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FOKUS PHARMAKOTHERAPIE
Neuzulassungen 2018/Teil 2
Aimovig® (Erenumab): neuer Wirkstoff zur Migräneprophylaxe
Im Juli 2018 hat nach der Arzneimittelbehörde in den USA (5/2018) auch Swissmedic den monoklonalen Antikörper Erenumab (Aimovig®) zur Verbeugung von Migräneanfällen bei Erwachsenen zugelassen. Auch in der EU ist der neuartige Wirkstoff kurz darauf für den Markt freigegeben worden. Für die Zulassung ausschlaggebend waren zwei randomisierte, plazebokontrollierte Studien, in denen sich Erenumab als wirksam zur Prophylaxe von zum einen chronischen (Studie 1) und zum anderen episodischen Migräneattacken (Studie 2) erwiesen hatte. In Studie 1 erhielten Migränepatienten mit oder ohne Aura in der Vorgeschichte (≥ 15 Kopfschmerztage pro Monat mit ≥ 8 Migränetagen pro Monat) für 12 Wochen alle 4 Wochen entweder 70 mg (n = 191) oder 140 mg Erenumab (n = 190) oder Plazebo (n = 286) subkutan injiziert. Unter beiden Dosierungen des Verums waren im Vergleich zu Plazebo jeweils signifikant sowie gegenüber der Situation zu Studienbeginn sowohl ein Rückgang der durchschnittlichen Anzahl von Migränetagen pro Monat zu verzeichnen (primärer Endpunkt) als
auch ein häufigeres Erreichen einer um 50 bis 100 Prozent geringeren Anzahl von Migränetagen pro Monat (≥ 50%-Responder) sowie weniger Tage pro Monat, an denen die Patienten andere Kopfschmerzmittel zur Akutbehandung eingenommenen hatten (sekundäre Endpunkte). Ähnlich positive Resultate für Erenumab zeigten sich auch in Studie 2, in der Patienten mit Migräne mit einer Dauer von ≥ 12 Monaten mit oder ohne Aura und 4 bis 14 Migränetagen pro Monat während 24 Wochen ebenfalls alle 4 Wochen entweder 70 mg (n = 317) oder 140 mg Erenumab (n = 319) oder Plazebo (n = 319) erhalten hatten.
Wie wirkt Erunumab?
Als humaner Immunglobulin-G-(IgG-)Antikörper konkurriert Erunumab mit CGRP (calcitonin gene-related peptide) um die Bindung an dessen Rezeptor. Als vasodilatorisch wirkendem sowie in die nozizeptive Schmerzentstehung und in neurogene Entzündungsprozesse involviertem Neuropeptid wird CGRP eine zentrale Rolle in der Pathophysiologie der Migräne zugeschrieben. Auch die zur Akuttherapie der Mi-
gräne eingesetzten Triptane greifen in die-
sen Regelkreis ein, indem sie bereits die
Ausschüttung von CGRP hemmen.
Aimovig® wird in der Regel einmal monat-
lich in einer Dosierung von 70 g unter die
Haut gespritzt, gegebenenfalls nach ent-
sprechender Schulung per Autoinjektor
durch den Patienten selbst. Bei unzurei-
chender Wirkung kann die Dosis in Form
zweier aufeinanderfolgender Injektionen
dupliziert werden. Aimovig® kann in glei-
cher Dosierung auch bei Patienten mit
leicht- bis mittelgradiger Nierenfunktions-
störung oder mit Leberinsuffizienz gegeben
werden. Unter der Behandlung allgemein
häufig beobachtete Nebenwirkungen um-
fassen Obstipation, Juckreiz, Muskel-
krämpfe sowie Hautreaktionen an der In-
jektionsstelle.
