Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Immunologie
Impfen gegen Allergie und Juckreiz
Zumindest bei Pferden und Hunden klappt es bereits: Impfen gegen eine allergische Überempfindlichkeitsreaktion oder gegen den Juckreiz bei atopischer Dermatitis. Anders als bei der gängigen Desensibilisierung mit dem Ziel einer immunologischen Toleranz gegenüber einer allergenen Substanz nimmt man mit den neuen Impfungen diejenigen Botenstoffe ins Visier, welche die Immunantwort beziehungsweise den Juckreiz triggern. Die beiden Impfstoffe sind prinzipiell gleich aufgebaut und enthalten zwei Komponenten: einen virusähnlichen Nanopartikel, beschichtet mit bestimmten Bestandteilen von T-Lymphozyten, welche für die Aktivierung einer Immunreaktion und die Produktion von Antikörpern essenziell sind, und den Botenstoff, der blockiert werden soll. Im Prinzip funktioniert der Impfstoff gegen den Botenstoff genauso wie eine konventionelle Impfung, bei der abgetötete Krankheitserreger oder deren Fragmente dem Immunsystem schmackhaft gemacht werden. In der Folge wird das Immunsystem spezifisch aktiviert, was letztlich zu einer gezielten humoralen (Antikörper) wie zellulären (spezifische T-Lymphozyten) Immunantwort führt. Die
klinische Wirksamkeit der neuen Antikörper wurde nun bei Pferden und Hunden gezeigt. Bei den Pferden geht es um allergische Hautreaktionen auf Insektenstiche. 34 davon betroffene Islandpferde nahmen an der plazebokontrollierten, doppelblinden, klinischen Studie teil, die von einem Forscherteam um Antonia Fettelschoss-Gabriel vom Universitätsspital Zürich und der Universität Zürich durchgeführt wurde. 19 Pferde wurden geimpft, 15 erhielten ein Plazebo. Der Impfstoff enthielt Interleukin 5 (IL-5), ein Botenstoff, der für die Entwicklung und die Aktivierung eosinophiler Granulozyten (Eosinophile) wichtig ist. Eosinophile spielen eine zentrale Rolle bei vielen allergischen Prozessen. Die Immunisierung mit dem neuen Impfstoff begrenzte die Anzahl von Eosinophilen in der Haut und reduzierte dadurch Gewebeschäden. Die damit behandelten Pferde vertrugen die Impfung gut, und sie wiesen deutlich weniger und leichtere Hautläsionen auf als die Pferde, die mit dem Plazebo geimpft wurden. In der zweiten Studie ging es um den Juckreiz bei atopischer Dermatitis, der häufigsten allergischen Hauterkrankung bei Hunden. Für den Juckreiz spielt das Interleukin 31 (IL-31)
eine zentrale Rolle, sodass der Impfstoff mit
IL-31 gekoppelt war. Und auch hier zeigte sich
eine WIrkung: Eine gute Immunantwort war
nachweisbar, und Hunde, die besonders sen-
sibel auf Hausstaubmilben reagieren, wiesen
nach der Impfung deutlich seltener Juckreiz-
symptome auf als zuvor.
Die neuen Erkenntnisse könnten helfen, ähn-
liche Therapien für Menschen zu entwickeln,
heisst es in der Pressemitteilung der Universi-
täten Bern und Zürich. So spielen Eosinophile
beispielsweise auch eine Schlüsselrolle bei
allergischem Asthma des Menschen. Entwi-
ckelt wurden die neuen Impfstoffe unter der
Leitung von Prof. Martin F. Bachmann, Univer-
sitätsklinik für Rheumatologie, Immunologie
und Allergologie Bern, von Forschern der Uni-
versitäten Bern und Zürich in Zusammen-
arbeit mit dem lettischen Biomedical Re-
search & Study Center sowie Sponsoren aus
der Wirtschaft.
RBO L
1. Fettelschoss-Gabriel A et al.: Treating insect-bite hypersensitivity in horses with active vaccination against IL-5. J Allerg Clin Immunol 2018; pii: S00916749(18)30291-4.
2.Bachmann MF et al.: Vaccination against IL-31 for the treatment of atopic dermatitis in dogs. J Allerg Clin Immunol 2018; pii: S0091-6749(18)30118-0.
