Transkript
FORTBILDUNG
HPV-Impfung in der Praxis
Zehn wichtige Fragen und Antworten
Vor mehr als zehn Jahren wurde die HPV-Impfung in der Schweiz eingeführt. Zunächst wurde sie für Mädchen und junge Frauen empfohlen, seit 2015 auch für Jungen und junge Männer. Im Folgenden werden zehn wichtige praxisrelevante Fragen zur HPV-Impfung beantwortet.
Ulrich Heininger
Frage 1: Wie häufig sind HPV-Infektionen? HPV-Infektionen sind sehr häufig. Man geht davon aus, dass sich die Hälfte aller sexuell aktiven Menschen mindestens einmal im Leben mit humanpathogenen Papillomaviren (HPV) ansteckt. Die dadurch ausgelöste Krankheitslast ist erheblich: Das Nationale Institut für Krebsepidemiologie und Registrierung (NICER) erhebt in der Schweiz Daten zur Häufigkeit von malignen Krankheiten. Für die Jahre 2010 bis 2014 schätzte das NICER jährlich (!) 254 neue Fälle von Zervixkarzinomen, 140 neue Fälle von Analkarzinomen bei Frauen und 57 bei Männern sowie fortgeschrittene Zervixkarzinomvorstufen («cervical intraepithelial neoplasia» der Stufe 3 = CIN3) bei 2440 Frauen. Zahlreiche weitere, nicht genau bezifferte Fälle von CIN1 und CIN2 führen ebenfalls zu medizinischen Interventionen. HPV-Infektionen verursachen, wie andere bösartige Krankheiten oder deren Vorstufen, viel Leid und Sorge. Hinzu kommen Genitalwarzen durch HPV-Infektionen bei Frauen und Männern, die zwar nicht bösartig verlaufen, aber die Lebensqualität der Betroffenen stark beeinflussen können; ganz zu schweigen von den Behandlungskosten.
Frage 2: Wie wirksam ist die HPV-Impfung? Sie ist sehr wirksam. Zahlreiche Studien haben das Schutzpotenzial der HPV-Impfstoffe eindrucksvoll aufgezeigt. Sie verhindern in hohem Masse Vorstufen von HPV-assoziierten Malignomen, sowohl an der Zervix (am häufigsten betroffen und daher am besten untersucht) als auch am weiblichen Genitale (Vulva, Vagina) und am Anus. Auch bei Männern zeigen die Impfstoffe ihre Wirkung auf prämaligne Manifestationen am Anus. Schwieriger ist die Bewertung der Wirksamkeit der HPV-Impfstoffe gegen maligne Läsionen im Hals-RachenRaum, weil hier keine Vorstufen für Karzinome bekannt sind. Bisher wurde von Kritikern der Impfung bemängelt, dass eine tatsächliche Verhinderung von Zervixkarzinomen durch die HPV-Impfung nicht nachgewiesen sei. Dieser Nachweis wurde kürzlich geliefert. Wer bislang an der Prävention von Karzinomen durch die HPV-Impfung gezweifelt hat, kann es jetzt in einer Studie aus Finnland* schwarz auf weiss nachlesen. Kein einziges in den Jahren 2002 bis 2005 in Finnland im Alter von 14 bis 19 Jahren gegen HPV geimpftes Mädchen und keine Frau erkrankten in einer langjährigen Nachbeobachtung an einem HPV-assoziierten Karzinom, wohingegen bei gleichaltrigen, nicht HPV-geimpften Frauen zehn derartige Karzinomfälle auftraten. Daraus lässt sich auf eine Impfstoffwirksamkeit von 100 Prozent schliessen (95%-Konfidenzintervall: 16–100).
Es hat sich also als richtig erwiesen, die HPV-Impfstoffe auf der Basis des Nachweises ihrer Wirksamkeit gegenüber chronischen HPV-Infektionen und zervikalen, intraepithelialen Neoplasien der Schweregrade CIN1 bis CIN3 zuzulassen, da diese Präkanzerosen die notwendige Voraussetzung für die Karzinome sind und deshalb deren Verhinderung – wie nicht anders zu erwarten war – auch das Auftreten der jeweiligen Karzinome verhindert.
Frage 3: HPV-Infektionen werden in 90 Prozent der Fälle vom Körper selbst besiegt. Ist die natürliche Immunität nicht sowieso besser? Leider nein, denn in 10 Prozent der Fälle werden die Viren eben nicht eliminiert und können dann Schaden anrichten. Aber auch die erfolgreiche Elimination von HPV durch das unspezifische Immunsystem ist kein wirklicher Erfolg, weil die Infektion keine spezifische Immunität hinterlässt, was Reinfektionen deshalb nicht verhindert – die Impfung aber schon.
