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Metastasierter Brustkrebs als therapeutische Herausforderung
BERICHT
Die Schweiz steht im internationalen Vergleich bei der Betreuung und der Behandlung von Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs gut da. Zu verdanken ist dies koordinierter, interdisziplinärer Zusammenarbeit. Und auch über Fortschritte bei den medikamentösen Therapien, sowohl beim Mammakarzinom als auch beim nicht kleinzelligen Lungenkrebs, wurde an einem Medien-Round-Table von Pfizer Oncology über Fortschritte berichtet.
Halid Bas
Beim frühen Brustkrebs habe sich die Prognose durch die Einführung von Aromatasehemmern, die Zulassung von Herceptin als Adjuvans bei HER2-positivem Mammakarzinom und durch weitere zielgerichtete Substanzen, die in Entwicklung oder Anwendung seien, deutlich verbessert, erklärte PD Dr. med. Cornelia Leo, Leiterin Interdisziplinäres Brustzentrum, Kantonsspital Baden. Dies ist in der öffentlichen Wahrnehmung auch angekommen. Demgegenüber fehlt das Wissen über den metastasierten Brustkrebs noch vielerorts, und Fehlwahrnehmungen sind verbreitet. Einerseits haben 6 bis 10 Prozent der Patientinnen bei Erstdiagnose schon eine Metastasierung. Andererseits können Metastasen auch noch sehr spät, nach mehr als 15 bis 20 Jahren auftreten. Insgesamt entwickeln 20 bis 30 Prozent der Patientinnen mit frühem Brustkrebs im weiteren Verlauf Metastasen. Das metastasierte Mammakarzinom ist nicht heilbar. Therapieziele sind daher die Linderung von Beschwerden, der Erhalt der Lebensqualität und das Hinauszögern des Fortschreitens der Erkrankung.
Lebensqualität für Patientinnen
mit fortgeschrittenem Brustkrebs
essenziell
Ein umfangreicher Bericht hat für die Dekade 2005 bis 2015 die Situation
beim metastasierten Brustkrebs weltweit beleuchtet (1). Darin wird in der globalen Perspektive ein ungünstiges Bild gezeichnet. Fehlendes Wissen in der Öffentlichkeit, mangelnder Zugang zu supportiven und palliativen Therapien sowie inadäquate Arzt-Patientinnen-Kommunikation sind die wichtigsten Schwachpunkte. Zudem hält der wissenschaftliche Fortschritt im Bereich metastasierter Brustkrebs nicht mit demjenigen bei anderen Krebsarten Schritt. In der Schweiz hat – ebenfalls mit Unterstützung von Pfizer – ein Workshop von Fachärzten, Onkologiepflegenden und Vertreterinnen von Patientinnenorganisationen stattgefunden, dessen Arbeit in einem Positionspapier zum metastasierten Brustkrebs zusammengefasst wurde (2). Die wichtigste Erkenntnis: Im internationalen Vergleich sind in der Schweiz die Betreuung und die Behandlung der Patientinnen sehr gut, obwohl es je nach Wohnort Unterschiede gibt. Insgesamt 19 zertifizierte Brustzentren gewährleisten hierzulande eine interdisziplinäre Behandlung nach neuesten Erkenntnissen. Leider wird aber auch in der Schweiz die Lebensqualität nicht systematisch erfasst. Die Krebstherapie an sich, die Nebenwirkungen und die emotionale Belastung haben einen grossen Einfluss auf die Lebensqualität. Die psycho-
onkologische Unterstützung ist ein zentrales Element zur Verbesserung der Lebensqualität. Nicht ausreichend abgedeckt wird zurzeit das Bedürfnis nach finanzieller und beruflicher Unterstützung. Ebenfalls Verbesserungsbedarf sieht das Positionspapier in der öffentlichen Wahrnehmung des metastasierten Brustkrebses und fordert daher eine ausgewogene, realistische Berichterstattung zum Abbau von Vorurteilen.
Neue Therapie: CDK4/6-Inhibition
plus Fulvestrant
Nach einem Jahrzehnt des therapeutischen Stillstands sei in den letzten Jahren mit der CDK4/6-Hemmung in Kombination mit Antihormontherapien ein neuer Ansatz zur medikamentösen Behandlung des hormonabhängigen (ER+/HER2−) metastasierten Brustkrebses verfügbar geworden, berichtete Prof. Dr. med. Roger von Moos, Chefarzt Onkologie/Hämatologie, Kantonsspital Graubünden, Chur. Als erster Vertreter der Cyclin-D-abhängigen Kinasen CDK4 und CDK 6 ist Palbociclib (Ibrance®) klinisch erforscht und jetzt auch in der Schweiz zugelassen worden. Cyclin D1 wird in Brustkrebszellen überexprimiert. Die Amplifikation und die Hyperaktivität von CDK4/6 führen zum Verlust der Kontrolle der Zellproliferation. Die selektive Hemmung dieser Kinasen stellt die Zellzykluskontrolle wieder her. Von der Kombination zweier unterschiedlicher Ziele bei der Kontrolle des Zellwachstums, der Hemmung am Östrogenrezeptor und der CDK4/6-Inhibition sind potenziell synergistische Effekte auf Tumorzellen zu erwarten. In einer doppelblinden Phase-III-Studie wurde Palbociclib mit Plazebo, jeweils in Kombination mit dem Antiöstrogen Fulvestrant, verglichen (3). Die Patien-
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BERICHT
Neue Optionen auch beim NSCLC: Gezielte Therapie bei ROS1positivem fortgeschrittenem Lungenkrebs
Das routinemässige genetische Screening beim nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (non small cell lung carcinoma, NSCLC) gibt Auskunft über molekulare Subtypen der Krebszellen, die Ansätze für personalisierte, gezielte Therapien bieten. Als häufige Subtypen nannte Dr. Patrizia Frösch, Leitende Ärztin Onkologie, IOSI Ospedale La Carità, Locarno, den Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptor-Typ-1 (FGFR1) bei 20 Prozent und den EGF-Rezeptor (endothelial growth factor receptor) in 10 bis 35 Prozent. Seltener sind Mutationen von ALK (3–7%), BRAF (1–3%) und ROS1 (1–2%).