Gastroenterologie
Darmbakterien steuern Immunzellen in der Mukosa
Immunzellen im Darm. Dazu gehören die sogenannten MAIT-Zellen (mucosal-associated invariant T cells), welche gehäuft in der Darmschleimhaut, darüber hinaus aber auch im Blut, auf der Haut und in der Leber vorkommen. Diese Abwehrzellen sind darauf spezialisiert, bestimmte Metabolite zu erkennen, die von den Mikroorganismen der Darmflora produziert werden. Eine Forschergruppe um Prof. Gennaro De Libero von der Universität Basel und PD Dr. Petr Hruz vom Universitätsspital Basel haben nun untersucht, auf welche Weise die Stoffwechselprodukte der Bakterien die MAIT-Zellen im Dickdarm verändern und ihre Funktion steuern. Sie fanden heraus, dass die menschliche Kolonmukosa unterschiedliche Varianten von MAIT-Zellen enthält, welche sich durch eine jeweils typische Expression von Transkriptionsfaktoren, Zytokinen und Ober-
flächenmarkern auszeichnen. Das spricht dafür, dass es sich dabei um aktivierte und präzise regulierte Lymphozytenpopulationen handelt. Entsprechende Phänotypen waren dagegen unter zirkulierenden MAIT-Zellen selten zu finden. Sie liessen sich allerdings über Stimulation mit bestimmten synthetischen Antigenen künstlich erzeugen. Darüber hinaus konnten die Forscher zeigen, dass insbesondere Bakterien, welche in sauerstoffarmem Milieu und damit unter ähnlichen Bedingungen gezüchtet wurden, wie sie auch im Kolon herrschen, die MAIT-Zellen entsprechend aktivieren können. Das bakterielle Milieu im Kolon trägt somit zur mukosavermittelten Immunität bei, indem es direkt auf den bakteriellen Stoffwechsel Einfluss nimmt und indirekt die Stimulation und die Differenzierung der MAITZellen reguliert. Diese bilden wiederum diverse
Botenstoffe, die ihrerseits auf lokale Entzün-
dungsprozesse, die Reparatur von Gewebe-
schäden und den allgemeinen Zustand der
Darmzellen einwirken. «Unsere Resultate ver-
deutlichen, dass im Darm ein feines Gleich-
gewicht zwischen den mikrobiellen Wachs-
tumsbedingungen, der Produktion von stimu-
lierenden Stoffwechselprodukten und der
Antwort der MAIT-Abwehrzellen herrscht»,
kommentieren die Forscher. Der Stoffwech-
sel der Darmflora passt sich ständig an verän-
derte Wirtsbedingungen an. Dadurch, dass
die MAIT-Zellen diese verschiedenen Stoff-
wechselzustände erfassen, wird ihre Funktion
für die Immunabwehr der Darmmukosa ge-
zielt gesteuert.
Universität Basel/RABE L
Schmaler M et al.: Modulation of bacterial metabolism by the microenvironment controls MAIT cell stimulation. Mucosal Immunology 2018; doi: 10.1038/ s41385-018-0020-9.
454
ARS MEDICI 11 | 2018
Endokrinologie
Erhöhtes Risiko für Essstörungen bei jungen Typ-1-Diabetikerinnen
Mit Beginn der Insulintherapie nehmen viele Patienten an Gewicht zu. Insbesondere bei jungen Frauen kann das zu einer Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper führen. Einige versuchten, mit einem gestörten Essverhalten bewusst den Stress zu bewältigen, den die chronische Krankheit auslöse, heisst es in einer Pressemitteilung der Deutschen Diabetes-Hilfe. Essstörungen seien darum bei jungen Frauen mit Typ1-Diabetes etwa doppelt so häufig wie bei ihren stoffwechselgesunden Altersgenossinnen. Verbreitet seien vor allem Bulimie und die als Insulin-Purging bekannte bewusste Verminderung der Insulindosis oder das völlige Auslassen notwendiger Insulingaben, um Kalorien zu sparen beziehungsweise Gewicht zu verlieren: Weil dann nicht genügend Insulin im Blut ist, werden Kohlenhydrate nicht aufgenommen, sondern über den Urin ausgeschieden. Leider würden Ärzte und Familie Essstörungen und Insulin-Purging häufig übersehen, vermutlich auch deshalb, weil diese bei Typ-1-Diabetes nicht unbedingt mit den klassischen Symptomen einer Essstörung verbunden sind. Unerkannt und unbehandelt können jedoch schwere
Stoffwechselentgleisungen und Folgeschäden
an Organen wie Herz, Augen, Nieren oder Ner-
ven auftreten.
Doch wie erkennen Angehörige, dass Typ-1-
Diabetikerinnen an einer Essstörung leiden?
Ein Indiz dafür sind starke Schwankungen von
Gewicht und Blutzuckerwerten. Aber auch die
Unzufriedenheit der Betroffenen mit dem eige-
nen Körper, das Benutzen mehrerer Blutzucker-
messgeräte, das Wechseln der Batterien oder
des Datums in dem Gerät vor dem Arztbesuch
und die Verringerung der Anzahl täglicher Blut-
zuckermessungen können Anzeichen für eine
Essstörung sein. Familien und Freunden emp-
fiehlt Prof. Stephan Herpertz, Universitäts-
klinikum Bochum, die jungen Frauen in einer
solchen Situation zu einer Psychotherapie zu
bewegen, und zwar bei einem Therapeuten, der
sich mit Diabetes auskenne. Häufig sei das
Ergebnis der Behandlung sehr positiv, der Blut-
zuckerspiegel stabilisiere sich langfristig, und
das Risiko für Spätschäden könne so reduziert
werden.
diabetesDE/red L
Pressemitteilung der Deutschen Diabetes-Hilfe, 22. Mai 2018
Pharmakologie
Herzrhythmusstörungen wegen chinesischer Heilpflanze?