Frage 4: Wie sicher ist die Impfung? Die HPV-Impfung ist sehr sicher. Absolute Sicherheit gibt es natürlich nie, aber die mehr als zehn Jahre bestehende Erfahrung mit HPV-Impfprogrammen gibt keinen Anhalt für relevante Sicherheitsbedenken. Wie auch bei vielen anderen Impfungen gab es immer wieder Gerüchte zu vermeintlichen Nebenwirkungen, die sich bei Überprüfung der Fakten als haltlos herausgestellt haben. Anderenfalls hätten die Zulassungsbehörden reagieren und die Anwendung der Impfstoffe einschränken müssen.
Frage 5: Wann ist der beste Zeitpunkt für die Impfung? Man soll den Brunnen abdecken, bevor das Kind hineinfällt – so lautet ein bekanntes Sprichwort. Auf die HPV-Impfung übertragen bedeutet dies: Möglichst impfen, bevor das Expositions- und damit das Infektionsrisiko steigt. Dies ist mit Beginn der sexuellen Aktivität der Fall. Dieser Tatsache tragen unsere Impfempfehlungen Rechnung, indem wir die HPVImpfung den Jungen und Mädchen vorzugsweise im Alter von 11 bis 14 Jahren empfehlen.
Frage 6: Ist es sinnvoll, Jugendliche zu impfen, die bereits sexuell aktiv sind? Ja, denn sexuell aktiv zu sein, heisst nicht notwendigerweise, bereits mit einem oder mehreren HPV-Genotypen infiziert zu
* Luostarinen T et al.: Vaccination protects against invasive HPV-associated cancers. Int J Cancer 2018; 142: 2186–2187.
1002 ARS MEDICI 24 | 2018
FORTBILDUNG
Schweizer Empfehlungen zur HPV-Impfung
Basisimpfung für Mädchen und weibliche Jugendliche Die HPV-Impfung gehört zu den empfohlenen Basisimpfungen für Mädchen im Alter von 11 bis 14 Jahren (vor dem 15. Geburtstag) mit dem 2-Dosen-Impfschema (0 und 6 Monate); das 2-Dosen-Impfschema ist ebenso gul̈ tig, wenn nur die erste Dosis noch vor dem 15. Geburtstag verabreicht wurde. Ungeimpfte junge Frauen sollten die Basisimpfung im Alter von 15 bis 19 Jahren (vor dem 20. Geburtstag) nachholen; für sie gilt ein 3-DosenImpfschema (0, 1–2, 6 Monate). Die HPV-Impfstoffe können gleichzeitig mit allen anderen gegebenenfalls notwendigen Impfstoffen verabreicht werden.
Empfohlen für Jungen, junge Männer und junge Frauen Die HPV-Impfung gehört zu den empfohlenen ergänzenden Impfungen für Jungen und Männer (11–26 Jahre) sowie für Frauen im Alter von 20 bis 26 Jahren. Fur̈ Jungen im Alter von 11 bis 14 Jahren gilt das 2-Dosen-Impfschema (0 und 6 Monate). Fur̈ männliche Jugendliche im Alter von 15 bis 19 Jahren und junge Männer und Frauen im Alter von 20 bis 26 Jahren gilt das 3-Dosen-Schema (0, 1–2 und 6 Monate). Die HPV-Impfstoffe können gleichzeitig mit allen anderen gegebenenfalls notwendigen Impfstoffen verabreicht werden.
Kostenübernahme Die HPV-Impfung von Mädchen und weiblichen Jugendlichen im Alter von 11 bis 19 Jahren wird ohne Kostenfolge ruc̈ kverguẗ et, sofern diese im Rahmen eines kantonalen Programms durchgefuḧ rt wird. Die Kosten fur̈ die ergänzende Impfung fur̈ Frauen im Alter von 20 bis 26 Jahren und für Jungen und Männer im Alter von 11 bis 26 Jahren werden im Rahmen kantonaler Programme ohne Kostenfolgen von der OKP ub̈ ernommen.
