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FOKUS PHARMAKOTHERAPIE
Diabetes, Migräne, Schizophrenie ...
Neuzulassungen 2018 erweitern das therapeutische Arsenal
Auch im Jahr 2018 gab es Neuzulassungen, die für Ärzte und Patienten von Nutzen sein können. So ist zum Beispiel anhaltend Bewegung im Bereich der Diabetologie, die Substanzklasse der SGLT2-Hemmer, schon nicht mehr ganz neu, hat die Landschaft verändert, da sie auch die Kardiologen mit ihren Daten zur kardiovaskulären Mortalitätssenkung begeistern konnte. Aber auch in anderen Substanzklassen tut sich was, das neue GLP-Analogon Semaglutid etwa muss nur noch einmal pro Woche subkutan injiziert werden und die Therapie geht erfreulicherweise erst noch mit einem Gewichtsverlust einher. Und es wird spannend bleiben, gibt es doch auch schon Studien zum oralen Einsatz der Substanz. Ob die Technologie sich später auch dafür eignet, im Bereich der Insulintherapie auf die Injektionen verzichten zu können?
Auch im Bereich der Impfungen gibt es Neuigkeiten, auch wenn immer noch nicht alle Impfstoffe zur Verfügung stehen, die in umliegenden Ländern bereits zugelassen sind. Zugelassen sind nun auch in der Schweiz der neunvalente HPV-Impfstoff Gardasil, sowie der nicht nukleosidische CMV-Inhibitor Letermovir, der seine Wirkung über einen neuartigen Wirkmechanismus entfaltet und in Europa einen Orphan-Drug-Status zur Prävention von CMV-Erkrankungen bei Risikopatienten erhalten hat. Nachdem die ersten Versuche, das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP), ein wichtiger Botenstoff bei der Entstehung von Migräne, zu blockieren, aufgegeben werden mussten, weil die Abbauprodukte hepatotoxisch waren, ist nun der erste monoklonale CGRP-Antikörper zugelassen, insgesamt werden vier untersucht. Mit Erenumab er-
weitert sich für Patienten mit starker Mi-
gräne, bei denen andere Medikamente nicht
erfolgreich waren, das Prophylaxe-Arsenal.
Und mit Guselkumab steht ein humaner
monoklonaler Antikörper als neue Thera-
pieoption für Patienten mit Plaque-Psoria-
sis zur Verfügung, die mit anderen systemi-
schen Therapien nur ungenügend behan-
delt werden konnten.
Last but not least bewegt sich auch im Be-
reich der Schizophrenie erstmals seit einiger
Zeit wieder etwas. Mit Brexpiprazol und
Cariprazin wurden Ende letzten Jahres
gleich zwei neue antipsychotische Wirk-
stoffe zugelassen.
Hier und in der nächsten Ausgabe stellen
wir Ihnen eine kleine Auswahl der Neuzu-
lassungen des letzten Jahres vor. Der QR-
Code führt sie direkt zu den Fachinforma-
tionen der jeweiligen Präparate.
Mü
Fasenra® (Benralizumab): Erster IL-5-Rezeptor-Antikörper gegen eosinophiles Asthma
Mit Fasenra® (Benralizumab) wurde der erste Interleukin-5-Rezeptor-Antagonist (Anti-IL-5-RA) für die Behandlung von Patienten mit schwerem unkontrolliertem eosinophilem Asthma in der Schweiz zugelassen. Benralizumab liegt als 30-mg-Fertigspritze vor und ist für die Zusatztherapie bei Patienten über 18 Jahre mit mindestens zwei Exazerbationen in den letzten 12 Monaten unter aktueller Standardtherapie und/ oder Notwendigkeit zur Therapie mit systemischen Kortikosteroiden beziehungsweise einer Eosinophilenzahl im Blut von ≥ 300/µl zugelassen. Die Wirksamkeit von Fasenra® wurde in drei randomisierten, doppelblinden, plazebokontrollierten, klinischen Studien (Dauer: 28 bis 56 Wochen) an Patienten ab 12 Jahren bestätigt. In den beiden Zulassungsstudien SIROCCO und CALIMA (n = 2510) hatte Benralizumab die Exazerbationsrate (primärer Endpunkt) im Ver-
gleich zu Plazebo signifikant reduziert. In der Zulassungsstudie ZONDA (n = 220) reduzierte Benralizumab signifikant die von den Patienten täglich eingenommene mittlere orale Steroiddosis um 75 Prozent.
Wie wirkt Benralizumab?