rabe L
Literatur: Arzneimittelinformation Aimovig®; Stand Juli 2018, www.compendium.ch
www.rosenfluh.ch/qr/aimovig
Gardasil 9®: Neunvalenter HPV-Impfstoff erweitert das Spektrum
Der neunvalente HPV-Impfstoff Gardasil 9® schützt wie sein Vorgänger Gardasil® gegen die am häufigsten Krebs auslösenden HPVTypen 16 und 18 sowie die HPV-Typen 6 und 11, die für die Bildung von Genitalwarzen verantwortlich sind. Zusätzlich bietet er Schutz vor fünf weiteren onkogenen HPV-Typen, und zwar HPV 31, 33, 45, 52 und 58. Er ist indiziert bei Mädchen und Frauen im Alter von 9 bis 26 Jahren zur Prävention von Zervix-, Vulva- und Vaginalkarzinomen sowie prämalignen Läsionen im Genitalbereich (Zervix, Vulva und Vagina) und Condyloma acuminata. Bei Jungen und heterosexuellen Männern zwischen 9 und 26 Jahren dient er der Vorbeugung von Genitalwarzen. In sieben klinischen Studien wurden seine Wirksamkeit und/oder Immunogenität untersucht. Die Wirksamkeit gegenüber den zusätzlichen HPV-Typen 31, 33, 45, 52 und 58 war Gegenstand der aktiv kontrollierten randomisierten, doppelblinden klinischen Vergleichsstudie (Protokoll 001) mit 14 204
Frauen (Gardasil 9® = 7099; Gardasil® = 7105) im Alter von 16 bis 26 Jahren. Sie wurden bis zu 54 Monate weiter beobachtet (durchschnittlich 40 Monate). Der Impfstoff reduzierte die mit diesen HPVTypen assoziierten persistierenden Infektionen und Erkrankungen sowie die Inzidenz von damit assoziierten Pap-Test-Abnormalitäten, Eingriffen an der Zervix oder äusseren Genitalien und operativen, therapeutischen Massnahmen an der Zervix.
Wie wirkt Gardasil 9®?
Es handelt sich bei Gardasil 9® um einen adjuvierten, nicht infektiösen, rekombinanten, neunvalenten Impfstoff aus hochgereinigten virusähnlichen Partikeln des Hauptkapsidproteins L1 der HPV-Typen 6, 11, 16, 18, 31, 33, 45, 52 und 58. Diese Partikel sind nicht in der Lage, Zellen zu infizieren oder sich zu vermehren, und können daher keine Krankheit verursachen. Der Impfstoff steht als Durchstechflasche
oder Fertigspritze mit 0,5 ml Suspension
zur Injektion zur Verfügung und sollte ge-
mäss den offiziellen Impfempfehlungen an-
gewendet werden. Die Grundimmunisie-
rung besteht aus drei Einzeldosen zu je
0,5 ml zum Zeitpunkt 0, 2 und 6 Monate.
Alternativ ist auch ein 2-Dosen-Impf-
schema möglich. Ob eine Auffrischung der
Impfung notwendig ist, ist noch nicht be-
kannt. Der neunvalente Impfstoff enthält
etwas mehr Adjuvans als der quadrivalente
Impfstoff, was zu etwas häufigeren, in der
Regel aber milden lokalen Nebenwir-
kungen führen kann.
Mü L
Literatur: Fragen und Antworten zur Einführung von Gardasil 9®, www.bag.admin.ch
Arzneimittelinformation Gardasil 9®; Stand April 2017, www.compendium.ch
www.rosenfluh.ch/qr/gardasil
86 ARS MEDICI 3 | 2019
Neuzulassungen 2018/Teil 2
FOKUS PHARMAKOTHERAPIE
Steglatro® (Ertugliflozin): Weiterer SGLT2-Hemmer zur Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassen
Mit Ertugliflozin (Steglatro®) ist im Oktober 2018 nach Canagliflozin (Invokana®), Dapagliflozin (Forxiga®) und Empagliflozin (Jardiance®) der inzwischen vierte Wirkstoff aus der Klasse der SGLT-2(sodium-glucose cotransporter 2-)Hemmer zur Behandlung eines unzureichend kontrollierten Diabetes mellitus Typ 2 (DMT2) in der Schweiz zugelassen worden. In der EU war das Medikament im März 2018 und in den USA bereits im Jahr 2017 auf den Markt gekommen. Ertugliflozin wird zusätzlich zu nicht medikamentösen Massnahmen (Diät, Bewegung) entweder als Monotherapie (bei Unverträglichkeit oder Kontraindikation für Metformin [MET]) oder kombiniert mit anderen Antidiabetika eingesetzt. Die Zulassung erfolgte auf Basis von sieben multizentrischen, randomisierten, doppelblinden, kontrollierten Phase-III-Studien,
in welchen an insgesamt 4863 Patienten mit DMT2 die Wirksamkeit und Sicherheit von Ertugliflozin (5 mg bzw. 15 mg) allein, in Kombination mit MET und/oder Sitagliptin sowie in Kombination mit anderen Antidiabetika untersucht worden waren. Dabei liessen sich unter Ertugliflozin (Monotherapie und Add-on zu MET) die HbA1c-Werte (primärer Endpunkt) sowie Gewicht und Blutdruck (sekundäre Endpunkte) signifikant stärker reduzieren als mit Plazebo. Ähnlich signifikante Senkungen zeigten sich auch in Kombination mit Sitagliptin, und zwar sowohl gegenüber Plazebo als auch im Vergleich zur jeweils alleinigen Gabe von Sitagliptin oder Ertugliflozin als Add-on zu MET.