Impfstoffe In der Schweiz ist seit November 2018 ein neuer Impfstoff verfügbar (Gardasil 9®), der im Vergleich zu den bisherigen Impfstoffen Gardasil® (HPV-6, -11, -16, -18) und Cervarix® (HPV-16, -18) zusätzlich spezifisch vor 5 weiteren krebsauslösenden HPV-Typen schützt: HPV-31, -33, -45, -52, -58. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) empfehlen den Wechsel auf Gardasil 9® sobald wie möglich, da Letzterer eine um 20 bis 30 Prozent höhere spezifische Wirksamkeit aufweist. Die Impfempfehlungen bleiben bis auf diesen Impfstoffwechsel grundsätzlich gleich. Die Einführung von Gardasil 9® in die kantonalen Programme erfolgt nach Auskunft des Herstellers im Januar 2019. red
Quellen: Schweizerischer Impfplan 2018, BAG-Bulletin 43 vom 22.10.2018 und Herstellerangaben
Es wird empfohlen, dann den höhervalenten, 9 Genotypen abdeckenden Impfstoff beim zweiten oder dritten Impftermin zu verwenden. Eine komplett neue Impfserie mit dem 9-valenten Impfstoff wäre auch möglich, ist aber nicht kosteneffizient. Diese Option kann aber im Rahmen der individuellen Impfberatung angesprochen werden.
Frage 8: Nehmen Infektionen mit HPV-Typen zu, die nicht von den verfügbaren Impfstoffen abgedeckt werden? Dazu sind mir keine Daten bekannt. Da Viren – anders als Bakterien – uns Menschen nicht kompetitiv kolonisieren, halte ich ein solches «Replacement»-Phänomen infolge der HPV-Impfung für eher unwahrscheinlich. Dennoch muss das Zervixkarzinomscreening im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen unvermindert fortgeführt werden. In diesem Zusammenhang ist es beruhigend, dass die Impfprogramme bislang keine negativen Auswirkungen auf die Teilnahme am Zervixkarzinomscreening haben.
Frage 9: Wird die HPV-Impfung in allen Kantonen der Schweiz im Rahmen von Impfprogrammen angeboten, und wie stellt man sicher, dass die Krankenkasse die Kosten übernimmt? Die HPV-Impfung wird in der Schweiz flächendeckend im Rahmen von kantonalen Impfprogrammen angeboten. Diese sind kantonal im Detail variabel gestaltet. In der Regel können sich praktizierende Ärztinnen und Ärzte dafür anmelden und dann teilnehmen. Anderenfalls sollten die Patienten auf die kantonalen Impfmöglichkeiten hingewiesen werden. Privat versicherte Personen können oftmals auf Kosten der Krankenkassen in den Praxen geimpft werden.
Frage 10: Was sollten Kinder- und Hausärzte im Zusammenhang mit der HPV-Impfung beachten, und wann sollten sie mit den Eltern und Jugendlichen darüber sprechen? Wichtig ist, überhaupt daran zu denken, allen Jugendlichen und jungen Erwachsenen die HPV-Impfung zu empfehlen. Oftmals sind sie nämlich über diese Präventionsmöglichkeit nicht informiert. Aufklärungsbroschüren des Bundesamts für Gesundheit können dabei helfen. Je früher man darüber spricht, umso besser, das heisst ab einem Alter von 11 Jahren. Meiner Erfahrung nach ist das Aufklärungsgespräch bei Pubertätsbeginn zeitlich gut angesiedelt. Man sollte aber den Eindruck vermeiden, dass es sich hierbei gewissermassen um den Startschuss für die sexuelle Aktivität handelt, denn es dauert 6 Monate von Beginn bis zum Abschluss der Impfserie.
sein. Und selbst wenn das so wäre, würde dies die Wahrscheinlichkeit für den Impferfolg zwar reduzieren, aber nicht auslöschen. Die Impfung hat also auch nach Beginn der sexuellen Aktivität durchaus noch eine Chance, wirksam zu sein. Diese Chance ist aber nicht mehr ganz so gross wie bei der Durchführung der Impfung schon vor dem Beginn der sexuellen Aktivität.
Frage 7: Angenommen, ein Kind wurde bereits einmal mit einem Impfstoff mit weniger HPV-Typen-Abdeckung geimpft, als das heute möglich ist. Ist es dann sinnvoll, beim zweiten oder dritten Impftermin einen höhervalenten Impfstoff zu nehmen? Oder sollte man am besten noch einmal von vorn mit dem höhervalenten impfen?
Prof. Dr. Ulrich Heininger Leitender Arzt und Chefarzt-Stv. Pädiatrie Pädiatrische Infektiologie und Vakzinologie Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) Spitalstrasse 33, 4031 Basel E-Mail: ulrich.heininger@ukbb.ch
Interessenlage: Der Autor deklariert Honorare für Vorträge zu Impfthemen ohne Produktbezug mit finanzieller Unterstützung der jeweiligen Veranstalter durch internationale Impfstoffhersteller. Für diesen Beitrag erhielt er kein Honorar. Interessenkonflikte mit Bezug zu HPV-Impfstoffen bestehen nicht.
Die zehn Fragen wurden dem Autor von der Redaktion ARS MEDICI gestellt.
1004 ARS MEDICI 24 | 2018