Benralizumab ist ein humanisierter, afukosylierter, monoklonaler Antikörper, der mit hoher Affinität und Spezifität an die α-Untereinheit des humanen IL-5-R bindet. IL-5-R ist insbesondere auf eosinophilen und basophilen Granulozyten exprimiert. Durch Abwesenheit von Fukose im Fc-Teil von Benralizumab kommt es zu einer hochaffinen Bindung an FcγRIII-Rezeptoren auf Immuneffektorzellen (z.B. natürliche Killerzellen, NK), woraus wiederum eine verstärkte antikörperabhängige zellvermittelte Zytotoxizität und mithin die Apoptose von Eosinophilen und Basophilen resultieren. Die Pathogenese eosinophiler
Asthmaformen wird hauptsächlich durch
die eosinophile Entzündung bestimmt.
Benralizumab führt innerhalb von 24 Stun-
den zu einer nahezu vollständigen Deple-
tion der Eosinophilen im Blut.
Zu den häufigsten unerwünschten Wirkun-
gen zählen Pharyngitis, Kopfschmerzen,
Fieber, Reaktionen an der Injektionsstelle
sowie Überempfindlichkeitsreaktionen der
Haut. Zur Behandlung akuter Asthmaexa-
zerbationen sollte Benralizumab nicht ein-
gesetzt werden.
rabe L
Literatur: Arzneimittelinformation Fasenra®; Stand Oktober 2018, www.compendium.ch
www.rosenfluh.ch/qr/fasenra
42 ARS MEDICI 1+2 | 2019
FOKUS PHARMAKOTHERAPIE
Ozempic® (Semaglutid): Neues GLP-Analogon mit langer Halbwertszeit zur Blutzuckersenkung
Nach Marktfreigabe in der europäischen Union und in den USA im Jahr 2017 ist der GLP-(glucagon-like peptide-)1-Agonist Semaglutid (Ozempic®) im Sommer 2018 auch in der Schweiz zur Behandlung von Typ-2-Diabetes bei Erwachsenen zugelassen worden. Grundlage für die Zulassung bildeten die Daten von sechs randomisierten, kontrollierten klinischen Studien an Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 (n = 7215, davon 4107 mit Verum behandelt), welche die Wirksamkeit und Sicherheit von Semaglutid (0,5 mg und 1 mg, jeweils 1-mal/Woche, allein oder in Kombination mit anderen Antidiabetika) untersucht hatten. In fünf dieser Studien (SUSTAIN 1–5) hatte das Hauptaugenmerk der Beurteilung der Wirksamkeit von Semaglutid hinsichtlich der Blutzuckersenkung (HbA1c-Wert) gegolten, während in SUSTAIN 6 die kardiovaskuläre Sicherheit des Wirkstoffs beurteilt worden war. Durch die Therapie mit Ozempic® konnten die HbA1c-Werte und
das Körpergewicht, verglichen mit Plazebo und mit einer Behandlung mit einem aktiven Kontrollpräparat (Sitagliptin, Insulin glargin und Exenatid ER), dauerhaft (≤ 2 Jahre) sowie statistisch signifikant stärker und klinisch relevant reduziert werden.
Wie wirkt Semaglutid ?
Als Analogon des humanen GLP-1 wirkt Semaglutid nach selektiver Bindung an den GLP-1-Rezeptor (GLP-1R) agonistisch. Nach Aktivierung stimulieren GLP-1R die Insulinsekretion und hemmen die Glukagonsekretion jeweils glukoseabhängig, verlangsamen die frühe postprandiale Magenentleerung und damit die Aufnahme von Glukose ins Blut. Darüber hinaus kommt es über appetitmindernde, das Sättigungsgefühl steigernde und das Hungergefühl verringernde Effekte zu einer reduzierten Energieaufnahme, was zur Gewichtsabnahme beitragen kann. Gegenüber nativem GLP-1 besitzt Semaglutid eine verlängerte Halbwertszeit von
rund einer Woche und muss daher lediglich 1-mal wöchentlich subkutan injiziert werden. Die in den durchgeführten klinischen Studien beobachteten unerwünschten Wirkungen waren im Allgemeinen nur leicht bis mittelgradig ausgeprägt, von kurzer Dauer und betrafen in den meisten Fällen den Gastrointestinaltrakt (z.B. Bauchweh, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö). rabe L
Literatur: Arzneimittelinformation Ozempic®; Stand Juni 2018, www.compendium.ch
www.rosenfluh.ch/qr/ozempic
Prevymis® (Letermovir): Vorbeugung von CMV-Infektionen
