ledwidge M et al.: Natriuretic peptide-based screening and collaborative care for heart failure: the STOP-HF randomized trial. JAMA 2013; 310: 66–74.
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