Transkript
EDITORIAL
Einfach mal abschalten
Nun laufen sie wieder: Soeben hat der deutsche Privatsender Pro7 die mittlerweile 13. Staffel seiner abendfüllenden Casting-Show «Germany’s Next Topmodel» (GNTM) ins Rennen um Einschaltquoten und mithin wieder 34 junge Frauen auf den schmalen Catwalk ins Model-Glück geschickt. Gemäss dem seit Jahren erfolgreichen Konzept dieser und ähnlicher TV-Talentschauen werden die «Mädchen» abermals (und selbstredend auch diesmal «by Heidi Klum» höchstpersönlich) aufeinander losgelassen und zur Schau gestellt für einen ebenso inszenierten wie unausweichlichen Konkurrenzkampf, welcher die Gefühlslage des überwiegend ebenfalls weiblichen und jungen Publikums zwischen neidvoller Identifikation einerseits und bemitleidender Abgrenzung andererseits oszillieren lässt. Vor allem den minderjährigen Zuschauern wird hier eine Projektionsfläche bereitet für ihre Träume oder gar Wünsche, es den Protagonistinnen gleichzutun und selbst einmal aus der Masse herauszustechen. Gleichzeitig bietet der unter den Kandidatinnen regelmässig ausgetragene «Zickenkrieg» nicht nur die Gelegenheit zur Befriedigung voyeuristischer Neigungen, sondern insbesondere denjenigen, welchen es ohnehin schon und umso mehr durch den Eindruck, den präsentierten Idealbildern nicht zu genügen, an Selbstbewusstsein mangelt, auch ausreichend Argumente zur Annahme, dass es vielleicht doch nicht das Schlechteste ist, ähnliche emotionale Achterbahnfahrten nicht selbst durchleiden zu müssen. Dabei hat ja weder die in diesem Medienformat meist recht eindimensionale Interpretation des Talentbegriffs noch die nachgerade darwinistisch zugespitzte Darstellung eines vermeintlich branchenimmanenten Einzelkämpfertums allzu viel zu tun mit dem, was auch die letztlich reüssierende Kandidatin fürderhin im realen Berufsalltag zu gewärtigen hat. Seit Sendestart im Jahr 2006 sieht sich GNTM jedoch vor allem der Kritik
gegenüber, durch das Casting extrem dünner Kandidatinnen junge Mädchen in die Magersucht zu treiben. In der Tat hat die Show das Potenzial, die Zufriedenheit der Zielgruppe mit dem eigenen Aussehen beziehungsweise Gewicht nachhaltig zu beeinträchtigen, wie entsprechende Umfragen ergaben. Und so steuern die Macher aus Furcht vor Image- und Werbeverlusten inzwischen bereits gegen, lassen Frau Klum und ihre Schützlinge schon mal plakativ in Burger beissen oder versuchen durch Bereicherung des Teilnehmerfeldes mit der einen oder anderen etwas üppiger gebauten jungen Dame, gewissermassen als Gegengewicht im wahren Wortsinn, die Vorwürfe zu entkräften – Vorwürfe, die bisweilen recht scheinheilig anmuten: Denn GNTM ist ja nicht Ursache, sondern Folge einer seit Langem mitten in der Gesellschaft zu verortenden und von ihr gesamthaft zu verantwortenden Akzeptanz bestimmter Schönheitsideale, derer sich Mode- und Werbeindustrie wie Medien folgerichtig bedienen – mit allerdings repetitiv selbstverstärkender Wirkung. Der Druck, der von solchen Leitbildern ausgeht, schlägt vielleicht mehr denn je durch auf die sogenannte Generation Z, die ab der Jahrtausendwende Geborenen. Sie wachsen auf in einem soziokulturellen Umfeld, in dem körperliche Attribute und entsprechendes Styling vielfach den Selbstwert bestimmen, und angesichts der zunehmenden Komplexität der Lebenswelten scheint lediglich der Rückzug auf die eigenen Gestaltungsfreiräume, seien diese auch auf Äusserlichkeiten beschränkt, noch eine gewisse Sicherheit zu geben. Viele brechen da aus, und Soziologen bescheinigen dieser Generation im Vergleich zu früheren schon eine wiedererstarkte Bereitschaft zum politischen Engagement. Manche brechen unter dieser Last aber auch zusammen: Esstörungen und ihre Folgen sind nur eines von vielen Problemfeldern. Eine aktuelle amerikanische Studie (1) an Teenagern zeigt, dass der seitens Gleichaltriger oder Eltern erlebte Zwang, darauf zu achten, möglichst dünn zu sein, genau das Gegenteil bewirkt: Insbesondere übergewichtige Heranwachsende legen unter diesem Druck an BMI und Körperfett noch zu. Was wir Älteren allgemein und speziell Sie als (Haus-)Ärzte da tun können? Let the children play! Behutsam einwirken, wenn es medizinisch notwendig ist, und und anderenfalls die nötige Stärke vermitteln, die es braucht, um sagen zu können: So, wie ich bin, bin ich einzigartig und deshalb – natürlich – schön. Und sich wieder bewusster werden, wodurch sich die Programme von morgen ganz leicht mitgestalten lassen: Einfach heute mal abschalten …
Ralf Behrens
1. Suelter CS et al.: Relationship of pressure to be thin with gains in body weight and fat mass in adolescents. Pediatr Obes 2018; 13(1): 14–22.
ARS MEDICI 3 | 2018
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