Als antiviraler Wirkstoff aus der Gruppe der CMV-(Cytomegalievirus-)DNA-Terminasekomplex-Inhibitoren wurde im Frühjahr 2018 Letermovir (Prevymis®) zur Prophylaxe von CMV-Infektionen oder -Erkrankungen bei erwachsenen, CMVseropositiven Empfängern einer allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation (HSZT) in der Schweiz zugelassen. Die präventive Wirksamkeit von Letermovir wurde in einer multizentrischen, doppelblinden, plazebokontrollierten PhaseIII-Studie an 565 erwachsenen CMV-seropositiven Empfängern (mittleres Alter: 54 Jahre) einer allogenen HSZT untersucht. Die Letermovirtherapie (oral oder i.v.) wurde nach HSZT (Tag 0–28 nach Transplantation) eingeleitet und bis Woche 14 nach der Transplantation fortgesetzt. Primärer Wirksamkeitsendpunkt war das
Auftreten einer klinisch signifikanten CMVInfektion bis Woche 24 nach Transplantation. Ein Prophylaxeversagen zeigte sich unter Letermovir (122 von 325 Patienten [37,5%]) signifikant seltener als unter Plazebo (103/170 [60,6%]; –23,5%, p<0,0001). Wie wirkt Letermovir? Letermovir hemmt den CMV-DNA-Terminasekomplex, der für die Replikation und das Verpacken der viralen DNA erforderlich ist. Prevymis® steht in Form von Tabletten und als intravenöse Infusionslösung zur Verfügung. Die empfohlene Dosis beträgt 1-mal 480 mg/Tag. Die Tablette ist ganz zu schlucken und kann mit oder ohne Nahrung eingenommen werden. Die Infusionslösung sollte nur bei Patienten verwendet werden, für die eine orale Therapie nicht infrage kommt. Letermovir ist ein Hemmer von Cytochrom P 450 3A (CYP3A), weshalb bei gleichzei- tiger Einnahme von Arzneimitteln, welche CYP3A-Substrate sind, Vorsicht geboten ist. Häufig auftretende unerwünschte Er- eignisse sind Kopfschmerzen, Husten, Übelkeit/Erbrechen, Diarrhö, Abdominal- schmerzen, periphere Ödeme und Erschöp- fung. rabe L Literatur: Arzneimittelinformation Prevymis®; Stand Januar 2018, www.compendium.ch www.rosenfluh.ch/qr/prevymis ARS MEDICI 1+2 | 2019 43 FOKUS PHARMAKOTHERAPIE Rexulti® (Brexpiprazol): Neues atypisches Neuroleptikum gegen Schizophrenie Zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit Schizophrenie ist seit Sommer 2018 auch in der EU und in der Schweiz mit Brexpiprazol (Rexulti®) ein weiterer antipsychotischer Wirkstoff aus der Gruppe der atypischen Neuroleptika zugelassen, der seit 1.1.2019 erhältlich und kassenzulässig ist. Brexpiprazol weist strukturelle Ähnlichkeiten mit Aripiprazol (Abilify®) auf. Erstmals auf den Markt gekommen war das Medikament im Jahr 2015 in den USA. Für die Zulassung massgeblich waren die Ergebnisse zweier randomisierter, doppelblinder, plazebokontrollierter Studien, in denen der Wirkstoff über sechs Wochen mit fixer Dosierung (2 oder 4 mg/Tag) verabreicht wurde (Studien 1 und 2), sowie einer Langzeitstudie (Studie 3), mit der die Wirksamkeit von Brexpiprazol gemäss DSM-IV-TR-Kriterien gezeigt werden konnte. Primärer Wirksamkeitsendpunkt für die Studien 1 und 2 war die Veränderung des Gesamtscores der Positive and Negative Syndrome Scale (PANSS) vom Ausgangswert bis Woche 6. Hierbei erwies sich Brexpiprazol sowohl in Studie 1 (beide Dosierungen) als auch in Studie 2 (4 mg/Tag) gegenüber Plazebo überlegen. In Studie 3 erfolgte eine nach Ermessen des Prüfers angepasste Gabe von Brexpiprazol (1–4 mg/ Tag) als Erhaltungstherapie. Die Schlussanalyse ergab bei mit dem Verum behandelten Patienten eine statistisch signifikant längere Zeit bis zum drohenden Rückfall als bei solchen, die Plazebo erhalten hatten (p = 0,0001). Wie wirkt Brexpiprazol? Bei Rexulti® handelt es sich um ein neuartiges antipsychotisches Medikament, welches als Filmtablette