Eine in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) häufig verwendete Arzneipflanze, Evodia rutaecarpa, enthält Substanzen, die Herzrhythmusstörungen auslösen können. Das haben Forscher an den Universitäten Basel, Wien und Utrecht herausgefunden. Extrakte dieser Pflanze werden in der TCM bei vielfältigen Beschwerden eingesetzt, so etwa bei Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen sowie bei menstruellen Beschwerden und Geschwüren im Mundbereich. Die aus der Pflanze isolierten Naturstoffe Dehydroevodiamin (DHE) und Hortiamin erwiesen sich als sehr potente Hemmstoffe von Kaliumkanälen im Herzmuskel. Werden diese Kanäle blockiert, verändern sich die Erregungsabläufe im Herzmuskel, was schwere Herzrhythmusstörungen, sogenannte Torsade de pointes (TdP), und Kammerflimmern auslösen und zum plötzlichen Herztod führen kann. Das Entstehen schwerer TdP-Arrhythmien nach Gabe von DHE konnte bei EKG-Untersuchungen an Hunden bestätigt werden; ein Modell, das auch
zur Prüfung von Arzneimittelsicherheit in der Industrie eingesetzt wird. Weiterführende Untersuchungen zeigten, dass die beiden Naturstoffe bereits in sehr geringen Konzentrationen Oszillationen in den Herzmuskelzellen verursachen, die Herzrhythmusstörungen auslösen können. Bis heute liegen keine klinischen Studien vor, bei denen die Häufigkeit von Herzrhythmusstörungen nach Einnahme von Evodia-Präparaten untersucht wurde. Der DHE-Gehalt der Evodiafrüchte sei erheblich, heisst es in einer Pressemitteilung der Universität Basel. In welchem Ausmass diese Substanzen in eine Teezubereitung gelangten, werde derzeit untersucht. TCMArzneipflanzen und -Produkte gelangen in Europa relativ unkontrolliert auf den Markt, und sie können auch im Internethandel bezogen werden. Die Autoren der Studie mahnen daher zu erhöhter Wachsamkeit bezüglich möglicher toxischer Wirkungen. Universität Basel/red L
Pressemitteilung der Universität Basel, 2. Mai 2018
Rückspiegel
Vor 10 Jahren
Weibliches Genom
Die DNA der Wissenschaftlerin Marjolein Kriek wird an der Universität Leiden in Holland sequenziert. Am 26. Mai 2008 gibt die Universität bekannt, dass die Sequenzierung abgeschlossen sei und demnächst publiziert werde. Nachdem bereits die DNA mehrerer Männer komplett sequenziert worden ist, zum Beispiel das Erbgut von Craig Venter, folgt somit erstmals das Genom einer Frau.
Vor 50 Jahren
Contergan®-Prozess
Am 27. Mai 1968 beginnt in Deutschland das Gerichtsverfahren gegen sieben angeklagte Mitarbeiter der Firma Chemie Grünenthal wegen Geburtsschäden durch Thalidomid, das unter dem Namen Contergan® als Schlaf- und Beruhigungsmittel rezeptfrei verkauft und insbesondere für Schwangere empfohlen wurde. In der Schweiz hiess das Medikament Softenon®, war aber im Gegensatz zu Deutschland verschreibungspflichtig. Nach offiziellen Angaben kamen in der Schweiz nur neun Kinder mit den typischen Schäden zur Welt. Contergan® wurde 1961 vom Markt genommen, Softenon® folgte 1962. Der Prozess in Deutschland wird 1970 mit einem Vergleich beendet.
Vor 100 Jahren
Kalzium gegen Schnupfen
Gegen Schnupfen empfiehlt man, drei- bis viermal täglich je 2 g Kalziumlaktat (Calcium lacticum, das Kalziumsalz der Milchsäure), aufgelöst in einem halben Glas Wasser, zwischen den Mahlzeiten zu trinken. Die Mindestdauer der Anwendung ist eine halbe Woche, man kann sie aber auch über Wochen hinweg fortsetzen. Falls kein Kalziumlaktat verfügbar ist, geht auch Kalziumchlorid, davon dann aber 3 g pro Portion, um den gleichen Kalziumgehalt zu erreichen. RBO L
ARS MEDICI 11 | 2018