Wie wirkt Ertugliflozin?
Zur Monotherapie wird Steglatro® 1-mal täglich morgens als Filmtablette (in der
Schweiz zugelassen in der Dosierung von
5 mg) unabhängig von den Mahlzeiten ein-
genommen. Durch selektive Inhibition von
SGLT-2 bewirkt Ertugliflozin eine insulin-
unabhängige verminderte Rückresorption
von glomerulär filtrierter Glukose, wo-
durch mehr Glukose mit dem Urin ausge-
schieden wird.
Als häufigste Nebenwirkung waren unter
Ertugliflozin vermehrt genitale Pilzinfek-
tionen zu beobachten. Bei gleichzeitiger
Einnahme von Insulin und/oder Insulinse-
kretagoga besteht ein erhöhtes Risiko für
Hypoglykämien.
rabe L
Literatur: Steglatro®: EPAR (European Public Assessment Report) – Product Information, European Medicines Agency (published 05/04/2018).
Truberzi® (Eluxadolin): nebenwirkungsarme Therapie von diarrhödominanten Reizdarmbeschwerden
Beim Reizdarmsyndrom (irritable bowel disease, IBS), das mit Darmbeschwerden und Veränderungen des Stuhlgangs einhergeht, wird je nach vorherrschender Symptomatik zwischen einem obstipations(IBS-O) und einem diarrhödominanten Typ (IBS-D) unterschieden. Zur Behandlung des IBS-D stehen bis anhin kaum wirksame Medikamente zur Verfügung. Ein Ansatzpunkt sind die in der Darmwand befindlichen Opioidrezeptoren (OR), welche die Darmmotilität regulieren. So wird etwa Loperamid als µ-Opioid-Rezeptor-(µOR-) Agonist seit Langem hauptsächlich bei akutem Durchfall eingesetzt. Nach der FDA im Jahr 2015 und der EMA 2016 hat im Februar 2018 auch die Schweizer Arzneimittelbehörde mit Eluxadolin (Truberzi®) einen neuen Opioidrezeptormodulator mit antidiarrhoischen und schmerzlindernden Eigenschaften zur Behandlung des IBS-D zugelassen. Die Zulassung erfolgte aufgrund der Ergebnisse zweier randomisierter, multizentrischer, multinationaler, plazebokontrollierter, dop-
pelblinder Phase-III-Studien (IBS-3001 und IBS-3002), in denen 1282 respektive 1146 Personen mit IBS-D über 26 (respektive 52) Wochen mit 2-mal täglich 75 mg beziehungsweise 100 mg Truberzi® oder mit Plazebo behandelt wurden. Primärer kombinierter Endpunkt waren eine Linderung der Bauchschmerzen (Besserung des täglichen WAP-[worst abdominal pain-]Scores um ≥ 30% gegenüber prätherapeutischem Wochenschnitt) und eine Verbesserung der Stuhlkonsistenz (BSS [Bristol Stool Scale] < 5) am selben Tag an mindestens der Hälfte der Tage der Wochen 1 bis 12 beziehungsweise 1 bis 26. Dabei zeigte sich in beiden Studien im Vergleich zu Plazebo unter dem Verum eine Erhöhung der Rate an kombinierten Respondern, welche jeweils für die 100-mg-Dosierung statistisch signifikant war. Wie wirkt Eluxadolin? Eluxadolin bindet an verschiedenen OR im Darm und fungiert dabei als µOR- und κOR-Agonist sowie als δOR-Antagonist. Im Vergleich zu reinen µOR-Agonisten wie Loperamid kommt es unter Eluxadolin durch den antagonistischen Effekt am δOR zu weniger Verstopfung als unerwünschter Wirkung. Eluxadolin besitzt eine geringe orale Bioverfügbarkeit und wirkt hauptsächlich lokal, wodurch es nicht zu nennenswerten systemischen Nebenwirkungen oder Effekten auf das zentrale Nervensystem kommt. Die Einnahme des Medikaments erfolgt in Form von Filmtabletten jeweils morgens und abends zusammen mit den Mahlzeiten. rabe L Literatur: Arzneimittelinformation Truberzi®; Stand Januar 2018, www.compendium.ch www.rosenfluh.ch/qr/truberzi ARS MEDICI 3 | 2019 87