In der Schweiz werden jährlich ungefähr 50 Patienten neu mit ROS1-positivem fortgeschrittenem NSCLC diagnostiziert. Das ROS1-Gen liegt auf Chromosom 6. Es ist ein Transmembran-Rezeptorprotein und aktiviert Signalwege, welche die Zelldifferenzierung, -proliferation, -wachstum und -überleben modulieren. Beim NSCLC sind ROS1Translokationen assoziiert mit jüngerem Patientenalter, histologischem Adenokarzinom und einer Anamnese als Nicht- oder Wenigraucher.
Als bis anhin einzige zielgerichtete Therapie kann beim fortgeschrittenen ROS1-positiven NSCLC Crizotinib (Xalkori®) eingesetzt werden, das bisher schon beim ALK-positiven NSCLC angewendet wird. In verschiedenen kleinen Studien hat sich Crizotinib bei diesem Tumortyp als sehr aktiv erwiesen. Das Sicherheitsprofil war konsistent mit demjenigen, das bei ALK-positiven NSCLC-Patienten beobachtet wurde. Behandlungsbezogene Nebenwirkungen wurden bei mehr als 10 Prozent der Patienten beobachtet. Am häufigsten waren dies Sehstörungen, Diarrhö, Nausea und Erbrechen, periphere Ödeme und Obstipation.
Neutropenie. Die Sicherheitsanalyse
zur kumulativen Inzidenz von Neutro-
penien (Grad 3 und 4) ergab, dass diese
Nebenwirkung überwiegend im ersten
Behandlungsmonat auftrat und danach
ein Plateau erreichte. Im Vergleich zu
Patientinnen, bei denen keine Dosisre-
duktion notwendig war, zeigten die-
jenigen mit einer oder mehreren Dosis-
reduktionen wegen Neutropenie keinen
Unterschied beim progressionsfreien
Überleben.
Heute ist beim hormonabhängigen
metastasierten Brustkrebs in einem ers-
ten Schritt eine endokrine Therapie
(Aromatasehemmer, Fulvestrant, Tamo-
xifen) vorgesehen, und in einem zwei-
ten Schritt kommen alternative endo-
krine Therapien (Plabociclib plus Ful-
vestrant, Exemestan plus Everolimus)
zum Zug. Noch sind aber einige Fragen
offen: Welches ist die beste Abfolge der
Therapien? Wird sich die duale Thera-
pie auch in einem Überlebensvorteil
niederschlagen? Werden die höheren
Kosten bezahlbar sein?
O
Halid Bas
tinnen erhielten während dreier Wochen täglich 125 mg Palbocilib per os, gefolgt von einer Woche Pause. Pro 28Tage-Zyklus wurden zusätzlich 500 mg Fulvestrant i.m. an Tag 1 und 15 des ersten Zyklus sowie jeweils an Tag 1 der folgenden Zyklen verabreicht. Bei Patientinnen ohne vorherige systemische Therapie gegen metastasierten Brustkrebs betrug das mediane progressionsfreie Überleben in der Palbociclibgruppe 9,5 Monate, in der Plazebogruppe 5,4 Monate (Hazard Ratio: 0,55; 95%-Konfidenzintervall [KI]:
0,32–0,92; p = 0,02). Bei Patientinnen, die zuvor mindestens eine systemische Therapie erhalten hatten, lag das mediane progressionsfreie Überleben unter Palbociclib bei 9,9 Monaten gegenüber 4,2 Monaten in der Plazebogruppe (HR: 043; 95%-KI: 0,33–0,57; p < 0,0001). Wichtigste Nebenwirkungen waren Leukopenien und Müdigkeit. Entsprechend gibt die Fachinformation zu Palbociclib eingehende Anweisungen zur Dosisreduktion oder zum Unterbruch der Behandlung in Abhängigkeit vom Schweregrad der Quelle: Medien-Round-Table Onkologie von Pfizer, am 11. August 2017 in Zürich. Referenzen: 1. «Global Status of Advanced/Metastatic Breast Cancer. 2005–2015 Decade Report», Summary vailable at: www.breastcancervision.com. 2. Günthert A et al.: Brustkrebs hat viele Gesichter – Unmet Needs von Patientinnen mit metastasiertem Brustkrebs in der Schweiz. Schweizer Zeitschrift für Onkologie 2/2017, S. 34–37. 3. Cristofanilli M et al.: Fulvestrant plus palbociclib versus fulvestrant plus placebo for treatment of hormone-receptor-positive, HER2-negative metastatic breast cancer that progressed on previous endocrine therapy (PALOMA-3): final analysis of the multicentre, double-blind, phase 3 randomised controlled trial. Lancet Oncol 2016; 17(4): 425–439. 846 ARS MEDICI 19 I 2017