mit oder ohne Mahlzeit eingenommen wird und mit Serotonin- und Dopaminrezeptoren im zentralen Nervensystem interagiert. Die modulatorische Wirkung auf die Serotonin-Dopamin-Systeme beruht auf einer Kombination von partiell agonistischer Aktivität an den serotonergen 5-HT1A- und den dopaminergen D2-Rezeptoren mit ei- ner antagonistischen Aktivität an den sero- tonergen 5-HT2A-Rezeptoren. Ein Potenzial zur Erzeugung physischer Abhängigkeit gilt für Brexpiprazol als nicht gegeben. Da die Substanz hauptsächlich von CYP3A4 und CYP2D6 metabolisiert wird, können bei Patienten, die gleichzeitig Hemmer oder Induktoren dieser Enzyme einnehmen, entsprechende Arzneimittel- wechselwirkungen auftreten. Für Personen über 65 Jahre sind die Wirksamkeit und Si- cherheit von Rexulti® nicht untersucht. Zur Behandlung von demenzbedingten Psychosen ist das Medikament nicht zu- gelassen. rabe L Literatur: Arzneimittelinformation Rexulti®; Stand August 2018, www.compendium.ch www.rosenfluh.ch/qr/rexulti Tremfya® (Guselkumab): Gezielte gegen IL-23 gerichtete Therapie bei Plaque-Psoriasis Für erwachsene Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis, bei denen andere systemische Therapien, etwa Cyclosporin, Methotrexat (MTX) oder PUVA (Psoralen und UV-A) nicht die erwünschte Wirkung gezeigt haben oder bei denen Kontraindikationen oder Unverträglichkeiten gegenüber solchen Behandlungen bestehen, stellt die Hemmung verschiedener in das Krankheitsgeschehen involvierter entzündungsfördernder Zytokine einen neuartigen, gezielten therapeutischen Ansatz dar. Mit Guselkumab (Tremfya®) wurde der erste selektiv gegen IL-23 gerichtete humane monoklonale IgG1λ-Antikörper im Jahr 2017 in den USA und in Europa sowie im Juni 2018 auch in der Schweiz zugelassen. Entscheidend für die Zulassung waren die Ergebnisse dreier randomisierter, doppelblinder, aktiv kontrollierter Phase-IIIStudien, in denen die Wirksamkeit und Sicherheit von Guselkumab an Patienten mit moderater bis schwerer Plaque-Psoriasis im Vergleich mit Adalimumab und Pla- zebo (VOYAGE 1 und 2, n = 1829) sowie im Vergleich mit Ustekinumab (NAVIGATE, n = 268) gezeigt werden konnten. In VOYAGE 1 und 2 ergaben sich unter Guselkumab 100 mg nach 16 Wochen deutliche Verminderungen des Schweregrads der Erkrankung, gemessen als Verbesserung des PASI (Psoriasis Area and Severity Index) von ≥ 90 Prozent (PASI-90Ansprechen). Auch bei einer langfristigen Behandlung über annähernd zwei Jahre zeigten sich gleichbleibend reduzierte Raten hinsichtlich eines reduzierten Krankheitsschweregrades. In NAVIGATE waren zwei Wochen nach Randomisierung bei signifikant mehr Guselkumab- als Ustekinumabpatienten ein IGA-(Investigator’s Global Assessment-)Score von 0/1 und eine Verbesserung von ≥ 2 Skalenstufen sowie ein PASI-90-Ansprechen zu verzeichnen. Wie wirkt Guselkumab? Bei Patienten mit Plaque-Psoriasis sind die IL-23-Konzentrationen im Hautgewebe erhöht. IL-23 beeinflusst unter anderem die Eigenschaften von Th17- und von be- stimmten Immunzellen sowie die Freiset- zung entzündungsfördernder Zytokine (IL-17A, IL-17F, IL-22). Guselkumab bin- det mit hoher Spezifität und Affinität selek- tiv an das IL-23-Protein, wodurch dessen Bindung an den IL-23-Rezeptor an der Zelloberfläche und somit nachgeschaltete Signalkaskaden blockiert werden. Guselkumab wird subkutan injiziert und besitzt eine lange Halbwertszeit. Aufgrund seiner immunsuppressiven Eigenschaften erhöht das Medikament das Risiko für Infektionskrankheiten, zum Beispiel der oberen Atemwege. rabe L Literatur: Arzneimittelinformation Tremfya®; Stand Juni 2018, www.compendium.ch www.rosenfluh.ch/qr/tremfya 44 ARS MEDICI 1+2 | 2019